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Im Ring der Zeit! Neujahrsbetrachtung.

Es reden und träumen die Menschen viel
Von künftigen besseren Tagen,

Nach einem glücklichen, goldenen Ziel
Sieht man sie rennen und jagen.

Die Welt wird alt und wird wieder jung,
Doch der Mensch hofft immer Verbesserung.
(Schiller).

Ja, wenn sie uns nicht bliebe, diese Hoffnung auf schönere Zeiten, von welcher der Dichter singt, es würde uns manchmal eine Ermattung beschleichen und wir würden verzagt das Werkzeug aus der Hand legen. Aber diese Hoffnung hält uns bei Mut und Arbeitsfreudigkeit, diese Hoffnung ist der stärkende Tropfen, der immer von neuem unsren Geist erfrischt, unsre Seele belebt. Und wir hoffen nicht umsonst! Es müssen bessere Tage auch für unser Gewerbe anbrechen. Hebt sich die allgemeine Lage, kommen Handel und Industrie, wie es den Anschein hat, zu neuen Kräften, so ist auch die Zeit nicht fern, wo man in unsrem Goldschmiedegewerbe wieder seine „Hausse“ erleben wird.

Vor einem Jahre klagte man noch über die Krisis und mit banger Sorge blickten wir in das neue Jahr 1903! Aber jetzt lauten die Nachrichten anders und wir dürfen die Gläser anklingen lassen beim Einzug der „1904“. Die Eisenindustrie hat sich wie mit einem Zauberschlage gehoben, und neben dem rheinisch-westfälischen Bergund Hüttenwesen erfreut sich auch das Textilgewerbe wieder eines befriedigenderen Zustandes. Diese Erwerbszweige aber sind gewissermaßen der Barometer der wirtschaftlichen Lage. Zeigen sie,,Schön Wetter" an, so gibts Sonnenschein! Die chemische Industrie und die Nahrungsmittelbranche sind überhaupt nur wenig berührt worden von der kritischen Lage, so daß der große Wirtschaftskörper als Rekonvaleszent hoffentlich jetzt seiner völligen Genesung entgegengeht. Die Zusammenbrüche der Banken haben den Geldmarkt von einzelnen unsoliden Erscheinungen befreit und sein Ansehen befestigt. Wir dürfen hoffen! Wir stehen im Sternbilde einer Entwicklung nach aufwärts!

Das alte Jahr hat uns nicht vergönnt, die Waffe aus der Hand zu legen. Der deutsche Goldschmied hat weiterkämpfen müssen um seine Interessen, und er wird in der Rüstung bleiben müssen auch in den kommenden Tagen. Der Schwindelkonkurrenz ist seitens des Verbandes deutscher Juweliere, Gold- und Silberschmiede energisch entgegengetreten worden und es war mancher schöne Erfolg auf diesem Gebiete zu verzeichnen. Unlauterer Wettbewerb, Schwindel-Auktionen, Schein-Ausverkäufe, Gella-, Hydra-, LawinenManöver, Hausieren mit Goldwaren, namentlich auch in Kasernen, Detaillieren der Fabrikanten und Grossisten, Unterbieten im Preise usw. ... Das waren die Feinde, denen der Verband mutig entgegengetreten ist, und wir dürfen sagen, daß wir ihn dabei tatkräftig durch unsre ,,Goldschmiede-Zeitung" unterstützt haben.

Ein bedeutsames Ereignis war ohne Zweifel die Durchführung der Besteck-Konvention, die auf dem Verbandstage in Köln, der noch in aller Erinnerung stehen wird, unter Dach und Fach gebracht wurde. Sie wird als eines der schönsten Ehrenzeichen der Einigkeit im Gewerbe betrachtet werden können, und wer ihr heute noch als Gegner begegnen sollte, der wird sich bald überzeugen, daß das, was geschaffen wurde, eine zwingende Notwendigkeit war, wenn gerade diese Branche nicht tiefer und tiefer sinken sollte.

Daß der Geist des modernen Lebens sich auch auf dem Gebiet von „Schmuck und Mode" regt und um die Herrschaft kämpft, fühlt man mehr und mehr. Unser Beiblatt „Schmuck und Mode" hat sich diesem Vorstoß nicht verschlossen und wir hatten in Köln die Resultate eines Preisausschreibens ausgestellt, das die Verwendung des Schmuckes auf dem Reformkostüm dartun sollte. War auch hier erst ein unsicheres Fühlen und Tasten bemerklich, so zeigte sich doch dem scharfblickenden Auge, daß diese Frage eine der wichtigsten der Zukunft ist, und so haben wir denn auch in

unsrem Beiblatt ,,Schmuck und Mode" neuen Zielen neue Bahnen eröffnet! Unsre künstlerischen und kunstgewerblichen Bestrebungen haben allseitige Anerkennung gefunden und die Beeinflussung der Modezeitungen zur Hebung des Schmucktragens, die auf dem Verbandstage auch ventiliert wurde, soll nach wie vor von uns im Auge behalten werden.

Zu einer Regelung des Kreditwesens ist es auch im vorigen Jahre nicht gekommen, soviel Vorschläge auch gemacht worden sind. Sobald die allgemeine Lage eine günstige geworden sein wird, werden sich auch die Erwerbsverhältnisse bessern und mit dieser Besserung wird notgedrungen auch eine freiwillige,,Regelung des Kreditwesens" insofern eintreten, als der Zahlungsverkehr ein beschleunigteres Tempo annehmen wird. Es wurde im verflossenen Jahre sehr Adagio gespielt und wir hoffen nunmehr auf ein Allegro ! Daß die Warenhäuser dem Goldschmiedegewerbe nach wie vor hart zusetzen, ist eine betrübende Erscheinung. Aber der Kampf gegen die Warenhäuser, so sehr wir ihn auch an sich billigen müssen, hat doch wenig Aussicht auf Erfolg! Wenn man in Mittelstandskreisen geglaubt hatte, daß man durch die Warenhausbesteuerung eine Besserung der Zustände herbeiführen werde, so war dies leider ein Irrtum. Die Warenhäuser haben diese Besteuerung ausgehalten, ohne sich unter dieser Last zu beugen, und teilweise haben sie dieselbe sogar auf andre Schultern abgewälzt. Viele Warenhäuser lassen sie sich nämlich von den kaufmännischen Vertretern bezahlen, die mit ihnen Geschäfte machen wollen. So hat eben jedes Gebäude sein Hinterpförtchen, durch das man im entscheidenden Moment entschlüpfen kann. Die Frage des Kampfes gegen die Schädigungen von Warenhäusern bleibt also noch eine offene für das nächste Jahr. Die Regierungen haben den Gewerbetreibenden die Bildung von Einkaufsgenossenschaften in Vorschlag gebracht und auch in den Kreisen der Goldschmiede ist man demselben schon näher getreten. Ob sich von ihm gerade auf unsrem Arbeitsgebiete etwas Ersprießliches in dieser Hinsicht erzielen läßt, ist heute noch nicht zu übersehen. In anderen Branchen haben sich diese Genossenschaften segensreich erwiesen. Im übrigen darf der deutsche Goldschmied ja in der Hinsicht beruhigt sein. Er wird denjenigen Teil der Kundschaft nicht an das Warenhaus verlieren, der bei einem Schmuckstück noch Wert auf die solide, künstlerische Ausführung legt, die bei allen jenen Massenwaren der Bazare ins Hintertreffen gerät.

... Die Glocken haben ausgeklungen. . . . . . An aufrichtigen Wünschen für das neue Jahr hat es nicht gefehlt. Was wir den deutschen Goldschmieden wünschen? Das Selbstvertrauen! Mögen sie auch im kommenden Jahre rüstig weiterarbeiten an der Wohlfahrt ihrer Kunst, am Gedeihen ihres Gewerbes. Denn selbst ist der Mann in unseren Tagen! Man darf nicht unausgesetzt nach der Klinke der Gesetzgebung greifen und allen Segen von der Regierung erwarten. Aus eigner Kraft! Das ist ein schönes, stolzes Wort und ehrt den, der es von sich mit Recht gebrauchen darf. Es gibt immer noch zu viel Laue in den Reihen der Goldschmiede. Sonst müßte sich die Mitgliederzahl im Verbande noch bedeutend mehr gehoben haben. Wer für seinen Stand etwas erreichen will, der muß auch zu Opfern bereit sein, und der „Mann mit zugeknöpften Taschen" darf nicht sagen, daß ihm sein Stand am Herzen liegt. Es ist ein viel versprechender Anfang gemacht worden. Aber der Kampf um die Interessen der deutschen Goldschmiedekunst kostet Mittel, und er ist aussichtslos, wenn mit diesen Mitteln gekargt wird. So darf beim Eintritt in ein neues Jahr wohl an die Fachgenossen der Ruf erklingen: Hand ans Werk! Kein Opfer gescheut!

Fragend blicken wir wie in unbekanntes Land. . . . Wer vermag zu sagen, was in der dämmernden Ferne liegt? Wer hat den Schlüssel zu dem großen Rätsel der Zukunft? Kein Sterblicher lüftet den Schleier. Aber der Weise fragt auch nicht viel, sondern schreitet mit Gottvertrauen vorwärts! Prosit Neujahr 1904!

Eine wichtige Gerichtsverhandlung wegen Verdachtes der Hehlerei.

Am 15. Dezember fand in Berlin eine Gerichtsverhandlung bei der 4. Strafkammer des Landgerichts I statt, welche insofern allgemeines Interesse hat, weil ein Verbandsmitglied, der Juwelier D., wegen Verdachtes der Hehlerei angeklagt war, und weil aus der Verhandlung hervorging, wie leicht Juweliere, die sich mit den Ankäufen von Gold- und Silbersachen und Edelsteinen befassen, hinreichend verdächtigt werden können, Hehlerei zu treiben.

Der Sachverhalt war folgender:

Ende November 1900 logierte im Kontinental-Hotel in Berlin ein höherer russischer Offizier, Niloff, mit einer Dame. Diese besaß ein Perlenkollier, welches ihr von dem Kaufmann von Jarnutowski aus dem Hotelzimmer gestohlen wurde. Bei der Polizei wurde angegeben, daß der Wert des Kolliers sich auf 40000 Mark belaufe. Nach den Aussagen des Kriminalkommissars Wehn ist einige Tage später allen Juwelieren Mitteilung von dem Diebstahl gemacht worden und zwar, wie besonders hervorgehoben wurde, durch ein Extrablatt. Trotz dieser polizeilichen Maßnahmen versuchte der Dieb mit Hilfe des mitangeklagten Weinreisenden von Domarus und einem Artisten Ertel in der denkbar ungeniertesten Weise einen Teil des Kolliers zu veräußern. Das Perlenkollier soll aus 42 Perlen bestanden haben, das Schloß wurde in einem Berliner Café verkauft, mit 24 Perlen begaben sich von Domarus und Ertel zu dem Uhrmacher Fischer und einem Pfandleiher und schließlich zu dem Juwelier D., um dieselben zum Kauf anzubieten. Dem Juwelier D. war von Domarus seit vielen Jahren als Kunde bekannt, und da derselbe bei ihm stets gegen bar gekauft hatte, sein Auftreten nach jeder Richtung hin einwandfrei war, so trug er kein Bedenken, dem Kauf dieser 24 Perlen näherzutreten. Schließlich machte er sich noch über den ihm vorgestellten Ertel genaue Aufzeichnungen aus der Legitimation. Juwelier D., der sich über Perlen kein besonderes Urteil zutraute, erklärte den beiden, daß er die 24 Perlen auf einen Tag mindestens im Hause behalten müsse, um sich über den Wert der Perlen zu orientieren. Bereitwillig wurde diesem Ansinnen zugestimmt. Juwelier D. ließ die Perlen bei Sachverständigen auf den Wert taxieren, und da ihm derselbe auf etwa 1000 Mark angegeben wurde, zahlte er am nächsten Abend dem von Domarus und Ertel den Preis von 625 Mark.

Als nach etwa drei Jahren der Dieb des Kolliers, von Jarnutowski, verhaftet wurde, wurden Erhebungen angestellt, die sich auch auf den Juwelier D. erstreckten. Dieser, welcher sich nach drei Jahren nicht mehr auf den Vorfall genau besinnen konnte, gab dennoch zu Protokoll, daß ihm erinnerlich, daß er damals einen Teil Perlen für 300 Mark etwa gekauft habe, erklärte aber ausdrücklich, daß ihm die näheren Angaben völlig entfallen seien und er eine sachliche Aufklärung nur dann geben könne, wenn er seine Geschäftsbücher zu Rate zieht. Nach Einsicht der Bücher gab er dem untersuchungsführenden Kriminalkommissar den Preis auf 625 Mark richtig an. Alle Momente, die für ein legales Geschäft sprechen, waren erfüllt; nämlich gehörige Legitimation der Verkäufer, und Kauf zu angemessenem Preis. Trotz alledem erfolgte wegen Verdachtes der Hehlerei Anklage, und zwar hauptsächlich deshalb, wie aus der Hauptverhandlung hervorging, weil dieses sogenannte Extrablatt der Polizei und auch eine spätere Umfrage durch Kriminalschutzleute nicht beachtet worden ist. Die Sache stand für den beklagten D. ziemlich ungünstig, denn der Präsident äußerte sich schon im Eingang der Verhandlungen dahin zu den Angeklagten mit Bezug darauf, daß dieselben bemüht waren, sich zu verteidigen, „Machen Sie nicht so viel Geschichten, ins Gefängnis kommen Sie doch alle rin", und äußerte noch zu dem Juwelier D. insbesondere „Sie werden von dem Kriminalkommissar Wehn noch ganz andere Dinge hören, nämlich es ist Ihnen die Aufstellung der gestohlenen Gegenstände gemacht und es sind Umfragen gehalten". Wenn man sich auf Seiten des Gerichtshofes stellt, so konnte man sich über diese Stellungnahme nicht verwundern, denn die Richter nahmen offenbar an, daß die Zustellung des Verzeichnisses seitens der Berliner Polizeibehörde in gehöriger Form geschähe. Der als Sachverständiger vernommene Vorsitzende des Verbandes, Fischer, gab aber das Gutachten dahin ab, daß diese Zustellungen der Polizei überhaupt nicht beachtet würden und daß man sich wiederholt in der Goldschmiede-Innung in Berlin mit der Frage beschäftigt habe, ob man nicht berechtigt sei, diese Verzeichnisse einfach abzulehnen.

Sieht man sich nun diese Zettel, auf welchen die gestohlenen Gegenstände genau aufgeführt sind, welche täglich von der Polizei durch Kriminalschutzleute, oder wie es bei einzelnen Juwelieren geschieht, durch einen Schuljungen in den Laden gelegt werden, etwas näher an, so wird man finden, daß sie nach Form und Inhalt nicht besonders geeignet sind, die Aufmerksamkeit der Juweliere auf sich zu ziehen, so daß der Zweck als nicht erfüllt zu bezeichnen ist. Diese Zettel tragen die Überschrift „Gestohlene Gegenstände, Amtliches Manuskript des Königlichen Polizeipräsidiums zu Berlin". Die Form ist seit etwa 20 Jahren die gleiche; aufgeführt sind „Wert

papiere, Gold- und Silbersachen, Uhren, Kleidungsstücke, Wäsche, Fahrräder, Verschiedenes, Legitimationspapiere, Erledigungen“.

Aus dieser Aufzeichnung geht von vornherein hervor, daß dieses amtliche Verzeichnis eine Unmenge Dinge aufweist, die für den Juwelier nicht bestimmt sind. Angängig sind dieselben für den Trödler und Pfandleiher, die diese Gegenstände ankaufen oder beleihen. Die Polizei macht keinen Unterschied, ganz schematisch werden diese, wie bereits erwähnt, seit etwa 20 Jahren an die Juweliere, Bankiers, Uhrmacher, Pfandleiher und Trödler versandt.

Für die Polizeibehörde ist es völlig gleich, ob Juwelier, Uhrmacher, Pfandleiher, Althandlung und dergl.; sie werden alle gleichmäßig behandelt. Das geht auch schon daraus hervor, daß die Berliner Polizei wiederholt vergeblich bemüht war, den Juwelieren das Trödelbuch aufzudrängen. Nach allem kann ausgesprochen werden, obgleich in der Gerichtsverhandlung der Herr Kriminalkommissar Wehn als Zeuge ganz besonders betonte, daß sogar ein Extrablatt verschickt sei, nach Form und Größe genau wie die übrigen, daß trotz dieser Einrichtung eine dem Zweck entsprechende Bekanntmachung nicht erfolgte. Mit Fug und Recht kann man wohl aussprechen, daß die Juweliere mit Betten, alter Wäsche, alten Überzlehern, Fahrrädern, Legitimationspapieren und Wertpapieren absolut nichts zu tun haben, und es völlig unverständlich ist, wie fortgesetzt jahraus jahrein die Polizeibehörde uns damit behelligt.

Auch das System der Zustellung ist völlig veraltet; es war vor etwa 20 Jahren wohl begreiflich, weil es damals vielleicht eines Tages bedurfte, um einen Brief oder Drucksache an den Adressaten gelangen zu lassen. Heute, wo innerhalb von zwei Stunden die Reichspost Briefe und Drucksachen erledigt, ist die bisherige Art der Zustellungen dieser polizeilichen Bekanntmachungen völlig unverständlich. Wenn man nun aber Maßnahmen oder Einrichtungen einer Behörde glaubt bemängeln zu müssen, weil sie nach jeder Richtung hin verfehlt sind, so hat man auch die Pflicht, Vorschläge zu machen, die Übelstände zu beseitigen. Und diese sind folgende:

Die für Juweliere bestimmte Anzeige über Diebstähle in Goldund Silbersachen sind getrennt zu drucken. Bei der hochentwickelten Technik der Buchdruckerei ist die Ablegung eines Satzes leicht ausführbar. Die Polizeibehörde hat sich für jeden Juwelier, sagen wir einmal für 1 Jahr, 300 Adressen schreiben oder drucken zu lassen und, nachdem die Listen der gestohlenen Goldsachen abgedruckt sind, können diese in einem verschlossenen Kuvert oder auch als Drucksache verschickt werden. Selbstverständlich müßte sich im Polizeipräsidium selbst eine Druckanlage befinden, da durch die Aufgabe nach der Druckerei von A. W. Hayns Erben in der Zimmerstraße ein enormer Zeitverlust entsteht. Werden dann Diebstähle von besonderer Erheblichkeit gemeldet, so würde sich die Mitteilung an die Juweliere in ca. 3—4 Stunden bewerkstelligen lassen. Handelt es sich nun um einen besonders großen Diebstahl, so würden gewiß Extrablätter, schnell verschickt, von besonderem Vorteil sein. Allein in der bisherigen Form, wie bei dem 40000 Mark Kollier geschehen, wo das Extrablatt die genaue Form der sonst verwendeten Zettel hatte, ist der Zweck verfehlt.

Wünschenswert ist dann noch, daß eine möglichst genaue Bezeichnung und Beschreibung der gestohlenen Gegenstände stattfindet. Auch das 40000 Mark Kollier soll bei der Bekanntgabe seiner Zeit als Perlenkollier benannt sein. Kollier heißt nach dem Konversationslexikon „Halsband", und unwillkürlich nimmt man an, daß, wenn es sich um ein Halsband handelt, ein Halsgeschmeide von etwa 3, 4 auch 5 Schnüren gemeint ist, denn ein Band ist niemals rund, und die Bezeichnung Perlenkollier für eine einreihige Perlenkette war durchaus nicht zutreffend.

Ob die Polizeibehörde sich zu Reformen in der angedeuteten Weise bereit erklären wird, bleibt abzuwarten.

Kommen wir nunmehr nochmal darauf zurück, daß der Juwelier D., obgleich der Ankauf der Perlen von ihm in durchaus legaler Weise erfolgt ist, dennoch einen Prozeß über sich ergehen lassen mußte, der ihm begreiflicherweise die größten Seelenqualen und Aufregungen verursachte, so liegt der Grund darin, daß die Staatsanwaltschaft viel zu viel Gewicht auf die polizeilichen Bekanntmachungen legte und darin, daß der Juwelier D., als ihm die Mitteilung wurde, über den Fall Auskunft zu erstatten, unvorsichtigerweise aus dem Gedächtnis heraus Zahlen angab, die sich nachher, als er in seinen Büchern Kenntnis davon genommen hatte, als unrichtig herausstellten. Wenn auch die Summe von 300 Mark anstatt 625 Mark mit Vorbehalt genannt wurde, so nahm die Staatsanwaltschaft doch offenbar an, immer unter Berücksichtigung des Umstandes, daß eine polizeiliche Bekanntmachung erlassen war, daß etwas verschleiert werden sollte.

Wir können daher nur jedem Kollegen dringend ans Herz legen, einmal bei dem Ankauf von Juwelen, Gold- und Silberwaren die denkbar größte Vorsicht walten zu lassen, eine genügende Legitimation zu fordern und sich auch über die Solidität des Verkäufers Gewißheit

zu verschaffen. Hat man aber einen Gegenstand angekauft und es entstehen nachher Zweifel über den rechtlichen Erwerb des Verkäufers, so ist unbedingt sofort der Polizei von dem Ankauf Mitteilung zu machen mit den wahrheitsgemäßen Angaben, daß Ihnen nachher Bedenken gekommen sind; andererseits würde man sich den Gefahren aussetzen, wie sie hier geschildert sind.

Tatsache ist, daß in den letzten Jahren wiederholt derartige Prozesse gegen Juweliere angestrengt sind; es ist uns auch bekannt, daß solche mit Verurteilung endeten, weil die notwendige Vorsicht bei dem Ankauf außer Acht gelassen worden ist.

Der § 259 des Strafgesetzbuches lautet folgendermaßen:

Wer seines Vorteils wegen Sachen, von denen er weiß oder den Umständen nach annehmen muß, daß sie mittels einer strafbaren Handlung erlangt sind, verheimlicht, ankauft, zum Pfande nimmt oder

sonst an sich bringt oder zu deren Absatze bei anderen mitwirkt, wird als Hehler mit Gefängnis bestraft."

Jedenfalls ist die Angelegenheit selbst für den Verband außerordentlich wichtig, und richten wir an die dem Verbande angeschlossenen Vereine und Einzelmitglieder das höfliche Ersuchen, uns über die Art und Form der polizeilichen Bekanntmachungen von gestohlenen Gegenständen Mitteilung zugehen zu lassen. Erwünscht ist uns dabei, daß die Polizeizettel aus allen deutschen Städten eingereicht werden. Es muß von der Zentrale aus dahin gewirkt werden, daß Juweliere von derartigen schwerwiegenden Anklagen befreit werden. Berlin, den 22. Dezember 1903.

Verband Deutscher Juweliere, Gold- und Silberschmiede
Berlin S., Oranienstraße 143.

Fischer.

Aus meiner Lehr- und Gehilfenzeit.

Es war im Morgengrauen des 7. Dezember 1880, als sich im Hafen von Rotterdam der große Ozeandampfer ,,Scholtau" langsam und schwerfällig in Bewegung setzte. Unter den Hunderten von Zwischendeckspassagieren, die dem alten Europa Valet sagten, um sich ein neues Heim im fernen Amerika zu gründen, befanden sich auch drei Ritter vom Boraxpinsel. Der jüngste von diesen war ich.

Und während unter dem Hüte- und Tücherschwenken und Abschiedsrufen der Dampfer sich langsam fortbewegte, zogen noch einmal die letzten 6 Wochen vor meinem Geiste vorüber. Ja, vor 6 Wochen hatte ich noch keine Ahnung, daß ich in kurzer Zeit eine Reise übers Weltmeer antreten würde. Hatte auch manchmal in meiner Lehrlingszeit, wenn wir Zukunftspläne schmiedeten, eine Reise nach Amerika in meinem Kopfe gespukt, so habe ich doch später nicht mehr daran gedacht. Vielmehr hatte ich die Absicht, Wien aufzusuchen, da ich dort hoffte, durch die Verbindungen meines Lehrmeisters eine Stelle zu erhalten. Nun kam eines Tages mein Kollege und spezieller Freund Hiller, der schon verheiratet war, und bei dem ich verkehrte, aufgeregt in die Fabrik: Er gehe nach Amerika. Seine Schwester, die in Boston gut verheiratet war, habe ihm das Reisegeld geschickt. Er solle nur gleich kommen. Arbeit und schönen Verdienst garantiere sie ihm. Es gelang ihm, gleich entlassen zu werden. Einige Tage später brachten wir ihn zur Bahn, und als er schon im Zuge saß, rief ich ihm zu: „Hiller, wenn du drüben eine Stelle für mich hast und mir das nötige Reisegeld schickst, komme ich nach." Ich hatte das mehr im Spaß als im Ernst gesagt. Wie erstaunt war ich aber, als nach 4 Wochen der Postbote mir einen Brief und 200 Mark brachte. Der Brief lautete ungefähr: Er hätte gleich Stellung mit 15 Dollars wöchentlich erhalten, und zwar in einer großen Ringfabrik. Der eine Chef hätte ihm einige Tage nach seinem Antritt gesagt, er solle doch noch an einige Goldschmiede schreiben, daß sie rüber kämen. Sie würden gleich Stellung mit demselben Gehalt bekommen. Er habe nun gleich an seinen Bruder nach Pforzheim und an mich geschrieben. Wir sollen nur so schnell als möglich kommen und wenn wir noch jemand mitbringen, wäre es recht.

Ich setzte mich mit dem Bruder Hillers, den ich schon kannte, in Verbindung, und nicht lange darauf fuhren wir, nachdem sich noch ein Kollege, Wacker, angeschlossen hatte, nach Rotterdam ab. Die Fahrt bis Rotterdam war, von Köln ab per Dampfer, sehr unangenehm, da wir wie die Heringe eingepfercht waren und nur unser Humor hielt uns bei einigermaßen guter Laune. Wir waren froh, als wir in Rotterdam den Zug, den wir zum Schluß eine kurze Strecke benutzen mußten, verlassen konnten. In einer Wirtschaft für Auswanderer kehrten wir ein. Der Wirt schielte und sein Kellner schielte auch. Aber freundlich waren die Leute. Beim Essen nötigten sie fortwährend und nur, um ihnen einen Gefallen zu tun, aben wir von den gut zubereiteten Gerichten, bis wir zum Platzen voll waren. Da sie Deutsche

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(Fortsetzung aus No. 5.)

waren, so freuten sie sich jedenfalls, Landsleute bei sich zu sehen, und auch bei dem Einkauf der Matratzen und des nötigen EBgeschirrs gingen sie uns hilfreich zur Hand. Wir sahen uns dann noch das kanalreiche, saubere Rotterdam an. Am nächsten Tage hieß es früh heraus und da waren wir nun auf dem Schiffe. Wir hatten jetzt noch erst einen langen Kanal zu passieren, ehe wir in die Nordsee kamen, sahen also noch immer rechts und links Land. Wir betrachteten uns unsere Reisegesellschaft, mit der wir jetzt längere Zeit, es sollten 3 Wochen daraus werden, zusammen hausen sollten. Da waren allerhand Typen vertreten und auch eine bunte Karte von Nationalitäten: Deutsche, Holländer, Engländer, Irrländer und auch Franzosen. Da waren Leute darunter, die nur das, was sie auf dem Leibe trugen, ihr eigen nannten, und die vielleicht in ihrem Leben noch nie so gut gegessen hatten, wie jetzt auf dem Schiffe. Als Lagerstätte diente ihnen der bloße Fußboden. Aber auch solche waren darunter, die mit vielen Kisten und Kasten reisten und einige, die Amerika kannten und ihrem alten Heimatlande nur einen Besuch abgestattet hatten. Nachmittags des ersten Tages zog einer der Mitreisenden seine Ziehharmonika hervor, ein anderer hatte eine Flöte und bald wurde fleißig getanzt. Wir 3 Kollegen hielten uns dem Trubel fern und legten uns früh in unsere Kojen, konnten aber vor dem Lärm lange nicht einschlafen. Der andere Tag brachte gegen Mittag eine große Änderung hervor, denn wir waren jetzt in die Nordsee gekommen und ein großer Teil der gestern so lustigen Leutchen lag stöhnend und wehklagend in ihren Kojen, denn das Schiff schlingerte jetzt und das nicht schlecht. Wer das nicht erlebt hat, kann sich dies sonderbare Gefühl nicht vorstellen, das einen dann befällt.

Wie der Boden unter uns zu schwanken begann, setzten wir drei uns auf eine Bank und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Denn solche Seekrankheit sollte ja schrecklich sein.

Wacker hatte einen Beutel voll getrockneter Pflaumen oder Zwetschgen mitgenommen, diese sollten gut gegen die Seekrankheit sein. Er holte sie herbei und bot sie uns kameradschaftlich an. Ich dankte vorläufig, da ich kein Vertrauen dazu hatte. Hiller und Wacker schmausten frisch drauf los.

Das Schwanken des Schiffes wurde immer stärker. Unser Freund Hiller rief auf einmal: „0 jeh, mir wird schlecht, und wie ein Pfeil schoß er die Treppe hinauf aufs Deck. Wir eilten ihm nach und sahen, wie er dem Gotte Neptun sein Opfer brachte. Als er eine Pause eintreten ließ, bot ihm Wacker wieder seine Zwetschgen an. Hiller rief nur: Geh los damit und opferte schleunigst weiter. Als er endlich nichts mehr zum Opfern hatte, halfen wir ihm, der ganz schwach geworden war, wieder ins Zwischendeck und nahmen auf der Bank wieder Platz. Fürsorg

lich bot Wacker dem Hiller nochmals sein Preservativmittel an, aber Hiller sagte: die verd. . . . . Zwetschgen sind bloß schuld an meinem Übelsein, hätte ich sie nicht gegessen, so wäre mir das gar nicht passiert. Dem widersprach Wacker, der auf sein

Mittel nichts kommen lassen wollte und sich als Beispiel dafür anführte, daß die Zwetschgen nicht schuld sein konnten, denn sonst wäre ihm doch auch übel geworden. Wer weiß, wie weit der Streit noch gediehen wäre, wenn nicht der Steward zum Einnehmen des Abendbrotes gerufen hätte.

Wacker und ich gingen hin und versprachen, dem Hiller sein Abendbrot mitzubringen. Es gab zwei dicke Weißbrotschnitten mit Käse belegt und ein heißes Getränk, das Tee genannt wurde. Milch und Zucker waren gleich zugeschüttet. Hiller nahm das Brot in die Hand, wollte essen, aber den ersten Bissen konnte er schon nicht genießen und er bat uns, an einer anderen Stelle unser Abendbrot zu essen, denn von dem bloßen Zusehen werde ihm schon schlecht. Wir setzten uns nachher wieder zu ihm und da klagte er nun wieder, daß sein Magen so leer sei und er etwas essen möchte. „,Halt, ich habs," sagte er, ..ich hole mir vom Steward einen Hering und eine Flasche Bier.“ Gesagt, getan. Nach kurzer Zeit kam er, in der einen Hand einen Hering, in der andern eine Flasche Bier, mit Mühe in dem schaukelnden Schiffe die Balance haltend, an und vergnügt verzehrte er sein Göttermahl.

Hier will ich einschalten, daß unser Dampfer noch einer der ältesten war, und deshalb nichts von dem ruhigen Gange der heutigen großen Schnelldampfer hatte. Während der ganzen drei Wochen dauernden Fahrt kam er aus dem Schlingern nicht heraus.

Freund Hiller versicherte, nun sei ihm wieder ganz wohl, und beruhigt erzählten wir uns noch aus unserer Vergangenheit einige lustige Sachen und gingen dann in unsere Kabine. Kabine, darunter versteht man eigentlich etwas anderes, als diese Holzverschläge, die Raum für 3 bis 6 Personen boten.

Wir hatten eine dreischläfrige annektiert und schliefen darin auf unseren Matratzen ganz prächtig. Um 8 Uhr früh gab es Kaffee. Schlechteren hatte ich in meinem Leben noch nicht getrunken, denn er hatte einen lieblichen Beigeschmack nach Petroleum und war sehr dünn. Aber er war heiß und bald hatten wir uns an den Petroleumgeschmack gewöhnt. Wir aßen dazu unsere ebenfalls verabreichten Brotschnitten und gingen dann auf das Verdeck, um zu rauchen. Ich bin leidenschaftlicher Raucher, habe aber zu Hause aus Sparsamkeitsrücksichten nur lange Pfeife geraucht. Zu der Reise hatte ich mir einige Pfund besten Varinas Canaster besorgt und auf die Reise meine lange Pfeife auch mitgenommen. Ich stellte es mir so poetisch vor, auf dem Verdeck des Schiffes sitzend, das große Meer zu bewundern und dazu eine Pfeife zu schmauchen. Als wir in Köln das Schiff bestiegen hatten, banden wir unsere Stöcke, Schirme, und auch die lange Pfeife dazu, zusammen, und brachten auch alles glücklich auf den Ozeandampfer; nun war aber der Kopf von meiner langen Pfeife verloren gegangen. Da saß ich jetzt mit meinem schönen Knaster und konnte ihn nicht verwerten. Wacker und Hiller rieten mir zwar, eine große Kartoffel, die ich in der Küche erhalten konnte, auszuhöhlen und als Pfeifenkopf zu benutzen, aber ich wollte davon nichts wissen. Nachher gelang es mir doch, durch Vermittlung des Stewards, mit dem wir uns anfreundeten, eine noch nicht gebrauchte Tabakspfeife von einem Matrosen zu erhandeln.

Also wir saßen einträchtiglich auf dem Verdeck des Dampfers und sahen dem Rauche des Tabaks nach, betrachteten auch das Meer (es kam uns aber gar nicht so poetisch, sondern etwas langweilig vor), als Hiller wieder anfing: Kinder, ich glaube, mir wird schon wieder schlecht. Ich gehe hinunter, ich kann das Wogen des Meeres nicht mehr ansehen." Also wieder hinunter, aber nicht lange darauf schoß mein lieber Hiller wieder herauf und studierte Kotzebues Werke. Matt und abgeschlagen führten wir ihn wieder herunter.

,,Kinder," sagte er, ich fühle mich so schlecht, ich sterbe, glaubt es mir, grüßt meinen Bruder von mir." Wir redeten ihm gut zu, Wacker bot noch einmal schüchtern seine getrockneten Zwetschgen an, wurde aber so von ihm angeschrien, daß er zurückfuhr. „Holt mir wieder einen Hering und eine Flasche Bier," bat schließlich Hiller, „vielleicht hilft es mir wieder." Wir

holten das Verlangte, Hiller setzte sich trübselig in eine Ecke, biß in seinen Hering und trank einen Schluck Bier. Wir wußten ihn gut aufgehoben, wollten ihm aber noch mal zureden, doch lieber oben auf Deck an die frische Luft zu kommen, als da unten in dem dumpfen Raum zu bleiben. „Nein,“ sagte er, „ich komm auf keinen Fall nach oben. Wenn ich oben das Schwanken des Schiffes fühle und das Meer so wogen sehe, denke ich immer, ich muß Kopfkegel schießen und dann ins Meer fallen. Kinder, sagt dem Kapitän, ich mache nicht mehr mit, er soll anhalten, ich will aussteigen." Na, den Humor hatte er ja noch nicht verloren, also wirds ja wieder werden, dachten wir. Aber frische Luft würde ihm doch gut tun. Alle Luken waren fest zu.

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,,Ich habe eine Idee," sagte Wacker, stieg auf eine Bank und suchte eine der Luken zu öffnen. Es ging. „,So, Mensch," sagte er zu Hiller, setze dich hier auf die Bank unter der Luke, da hast du frische Luft und brauchst das wogende Meer nicht zu sehen.“ Hiller setzte sich mit einem ergebenen Lächeln auf die angewiesene Bank. Wir wünschten ihm guten Appetit zu seinem Hering und Bier und gingen lachend nach oben. Kaum waren wir eine halbe Stunde oben, als wir nach unten gerufen wurden, dem Hiller sei etwas passiert, er sei quitschenaß. ,,Nanu," sagte Wacker,,,sollte er sich so Wir sprangen hinunter, da stand der Unglücksmensch in einer Ecke des Schiffraums und war beschäftigt, sich auszuziehen. Eine Sturzwelle war durch die Luke geschlagen und unser lieber Kollege war bis auf die Haut durchnäßt worden. Wir holten ihm schleunigst andere Wäsche und Kleidung und halfen ihm, sich umzuziehen. Das Sturzbad schien aber heilsam für ihn gewesen zu sein, denn die Seekrankheitsanfälle kamen seltener und nicht mehr so stark, und wir sahen ihn nur noch zwei- oder dreimal, in der einen Hand einen Hering, in der anderen eine Flasche Bier haltend, mit trübseligem Gesicht dasitzen.

Langsam, sehr langsam schlich die Zeit dahin. Fortwährend schlafen konnte man doch nicht. Die Bücher, die ich bei mir hatte, waren von uns schon dreimal durchgelesen worden. Das Wetter war unangenehm geworden, auf dem Deck konnte man sich deshalb nicht lange aufhalten. Das Essen war kräftig und wurde ausreichend verteilt, aber das immerwährende Pökelfleisch war uns zuwider geworden. Da kamen wir auf den Gedanken, unser Brot zu rösten. Wir legten die Butterbrote auf eines meiner Bücher, es war Lenaus Savonarola, und baten in der Küche um Erlaubnis, es in den Bratofen schieben zu dürfen und das Produkt schmeckte uns köstlich. Doch wie alles in der Welt, vergingen auch diese Tage und eines Morgens hieß es ,,Land in Sicht". Das war ein Aufstand. Alles lief aufs Deck, aber nur da ganz weit vorne sah man einen Streifen, der ebensogut eine tiefliegende Wolke sein konnte. Trotzdem dauerte die Aufregung an. Ein Barbier war unter den Mitreisenden, und hatte er während der vorhergegangenen Zeit vergebens seine Dienste angeboten, so riß man sich jetzt um ihn und bezahlte gern den verlangten Preis von 50 Pfennig. Die guten Kleider wurden vorgeholt und als man am Nachmittag schon eine Stadt auf dem Lande, New York, erkennen konnte, da glaubten alle, heute Abend sind wir dort. Ich hatte noch vor wenigen Tagen einen großen Ärger gehabt. Wir hatten so starken Sturm, daß das Schiff wie ein Federball hin und hergeworfen wurde. Um nur auf Schiff gehen zu können, waren Taue gespannt, um sich beim Gehen daran festzuhalten. Es war nun eine schwierige Sache, mit dem in einem Napf geholten Essen glücklich wieder an seinen Platz zu kommen. Den einen Tag gab es Erbsen und war der Boden durch einiges verschüttetes Essen schlüpfrig geworden. Ich glitt aus, fiel mit meinem Napf voll Erbsen hin und mein Hintermann über mich rüber, sein ganzes Essen auf meinen noch guten Überzieher schüttend. Ich hatte alles mögliche angegeben, die Erbsen aus dem Flockinüberzieher herauszuklauben, aber es half nichts, ich mußte mit meinem Überzieher, der auf dem Rücken noch die deutlichen Überreste des Erbsengerichtes auf wies, ans Land gehen.

Wir glaubten also, heute Abend noch an Land zu kommen, aber es wurde nichts daraus. Wir hatten vielmehr eine fürchter

lich kalte Nacht noch auf dem Schiffe zuzubringen. Je näher wir dem Lande kamen, desto kälter wurde es, das Schiff war bald mit Eis überzogen, so daß es lebensgefährlich war, auf dem Deck zu gehen.

Bei Anbruch der Dunkelheit ließ das Schiff Anker fallen und wir lagen bis zum nächsten Morgen still. Es wurde kälter und immer kälter. Die Überzieher schützten gar nicht und im Zwischendeck lief Alles auf und ab, um sich zu erwärmen. Der Steward verkaufte manche Flasche Brandy und Gin, und übernächtigt und zerschlagen fand uns der endlich anbrechende Morgen. Der Lotse kam an Bord, bald darauf die Gesundheitskommission und endlich, endlich legte das Schiff im Dock an. Aber an Land kamen wir noch nicht. Wir mußten auf einen Prahm umsteigen und fuhren noch über eine Stunde den Red River hinauf, bis wir in Castle-garden endlich an Land kamen. Castle-garden, inzwischen abgebrannt und dann wieder aufgebaut, war ein sehr großes, an einen Zirkus erinnerndes Gebäude, das jeder Einwanderer passieren muß. Auf dem Dampfer noch waren unsere Habseligkeiten von einem Steuerbeamten durchsucht worden. Hier in Castle-garden mußte jeder seinen Namen, Stand, Heimatsort und Ziel angeben. Dann schmeckte aber die erste gute Tasse Kaffee und der leckere Apfelkuchen.

Da wurde plötzlich der Name Hiller gerufen. Hier" brüllte er und erhielt einen Brief von seinem Bruder. Er hieß uns in

dem Briefe willkommen und bat, wir möchten depeschieren, wann wir in Boston eintreffen. Man hörte in dem großen Gebäude alle möglichen Sprachen, aber Deutsch am meisten, und so hatten wir bald erfahren, auf welchem Wege wir am besten nach Boston kämen und wann wir dort eintreffen. Die gewünschte Depesche ging ab. Wir benutzten die Fall River Line". Von New York fuhren wir Abends in einem hochelegant eingerichteten Dampfer ab, Morgens kamen wir in Fall River an und fuhren dann noch drei Stunden mit der Bahn. Das war ein freudiges Wiedersehn. Uns zu Ehren hatte Frau Hiller einen feinen Schmaus hergerichtet und nachher zum Kaffee Apfelplätzchen gebacken, denen wir drei ausgehungerte Gesellen so zusprachen, daß Frau Hiller gar nicht so rasch backen konnte, wie wir aßen. Der nächste Tag war der 24. Dezember, Weihnachtsheiligabend, und ich so fern der Heimat. Das lag mir immer im Sinn, als Hiller I sagte: „Nun, Kinder kommt, time is money. Jetzt gehen wir rasch noch in die Fabrik, damit ihr euch vorstellt und morgen heißt es: ran an die Arbeit." Wir protestierten, das lohne doch nicht mehr, morgen sei Heiligabend, dann erster und dann zweiter Feiertag. Da lachte er nur und sagte, hier gibts keinen Heiligabend und keinen zweiten Feiertag, nur einen Christmessday. Also dann gings noch zum Vorstellen in die Fabrik und dann ins Bett, in ein schönes deutsches Federbett, will aber bemerken, daß die Amerikaner fast nur wollene Decken oder Steppdecken als Decke benutzen.

Schmuck und Mode.

Kann der Goldschmied nicht helfen? Eine der schwierigsten Fragen in der weiblichen Bekleidungskunst der Gegenwart bildet die Gestaltung des Kragens. Gesundheitslehre und rationelle Schönheitspflege fordern mit gleichem Recht die Beseitigung des hohen Stehkragens mit seinen steifen Einlagen. Dieser hohe Stehkragen ist für den Gebrauch im Zimmer zu heiß; er verwöhnt den Hals, macht ihn empfindlich gegen Erkältungen und führt gleichzeitig ein verfrühtes Runzeligwerden der Haut herbei. Die Reformbewegung in der Frauenkleidung suchte sich dadurch zu helfen, daß sie den hohen Stehkragen einfach wegließ. Wer indessen ein halbwegs entwickeltes Gefühl für Stil und Schicklichkeit besitzt, muß zugeben, daß der unbekleidete Hals auf der Straße, in Bureaus und Arbeitsräumen ein bestimmtes Gefühl der Vernachlässigung, der Gleichgültigkeit gegen das Preisgeben intimer Reize erweckt. Straßen- und Arbeitskleid der Frau müssen nach modernem Empfinden immer etwas von straffer Disziplin und strenger Zweckmäßigkeit an sich tragen, darum ist eine ziemlich hohe einfach gezeichnete Bekleidung des Halses für

diese Kleider unentbehrlich. Der hohe Stehkragen ist aber z. B. während des Schreibens höchst unbequem, man muß auch zum mindesten das Futter sehr häufig erneuern, um normalen Ansprüchen an Sauberkeit zu genügen. Versucht man Band oder weiche Seide um den Hals zu legen, so müssen auch hier die Lagen dick genommen werden, um eine akkurate Linienführung zu sichern. Die Schäden der hohen Stehkragen werden also dadurch nicht beseitigt. Manche Damen helfen sich, indem sie Stehkragen aus duftigen oder durchbrochenen Stoffen im Nacken und zu beiden Seiten des Halses durch weiche Fischbeineinlagen stützen. Ist es nicht möglich, Kolliers allereinfachster Art zu schaffen, die etwa vermöge beweglicher und doch stützfähiger Scharniere diese Aufgabe übernehmen könnten, indem sie so eingerichtet sind, daß man ohne Mühe Band oder sonstige Einlagen daran befestigen kann? Die Kollierstützen müßten nach unten ziemlich weit übergreifen und könnten zum Ausgangspunkt für allen möglichen Kettenschmuck gemacht werden.

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