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ach dem unglücklichen Kriege von 1870/71 erfolgte für die französische, wie für die Pariser Schmuckkunst im besonderen, derjenige Rückschlag, der bei wirtschaftlichen Erschütterungen die Luxuskünste am empfindlichsten und nachhaltigsten zu treffen pflegt. Indessen war er nicht von langer Dauer, und nachdem auch die Stürme der Kommune abgewehrt und zur Ruhe gebracht waren, begann der Zustrom der Fremden nach Paris bald wieder und damit endlich auch die Schmuckund Modeerzeugung in die alten Bahnen einzulenken.

Aber dieses letzte Drittel des 19. Jahrhunderts brachte noch eine ganz außerordentliche Umwälzung. Während dasselbe sonst eine Zeit der bewußten historischen Rekapitulation war, die mit dem Empirestil den Reigen der Stilnachahmungen begonnen, und mit der Wiederholung dieser Wiederholung abgeschlossen hatte, wurden jetzt die ernstesten Versuche gemacht, diese Fesseln der Tradition und der Stil wiederholung zu sprengen und zu einer wirklich neuen, aus der Eigenanerkennung der Zeit heraus entsprungenen Stilsprache zu kommen. Der erste Anstoß dazu kam aus dem fernen Osten, vom japanischen Kunstgewerbe, dessen eigenartige Vertiefung in Natur, Technik und Material gerade damals wieder anfing, auf die europäischen, und besonders auf die französischen Künstler einen tiefen und nachhaltigen Eindruck zu machen, der sich in kunstgewerblichen Schöpfungen gleichgerichteter Art äußerte. Aber für die Schmuckkunst, die in Japan fast gar nicht existierte, war diese Anregung nicht ausgiebig genug.

21. Februar

(Schluß.)

Die Kleidermode war zu Anfang dieser Zeit so ziemlich das Gegenteil der Empiremode. Anstelle der hochgegürteten, langfließenden Kleiderformen waren die tiefgegürteten Tournürenkleider getreten, jene merkwürdige Erscheinung in der

Kostümierung (Abb. 1), bei der die rückwärtige Hüftpartie mit besonderem Nachdruck betont wird. Ähnlich wirken die Bauschärmel aus den siebziger Jahren, wodurch eine fast groteske Schulter - Verbreiterung bewirkt wurde. Beide Kleiderformen, durch welche bestimmte Körperpartien stark umschrieben und betont wurden, verschwinden etwa um 1890, von wo ab wieder eine schlichtere und fließendere Linie sich durchsetzte (Abbildung 2). Das Tournürenkleid zeigt eine große Vorliebe für stark betonte, aufwendige Verzierung; Rüschen, Bänder, Überwürfe, Fransen, Quasten, Bandrosetten, Spitzen beleben die weitläufigen Kleiderflächen stark und reichlich. Die Schleppe am Kleid dringt auch in die Straßenkleidung ein und zeigt sich hier wie am Ballkleid in den mannigfaltigsten Ausdehnungen. Die Röcke fallen teils in der durch die Tournüre bedingten Weite gleich herab, teils sind sie oben eng und fallen unten weit aus. Der Ballausschnitt läßt in der bisher üblichen Weise Hals, Oberbrust und Arme frei (Abb. 1 u. 2); am Straßen- und am Festkleid finden wir auch manchmal den senkrechten Ausschnitt, der etwa in Kopfbreite zur Brust herunterzieht, und im Nacken in eine hochgestellte Halsrüsche verläuft. Die Ärmel sind, nachdem die gebauschte Form überwunden ist, eng, schlicht und lang (Abbildung 3). Gegen das Ende des Jahrhunderts wird der Gürtel häufiger. Die Frisur ist anfangs über der Stirn mäßig hochgestellt, um in gedrehten Locken in den Nacken zu hängen (Abb. 1). Später werden die um den Kopf gewundenen Zöpfe beliebt, und in den achtziger Jahren wird

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Abb. 1. Modebild aus dem Jahre 1875.
Haarschmuck in Brillanten, Halsband, Ohrgehänge, Armbänder.

Hier trat der Umschwung erst ein, als der plastische Naturalismus und der eigenartige Linienschwung der ,,Art Nouveau" sich entwickelt und durchgesetzt hatte, eine Entwicklung, die sich für die Schmuckkunst in erster Linie an den Namen und die künstlerische Persönlichkeit von René Lalique knüpft.

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den Halsschmuck war in der ersten Zeit das Medaillon maßgebend, das gern am Samtband um den Hals getragen wurde. Daraus entwickelte sich in den neunziger Jahren ein eigentümlicher und nur dieser Zeit eigener

Abb. 2. Mode von 1892. Schmucksträußchen, Halsband, Armband. Hochgesteckte Frisur, die den Nacken vollkommen frei läßt.

Halsschmuck, der unter dem Namen „,Collier du chien" oder ,,Hundehalsband" bekannt geworden ist. Seine Grundform war ein breites, wie ein Stehkragen um den Hals gelegtes Band (Abb. 3). Die Ausführung

war verschieden. Man legte ein breites Samtband zugrunde, worauf mehrere Perlreihen übereinandergelegt waren; diese wurden vorne durch eine ornamentierte mit Brillanten ausgefaßte Platte, eine sog. „,Plaque", zusammengehalten. Oder das ganze Band wurde rings um den Hals herum als durchbrochene Juwelenarbeit ausgestaltet. Vielfach wurde auch die ,,Plaque" für sich an einem breiten Samthalsband getragen. Zu Halsband und Plaque noch eine oder mehrere Perlketten um den Hals zu tragen, wirkte sehr reizvoll und war besonders beliebt. Auch Samthalsbänder ohne,,Plaque" mit auf

gen.

gesetzten und angehängten Einzelmotiven in Juwelenarbeit sind nicht selten. Die Armbänder werden vorwiegend am Unterarm getragen und sind oft manschettenartig breit (Abb. 4). Am Haarschmuck treten die Diademe, namentlich die kronenartigen, etwas zurück. Vielleicht hing das mit der Wiedereinführung der Republik zusammen. Aigretten und Sterne in Juwelenarbeit treten an ihre Stelle. Ohrgehänge werden viel und zum Teil sehr lang getraVon dem Juwelen-Schmuck muß der Korsagebesatz erwähnt werden, der bei ganz prunkvoller Schmuck-Ausstattung den Ausschnitt beiderseits begrenzt und nach unten spitz auszulaufen pflegt. Die teilweise Wiedereinführung des Gürtels bringt auch die Gürtelschließe wieder in Erscheinung, meist aber in einfacheren Formen; am Gürtel wird auch häufig die Damenuhr mittels der Chatelaine getragen. Nach

Abb. 3. Modebild von 1897.
Sogenanntes ,,Hundehalsband" (Collier du Chien) mit
Perlschnüren, mit einer Plaque in Brillanten; Juwelen-
brosche, Perlenschnüre.

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dem Tode Napoleons III. (1872 in England) verkaufte die Kaiserin-Witwe Eugenie ihren ganzen Juwelenschmuck; zur gleichen Zeit erschienen auch erstmalig die Kap

Abb. 4. Armband. Juwelen, Perlen und Farbsteine. Ausgeführt von Boucheron.

diamanten auf dem Markt von Paris. Diese beiden Umstände ließen die Preise für Diamanten sinken und belebten die Fabrikation für Juwelenschmuck wieder. Auch machte die Technik desselben erneute Fortschritte; die Montierungen in Silber wurden eleganter und leichter. Es kamen für große Steine die Stotzenchatons in Platin auf; viele alte Juwelenstücke wurden jetzt umgefaßt, um feine, naturalistische Sträußchen, schmiegsame Armbänder und Halsschmuck daraus zu machen. Die Weltausstellung von Wien 1873 und die von Philadelphia 1876 brachten weitere Anregungen. Die Schule der schönen Künste wurde [reorganisiert; um 1877

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wurde besonders für die Pflege des Kunstgewerbes die Ver-
einigung l'Union centrale des arts décoratifs gegründet. Das
alles bereitete eine erneute und vertiefte Entwicklung vor. Die
Vorliebe für helle Legierungen, für Gelbgold schwindet und
macht der für Rotgold Platz. Die durchbrochene Gravier-
arbeit (Reperçé) mit ihren feinen und zierlichen Effekten wird
häufig, ebenso die Einlegearbeit von Gold in Stahl. Das
Studium der Renaissance-Arbeiten brachte die Anwendung
des Fensteremails wieder neu auf und belebte die Vorliebe
für durchsichtiges Email. Das Fensteremail war besonders
um 1788 be-

liebt. Die gro-
Ben südafri-
kanischen Dia-
manten beleb-
ten besonders

das Juwelen-
geschäft nach
Amerika. Eine
neue Art Hals-
schmuck kam
auf, den man
in Paris,,Juste-

au-con nann

te. Es war dies

ein etwas star-
kes Band um

den Hals, an das sich
ein beweglich einge-
hängtes Brustgehänge
anschloß. Die Schau-
spielerin Sarah Bern-
hard ließ sich einen
derartigen Halsschmuck
anfertigen aus Juwelen,
durchsichtigem Email,
Smaragden und einge-
schliffenen Saphiren.
Auf der Ausstellung
von 1889 erregte das
Haus Boucheron Auf-
sehen durch die Vor-
führung von facettier-
ten, flachen, in der Mitte
durchbohrten Diamant-
scheiben, die in regel-
mäßigen Abständen in
Perlenschnüren einge-
reiht waren. Diaman-
ten, welche in den ver-
schiedensten Formen
geschnitten waren, sah
man auch auf der Welt-
ausstellung von 1900.

Abb. 6.

sei. Davon ist jedenfalls soviel richtig, daß der Juwelenschmuck seine ganz eigenen technischen und künstlerischen Bedingungen zu erfüllen hat, und daß seine Ausdrucksmittel mit denen der übrigen technischen Künste nicht wohl verglichen werden können.

Bezeichnend für die naturalistischen und plastischen Tendenzen der Zeit ist der aufkommende Medaillenschmuck, der von Olive in Paris eingeführt wurde, und für den die bekanntesten Medailleure die Motive lieferten. Gleichen Schritt hielt damit der Kameen- und Medaillonschmuck. Der Kameen

Abb. 5. Juwelenbrosche von O. Martin, Paris. Pariser Weltausstellung 1878.

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Als

dann die Arbeit der modernen Verkleinerungsmaschine immer mehr Fuß faßte, traten die damit hergestellten Medaillen Broschen an ihre Stelle. Auch anderer Schmuck wurde auf diese Art hergestellt. 1890 erschien ein Armband ,,Gallien" auf dem Markt, das aus neun gravierten, in Pressung hergestellten Gliedern bestand und großen Erfolg hatte. 1895 tauchte ein Armband ,,Faust" auf, mit vier figürlichen Plaketten, welche Faust, Mephistopheles, Margarete und Valentin darstellten. Auch Plaketten mit religiösem Inhalt waren sehr beliebt. Solche figürliche, gepreßte Darstellungen haben vielfach Einzelheiten und Schmuckstücke an sich, welche mit Diamantrosen ausgefaßt sind. Von den Künstlern, welche Modelle für diesen Medaillenschmuck lieferten, seien Vernier, Roty, Vernon, Rivaud und Prouvé genannt. Im Jahre 1882 erscheint in Paris als Neuheit das Katzen- oder Tigerauge (Krokydolit), ein bläulich oder grünlich schimmerndes, gelbbraunes, versteinertes Holz. Seine rasche Verbreitung beweist die aufkommende Vorliebe für interessante, starkwirkende Steinfarben. Um die gleiche Zeit waren Schmuckarbeiten in Fensteremail sehr beliebt, namentlich Hut- und Haarnadeln, arabisch, persisch oder japanisch ornamentiert. Herrenringe werden als sog. Bildhauerringe, also mit vielen und kräftig betonten plastischen Formen ausgeführt, wobei die Goldfarbe entweder durch Patinierung oder mit durchsichtigem Email getönt oder gebrochen wird. Nachdem man einmal gelernt hatte, sich der Graviermaschine zu bedienen, wurden auf ihr außer den Medaillen auch ganze Schmuckstücke, stark Deutsche Goldschmiede-Zeitung Nr. 8 · 1925 53

Halsband in Juwelenarbeit von L. Falize. (Aus den achtziger Jahren.)

Im Ganzen kann man diese Abschlußperiode des 19. Jahrhunderts wohl als eine Zeit des ziselierten und des Bildhauerschmuckes bezeichnen. Auch die Goldeinlagen in Stahl, die schon erwähnt wurden, sind meist sorgfältig graviert oder ziseliert. So konnten sich in den Pariser Werkstätten berühmte Spezialisten als Graveure und Ziseleure entwickeln, und gerade das Zusammenarbeiten verschiedener Spezialisten hat es der Pariser Schmuckkunst ermöglicht, große Prunkstücke von blendender, allseitiger technischer Durchbildung zu schaffen. Einer der vielseitigsten Schmuckkünstler dieser merkwürdigen Zeit war Lucien Falize, der sowohl in allen Formen und Techniken der Renaissance-Schmuckkunst sattelfest war, als auch die japanischen Emails studiert hatte. Bezeichnend für seine künstlerische Auffassung ist seine Behauptung, daß der Juwelenschmuck als solcher unkünstlerisch

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Paul Templier, Henri Vever u. a., mit allem technischem Raffinement ausgeführt wurden ein technisches Raffinement, zu dem die jahrzehntelange Nachbildung der alten Muster das Rüstzeug geliefert hatte. Drei Tendenzen sind es, welche den Schmuck der nun kommenden letzten Periode des 19. Jahrhunderts ein völlig geändertes Gepräge gegenüber dem vorhergehenden gaben: Die flachgeschwungene Linie, die starke Farbigkeit und die starke Plastik. Der Schmuck der Art nouveau, soweit er nicht reiner Juwelenschmuck ist, wird zu einer farbigen Kleinplastik, welche zu ihren Wirkungen die verschiedensten, bis jetzt nicht oder wenig verwendeten Stoffe heranzieht, wie Schildpatt, Horn,

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Abb. 8. Emaillierter Anhänger mit Opalen von René Lalique.

mit seinen Ausläufern. Aber der Begriff,,Stil" wird jetzt anders gefaßt als in den früheren Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, tiefer, wissenschaftlicher, sorgfältiger. Die überall gegründeten und rasch ausgebauten Museen und Kunstgewerbeschulen ermöglichen sowohl ein formales, als auch ein technisches Studium der historisch überlieferten Arbeiten, so daß die französische Schmuckkunst auf diesem Wege eine ausgezeichnete Schulung durchmachte, welche der künstlerischen Durchbildung und Vielseitigkeit ihrer Erzeugnisse sehr zugute kam. Gegen das Ende der 80er Jahre geriet die Alleinherrschaft der Renaissance ins Schwanken. Es traten die Einflüsse des orientalischen Kunstgewerbes stärker und stärker zutage, und die Pariser Juweliere und Graveure schufen Arbeiten im persischen, arabischen und japanischen Geschmack, von denen die letzten namentlich eine starke Anregung zu vertieftem Naturstudium gaben. Der Naturalismus war im Juwelenschmuck ja immer lebendig gewesen, aber die Kunst war dabei meist zu kurz gekommen. Jetzt suchte man die Natur künstlerisch zu studieren und sie mit künstlerischer Phantasie zur Schmuckform umzuschaffen (Abb. 6). Künstler wie Eug. Grasset, Desroziéres und A. Mucha lieferten Entwürfe für Schmuck, die von hervorragenden Juwelieren, wie

Abb. 9. Kamm von René Lalique. Schildpatt, die Rosette mit Opalen.

Elfenbein, verschnittene, durchsichtige Steine, transparentes, matt gebeiztes Email, farbige Patinierungen und anderes mehr. Zum führenden Künstler und Techniker dieser ganzen Richtung schwang sich der Zeichner und Juwelier René Lalique auf (Abb. 7, 8, 9).

Nachdem er als selbständiger Zeichner und Modelleur schon einen gewissen Ruf erlangt hatte, tat er sich im Jahre 1887 als selbständiger Unternehmer auf, und bemühte sich zunächst, dem Juwelenschmuck neue Wirkungen und eine neue Richtung zu geben. Im Jahre 1892 aber begann er mit Arbeiten in der Art des malerisch - plastischen Künstlerschmucks, der seine Größe geworden ist, und der ihm so unerhörte geschäftliche Erfolge bringen sollte. Lalique war vor allem ein Materialkünstler von unerschöpflicher Originalität. Gewisse Materialien, wie Horn und Kristall, hat er neu in den Schmuck eingeführt und zu Wirkungen sich dienstbar gemacht, die man vordem nicht kannte. Aber auch als Farbkünstler und Kleinplastiker führte er die Schmuckkunst auf durchaus unbetretene Pfade. Im Jahre 1894 stellte er zum ersten Male unter eigenem Namen aus und war mit einem Schlage ein berühmter Mann. Er pflegte seine Schmuckstücke zu modellieren, und dann die Techniken des Gusses, der Pressung und des Schneidens

auf der Verkleinerungsmaschine anzuwenden. Einmal stellte er eine ganze Vitrine mit Arbeiten aus, die ausschließlich aus Horn und Elfenbein geschnitten waren, Fensteremail und Mattemail verwendete er mit sicherem und raffiniertem Geschmack, wie er denn auf allen Gebieten des Schmuckes als ein Neuerer von stärkstem und tiefstem Erfolg auftrat. Seine Art, wie er die Natur mit kühnem und schwerem Griff in das Material übersetzte, erregte das Entzücken der Öffentlichkeit und wurde bald auch von Unberufenen nachgeahmt. Es entwickelte sich bald eine förmliche Überschwemmung mit Pfauen, Schwänen, Schwertlilien, Misteln, Seerosen, Wassernymphen und flutenden Frauenhaaren im gesamten Schmuckwesen, die nur wenige Arbeiten von dauerndem Werte und dauernder Erfreulichkeit gezeitigt hat. Diese malerisch-plastische Richtung des Schmuckgewerbes brachte es mit sich, daß eine Menge von Angehörigen der freien Kunst sich in ihr versuchten, denen jede handwerkliche Grundlage fehlte. Auch Lalique selbst, dem jene Grundlage wohl zur Verfügung stand, wurde von seinem künstlerischen Temperament

Es

und seinen Modeerfolgen immer mehr auf die Bahn des
bloßen Kabinettstückes gedrängt. Seine späteren Schmuck-
stücke sind naturalistische Impressionen von verführerischer
Eleganz, von überraschender Ursprünglichkeit, aber ohne
jede Rücksicht auf den praktischen Zweck entworfen und
gebaut. Trotz des Entzückens der Sammler und Liebhaber - alle
Höfe, alle Museen von Europa wetteiferten ja zeitweilig in
Bestellung und Erwerb Lalique'scher Schmuckstücke
kann man diese prunkenden Arbeiten sich doch kaum als
Schmuck einer fein und taktvoll empfindenden Frau vorstellen.
So hoch die Woge der Beliebtheit für den Lalique-Schmuck
um die Jahrhundertwende ging, so viel frische Anregung er
formal und technisch auch brachte, so rasch ist die ganze
Bewegung wieder abgeebbt, weil sie in der Zweckbestimmung
des Schmuckes keinen Boden fand, weil der notwendige Zu-
sammenhang zwischen Schmuck und Kleidung zu sehr fehlte.
Und so schließt die Darstellung von Schmuck und Mode
in Frankreich im 19. Jahrhundert fragend und ohne har-
monischen Ausklang.

Die Ostwaldsche Farbenlehre

und ihre Bedeutung für die Edelsteinkunde.

Is unterliegt keinem Zweifel, daß im Berufsleben des Juweliers oder des Goldschmieds die Farbe eine wichtige Rolle spielt. Denken wir nur einmal an den Brillant, dessen Wert abgesehen von der Größe, dem Schliff und der Reinheit im Wesentlichen von der Farbe abhängt. Ein Stein, der blauweiß ist, wird stets höher geschätzt als ein solcher, der auch nur die Spur einer Beimischung, von Gelb aufweist. Braune Brillanten gelten noch weniger. Andererseits ist bekannt, daß rote und grüne Steine gesuchte und teuer bezahlte Nuancen bilden. Mehr noch als im Handel mit Brillanten kommt der Farbe im Handel mit den übrigen Edelsteinen Bedeutung zu. Der Wert eines Smaragds richtet sich neben der Größe vor allem nach der Farbe. Diese Beispiele ließen sich vervielfachen, würde es mir lediglich darauf ankommen, die Wichtigkeit der Farbe für die Bewertung der Seltenheiten der Natur hervorzuheben. Allein nicht nur der Juwelier, sondern auch die Wissenschaft hat ein lebhaftes Interesse an den Farben der Edelsteine. Seit vielen Jahrzehnten ist sie bemüht, die Ursache dessen zu erforschen, was unsere Sinne als Farbe empfinden. Während die Völker Europas sich im Weltkriege zerfleischten, hat in nimmermüdem Fleiß ein greiser Gelehrter, Professor Wilhelm Ostwald in Leipzig, ein Werk des Friedens vollbracht, indem er eine neue Ordnung in das Reich der Farben hineintrug. Seine Arbeiten sind auch für unser Fach von großer Bedeutung. Ich habe den Versuch unternommen, die Lehre Ostwalds auf die Edelsteinkunde zu übertragen, um nach seinem Vorbild durch Einführung von Maß und Zahl in die prächtige Farbenwelt der Edelsteine sowohl dem Juwelier wie der Forschung zu dienen.

I. Die Farben der Edelsteine und ihre physikalische Ursache.

Wenn wir uns fragen, was versteht man denn überhaupt unter einer Farbe, dann sind wir schon mitten in einem der schwierigsten Probleme aller Zeiten drinnen, das selbst ein Goethe in seiner Farbenlehre nicht restlos zu lösen vermocht hat. Dank den Arbeiten hervorragender Gelehrter der Neuzeit, wie Helmholtz, Hering und Ostwald, wissen wir heute, daß die Farbe eine Sinnesempfindung ist, sofern wir das Farbenproblem vom rein subjektiven Standpunkte aus betrachten. Der Mensch empfindet mit seinen Sinnesorganen, den Augen, gewisse rein äußerliche Verschiedenheiten, die er mit Namen wie rot, grün, blau, gelb usw. bezeichnet. Eindrücke der Außenwelt sind es also, die auf die Endigungen unserer Sehnerven einwirken und dann weiter in unser Gehirn

gelangen, wo sie die Empfindung des Rot, Grün, Blau Gelb usw. auslösen. Was aber ist in Wirklichkeit die Farbe? Während sie als Sinnesempfindung dem Gebiet der Psychologie eingereiht werden muß, gehört sie bei objektiver Betrachtung zur Physik; denn die Strahlen des Sonnenlichts sind die wahre Ursache der Farben. Die Spektralanalyse lehrt uns, daß das, was wir als weißes Licht anzusehen pflegen, kein einheitliches Licht ist, sondern in Wirklichkeit aus den verschiedensten Farben zusammengesetzt ist. enthält das Sonnenlicht eine ganze Reihe von Farben, die uns durch den Regenbogen offenbart werden, wenn die Sonnenstrahlen durch die in der Luft schwebenden Wassertröpfchen eine Brechung erfahren. Aus den Untersuchungen der Physiker wissen wir auch, daß einer jeden Farbe eine bestimmte Wellenlänge zukommt. Sie beträgt z. B. für 760-647 Millionstel Millimeter

Rot.
Orange

647-586

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Gelb

586 535

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Grün

535 - 492

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Blau

492-456

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Indigo
Violett

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Alle diese Wellen schwingen sehr verschieden schnell. Am langsamsten bewegen sich die roten Strahlen, deren Schwingungszahl 450 Billionen in der Sekunde beträgt, während die violetten mit 790 Billionen in der Zeiteinheit am schnellsten schwingen. Treffen nun die Strahlen der verschiedensten Wellenlängen auf einen undurchsichtigen Körper, beispielsweise einen Türkis, so wird ein erheblicher Teil dieser Strahlen verschluckt, nämlich alle diejenigen, die mit der blauen Farbe des Türkises sich zu weiß ergänzen, also rot, grün, indigo und violett. Nur die Ätherschwingungen, die der Wellenlänge 484 Millionstel Millimeter angehören, werden zurückgeworfen. Auf sie reagiert letzten Endes unser Gehirn mit der Empfindung „blau". Unsere Augen sind also nichts anderes als „Detektoren" für die Wellen des „sichtbaren" Spektrums, genau wie die Kristalle es für die Wellen der drahtlosen Telephonie sind. Wirft ein Körper, um ein weiteres Beispiel zu geben, von den auffallenden Sonnenstrahlen Wellen von 535 Millionstel Millimeter zurück, so empfinden wir sie vermittelst unserer Augen als „grün“. In der Edelsteinkunde entspricht die Farbe des Nephrits etwa diesen Wellen. Was geschieht nun, fragen wir uns weiter, wenn von allen Lichtstrahlen, die auf einen Körper fallen, kein einziger in unser Auge zurückgeworfen wird? Dann erscheint Deutsche Goldschmiede-Zeitung Nr.8

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