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er zehn mineralogische Vorträge gehört hätte. Und wenn der Lehrling so und soviel gotische oder romanische Becher und so und soviel lebende Pflanzen skizziert und dann versucht hat, die Formen in Metall nachzubilden, dann wird er von selbst auf etwas kommen, was er in keinem schulmäßig geleiteten Zeichenunterricht lernen wird, nämlich darauf, daß das Edelmetall seine besondere Formensprache hat, die sich nicht vergewaltigen läßt. Während ihm in der Zeichenschule vielleicht zugemutet wird, irgend einen Naturgegenstand, eine Pflanze z. B., zu „stilisieren", ein Ornament daraus zu machen, vielleicht mit der Angabe, in welchem historischen Stil, aber nicht in welchem Stoff dieses Ornament ausgeführt gedacht wird, wird ihm bei gut geleiteter Werkstattarbeit die Naturform ganz von selbst zu einer stilisierten, einer Kunstform werden, d. h. sie wird sich durch die Eigentümlichkeit des Edelmetalls und die mögliche Art seiner Bearbeitung so verändern, daß sie nicht mehr als ein Erzeugnis der Natur erscheint, sondern als ein Gebilde, das genau so logisch aus der Eigentümlichkeit des Edelmetalls herausgewachsen ist, wie die Pflanze aus ihren organischen Bedingungen. Er wird

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In den Schulen ist es dagegen üblich, dem Schüler zuerst ein aus seiner ursprünglichen Zweckbestimmung herausgerissenes Ornament zum Modellieren, Schneiden oder Ziselieren zu geben. Bei dieser Arbeit vergißt der Schüler, daß das Ornament unter allen Umständen nur etwas Nebensächliches ist und betrachtet es schließlich als die Hauptsache. Die Folge ist die, daß so viele Kunsthandwerker, die technisch vorzüglich ausgebildet sind, doch nie selbständig ein

Stück machen können, das in der Gesamtheit seines Aufbaues den Anforderungen eines künstlerischen Geschmackes entsprechen kann, und daß die meisten Handwerker ihre erste Aufmerksamkeit immer auf die Schönheit" des Ornaments

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VON RAUSCHER & CO., PFORZHEIM.

einsehen, daß eben auch die Natur den Entwurf nur zutag gegeben „zu gut der uebenden Jugend", daß aber der Stümper ihn ihr genau so sklavisch nachmacht wie ein Fabrikant den Entwurf eines Architekten, und daß auch der Erfolg der gleiche ist: hier gräulicher Naturalismus, dort stilwidrige Gebilde, beide allerdings gleichmäßig bewundert von der urteilslosen Menge; er wird finden, daß den historischen Stilen, wenigstens für seine Zwecke, viel zu viel Wichtigkeit beigelegt wird, und daß in jedem Stil Kunstformen sich finden, die nicht auf dem Papier erfunden sein können, sondern die sich, wenigstens in ihrer einfachen Gestaltung, aus der Bearbeitung des Materials von selbst ergeben haben. Einen gotischen Buckelbecher, für Silber vielleicht die schönste und am meisten charakteristische Gefäßform, hätte, weil sie einzig aus der Dehnbarkeit des Metalles sich erklären läßt, kein „kunstgewerblicher Zeichner" erfinden können. Er wird auch sehen, daß hier und da Kunstformen und Naturformen sich vollkommen decken, und daß in diesem Falle es gar nicht notwendig ist zu stilisieren: die Blütenkelchblätter der wilden Gelbrübe und ein Kranz von geschnittenem Silber am Übergange des Stiels zum Kelch eines gotischen Bechers sind beide aus verschiedenen Bedingungen entstanden und sich

richten. Um aber den uns vor Augen stehenden bewährten Werkstättevorbildern möglichst nahe zu kommen, wären nicht reine Lehrlingswerkstätten ins Auge zu fassen, sondern Werkstätten, in denen auch der mehr Vorgeschrittene, der „Geselle", einen höheren Grad der künstlerischen und technischen Ausbildung erlangen und zugleich durch die seinem Alter entsprechende ernstere Auffassung und Lernbegierde günstig auf den Lehrling einwirken könnte, denn die gleichalterigen und so ziemlich auf einer Stufe des Könnens stehenden Lehrlinge sehen nur das nächstliegende Ziel vor Augen, während in einer so gemischten Besetzung einer Werkstatt die Jüngeren und Schwächeren viel eher sehen, was ihnen noch fehlt und ihr Eifer dadurch, daß sie weitere Ziele sehen, viel mehr geweckt wird. So würde der Betrieb dem der Werkstätten der guten Zeit, wo auch jeder von jedem lernte, möglichst nahe kommen und das Ganze würde ein organischeres Gefüge erhalten. Auch würde die Verbindung mit anderen ähnlichen Betrieben mehr gewahrt werden, wie ja auch der mittelalterliche wandernde Handwerksbursche befruchtende Ideen und neue, irgendwo aufgekommene künstlerische Formen und technische Fertigkeiten von einer Werkstatt zur andern trug und so immer neues Leben und neue Anregung brachte.

Also noch einmal: Wenn die Goldschmiedekunst auf möglichste Höhe gebracht werden soll, dann müssen die Goldschmiede (nicht in Schulen sondern) in richtig geleiteten Werkstätten so ausgebildet werden, daß sie imstande sind,

ein Kunstwerk selbständig, ohne Beihilfe eines Architekten, zu entwerfen und selbständig auszuführen.

Ernst Riegel,

Goldschmied und Fachzeichenlehrer.

Aus Paris wird berichtet: Jede Saison schafft eine Spezialität in der Toilette, die für die neue Mode bestimmend wird. Die Toiletten-Manie dieser Saison ist die Ausgestaltung des unteren Teiles des Ärmels, vom Ellbogen bis zum Handgelenk, und von diesem anscheinend unwichtigen Bestandteil der Toilette hängt wieder der Stil in vielen anderen Dingen ab, vor allem in den Handschuhen, dann Armbändern und Ringen. Die fashionablen Pariser Schneider erschöpfen alle ihre erfinderische Geschicklichkeit in der künstlerischen Bekleidung des Unterarms. Richtiger wäre es, Nichtbekleidung zu sagen, denn nicht nur Taillen und Blusen, sondern auch die meisten schicken kleinen Pelerinen oder Frühlingsumhänge haben heute Ärmel, die gerade unterhalb des Ellbogens aufhören. Die alte Mode, den Ellbogen selbst unbekleidet zu lassen, ist zum Glück nicht wieder belebt worden, denn nur selten haben Frauen einen runden rosigen Ellbogen mit Grübchen; gewöhnlich ist er spitz. Man wird also in dieser Saison eine Flut dünner Spitzen in weitläufigen Falten sich den Armbewegungen der hübschen Trägerinnen anschmiegen sehen. Da aber die Spitze durchsichtig ist, muß etwas erfunden werden, um den zarten, weißen Arm vor zu heißen Sonnenstrahlen zu schützen. Hier setzt nun die Tätigkeit der Handschuh

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fabrikanten ein. Lange schwedische Handschuhe, die auch dem eckigsten Arm weiche Konturen verleihen, sind gegenwärtig ,,en vogue". Diese Handschuhe werden mit Spitzeninkrustationen verziert, die oft von den Wurzeln der Fingernägel bis zum Ellbogen reichen. Dazu werden echte Chantilly, Venetianer oder Alençonspitzen oder auch nur hübsche Nachahmungen verwendet. Natürlich muß die Spitze des Ärmels zu der des Handschuhs passen, und diese Übereinstimmung erstreckt sich sogar auch auf die durchbrochenen Spitzen der Strümpfe. Die Spitzen des Handschuhs sind entweder durchbrochen, so daß die weiße Haut durchschimmert, oder das Leder des Handschuhs bleibt intakt, oder es wird auch eine andere Farbe unter die Spitzen gelegt. Die Mode der kurzen Ärmel und langen Handschuhe erfordert natürlich Armbänder, eine Mode, an der in den letzten zwanzig Jahren nur die Engländerinnen wegen ihrer ziemlich eckigen Arme ständig festgehalten haben. Diese Mode ist auf die Réjane zurückzuführen, denn sie entwickelte sich aus den langen Spitzenschleiern, die die bekannte Schauspielerin im vorigen Jahr in „Le Joug" trug. Natürlich steigert sich nun auch die Nachfrage nach Ringen, denn der weiche schwedische Handschuh ist elastisch genug, um das Tragen von Fingerringen darunter zu gestatten.

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SCHAUFENSTER DER FIRMA H. GLADENBECK & SOHN, BILDGIESSEREI, BERLIN UND

FRIEDRICHSHAGEN.

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Zur Frage des Abendmahlkelches.

Wie bekannt, macht sich schon seit längerer Zeit eine Bewegung geltend gegen die gemeinsame Benutzung eines und desselben Kelches bei der Abendmahlfeier der protestantischen Kirche. Die Gründe, die dagegen angeführt werden, sind ästhetischer und sanitärer Natur, und sind jedenfalls so schwerwiegend, daß man sie keinesfalls mit der Begründung „Das ist nun einmal so hergebracht", wird abtun können. Andrerseits ist eine eingehende und sorgfältige Erwägung, ein taktvolles und besonnenes Vorgehen dringend geboten. Eine so alte, so heilig und ehrwürdig erscheinende Sitte muß, wenn sie geändert werden soll, jedenfalls mit der ihrem Alter und ihrer Ehrwürdigkeit geziemenden Pietät angefaßt werden. Da die Angelegenheit unsere Leser immerhin interessieren dürfte, so bringen wir anschließend einen Auszug aus dem Vortrage des Herrn Archidiakonus

Seydel an St. Nikolai in Berlin und zwei amtliche

Äußerungen darüber, die eine von theologischer, die andere von medizinischer Seite. D. Red.

Ist eine Änderung der

Abendmahlsfeier ratsam, so daß an Stelle des gemeinsamen Kelches Einzelkelche gebraucht werden?

Bald nach meiner Einführung in mein erstes Pfarramt, in welchem ich eine Gemeinde von 1700 Seelen zu pastorieren hatte, kündigte ich von der Kanzel eine am darauffolgenden Sonntage abzuhaltende Abendmahls

feier an. Dort bestand,

wenn auch nicht mehr allgemein, die Sitte der persönlichen Anmeldung zu der heiligen Feier. Bei dieser Gelegenheit machte mich eine Anzahl von Gemeindemitgliedern darauf aufmerksam, daß ein Mann, namens N. N., mit einem ansteckenden Leiden behaftet sei. Wenn er am Abendmahl teilnehme, so möchte ich ihm den Kelch zuletzt reichen, sonst vermöchten sie das heilige Abendmahl trotz der Anmeldung nicht zu nehmen. Der Kranke werde auch ohnehin zuletzt

mahl Einzelkelche zu verwenden, nicht mehr von mir gewichen, denn die Feier hatte fraglos für alle Beteiligten eine herbe Störung erlitten, die durch Verwendung von Einzelkelchen hätte vermieden werden können. Erfahrungen in meinem hiesigen Amte an St. Nicolai haben mich in jenem Gedanken bestärkt. Unter meinen Konfirmanden befand sich vor einigen Jahren ein Mädchen, das wegen eines Lupusschadens am Munde stets das Gesicht verbunden tragen mußte. Sofort nach der Konfirmation baten mich einige Eltern, ich möchte bei der Feier des heiligen Abendmahls diesem kranken Kinde zuletzt den Kelch reichen. Ja, die Mutter des kranken Kindes kam selbst zu mir, um mir mitzuteilen, daß sie mit ihrer Tochter zur Vermeidung der Ansteckungsgefahr zuletzt an den Altar treten werde. Als

PLAKETTE IN HOLZFASSUNG.

ENTWORFEN UND AUSGEFÜHRT VON H. WISSMANN, PFORZHEIM.

an den Altar treten. Der Sonntag kam; unter den Abendmahlsgästen befand sich auch der Ärmste. Er trat allein und als letzter an den Altar, und, während aller Augen auf ihm ruhten, empfing er das heilige Sakrament aus meiner Hand. Es war für mich ein erschütternder Augenblick, als dieser Kranke, indem er Stärkung und Erbauung im heiligen Abendmahl suchte, doppelt schwer an seinem unheilvollen Leiden tragen mußte. Seit jenem mir unvergeßlichen Ereignis ist der Gedanke, daß es ratsam, ja notwendig sei, beim heiligen Abend

ich ihnen das Abendmahl reichte, hatte ich wieder das Gefühl der gestörten Andacht bei allen Teilnehmern. Ferner bin ich aus der Mitte der Gemeinde heraus immer und immer wieder darauf aufmerksam gemacht worden, daß der gemeinschaftliche Kelch in der kirchlichen Abendmahlsfeier ein Mißstand sei, der vielfach berechtigten Widerwillen gegen den Genuß des heiligen Abendmahls hervorrufe und die Erbauung beeinträchtige.

Es wäre nun nach meiner Meinung sehr verkehrt und unchristlich, wollte man über solche Mitchristen den Stab brechen und sie als ungläubig oder unkirchlich verurteilen, sondern man muß die Gründe ruhig erwägen und sachlich beurteilen. Da werden zunächst ästhetische Gründe angeführt, d. h. man macht auf das das Ungewohnte und Abstoßende aufmerksam, das in dem gemeinschaftlichen Gebrauch eines und desselben Trinkgefäßes seitens vieler Personen liegt, ohne daß dasselbe gereinigt wird. Nun müssen wir zugestehen, daß dieser Gebrauch unter uns wirklich nur

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in der kirchlichen Abendmahlsfeier und sonst nirgend üblich ist. Wir haben für gewöhnlich einen Widerwillen davor, mit anderen Personen von demselben Teller zu essen und aus demselben Gefäß zu trinken. Wenn ein auch noch so lieber und nahestehender Gast zu uns kommt, so setzen wir ihm zur Benutzung ein reines Glas vor. Es ist uns tatsächlich etwas Fremdes geworden, mit vielen und noch dazu ganz unbekannten Personen aus einem Gefäß zu trinken.

Hinzu kommt beim Kelchgebrauch im Abendmahl, daß

viele Menschen hierbei auch von derselben Flüssigkeit, demselben Kelchinhalt trinken. Es ist bekannt, daß bei jedem Trinkgefäß von den Lippen jedes einzelnen Trinkenden mehr oder weniger Feuchtigkeit am Rande zurückbleibt. Bei der Form des Kelchrandes findet das in erhöhtem Maße statt. Ja es fließt öfters Wein, der schon mit den Lippen und der Zunge in Berührung getreten ist, wieder in den Becher zurück, was jeder Geistliche häufig genug zu beobachten Gelegenheit gehabt hat. Dieser Wein, der naturgemäß mit etwas Speichel vermischt ist und der mitunter auch Reste vom Abendmahlsbrot mit sich führt, vermischt sich mit dem übrigen Kelchinhalt. Auf diesen Umstand hat bereits im Jahre 1785 der Geh. Hofrat Gruner in Jena verwiesen und die Abschaffung des Kelches verlangt, ferner Karl Spazier 1788, der zur Verhütung des Ekels vorschlug, daß jeder Kommunikant seinen eigenen kleinen Kelch mitbringen solle. Diese bisher erwähnten Übelstände beim Kelchgebrauch sind allen Geistlichen bekannt. Um sie soweit als möglich zu beseitigen, haben viele Geistliche die Gewohnheit, den Kelch zu drehen, so daß jeder einzelne an einer anderen Stelle des Randes trinken solle, und ferner den Kelchrand von Zeit zu Zeit mit einem Leinentuche abzuputzen. Daß jedoch dadurch die Übelstände nicht behoben werden, leuchtet ein.

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deutlich sichtbarer Weise von dem weißen Mundinhalt etwas in den Becher über. Deshalb ist auch anzunehmen, daß bei dem Abendmahl von dem Speichel des Trinkenden etwas in den Trinkkelch übergeht, was eine große Infektionsgefahr in sich schließt." (Section of bacteriology and pathology.) Besonders eingehend ist diese Frage

WAGNERPLAKETTE VON
W. MAYER & FRZ. WILHELM,
STUTTGART.

Neben obigen ästhetischen Gründen werden sanitäre Gründe geltend gemacht, d. h. man weist auf die Ansteckungsgefahr hin, welcher der einzelne bei der Benutzung des Abendmahlskelches durch mehrere Personen ausgesetzt ist. Diese Ansteckungsgefahr wurde bereits im Mittelalter zur Zeit der Pestkrankheit (1348-50) erkannt. Man führte deshalb sogenannte Pestkelche ein, in welchen den Pestkranken die Sterbesakramente gereicht wurden, von denen einer noch heute in der Hauptkirche zu Saalfeld vorgezeigt wird. Diese Gefahr der Ansteckung aus der Pestzeit ist wohl auch neben den dogmatischen Gründen mit eine Ursache zur Kelchentziehung in der katholischen Kirche gewesen; denn das Konzil zu Konstanz 1414-1418, das die Kelchentziehung beschloß, verweist dabei auf die bereits bestehende Gewohnheit zur Vermeidung von Gefahren und Anstößen (pericula et scandala). Die neuere Zeit hat den sicheren Beweis erbracht, daß eine ganze Reihe von Krankheiten (Masern, Diphtherie, Scharlach, Krebs, Tuberkulose, Lepra usw., ja auch Schnupfen und Keuchhusten) durch Ansteckung übertragbar sind. Mit den Gefahren, welche die ansteckenden Krankheiten mit sich bringen, ist heute jedes Kind vertraut, und die Schule schärft es mit Recht den Schülern immer von neuem ein. An diesen Tatsachen kann die Kirche unmöglich, ohne ihnen Beachtung zu schenken, vorübergehen; denn sie soll doch nicht nur die Seelen pflegen, sondern auch das leibliche Wohlbefinden ihrer Glieder wie eine treue Mutter auf dem Herzen tragen. Daher ist für die christliche Gemeinde die Frage unabweisbar, ob eine direkte Ansteckungsgefahr in dem gemeinsamen Kelchgebrauch vorhanden ist. Diese Frage ist von Ärzten vielfach behandelt und bejaht worden. Dr. Moore hat im Jahre 1900 auf dem Kongreß zu Aberdeen auf die Ansteckungsgefahr beim Abendmahl durch folgendes Experiment aufmerksam gemacht: „Wenn man etwas weißes Pulver oder weiße Flüssigkeit in den Mund nimmt und trinkt dann einen Becher, so geht jedesmal, auch beim kleinsten Schluck, in

in Kopenhagen behandelt worden. Der dortige Ärzteverein sollte ein Gutachten über die Verwendbarkeit eines von einem Kopenhagener Fabrikanten konstruierten neuen Abendmahlkelches vom ärztlichen Standpunkte aus abgeben. Aus dieser Veranlassung gaben eine Anzahl namhafter Ärzte folgende Erklärung ab:

„Es ist schon lange bekannt, daß die bisherige Art der Benutzung des Kelches eine Infektionsgefahr in sich birgt; denn es ist bewiesen, daß eine große Menge infektiöser Krankheiten sich im Munde und an den Lippen befinden können, die selbst bei einer sehr kurzen Berührung die Ansteckung übertragen oder durch Schleim usw. weiter verbreitet werden können. Selbst bei sehr großer Vorsicht von seiten des Geistlichen muß diese Gefahr vorhanden sein." Auf eine Anfrage des Bischofs Dr. Rordam, des obersten Leiters des dänischen Kirchwesens, in dieser Sache erging folgende Antwort: „Die Frage, ob nachgewiesen werden kann, daß beim Abendmahl die Ansteckungsgefahr größer sei als bei sonstiger Berührung mit einer fremden Umgebung, muß entschieden mit „Ja“ beantwortet werden. Denn die Gefahr der Ansteckung liegt nicht darin, daß sich die Ansteckenden in der Nähe von den Gesunden befinden, sondern darin, daß Gesunde bei dem gemeinsamen Gebrauch des Kelches mit dem eventuell Behafteten in unmittelbare Berührung mit den letzteren kommen."

Was hat die Kirche oder die christliche Gemeinde demgegenüber zu tun? Soll sie gleichgültig zusehen, daß ein Teil fern bleibt, andere in gestörter Andacht das heilige Abendmahl genießen und sich daran genügen lassen, daß ja doch immer noch eine wenn auch verhältnismäßig geringe Zahl zum Abendmahl geht, oder soll sie dem Erfolg der medizinischen Forschung gegenüber sich blind und rückständig stellen? Ich meine, die christliche Gemeinde hat jedenfalls die ernste Pflicht, rechtzeitig daran zu denken, einen Weg zur Abstellung jener Mißstände zu finden und die Feier des heiligen Abendmahls, des letzten und teuersten Vermächtnisses unseres Heilandes, für jeden unanstößig und damit weihevoll, würdig und segensreich zu gestalten.

Da erhebt sich zunächst die Frage: Hat die gegenwärtige christliche Gemeinde das Recht, die durch das Herkommen und das Alter geheiligte Form des heiligen Abendmahls zu ändern? Luther sagt darüber in seiner Vorrede zur deutschen Messe und Ordnung des Gottesdienstes: Man solle aus der Ordnung im Gottesdienste kein Gesetz machen, sondern sie nach der christlichen Freiheit gebrauchen, wie, wo und wie lange es die Sachen schicken und fordern. Wo ein Mißbrauch sich zeige, solle man die

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C

MONOGRAMME

ENTWORFEN VON R. LANGNER, MÜNCHEN.

Ordnung flugs abtun und eine andere machen. Die Ordnung soll zur Förderung des Glaubens und der Liebe dienen und nicht zum Nachteil des Glaubens. Wenn sie das nicht tut, so solle man sie wegwerfen wie alte Schuhe, die drücken, und eine neue machen. Ordnung sei ein äußerlich Ding und könne in Mißbrauch geraten, dann aber sei es keine Ordnung

mehr, sondern Unordnung. Ebenso spricht er sich in seinem Schreiben an die Evangelischen in Livland vom Jahre 1525 über die äußerlichen Ordnungen in Gottesdiensten aus: Man solle mit Liebe suchen, was dem Volke diene, aber frei sein und die äußerliche Ordnung mit gutem Gewissen an allen Orten, zu aller Stunde und durch alle Personen ändern.

Vor allen Dingen kommt für uns in Betracht, ob die Bibel eine Änderung der Abendmahlsfeier zuläßt. Der Wortlaut Matth. 26, 27-28, Markus 14, 23-24, Luk. 22, 17 und 20 im Urtext legt den Nachdruck darauf, daß alle (pantes) trinken, also von dem Wein, den der Herr ihnen

gegenüber den Passahgebräuchen, welche dem streng jüdischen Saulus doch sehr heilig waren, eingeführt hätte. Ja, die Parallele mit dem Genuß des heidnischen Opferweines und der Opferspeise (1. Kor. 10), in welche Paulus das heilige Abendmahl stellt, zeigt zur Evidenz, daß zu seiner Zeit ein Trinken der Gläubigen aus einem gemeinsamen Trinkgefäß gar nicht stattgefunden haben kann, und daß man ein Wertlegen auf die Sitte gar nicht kannte. Auf das Trinken von dem Abendmahlswein kam es nur an. Darauf liegt nach Paulus das Schwergewicht in der Feier des heiligen Abendmahls.

Dementsprechend sehen wir, daß die urchristliche Gemeinde

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WAPPEN IN 3 VERSCHIEDENEN STILARTEN.

(1. ROMANISCH, 2. GOTISCH, 3. RENAISSANCE.) VON G. OTTO, HOFGRAVEUR, BERLIN.

gab, genießen sollten, keineswegs aber ruht der Schwerpunkt darauf, daß sie aus demselben Trinkgefäß trinken sollten. Ja, es ist die Annahme berechtigt, daß die Jünger sich den Inhalt des Bechers teilten, indem sie den Wein in die vor ihnen stehenden Becher gossen; denn bei der jüdischen Passahfeier hatte jeder Teilnehmer sein Trinkgeschirr vor sich, (vergl. Schulchan Aruch I § 472, 9). Gemeinsame Kelche kennt die jüdische Passahfeier nicht. Darauf weist auch der Ausdruck bei Lukas hin: teilet ihn unter Euch. Daß die Jünger den Inhalt des Kelches in ihre einzelnen Trinkgefäße gegossen, nicht aber aus einem gemeinschaftlichen Kelche getrunken haben, geht auch aus 1. Kor. 11, 25 hervor, wo Paulus nur vom Trinken redet, nicht aber erwähnt, daß das aus einem Gefäße geschehen sei. Er hätte das sicher erwähnt, weil das nicht jüdischer Brauch war, Christus also etwas Neues

nur Wert legt auf das Trinken vom gesegneten Wein, aber nicht auf das Trinken aus dem gemeinschaftlichen Trinkgefäß; denn sie feiern das Herrenmahl gruppenweise. Ap.Gesch. 2, 46 sagt: Sie brachen das Brot hin und her in den Häusern. Später lesen wir, daß das Sakrament den Abwesenden (Kranken, Aussätzigen) gebracht wird; hierbei mußte von selbst für jeden ein besonderes Trinkgefäß verwendet werden. Es war überhaupt eine Verteilung der Abendmahlsgaben durch die Diakonen in der apostolischen Zeit Sitte, wozu jeder seinen Becher mitbrachte. Daß mehrere Becher gebraucht wurden, zeigen auch die Skulpturen der Katakomben z. B. Fresko der heiligen Agnes, das himmlische Mahl, welches fünf Gläser zeigt, ebenso andere Funde von Gläsern mit eingetrocknetem Abendmahlswein in den Katakomben. Erst Gregor II. 714-731 drang auf einen Kelch. Es wurden

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