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selbe ist nun ganz im Gegensatz zu der Formula vitae honestae durchaus christlicher Natur, sowohl dem Vorwurf wie der Ausführung nach. Die Superbia galt ja dem Christen für das schwerste aller Laster, die Iactantia aber ist nur ihr Anfang, wie Martin sagt: indem der Mensch das Gute, dessen er sich rühmt, sich selbst und nicht Gott, zuschreibt, wird der Eitle zum Stolzen. Die Demuth aber, diese specifisch christliche Tugend, bildet ja den Gegensatz zu der Superbia. Hier schöpft nun der Verfasser aus der Bibel, die öfters angezogen wird, und aus christlichen Quellen.')

Die Predigt: De correctione rusticorum ist auf Anregung des Bischofs Polemius von Asturica zwischen 572 und 574 abgefasst 2) und an diesen gerichtet. Nach einem Synodalbeschluss sollten nämlich die Bischöfe im Suevenreiche bei Gelegenheit der Kirchenvisitation dem Volke eine Predigt halten, um es vor dem Götzendienst und andern Todsünden zu verwarnen und im Glauben an die Auferstehung aller Menschen und das jüngste Gericht zu stärken. Polemius hatte nun von Martin, wie die Zuschrift desselben besagt, zum Zweck einer solchen Strafpredigt an die noch im Aberglauben befangenen Bauern, ,über den Ursprung der Götzen und ihre Verbrechen' etwas wissen wollen. Martin sandte ihm hierauf diese Predigt, die nun nicht bloss dentia tua lässt schon eine besondere Rücksichtnahme erkennen, noch mehr thut dies die Entschuldigung im Eingang der Exhort. humil.: Et si forte durius aliquod videor loqui, veritatis haec culpa, non mea est. Directer weist dann schon auf einen König hin der bald danach folgende Satz: Nemini verius debere aliquid dici quam ei, qui praesidet multis. Endlich lässt der vierte Absatz ebendort kaum einen Zweifel noch mit solchen Stellen wie: cum multos gubernaveris Non enim ad alium mihi de vana gloria aut superbia virum est loqui (auch ein Beweis dafür, dass die drei Tractate ein Werk bilden), nisi ad te quicumque prior es aliis etc. etc. Und für wen musste der Gegenstand sich besser eignen als für einen Herrscher?

1) So aus Cassian, De institut. coenob.; so heisst es z. B. bei Martin: superbia non alium quempiam, sed ipsum per se Deum meretur habere contrarium und bei Cassian 1. 1. 1. XII, c. 7. Quantum est malum superbiae, ut non angelum, non alias virtutes sibi contrarias, sed ipsum Deum adversarium habere mereatur. Und weiter, Martin: Cetera enim vitia vel in eos ipsos, qui illa perpetraverint, retorquentur, vel in alios homines videntur admitti, und bei Cassian ibid.: Illa namque vitia vel in unumquemque delinquentium tantummodo retorquentur, vel in suos participes i. e. in alios homines videntur admitti.

2) S. Caspari, p. LXXXIX.

den Wunsch des Bischofs in ihrem ersten Theile erfüllt, sondern überhaupt ein Muster für die von dem Synodalbeschluss geforderte Predigt sein soll.

Nach einer Aufforderung zur Aufmerksamkeit an die Zuhörer gibt Martin zunächst eine Geschichte der Idolatrie, indem er mit dem Fall der Engel beginnt, der Verführung der Erzeltern durch Satans Neid sowie der Sündfluth gedenkt, und dann berichtet, wie nach der Wiederbevölkerung der Erde die Menschen von neuem Gott vergassen. Da fingen sie an Gottes Geschöpfe (creaturas) anzubeten, indem sie Sonne, Mond und Gestirne, Feuer und Wasser verehrten, als wären diese von sich selbst entstanden. Das benutzten nun der Teufel und seine Diener, die vom Himmel herabgeschleuderten Dämonen, um den Menschen in verschiedenen Gestalten zu erscheinen und sich selbst auf hohen Bergen und in Wäldern durch Opfer verehren zu lassen, indem sie sich den Namen von verbrecherischen Menschen früherer Zeiten beilegten, so von einem Magier Jupiter, dessen Weib und Schwester Juno und ihren Töchtern Minerva und Venus (c. 7). Nicht nur Thier-, sondern auch Menschenopfer liessen sie sich darbringen. Im Meer, in Flüssen, Quellen und Wäldern walten noch immer böse Geister, welche den Menschen, die sich nicht durch das Kreuzeszeichen zu schützen wissen, schaden und sie quälen, weil dieselben nicht aus ganzem Herzen an Christus glauben, sodass sie sogar nach den Namen der Dämonen die Wochentage nennen (c. 8). Hiergegen polemisirt dann der Autor ebenso wie gegen den Irrthum Unwissender und der Bauern, das Jahr mit den Calenden des Januar statt mit dem Aequinoctium zu beginnen (c. 10). Dabei bekämpft er zugleich die abergläubische Feier der Motten- und Mäusetage (dies tinearum et murium), an denen diesen Thieren Brod und Zeug ausgesetzt wurde, um sie für das ganze Jahr abzuspeisen, wie die Menschen auch selbst glaubten, dass wenn sie im Beginne des Jahres schwelgten, sie das ganze Jahr vollauf hätten (c. 11). Auch vor den Augurien, der Beobachtung der Stimmen der Vögel warnt hier der Redner. Die Dämonen sind es, von denen die Menschen sich betrügen lassen. Sie von deren Verehrung zu dem Kultus des wahren Gottes zurückzuführen, hat Gott seinen Sohn gesandt, der am Ende der Welt wiederkommen wird, um zu richten und die, welche nach der Taufe zum Götzendienst zurückkehren, zur Hölle zu verdammen.

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Martinus von Bracara, De correctione rusticorum.

Es folgt nun mit c. 15 ein zweiter, paränetischer Theil, worin der Redner die Zuhörer auffordert zu überlegen, wie sie den bei der Taufe mit Gott geschlossenen Bund gehalten haben. Und hier kommt er von neuem auf ihren Aberglauben zurück, die Verehrung der Felsen, Bäume und Quellen, das Anzünden von Kerzen auf den Kreuzwegen, die Augurien, die Feier heidnischer Feste1), die Beobachtung gewisser Tage bei der Hochzeit (des Freitags) wie bei Reisen, das Bezaubern von Kräutern u. a.2), während sie das Zeichen des Kreuzes ausser Acht lassen.3) Ebenso gedenken sie nicht des Symbolum und des Gebets des Herrn und halten sich an teuflische Zaubersprüche und Lieder. Die Predigt ermahnt dann zur Besserung, denn der wahrhaft Reuige dürfe die Verzeihung Gottes erhoffen. Den Schluss bildet endlich die Aufforderung zu einer rechten Sonntagsfeier.

Diese Volkspredigt ist in einem einfachen klaren Stile geschrieben, wie denn der Verfasser im Eingang sagt, dass er den Bauern durch bäuerlichen Ausdruck die Speise würzen wolle.1) Von welchem grossen geschichtlichen Interesse sie ist (so allein schon in Betreff der Romanisirung des suevischen Landvolks), wird ihre Inhaltsangabe gezeigt haben.

Von den übrigen Werken Martins seien noch erwähnt eine aus dem Griechischen von ihm übersetzte Sammlung von Aussprüchen ägyptischer Väter (Aegyptorum patrum sententiae), während eine andre dergleichen, die Verba seniorum, wenigstens auf seine Anregung und wohl auch mit seinem Beistand von einem Paschasius übertragen ist3); ferner gehört ihm wahrschein

1) Vulcanalia et Kalendas observare, mensas ornare, lauros ponere, pedem observare, effundere [in foco] super truncum frugem et vinum, et panem in fontem mittere, quid est aliud nisi cultura diaboli ? c. 16.

2) Incantare herbas ad maleficia et invocare nomina daemonum incantando. 1. 1.

3) Dagegen achten sie auf signa diaboli, wozu auch das Niessen (sternutus) gehört.

4) Et cibum rusticis rustico sermone condire, was ja, wie auch die für jene Zeit treffliche Sprache zeigt, nicht mit lingua rustica identisch ist. 5) Mit Unrecht ist dagegen Martin eine andere Sammlung moralischer Sentenzen, die den Titel Liber de moribus führt, und in den Handschriften fälschlicher Weise dem Seneca zugeschrieben wird, seit dem 16. Jahrhundert beigelegt worden. S. Caspari, S. XXXII ff. Sie findet sich auch im Anhang der Ausgabe Seneca's von Haase, Vol. III, p. 462 ff.

lich auch ein kleiner Aufsatz De pascha, von kirchlich archäologischem Interesse, an, der von der Berechnung des Osterfestes handelt.1) Martin hat sich auch in Versen gelegentlich versucht: so hat er für den Eingang einer dem h. Martin geweihten Basilika eine Aufschrift in Hexametern, eine andre für ein Refectorium in Distichen, und ein ihm selbst gewidmetes Epitaphium verfasst. Es fand sich also auch in dem an der äussersten Grenze des Abendlandes gelegenen germanischen Reiche in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts noch eine literarische Thätigkeit und selbst eine solche, die an die Antike anknüpfend, nicht im unmittelbaren Dienste der Kirche war.

DREISSIGSTES KAPITEL.

WELTCHRONIK: MARIUS AVENTICENSIS. VICTOR TUNNUNENSIS.

IOANNES BICLARIENSIS.

Auch die von Eusebius-Hieronymus begonnene Weltchronik fand in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts erneute Bearbeitung und Fortsetzung. Wir nennen zuerst einen Landsmann Gregors, welcher die Chronik des Prosper Tiro von ihrem letzten Abschluss 455 ab bis 581 fortführte. Es ist MARIUS AVENTICENSIS. 2) Marius, von vornehmen Geschlecht, um das Jahr 530 in der Diöcese von Autun geboren, wurde 574 Bischof von Avenches, wonach er seinen Beinamen führt. Er verlegte von dort gegen Ende seines Lebens den Sitz seines Bisthums nach Lausanne, wo er 594 starb und begraben wurde. Er scheint nur nach schriftlichen Quellen3), wenn auch von der Mitte des

1) Ueber die Echtheit der Schrift s. Caspari, p. XLVII f. und Krusch in Sybels Histor. Zeitschr. Bd. 52, S. 129. Eine Epistola ad Bonifacium über die Taufe, die von kirchengeschichtlichem Interesse, liegt uns hier zu fern. 2) S. *Arndt, Bischof Marius von Aventicum. Sein Leben und seine Chronik. Nebst einem Anhang über die Consularreihe der Chronik. (Habilitationsschrift.) Leipzig 1875. Roncallius und Rösler, a. a. O. (oben S. 441, Anm. 1); und Monod (oben S. 566, Anm. 1). Vgl. auch Binding, a. a. O. S. 274 ff. und Gelpke's Artikel in der Real-Encyclop. f. prot. Theol. Bd. IX, p. 331 f.

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3) Ueber diese es sind namentlich Ravennater und gallische Annalen s. Arndt, S. 26 und Holder-Egger, Neues Archiv, Bd. I, S. 254 ff.

sechsten Jahrhunderts als zeitgenössischer Zeuge der Ereignisse, gearbeitet zu haben. Merkwürdig ist, wie für den burgundischen Autor das römische Reich noch immer dieselbe Bedeutung hat, als für seine Vorgänger Hieronymus und Prosper: aber es war nicht bloss das letzte Weltreich überhaupt, wie die Kirche lehrte, sondern der katholische Bischof blieb sich seiner romanischen Herkunft um so mehr bewusst, als selbst das germanische Volkselement Burgunds stark romanisirt war und die Beziehungen dieses Landes zu Italien immer rege blieben, wie beide ja auch später zu einem Reiche wieder verbunden wurden. Das römische Kaiserthum hatte überdem durch Justinian einen neuen ungeahnten Glanz erhalten. So rechnet Marius nicht bloss nach den Consuln, wie sein Vorgänger, und fügt gleich den Byzantinern seit 522 die Indictionen hinzu, sondern er notirt auch Thronbesteigung und Tod der Kaiser des Ostens mit einer grössern Sorgfalt als die der Könige der Franken. Marius betrachtet sich eben als Römer. So werden, ausser dem Heimathland, Italien und das byzantinische Reich am meisten berücksichtigt, selbst Stadtgeschichten von Constantinopel als der Hauptstadt erzählt. Uebrigens ist die Chronik, da viele Jahre ohne Hinzufügung von Nachrichten bleiben, ein kurzes Werkchen, das, ohne viel neues zu bieten, doch durch die Genauigkeit seiner Angaben auch materiell werthvoll ist. Dieselben beschränken sich aber fast nur auf die politische Geschichte.

Derselben Ansicht von der Fortdauer der römischen Weltherrschaft begegnen wir damals in der Weltchronik eines Afrikaners, des VICTOR TUNNUNENSIS), die uns aber nur in der Gestalt einer Fortsetzung des Prosper, und zwar vom Jahre 444 an, erhalten ist 2); sie erstreckt sich bis zum Jahre 566. Victor war Bischof der in der Proconsularprovinz Afrikas gelegenen Stadt, von der er den Beinamen hat 3); er nahm an den kirch

1) S. Roncallius und Rösler a. a. O., dieselben auch für den folgenden Chronisten; für Victor insbesondere aber noch Papencordt, a. a. O. S. 359 #.

2) Dass das Werk eine vollständige Weltchronik war, der Verfasser ab ovo anfing, hat Papencordt S. 360 ff. sicher erwiesen. Victor hat offenbar ebenso wie Prosper verfahren (s. oben S. 441), an den er in dem uns erhaltenen Theile sich zunächst auch anschliesst, indem seine Chronik von 444-445 wesentlich eine Bearbeitung der des Prosper ist.

3) Die Form des Namens der Stadt steht nicht fest: man hat Tunnunum oder Tunnuna angenommen, andere wollten gar Tunes in der Stadt wiederfinden.

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