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getragen, eine malerei, wobei der pinsel immer wieder ansetzt und wohl ein liebevoller, aber doch durchaus kein freier strich erzielt wird. Brockes selber 1) steuerte aus seinem Irdischen Vergnügen, dessen 4. band bekanntlich Richey selber herausgab, einige gereimte stücke bei, z. b. am 11. April 1726 im 119. stück: Die Elbe« und »Das Treibeis. Gelegentlich geht die fahrt auch weiter, z. b. zu den Grönländern, die ausführlich beschrieben werden. Die einrichtung eines gartens, einer vernünftigen kaffeegesellschaft wird auseinandergesetzt, aber der verfasser kennt nicht allein den engen, philisterhaften standpunkt, sondern gestattet sich auch aussichten in tod und ewigkeit und in die wunder des gestirnten himmels, woraus sich eine zuschrift erklären mag, die den Vernünftigen Tadlerinnen zuging:

>>Es ist wahr, dass mir jener (der hamburgische Patriot) bissweilen einwenig zu hoch schreibet, allein, das muss ich meiner Einfalt zuschreiben. Doch merke ich schon, dass ich durch die Übung auch dergleichen Sachen werde begreiffen lernen, die etwas mehr Nachdenkens erfordern.<< Der Patriot wollte auf hoher warte stehen und sein bekenntnis:

>> So offt

ich, welches häuffig geschehen, unterweges, allein, und ohne andere Bücher gewesen, hat mir das grosse Buch der Natur, nebst der Bibel, zu meiner stärksten Bibliothec und ein mit mir selber darüber angestelletes Gespräch zu meinem angenehmsten Umgang gedienet, « ist beachtenswert. Trotzdem ist der theologische standpunkt der zeitschrift frei, weshalb sie denn auch bald von allen seiten angefeindet wurde.

Was sie an litterarischen und geschichtlichen kenntnissen bei ihren lesern voraussetzte, war, aus den kargen anspielungen zu schliessen, wenig genug. Gelegentlich sind die englischen in Hamburg wohl bekannten wochenschriften erwähnt, und in der sparsamkeit sollen sich die leser des Patrioten gar durch das » ansehnliche Beyspiel des grossen Engel-Sächsischen Königs Alfred« bestärken lassen, »der im 9. Jahrhundert lebte, und, wie viele noch jetzt herrschende Monarchen auswärtiger

1) Patriot III 136–144; Irdisches vergnügen II 161 ff., 425—28; cf. Patriot I 488. Siehe auch Brandl a. a. o., der für Brockes die stücke 5, 8, 18, 23, 42, 61, 68, 76, 84, 96, 98, 124 in anspruch nimmt. Zu Brockes 4, 426 z. II: »obgleich nicht einer stille steht« hat der Patriot die variante: kein einz'ger«.

Völker, aus altem deutschem Geblüte entsprossen war.

Kein Mensch, wie Milton in seinen Englischen Geschichten von ihm schreibt, ist jemahls mit seiner Zeit und Baarschaft sparsamer gewesen als er . . . . « Auch aus dem Froschmäuseler werden einmal ein paar verse angeführt.

Der stil des Patrioten ist geschmeidig und besonders in der 2. Auflage durchaus wohlklingend; er entbehrt bei ernsten stoffen nicht einer gewissen wehrhaftigkeit; im allgemeinen gilt für ihn die folgende selbstcharakteristik, die im Patrioten no. 55 steht: 'In dem schönen Gedichte des Englischen Poeten Denham auff die Thems haben mir insonderheit vier Verse gefallen, die nicht allein ein artiges Lob dieses Strohms, sondern auch alle Eigenschaften einer guten Schreibarth, mit kurzen Worten in sich fassen. Nach einer gewissen Uebersetzung davon, die ich ehemahls gelesen, lauten sie, wie folgt:

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»O flöss' ich, gleichwie du, und wäre diess dein Fliessen, »Wie du mein Inhalt bist, mir an Exempels statt! »Zwahr tieff, doch aber klahr: sanfft, aber doch nicht matt: >> Starck, ohne Raserey: voll, ohn' sich zu ergiessen. «' 1) Kräftig suchte der Patriot auch die fremden bestandteile, die sich damals auf der deutschen sprache abgelagert hatten, zu entfernen:

» Meyne nicht,« so mahnt er, »du seyst ein Teutscher, und dürffest dir deswegen in deiner Mutter-Sprache keine Mühe geben. Es ist sehr nöthig, und erfordert sonderbaren Fleiss, deutlich und rein Teutsch zu schreiben, auch wohl zu sprechen.<<

Er ging selber mit dem besten beispiel voran; die herren verfasser entsagten freiwillig ihrem fremden wortschatz, um den heimatlichen aus eigenen mitteln zu bereichern. Dieser Hamburger zeigt sich stolz auf seine muttersprache. Wäre es man gestatte die scheinbare abschweifung nicht der mühe wert, in einer studie einmal die bekenntnisse unsrer dichter und schriftsteller über die deutsche sprache aufzureihen und damit einen beitrag zur kenntnis von der entwicklung des nationalgefühls zu liefern? Wenn erst solche arbeiten gleichmässig

1) Diese verse hat der Patriot in Weichmann's Poesie der Niedersachsen 1, 307, 1725 gelesen, wo Denham's vier reihen On de (!) Thames mit denselben worten übertragen und von der folgenden bemerkung begleitet sind: »Dieses ist aus einem Lobgedichte der Thems, und begreifen diese wenigen zeilen gar artig und sinnreich alle eigenschaften eines guten gedichtes in sich.<<

für die englische, französische und italienische sprache vorlägen, würde auch die frage zu beantworten sein, ob die schriftsteller der betreffenden länder wirklich die richtigen merkmale ihrer sprache herausgefunden oder bei der charakteristik bloss einer allgemeinen vaterländischen regung nachgegeben haben, so dass jeder seine sprache auch als das einzig mögliche und vollkommenste werkzeug für den gedanken- und gefühlsaustausch ansah. Stimmt etwa das, was Klopstock und Schiller vom Deutschen sagen, mit dem überein, was bedeutende englische dichter wieder an ihrer muttersprache zu rühmen wissen?)

Das unverkennbare talent und die geistige kraft, die im Hamburger Patrioten thätig waren, erregten natürlich die freude sowohl wie den neid der umgebung. Noch im selben jahr, als das erste blatt erschien, tauchte eine gegenschrift auf: »Patriot, Schnatriot, Ein wenig beleuchtet von einem ehrlichen Schlesier<«<. Vor allem hatte dieser die symbolischen ausführungen seines gegners völlig missverstanden; »in dem ersten Bogen machet der Schnatriot ein entsetzliches prahlen von seinen Qualitaeten, Reisen und grossem Reichthum.« Er strafte die weiten fahrten, die der Patriot angeblich ausgeführt, einfach als Lügen ab, anstatt zu begreifen, dass sie doch nur die aus reicher, vielseitiger lektüre erworbene welt- und menschenkenntnis umschreiben sollten.

Anders sprachen sich am 28. Mai 1725 die Gottsched'schen Vernünftigen Tadlerinnen über ihren bruder von der presse in einer geradezu begeisterten kundgebung voll weiblicher überschwenglichkeit aus: > Dieser Scribent verdient allerdings, unter die grossen Geister gesetzet zu werden, die so selten in der Welt erscheinen. . . Man nennet ihn bei uns den hamburgischen Patrioten, aber ich pflege ihm diesen namen allezeit streitig zu

1) In einem lobgedicht Hagedorn's auf das Irdische Vergnügen von Brockes, vorrede zu band III:

>> Erlernt der Teutschen Sprache Klang,

Erlernt, wie weit sie sich erstrecket,
Und wisst, wie bündig sie entdecket,
Der Cörper Form und Eigenschaft.
Darf man ob ihrer Armut klagen,
Da sie uns solche Wunder lehrt,
Wovon das Kleinste vorzutragen
Ein Nachdruck selt'ner Art gewährt?<

machen, und wider meine Freunde zu behaupten, dass er vielmehr der Teutsche Patriot heissen solle... Und die Nachkommen werden nach vielen Jahrhunderten unsere Zeit vor glücklich achten, dass sie einen solchen Mann hervorgebracht, der ein Lehrer so vieler Völker gewesen.‹ — Der herausgeber der briefe des German Spy macht in seiner vorrede den herren der Deutschübenden Gesellschaft auch eine verbeugung

2. The German Spy und der Patriot.

Um die allegorien und erzählungen des Patrioten1) in seine briefe möglichst zwanglos zu verflechten, schob der Spy eine erdichtete person vor, von der er alles gehört haben wollte. Die erfindung bei diesem maskenscherze ist ziemlich seicht. Der Spy gibt sich nämlich in seinem Hamburger logis dem wirte gegenüber als ein Deutscher 2) aus, der lange in England war und zu seiner weiteren ausbildung gern die bekanntschaft eines bedeutenden, allgemein gebildeten mannes machen möchte. Der wirt, darüber sehr erfreut, hat in der that gerade unter seinen gästen einen menschen der gewünschten art auf lager, der sich aber durch ungeheure schweigsamkeit auszeichnet und in 2 jahren kaum 3 sätze gesprochen haben soll. Wegen seines sonderbaren lebenswandels halten ihn die einen für einen schwarzkünstler und die andern für einen grossen weisen. Der Engländer, durch diese berichte neugierig geworden, beschliesst, den merkwürdigen fremdling zu erwarten. Die beiden sitzen sich erst eine lange weile schweigend gegenüber, bis der fremdling endlich das ungemütliche schweigen mit einem französischen 3) Wort unterbricht und nach der her

1) Dass der Engländer mit den herausgebern des Patrioten fühlung hatte, ergiebt sich ausser anderm auch aus dem im Spy angeführten namen eines dr. T-s, "a very sociable and worthy Gentleman", der englischer geistlicher und zugleich mitglied der Deutschübenden Gesellschaft war, und der die bekanntschaft vermitteln konnte. Dr. T―s ist identisch mit dem in der widmung des Patrioten (III) erwähnten »herrn John Thomas, Th. D., der Löblichen engelländischen Societaet in Hamburg hochverdienten Pastori«<.

2) "I told my landlord I was a High-German, but had lived many Years in England... That I was no Trader nor did I seek the Company of the English Nation in Particular."

3) "Sir (said he) I perceive you are a Stranger and therefore speak to you in French, the universal Language of Travellers . . ."

kunft seines nachbarn, des Spy, fragt; der Engländer giebt sich nun anfänglich für einen Schweizer aus 1). Die zwei kommen schliesslich ins gespräch, und der fremde, »our dumb philosopher, wie er vorderhand genannt wird, ladet den Engländer auf die nächste woche zu sich aufs land, auf seine wundervolle besitzung, die uns samt der persönlichkeit ihrers besitzers in den briefen des Spy auch ausführlich beschrieben wird.

Das bild, das der Engländer dann (p. 123–132) von seinem neuen bekannten (my learned friend, wie er später heisst), selber nach dessen erzählungen entwirft, entspricht im wesentlichen der autobiographie im ersten stück des hamburgischen Patrioten, der sich seinen lesern mit den worten vorstellt: > Ich bin ein Mensch, der zwar in Obersachsen gebohren und in Hamburg erzogen wurde: der aber die gantze Welt als sein Vaterland, ja, als eine eintzige Stadt, und sich selber als ein Verwandter oder Mitbürger aller andern Menschen ansieht.« Als der sohn reicher eltern will er eine sorgfältige erziehung genossen, früh viele sprachen gelernt und dann auch die entferntesten völker aufgesucht haben, dinge, die natürlich nur symbolisch zu nehmen sind und als wirkliches erlebnis ausgeben, was der verfasser vielmehr in büchern bloss gelesen hatte, — »zu den fast unbekannten Lappländern, Grönländern, Tartarn, Molucken, Indianern, Sinesen, Japanern, Moren, ja selbst den Hottentotten und Cannibalen. Diese weitläuffigen Reisen haben mir etliche zwanzig Jahr gekostet, woran allein bey den Americanischen Menschen-Fressern zwey Jahre darauf gegangen.< Nun im 58. jahre stehend, im besitz reicher erträgnisse aus seinen nicht weit von Mansfeld gelegenen gütern, denkt er sein leben und thun dem wohle der vaterstadt zu widmen und spielt vor seinen mitbürgern den im hintergrund stehenden beobachter.

Der Engländer hat freilich noch einiges hinzugethan und schliesst die interessante lebensgeschichte mit einer englischen auf seinen helden gemünzten übersetzung des horazischen >>Si fractus illabatur orbis« ab; diese verse müssen in jenen

1) ". . . a Swiss, a Nation, which, tho' they generally understand German, speak it very corruptly, and I thought the Progress I had made in that Tongue might enable me to imitate their Jargon by larding my Discourse with a pretty many French words, tack'd to German Terminations, an asserted way which prevails as well in Switzerland as in Germany."

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