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wurde, den Anlaß zu lebhafter dichterischer Betätigung; kennen wir doch nicht weniger als zehn verschiedene Reimoffizien, die auf dieses Fest gedichtet worden sind. Eines derselben, das im Dominikanerorden gebräuchliche, mit dem Anfange Collaetentur corda fidelium ist von dem Magister Raimundus von Capua, dem Beichtvater und Biographen der hl. Katharina von Siena verfaßt. Ein anderer Dominikaner, der (zeitweise abgesette) General Martialis Auribelli († 1473) hat seinen Namen in das Akrostichon der Hymnen eingewebt, welche er auf die hl. Katharina von Siena gedichtet hat.

Wir sind bereits in das 15. Jahrhundert eingetreten. Zu den Dichtern, die in den Anfang desselben gehören, zählt der unglückliche Fanatiker Johann Hus († 1415). Es sind uns nur wenige Lieder von ihm teils in tschechischer, teils in lateinischer Sprache aufbewahrt. Am verbreitetsten war sein Lied Jesu Christe, nostra salus, das im Akrostichon den Namen Johannes aufweist und vereinzelt noch heute gesungen wird.

An den Namen des Hus können wir am besten die Wolke meist ungenannter und unbekannter Dichter anschließen, welche in diesem und dem vorigen Jahrhunderte in Böhmen eine besondere Art des Kirchenliedes eifrig pflegte, die sogenannten Cantiones (s. o. Einleitung). Nächst Frankreich, wo sie indes auf engere Kreise eingeschränkt erscheinen, hat kein Land so in dieser Art Gesängen geschwelgt wie Böhmen, woselbst die sog. Literatengesellschaften, eine Art von kirchlichen Sängerzünften, sie pflegten. Die Form derselben, aus doppeltem Stollen und folgendem (zuweilen ebenfalls verdoppeltem) Abge= fange bestehend, ist oft sehr künstlich, Rhythmik und Reim` dagegen zeigen alle Spuren der Dekadenz.

Eine Gestalt von weltgeschichtlicher Berühmtheit, die doch nie in den Lauf, ich sage nicht der Weltgeschichte, auch

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nicht in den der lokalsten Lokalgeschichte eingegriffen hat, bezeichnet das Ende des uns beschäftigenden Jahrhunderts, die Gestalt des Thomas von Kempen, des Verfassers der Nachfolge Christi“ († 1471). Er ist auch als Dichter tätig gewesen, und wir verdanken ihm eine Reihe von Hymnen und Reimgebeten, von denen auch die letteren zu einem Teile mit Singweisen versehen erscheinen, nicht um in der öffentlichen, liturgischen Andacht zu dienen, sondern um für die Privatandacht des einzelnen das Nötige vorzusehen. Von hohem poetischen Werte sind diese Dichtungen des berühmten Mystikers nicht und auch die Form ist eher eine vernachlässigte denn eine wohlbesorgte zu nennen. Ich will sein Lied von den himmlischen Freuden und den neun Chören der Engel als ein Beispiel seiner Art zu dichten hier in der Übersegung Karl Fortlages *) anfügen:

Nr. 38.

O welcher Jubelchor der Seligkeit
Erschallt im Himmelsvaterlande weit,
Wo Jesus mit Marien sich erfreut
An süßer Melodien Widerstreit.

Engelchöre steh'n im Kranze,
Schau'n den Herrn in seinem Glanze,
Singen Preis im schönen Bunde,
Lieb' im Herzen, Lob im Munde.

Zithern klingen, Flöten singen,
Flügel schlagen, Engel ragen,
Hoch auf Stufen hergerufen

Vor dem höchsten Gott zu steh'n,
Singen: Heilig, heilig, heilig,
Davor Schmerz und Klagen eilig
Wie in einem Traum zergeh'n.

* Gesänge christlicher Vorzeit, Berlin 1844, S. 197 ff.

Wie harmonisch ist ihr Lied,
Das hinauf zum Throne zieht!
Heiße Lieb im Herzen glüht,
Wenn sie, jauchzend im Gemüt,
Die heilige Dreiheit sehen
In klarer Einheit stehen.

Die lobpreisen Seraphim,

Von Liebesglut umfangen,
Und anbeten Cherubim

Mit ehrfurchtsvollem Bangen,
Vor der auf steilen Höhen
Die Thronen staunend stehen.

Fürstentümer darauf folgen diesen,
Die des höchsten Gutes voll genießen,
Und woran Herrschaften hoch sich schließen.
Heiter in der Liebe Atherwehen,
Dann nebst Tugenden Gewalten kühn,
Die auf Donnerwolken abwärts zieh'n,
Böse lohnend, Gute schonend

Und zu Gott um Andachtswunder flehen.

Alle Engel im Gewimmel

Schallen durch den ganzen Himmel,

Hören uns und stüßen uns,

Lehren und beschüßen uns,

Für klein und groß ein reicher Hort.

Unser Fleh'n beeilen sie,

Gottes Gab' erteilen sie,
Schüßen die Brechlichen,

Trösten die Schwächlichen,

Frohlocken mit den Sängern dort.

Drum folget diesen Chören

Mit Andacht und mit Ehren,

Mit lauterem Gemüt,

Das heißanbetend glüht,

Mit Tat, Gedanken und mit Wort.

Freudenorte voller Pracht,

Owundervolle Heeresmacht,

Wo mit Engeln
Menschen gleichgemacht!

Staat, wie so voll Ruhm du bist !
In dem der Quell des Friedens fließt,
Ganz von Ruhe,

ganz von Licht durchlacht!

Jeder, den man dort erblicket,
Steht im Reinheitskleid geschmücket;
Alle sind in Lieb' entzücket,
Daß sie ganz in Gott entrücket.

Ohne Grauen, ganz im Schauen,
Ohne Plagen, ohne Klagen,
Ohne Krankheit, immer fröhlich,
Sind im höchsten Gott sie selig.

O wie heilig ist die Stätte nicht,
Wo war des Dreiein'gen Angesicht,
Ein heiß' Gebet aus Herzen bricht,
Und allen strahlt der Wahrheit Licht!
Darum saget Gottes Preis und Dank,
Heil'ge all, im brünstigen Gesang,

Der euch durch seine Liebe Macht
In solches Licht emporgebracht.

Wie man sieht, ist dieses Lied, das sich in der Thomas-Handschrift zu Zwolle wie in den gedruckten Ausgaben findet, der Form nach eine Sequenz (in Parallelstrophen gebaut), obschon es niemals als solche in der Liturgie gedient hat und auch wohl nach der Abficht des Dichters nicht dienen sollte. Wenn seine Lieder auch vielfach mit Singweisen versehen sind, so sollten sie doch einige Hymnen ausgenommen eher eine „musikalische Hausandacht" sein, für eine solche Texte und Weisen an die Hand geben.

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Etwas jünger als Thomas von Kempen, als Mystiker und Dichter in seinen Fußstapfen sich bewegend, ist Johannes Mauburuus († 1503), wie jener Chorherr

auf dem Agnetenberg bei Zwolle und endlich Abt von Livry. Seine Schriften sind der Mehrzahl nach noch ungedruckt, und so mögen auch noch Lieder von ihm im Staube der Bibliotheken schlummern. Was wir an Gedichten von ihm kennen, findet sich in seinem mehrfach gedruckten Rosetum exercitiorum spiritualium (erster Druck 1491). Den Dichter kennen zu lernen, mögen uns die folgenden Strophen seines Weihnachtsliedes dienen:

Nr. 39.

Ei, was haft du, der das Al
Schuf, alldort zu liegen,
Welterneuerer, im Stall,
Wimmernd in der Wiegen?
König, sprich, wo ist dein Schloß,
Wo des Hofgesindes Troß,

Wo die Tracht der Reichen?
Hier ist alles Armut, ach,
Doch es hegt das nied're Dach
Neuen Bundes Zeichen.

Dorthin zog mich Liebeshuld
Zu der Menschheit Wehe,
Daß sie nicht in Sündenschuld
Gänzlich untergehe.
Diese meine Dürftigkeit,
Fülle aller Herrlichkeit

Soll sie dir gewähren;

Mit dem Tag, der mich gebar,
Bring ich mich als Opfer dar,
Heil dir zu bescheren."

O dir sing' ich tausend Dank,
Singe, finge, finge,

Und mein Lied mit hellem Klang
Klinge, flinge, flinge!

Unserm Gott auf hohem Thron

Sei für seinen lieben Sohn

Preis und Ruhm in Menge,

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