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Henricus Pistor.

Für ihn, dem der Engel Schar
Ihn verkündend brachte dar
Heilige Gesänge.

129

(L. D.)

Gesellen wir den beiden Mystikern des Agnetenberges noch einen anderen Dichter aus dem Chorherrenorden des hl. Auguftinus zu. Es ist dies Henricus Pistor, Chorherr von St. Viktor in Paris, von dem uns Clichtoveus eine schöne Sequenz auf den hl. Johannes den Täufer aufbewahrt hat:

Nr. 40.

Laßt dem Tag uns des Vorläufers
Unsers Herrn, dem Tag des Täufers
Helle Jubellieder weih'n,

Tagen mög's vom wahren Tage,
Daß des Geistes Nacht verjage
Dieser Wahrheitsmorgenschein.

Seine Sitten, sich vor lauter
Weltlust hütend waren lauter
Schon in früh'ster Jugendzeit,
Zu der üppigkeit Vermeidung
Ließ er Speise, Dach und Kleidung,
Fliehend in die Einsamkeit.

Hier, erfüllt von höh'rer Klarheit,
Ward zur Leuchte er der Wahrheit,
Künft'gen Tages Morgenstern;
Einer neuen Lehre neuer
Herold brachte er als treuer

Bote Botschaft von dem Herrn.

Seiner Prophezeiung Weise
Macht in der Propheten Kreise
Ihn zum größesten. Was sie
Noch in weiter Zukunft sahen,
Sah er selbst; nicht: Er wird nahen",
Sprach er, sondern: „Er ist hie"

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Da er Christum tauft im Freien,
Läßt ihm Christus angedeihen

Dreves, Die Kirche der Lateiner. (S. K.)

9

Seine Taufe, geistentflammt;
Doppelt nezt der Fluß die zweie,
Daß den Namen er verleihe
Dem und dem des Täufers Amt.

Da er tauft, wird er getaufet
Und beträufelnd selbst betraufet
Mit des Welterlösers Weih'n;
Wasser weiht und wird geweihet,
Doch der Weihung Kraft verleihet
Ihm des Täuflings Huld allein.

Leuchte vor dem Gottesworte,
Laß uns durch des Himmels Pforte
Geh'n zum ew'gen Heile ein!
Uns zum Frieden aus dem Streite
Und aus Leid in Lust geleite

Deiner Gnade milder Schein.

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(L. D.)

Einer der fruchtbarsten theologischen Schriftsteller dieser Zeit ist Dionysius von Rickel (im Haspelgau), bekannter unter dem Namen Dionysius Carthufianus († 1471). Menschliche Torheit hat ihm nach großen Mustern den Beinamen Doctor exstaticus" gegeben, während er im Grunde eine trockene Kompilatorennatur ist. Auch er hat sich an der lateinischen Rhythmen-Dichtung beteiligt. Wir besigen von ihm umfangreiche Poesien über Gott und die hl. Dreifaltigkeit, oder richtiger gereimte Abhandlungen und Betrachtungen, die schon durch ihre Ausdehnung ermüden müssen. Handschriftlich habe ich dieselben nicht gefunden; wir kennen sie nur aus des Verfassers Opera Minora, Köln 1532.

Schließen wir noch einige andere religiöse Dichter dieses Zeitraumes an. Da ist Matthäus Ronto, der, von venetianischen Eltern stammend, auf Kreta ge= boren, als Mönch des Olivetanerklosters zu Siena 1443 gestorben ist. Wir besigen von ihm wenige Hymnen, die uns in einer Handschrift zu Wilhering erhalten sind.

Da ist Hieronymus de Werdea, wie er mit seinem Klosternamen heißt, Prior von Monsee († 1475), mit feinem Taufnamen Johannes genannt. Zu Donauwörth geboren, ward er Magister der freien Künste an der Wiener Hochschule und lehrte an derselben bis 1451, trat dann in die Benediktinerabtei Monsee bei Salzburg, machte den 1. Januar 1452 Profeß, ward 1463 zum Prior erwählt und starb den 9. Oktober 1475. Er ist nicht, wie des öftern geschehen, mit dem etwas jüngeren Johannes Fabri, alias Obermayr, de Werdea zu ver wechseln, welcher der schönen Künste Magister und Baccalaureus legum ac decretorum und 1486 Rektor der Universität Leipzig war und sich auch als lateinischer didaktischer Dichter betätigte. Hieronymus von Monsee (er selbst schreibt sich gleichbleibend „Mense“) war sowohl vor als nach seinem Eintritte in den Orden ein ebenso fleißiger Kompilator und Schreiber von Codices als fruchtbarer theologischer Schriftsteller. Außer den Dichtungen, welche der hymnologischen Literatur zuzuzählen sind, finden sich von ihm in Wiener und Münchener Handschriften noch manche andere poetische Versuche, vor allem eine metrische Lebensbeschreibung des Patrones von Monsee, des hl. Wolfgang, mit dem Anfange: O pater alme Deus, Wolfgangi festa canendo. Seine religiösen Lieder, die nie das liturgische Gebiet betreten, verherrlichen Christus und Maria, die heiligen Benedikt, Florian, Georg u. a. Die Form ist für die Zeit des Dichters nicht schlecht besorgt, eigentliche poetische Inspiration ist dagegen in den Liedern kaum zu finden. Erwähnen wir noch des Wynandus de Stega, Pfarrer zu Bacharach, der uns Hymnen und Sequenzen auf den Hl. Werner hinterlassen, während eine Vatikanische Handschrift uns zwei andere Lieder desselben, das eine auch in deutscher Übertragung, aufbewahrt hat. Ganz am

Schlusse des Zeitraumes steht der Franziskaner Johannes Tisserand, der 1493 in Paris den Orden der sog. bußwirkenden Jungfrauen oder büßenden Magdalenen stiftete. Eine Pariser Handschrift hat uns von ihm einige Lieder überliefert, deren Form an die Wilhelms von Deguilleville gemahnt. Da er die Akten des Bernhard de Corbio und der fünf Märtyrer von Marokko verfaßt, ist er vielleicht auch der Urheber des Reimoffiziums, das auf eben diese Märtyrer existiert.

Schlußwort.

Es wäre zweifelsohne ein Leichtes, zu den genannten Hymnendichtern eine Reihe anderer hinzuzufügen, die vielleicht das eine oder das andere Lied gesungen, einen oder den anderen Hymnus gedichtet haben. Es ist aber nicht so fast Aufgabe der Literaturgeschichte, vielweniger der Literaturgeschichte im Abrisse, den lezten Einzelheiten nachzugehen, als vielmehr den Haupterscheinungen, den bedeutenderen Strömungen. Sie will und soll Höhenpfade wandeln.

Wir haben wiederholt betont, daß im Mittelalter zu allen Zeiten neben der rhythmischen Poesie, die sich zur höchsten Blüte entfaltet, die Pflege der metrischen einhergeht. Die Dichtkunst des antiken Rom ist in dieser Zeit der Romantik nie völlig erloschen. Mit dem Ausgange des Mittelalters aber nimmt der Charakter dieser Poesie eine andere Physiognomie an. Es läuft nun neben der rhythmischen die sog. humanistische Dichtung her, das Erzeugnis der sog. Renaissance der klassischen Wissenschaften. Diese Poesie unterscheidet sich von der metrischen -Dichtung, wie sie das Mittelalter, wie sie ein Theodulph, wie sie Hildebert von Lavardin, wie sie ein Alphanus von Salerno pflegten weniger durch größere Reinheit der Sprache und der dichterischen Form als vielmehr durch größere Unselbständigkeit den gemeinsamen Vorbildern

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