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zwar kann man auf diesem Gebiete auch in Frankreich zwei ganz verschiedene Richtungen unterscheiden. Die eine versucht für die Fassung der Edelsteine und den Rahmen des Schmuckes mehr oder weniger abstrakten Liniendekor zu geben; sie wendet also die etwas einseitigen Forderungen van de Veldes auf den Schmuckgegenstand an. Zu dieser Richtung gehören z. B. Marcel Bing, Paul Orazzi, P. Follot u. a. Man mag nun über die Berechtigung des Liniendekors im plastischen Kunstgewerbe urteilen wie man wolle, so wird doch jedermann und besonders jede Frau zugestehen, daß für den Schmuckgegenstand auch einmal etwas mehr Wärme und blühende Phantasie angebracht sind, als sie das Liniendekor allein zum Ausdruck bringt. In der Tat sind denn auch die hervorragendsten Pariser Goldschmiede - Arbeiten auf der Seite der anderen Richtung entstanden: man braucht nur an René Lalique und Philippe Wolfers zu erinnern. Während aber diese beiden weit über Frankreichs Grenzen hinaus beliebt und bekannt geworden sind, sind einige sehr talentvolle jüngere Vertreter dieser Richtung erst in dem diesjährigen Pariser Salon gebührend gewürdigt und geschätzt worden. Wir betrachten es als eine angenehme Aufgabe, diese interessanten Künstler, bezugsweise deren Arbeiten, unserem deutschen Publikum vor Augen zu bringen. Derjenige von ihnen, welcher im Naturalismus am weitesten geht, ist Philippe Mangeant. Er ist den Intentionen Wolfers' gefolgt und hat mit Vorliebe Formen der niedersten Seetiere als Dekore für seine Schmuckarbeiten verwandt: vergl. hierzu die Abbildung eines Einsteckkammes aus Schildkrot mit patiniertem Silber und Perlmuttereinlagen. Diese Vorliebe für die Formen der niedersten Seetiere hat ihre tiefe, sozusagen wissenschaftliche Bedeutung, denn es ist bekannt, daß die moderne Naturwissenschaft, vor allem ihr Führer Haeckel, gerade aus diesem Studium die fruchtbarsten Anregungen schöpfte. Auch die

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Vorliebe für die Fledermaus hat Mangeant mit Wolfers gemein: vergl. die Abbildung eines Halsschmuckes aus Silber und Perlmutter. Eine sehr gelungene Arbeit ist ferner die Mantelschließe (vergl. die Abb.) mit Perlmutter und Achaten: gerade für diesen Gebrauchsgegenstand fehlt es an künstlerischen Entwürfen. In Nordfriesland und den Dithmarschen wurden künstlerisch behandelte Mantelschließen in früheren Zeiten viel getragen; ein interessantes Beispiel sieht man auch auf dem Bilde der heiligen Agnes von Boisserée Bartholomeus in der alten Pinakothek zu München. Wir möchten bei dieser Gelegenheit nicht verfehlen anzuregen, daß derartige vergessene Schmuckformen, welche zugleich nützliche Gebrauchsgegenstände sind, wie der Schürzenaufstecker, die Miederspange, die Schulterspange, Aigretten, Halsbehänge, Haarringe und Hutbehänge wieder in Mode kommen. Reizvolle Beispiele von Schmucksachen Mangeants zeigen die Abbildungen auf Seite 9. Sehr originell ist endlich der Gürtelschmuck des Künstlers auf S. 10; das Pendant der Bandschleife ist wiederum aus patiniertem Silber mit Perlmuttereinlagen gearbeitet.

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Ein anderer sehr bedeutender und heute in Paris im Vordergrund des Interesses stehender Künstler ist Charles Boutet de Monvel, welcher indessen zwischen dem Naturalismus eines Mangeant und dem Linienkultus eines Marcel Bing vermittelt. Vor Mangeant hat er ein mehr von Grazie und eleganter Linienführung voraus. Sehr reizvoll und im Augenblick außerordentlich beliebt geworden ist der Ring, den wir hier in Abbildung wiedergeben.

Endlich unterlassen wir nicht der Vollständigkeit des hier gegebenen Bildes wegen unsere Leser mit ein paar neuen Arbeiten des belgischen Goldschmiedekünstlers Philippe Wolfers bekannt zu machen, betitelt „Die Schwäne" und „Der Fasan", Arbeiten in Email mit Türkisen, Brillanten und Perlen.

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Die Werke des belgischen Meisters der Goldschmiedekunst sind in ihren markantesten Exemplaren in der Ausstellung moderner Goldschmiedearbeiten vertreten, die zeitweilig von den Hofjuwelieren Gebr. Friedländer der Öffentlichkeit vorgestellt waren. Dieselbe Liebe zur strengen Wahrhaftigkeit, derselbe minutiöse Fleiß und die gleiche Energie der Technik, die Meuniers Bildwerke zu den ersten Schöpfungen unserer Zeit machen, all diese Vorzüge sind auch den Arbeiten seines Landsmannes Philipp Wolfers, des bedeutendsten Goldschmiedes lateinischer Rasse, eigen. Wolfers ist in seinem Gebiete der modernste Künstler, der „modernste", wenn man das Wort so faßt, wie er es meint. Er betont nämlich, daß er unter „modern" den Ausdruck eigenster Persönlichkeit versteht, die mit allem großen Kunstempfinden und Können doch selbstverständlich immer von ihrer Zeit und ihrem Empfinden abhängig bleibt. Eine nicht üble Anschauung, die dem oft mißbrauchten und darum mißachteten Worte gute Geltung geben mag.

Wolfers geht bei der Anlage seiner Werke von der Idee aus, daß ein Werk der Goldschmiedekunst ebenso den Kunstgesetzen unterliegt, wie das einer andern Gattung. Jedes, selbst das geringste Kunstwerk hat als ein selbständiges Ganzes zu wirken, das organisch fest ineinander geschlossen ist, und zwar so fest, das die Wegnahme des kleinsten Ornamentes, der geringsten Nebensächlichkeit den Zusammen

bruch des Ganzen bedingt. Darum baut er jedes Stück auf einer strengen architektonischen Form auf und fügt danach die Ornamentik aus Edelsteinen, Email und dergleichen nur ein, wo sie als unweigerlich gefordert sich ergibt; es steht eben der Edelstein mit Recht nur an der Stelle, wo er eingefügt ist, und eben nur gerade der, und kein beliebig anderer. Die gleichen Gesetze gelten dem Künstler auch für die Zusammenstellung der Farben. Das Kunstwerk soll, wie er meint, im Entwurf nicht bloß gezeichnet vorliegen, damit dann in der Ausführung verwandt werde, was an teurer Ware gerade am Lager ist nein, der Entwurf werde so überlegt, daß Form, Farbe des Metalls und zu verwendender Schmuck aus Email und bunten Steinen in feinster Harmonie sich ineinander fügen. Darum verwendet Wolfers auch nicht gern höchst wertvolle Edelsteine, die zu kostbar sind, um sich dem Ganzen einzufügen, ohne es zu schädigen, und doch nicht gut genug, um voll das zu geben, was er ausdrücken möchte. Darum finden sich in seinen Werken nicht Diamanten von seltener Größe oder Rubine und Smaragde von besonderem Feuer, die alles um sich herum ertöten würden, sondern Turmalin, Sardonyl, Stepheit, Chrysopras, Barockperlen aller Art oder Opale verschiedenster Gattung, die, jedes einzelne an seiner Stelle wirkungsvoll, sich wohltuend und bequem zu einem Ganzen zusammenfassen lassen, das dann aus sich als eine Einheit wirkt.

Bericht Armand-Calliats über die deutsche Goldschmiedekunst in Paris.

Die Riesenarbeit der Pariser Weltausstellung ist immer noch nicht beendet. Die Rapporte der einzelnen Ausstellungspreisgerichte erscheinen nach und nach im Drucke und veröffentlichen wertvolles Material.

Wir haben gerade den prächtigen Bericht in Händen, den die Jury der Klasse 94 (Goldschmiedekunst) ausgegeben hat (Paris, Imprimerie Nationale 1903). Der Redakteur des Rapportes ist Herr T. J. ArmandCalliatt. Es ist dies der berühmte Chef des Lyoner Hauses in Kirchengeräten, welches u. a. auch den Hauptaltar in der neuen katholischen Kirche der Bundesstadt erstellt hat.

KAMM VON PH. MANGEANT-PARIS.

Der verstorbene Künstler besaß umfassendes Wissen auf dem Gebiet der Kunst und hat seine Ideen hineingelegt in das Berichtsheft, welches auf diese Weise ein geistvoller Essay über die Goldschmiedekunst unserer Tage geworden ist.

Wir möchten aus diesem Schatze nur ein interessantes Stück heben. Unseres Wissens ist die Seite, welche ArmandCalliat den deutschen Ausstellern widmet, noch nicht diesseits des Jura und des Rheins veröffentlicht worden. Bei Beurteilung der Auslassungen Armands ist nicht zu vergessen, daß er ganzer Franzose ist.

Die deutsche Ausstellung der Goldschmiedekunst in Paris sei, quantitativ sehr bedeutend, der Beweis der rassigen deutschen Art: sie bezeugt den Willen, die Methode, die Doppelbefähigung, einen aufrichtigen Realismus mit dem Reich der Träume zu vereinigen; es liegt in den deutschen Werken mehr Kraft als Anmut; sie sind Zeugen eines siegreichen Aufschwungs, welchen die billigen Preise ermöglichten. Billig zu arbeiten vermagderDeutsche aber dank seiner vervollkommneten Werkzeuge, dank der Verwendung oft weniger wertvoller Stoffe und dank der niedrigen Arbeitslöhne durch Verlegung der Werkstätten in ländliche Zentren.

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Geschmack besitzen sie jedoch in geringerem Maße. So viele Künstler in der Arbeit hat Deutschland, daß es ohne Schaden solche an Amerika abgeben kann. Es besitzt mächtige Häuser, u. a. das Haus Bruckmann & Söhne, in dessen Dienst 850 Arbeiter Kunstgegenstände jeder Art in vorzüglicher Ausführung herstellen. Herr Hermeling, ein vollendeter Goldschmied, der vor keiner Aufgabe zurückschreckt, ist stark in Emailarbeiten in künstlerischen, oft zu schweren Einfassungen. Der Meister der Allegorie, Professor Widmann, und Herr Götz, Schöpfer vieler imposanter und kraftvoller Kunstwerke, stehen anscheinend unter dem Einfluß der Franzosen aus der romantischen Epoche.

Alles dies gesteht ArmandCalliat den Deutschen zu. Es genüge aber nicht, um die französische Kunst zu überflügeln. Was er den deutschen Goldschmieden abspricht, ist die Erfindungsgabe oder doch die Findigkeit in der Stilart, in der Kunst, etwas Eigenes den bekannten Motiven beizufügen und so Originalität hineinzulegen.

Für einige wenige Stücke läßt der Rapport eine Ausnahme von diesem allgemeinen Urteil zu. Aber auch diese Ausnahmen tragen nach Armand den Zug der Beeinflussung durch die französische Gotik oder die italienische Renaissance. Der Grund für diesen Fehler ist nicht darin zu suchen, daß die Deutschen nicht wußten oder nicht wissen wollten, wie die Franzosen sich von veralteten Formeln befreit: die moderne Kunst hat sich ja aller andern Gebiete deutschen Kunstfleißes bemächtigt. Bald wird Deutschland auch in

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LEDERGÜRTEL MIT SAMTSCHLEIFE UND SILBERNEM BESCHLAG

Von Ph. Mangeant, Paris.

seiner Goldschmiedekunst energisch an das moderne Problem herangehen und wird, wie im XVI. Jahrhundert bei der Renaissance, von der Periode der Nachahmung übergehen zum Augenblick, in dem es seinen Werken seine Prägung aufdrücken wird. Dies zu vollenden, ist nicht ein Albrecht Dürer nötig.

Armand - Calliat befürchtet für diese nicht zu ferne Zeit die ernste Konkurrenz der deutschen Goldschmiedekunst.

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Eine Kunst, die ganz besonders für Frauenhände geschaffen scheint (? Die Red.), die aber unseres Wissens bisher von Deutschen noch kaum als Beruf gepflegt wird, ist die „Goldschmiedekunst" und die „Emaillemalerei" (Schmelzkunst). Englische und französische Frauen haben bewiesen, wie gerade die weibliche Geschicklichkeit, der naive künstlerische Sinn, das liebevolle Verständnis und die große Geduld die Frau geeignet machen, sich auf diesen Gebieten zu betätigen. Um diese Arbeiten erfolgreich ausführen zu können, bedarf es allerdings neben der nötigen Begabung, der Lust und Liebe zur Arbeit eines gründlichen langjährigen Studiums, der umfassendsten Kenntnisse. Es genügt nicht, nur mit dem Metall umzugehen zu verstehen. Leider ist man bei uns in Deutschland geneigt, die Ausbildungszeit, oft auch die Ausbildungskosten der Töchter bei Ergreifung eines Berufes im Verhältnis zu denen, die man anstandslos dem Sohne bewilligt,

Frauen als Goldschmiede.

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über alle Gebühr zu kürzen; das ist der Hauptgrund zu dem Dilettantentum und der ungenügenden Leistungsfähigkeit unserer Frauen in den verschiedensten Berufszweigen.

Von den Frauen, die sich in der Metall- und Juwelierkunst erfolgreich betätigten, steht in erster Reihe Jeanne de Bouchère aus Brüssel. Ausgerüstet mit vortrefflicher Begabung nach jeder Richtung hin, erhielt Jeanne, von einer hochsinnigen Mutter geleitet, den besten Unterricht, die sorgfältigste Erziehung. Mit sechzehn Jahren schickte man sie zur Vollkommnung ihrer allgemeinen Bildung nach London. Persönliche Bekanntschaft mit den hervorragendsten Künstlern dort wurde für Jeanne von entscheidendem Einfluß. Die bequeme Gelegenheit jedweder Ausbildung in England ließ sie ihren Wunsch, sich in Metallarbeit zu betätigen, schnell zur Ausführung bringen. ,,Chiswick-School of Art" nahm sie auf. Familienverhältnisse zwangen sie indes bald, London zu Dank ihres angeborenen künstlerischen Talentes und eines eisernen Fleißes bildete sie sich allein weiter, bis sie später nach London zurückkehrte, um unter Meister Ashbees bewährter Leitung zu arbeiten, neben rein praktischer Lehre beim Goldschmiedemeister und Juwelier. Zu der bekannten Art des Bossierens in Kupfer, Messing und Edel

KAMM VON PH. MANGEANT, PARIS.

verlassen.

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DER FASAN.

Emaillierter Anhänger mit großem Türkis, Brillanten und Perlen von Ph. Wolfers, Brüssel.

RING

von Ch. Boutet de Monvel, Paris.

metall fügte Jeanne die Arbeit mit eingesetzten Steinen, die besonders bei Kupfer ungeahnte Farbenwirkungen und Licht

reflexe hervorruft.

1898, gelegentlich einer kunstgewerblichen Ausstellung ,,l'art idéaliste" in Brüssel, erregten die herrlichen Arbeiten des genialen Armand Point-Paris das ganz besondere Interesse Jeanne de Bouchères. Besonders die Emaillekunst hatte es ihr angetan. Unterdessen hatte sie auch noch ihre liebste Freundin,

KETTENSCHMUCK

von Ph. Wolfers, Brüssel.

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die, von dem Eifer Jeannes angesteckt, es ihr gleichtun nehme Künstler berechtigtes Ansehen. Beide Damen stellen wollte, in ihrer Kunst unterrichtet, und beide Mädchen beschlossen, nach Paris zu gehen. Mit Anspannung aller Kräfte galt es dort, zu arbeiten; aber schon bei ihrem ersten öffentlichen Ausstellen 1899 in der Brüsseler Ausstellung „l'art esthétique" hatten beide Damen nicht nur den Beifall angesehener Kunstkritiker, sondern auch den klingenden Erfolg im Verkauf ihrer Arbeiten. Jeanne, die jetzt in Berlin lebt, hat sich neuerdings vorzugsweise der Schmelzkunst zugewandt. Alice Holbach-Chanal, ihre Freundin, die sich Paris zum Aufenthalt wählte, hat auch ihren jungen Gatten in ihre Kunst eingeweiht, und beide haben sich nicht nur ihren Beruf darauf gegründet, sondern genießen als vor

jeden Gegenstand vom Uranfang bis zum letzten Schliff
selbst her, und das gibt ihren Arbeiten das Persönliche.
Schöpfer und Ausführender in einer Person, - dann erst
wird das Kunstwerk jene Vollendung erhalten, die wir an den
besten Arbeiten des Mittelalters zur Zeit der höchsten Blüte
des Kunstgewerbes so sehr schätzen. Durch Vornehmheit,
Einfachheit, Originalität zeichnen sich alle Arbeiten beider
Damen aus; sie gehören keinem „Stil", keiner „Periode" an,
wenngleich sie mitunter an diese oder jene zu gemahnen
scheinen. Aber nirgends Nachahmung, überall vornehme,
frische Erfindung in Zeichnung, Form und Farbengebung.
M. N. Z.

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