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lich am Schluss, die Sehnsucht, wenn nicht schon selbst der Entschluss zu einer Gott geweihten, beschaulichen Zurückgezogenheit aus.

Die Fragen seiner Freunde zu beantworten, behandelt nun Cassiodor in diesem Büchlein erstens den lateinischen Ausdruck für,Seele', anima, welcher unter Berufung auf eine seltsame Etymologie nur dem Menschen zukommen soll'); zweitens gibt und begründet er die Definition der Seele, die nach ihm eine von Gott geschaffene geistige und eigenthümliche Substanz ist, welche ihren Körper belebt, vernünftig und unsterblich, aber zum Guten wie zum Bösen wendbar ist; drittens untersucht er ihre Qualität und findet, dass sie Licht (lumen) sei, weil sie nach dem Bilde Gottes geschaffen, im Hinblick auf 1. Timoth. c. 6, v. 16, und Evang. Joh. c. 1, v. 9. Im vierten Kapitel zeigt er, dass die Seele nicht eine Form hat, welche er freilich auf die räumliche Ausdehnung beschränkt; im fünften gedenkt er ihrer,moralischen', im sechsten ihrer ,natürlichen' Tugenden, indem er unter jenen zunächst die vier Cardinaltugenden versteht, die aber noch durch drei andere vervollständigt werden: die Contemplation, die Urtheilskraft (iudicialis) und das Gedächtniss 2); das siebente Kapitel behandelt den Ursprung der Seele (sie wird von Gott geschaffen), das achte ihren Sitz: er ist der Kopf, obgleich sie durch den ganzen Körper sich verbreitet; letzterer wird dann im folgenden Kapitel als,Tempel, der Seele in seiner zweckmässigen Schönheit betrachtet, eine Darstellung, die an Lactanz' De opificio dei erinnert. Das zehnte und elfte Kapitel haben einen ganz eigenthümlichen Inhalt, indem das erstere von der Erkennung der bösen, das andere von der der guten Menschen handelt. Die Zeichen und Indicien', woran die einen und die andern äusserlich zu erkennen sind, sollen hier angegeben werden. Cassiodor schickt die Bemerkung voraus, dass alle Seelen ohne den wahren Glauben durchaus hässlich sind, auch die der Philosophen, welche nicht dem Gesetze des Schöpfers, sondern vielmehr dem menschlichen Irrthum folgen; ebenso aber auch die der Gläubigen, welche mit Verbrechen sich beflecken. Dies sind also die Bösen. Ihr Ange

1) Anima quasi avalua id est a sanguine longe discreta; das Leben der Thiere nämlich beruhe im Blute.

c. 1.

2) 5 virtutes naturales: v. sensibilis, imperativa, principalis, vitalis, delectatio werden unterschieden.

sicht ist bei aller körperlichen Huld umwölkt, sie sind traurig mitten in der Freude, da bald darauf die Reue folgt, ihre Blicke unstät, umherschweifend, ängstlich, argwöhnisch, sie forschen besorgt nach dem Urtheile anderer, da sie das eigne verloren.

Die Frommen dagegen sind die Asketen, welche das Fleisch bekämpfen, die sich selbst gering achten und immer anklagen, sich missfallen, wenn sie allen gefallen. Sie sind, selbst noch im Körper, stärker als die bösen Engel, denen sie gebieten. Sie können sogar Wunder verrichten. Ihr Antlitz ist heiter und ruhig, abgemagert und mit Blässe geziert, bei beständigem Weinen freudig, ehrwürdig durch einen langen Bart, das reinste ohne Schmuck; ihre Blicke tugendhaft einnehmend, die Stimme massvoll und sanft, der Gang nicht zu langsam, nicht zu rasch. Diese Schilderung des Menschenideals, worin der Unterschied, ja Gegensatz zu dem Alterthum die völlige Wandlung der Zeiten so entschieden bekundet, ist auch im Hinblick auf die bildende Kunst des ältern Mittelalters beachtenswerth. Das letzte Kapitel endlich handelt von dem Zustand der Seelen nach dem Tode und vom ewigen Leben. Die Höllenstrafe wie die himmlische Seligkeit versucht hier der Verfasser mit beredten Worten zu schildern, indem er jedoch die letztere vornehmlich in die höchste Sicherheit nicht sundigen zu können setzt. Eine kurze Recapitulation des Inhalts der zwölf Kapitel endigt mit dem Lobe der Zwölfzahl. Hiernach fordert Cassiodor seine Freunde auf, sich Gott ganz zu opfern, indem wir ihn erkennen, ihn lieben, erkennen wir auch unsere Seelen erst wahrhaft'. Die durch Christus geadelte Demuth führt allein zu Gott hin; wie der Stolz der Ursprung der Verbrechen, so ist sie die Quelle der Tugenden. Den Beschluss dieses Buchs macht ein Gebet.

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Auch dieses Werk charakterisirt in seiner Ausführung die schriftstellerische Thätigkeit Cassiodors überhaupt. Wie es nicht aus eignem innern Antrieb, sondern zur Belehrung anderer auf deren dringliche Aufforderung entstanden und rasch hingeworfen ist, so enthält es weit weniger die Resultate eignen Nachdenkens, als einer mannichfaltigen Lecture 1); namentlich ist der

1) Dies wird im Eingang des 12. Kapitels offen ausgesprochen; es beginnt: Quaeratis forsitan, post hoc saeculum animae nostrae quid agant qualesque permaneant. Respondemus ut diversa lectione collegimus. Vgl. auch Ritter, Gesch. der Philos. Bd. 6. S. 601 ff.

EBERT, Literatur des Mittelalters I. 2. Auflage.

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directe Einfluss des Claudianus Mamertus, wie des Augustin nicht zu verkennen. Andererseits aber begegnen wir auch hier wieder wie dem Streben, so auch dem Talent des Praktikers, die Wissenschaft zu popularisiren, welches sich sowohl in der Uebersichtlichkeit der Composition, als auch in der allerdings oberflächlichen, aber oft ganz ansprechenden Leichtigkeit der Darstellung und der Einfachheit des Ausdrucks offenbart. So

hat denn auch diese Schrift Cassiodors auf das ältere Mittelalter mannichfach anregend eingewirkt.

VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL.

ARATOR.

Die zweite Epoche dieser Periode, die wir etwa vom fünften Decennium des sechsten Jahrhunderts an rechnen können, und in die also Cassiodors literarische Thätigkeit noch hinüberreichte, ist, wie schon angedeutet, bei ihrer viel längern Dauer weit ärmer an Werken und noch mehr an Autoren (da einige derselben wenigstens recht fruchtbare waren), als die erste Epoche. Zumal sind der Dichter nur wenige: an ihrer Spitze, der Zeit nach, steht ein Poet, der einmal wieder einen Theil der Bibel in Hexametern zu behandeln sich zur Aufgabe gestellt hatte. Es ist ARATOR'), der Verfasser der zwei Bücher De actibus apostolorum. Er stammte aus der Provinz Ligurien und war der Sohn eines angesehenen, durch Gelehrsamkeit und Beredsamkeit ausgezeichneten Mannes. Vornehmlich in Mailand erhielt er seine Schulbildung, indem er zugleich der Protection des dortigen Bischofs und des seiner Familie nahe befreundeten Ennodius 2) sich erfreute. Arator schlug dann die juristische Laufbahn ein, in welcher er durch seine Beredsamkeit als Anwalt sich sehr auszeichnete, namentlich auch durch

1) Aratoris De actibus apostolorum 1. II et epistulae III; ex codd. mss. recens. suasque et aliorum observationes adiecit H. J. Arntzen. Zütphen. 1769. (Prolegg.). Leimbach, Ueber den Dichter Arator. In: Theol. Studien

und Kritiken 1873.

2) Dass unser Dichter der Arator ist, an welchen einige Briefe des Ennodius gerichtet sind, ist nicht zu bezweifeln; vgl. auch S. 515, Anm. 2.

eine Rede, die er als Vertreter der Dalmatiner vor König Theoderich selbst hielt. Unter der Regierung von dessen Nachfolger Athalarich wurde er, noch jung, in den Staatsdienst gezogen, indem er zuerst comes domesticorum1), dann privatarum wurde. Nach dem Ausbruch des Krieges mit Byzanz aber, der das romanische Volkselement mit dem germanischen in dem ostgothischen Staat in offenen Conflict brachte, trat Arator unter dem Einflusse des Papstes Vigilius, wahrscheinlich während der Belagerung Roms durch Vitigis, in den geistlichen Stand ein, hier eine Zuflucht vor den Stürmen der Zeit suchend, und wurde Subdiaconus der römischen Kirche. Hatte er, wie er selbst uns mittheilt 2), schon seit seinen Knabenjahren in der Profanpoesie sich versucht, so trachtete er nunmehr nach dem geistlichen Lorbeer. Jetzt hat er die oben genannte Dichtung geschrieben. Er widmete sie dem Papst Vigilius, welcher sie ihn, auf den Wunsch aller Literaten und Gelehrten Roms, alsbald öffentlich in der Kirche Petri ad vincula im Jahre 544 recitiren hiess. Der Vortrag fand an vier Tagen statt, da an jedem nur ein mässiger Theil gelesen werden konnte wegen der fortwährenden Wiederholungen, die der Beifall des Publikums verlangte.3) In solcher Umwandlung hatten sich also noch die Versrecitationen des alten Rom erhalten: wie ja auch der Sinn für rhetorische Declamationen noch immer fortlebte. Ueber die spätern Schicksale und den Tod Arators ist uns keine Nachricht geblieben.

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Zwei Widmungen in Distichen gehen der Dichtung voraus, von welchen die eine an einen Abt Florianus ohne weiteres Interesse ist; desto mehr hat ein solches die andere, an den Papst Vigilius gerichtete. Der Autor gedenkt darin seines Uebertritts in den geistlichen Stand, so wie wir eben danach erzählten, und gibt uns über die Tendenz seiner Dichtung Aufschluss: er will nicht bloss, sagt er, der Geschichte folgend, die Handlungen, welche Lucas erzählte, in Versen singen, sondern auch was der Buchstabe darlegt, seinem mystischen Sinne nach erschliessen.

1) Dies Ernennungsdecret, dem wir die wichtigsten biographischen Notizen verdanken, ist uns in Cassiodors Variae VIII, ep. 12 erhalten. 2) Ep. ad Parthen. v. 49 ff. Hiermit stimmt überein, was Ennodius an Arator schreibt, Epp. 1. IX, 1.

3) Diese interessante Nachricht gibt eine protocollarisch genaue Note in den Handschriften.

Und auf letzteres ist in der That vorzugsweise sein Absehen gerichtet.) So schliesst sich denn Arator vielmehr an Sedulius, der ihm ja auch zeitlich weit näher steht, als an Iuvencus Nur ist die Neigung zu mystisch-allegorischer Erklärung, die bei Sedulius und auch schon bei Marius Victor, wie wir sahen, sich fand, bei unserm Dichter viel weiter entwickelt. Aber er hat sich auch sonst Sedulius zum Vorbild genommen. Auch seine Dichtung setzt nicht selten zu ihrem vollen Verständniss eine Kenntniss des biblischen Textes voraus, schon deshalb, weil manche Partien ganz übergangen sind, und zwar nicht nur Reden (wie die des Stephanus Act. Ap. c. 7), sondern auch Theile der Erzählung (z. B. Act. Ap. c. 8, v. 1—13), namentlich solche, welche die einzelnen Haupthandlungen mit einander verknüpfen; es kommt dem Dichter eben nur auf die letztern an, die gewöhnlich ohne alle Uebergänge, unverbunden hinter einander vorgeführt werden, wobei er indess durchaus den Gang des biblischen Textes einhält. Als Eingang gibt er, entsprechend den ersten 12 Versen der Apostelgeschichte, einen kurzen Bericht von dem Tod, der Höllenfahrt, der Erscheinung und der Himmelfahrt Christi, um dann auch, wie dort, auf die Wahl des Matthias überzugehen. Im ersten Buch, das 1076 Hexameter zählt, folgt er seiner Vorlage bis zur Errettung des Petrus aus dem Gefängniss durch den Engel (cap. 12), während das zweite Buch, 1250 Hexameter, die übrigen Kapitel bis zum Schlusse behandelt. Diese Eintheilung ist mit Ueberlegung gemacht, da in jenem Abschnitt der Apostelgeschichte ebenso sehr Petrus, als in diesem Paulus der Hauptheld ist. Was die Darstellung angeht, so tritt hinter der Betrachtung 2) und mystischen Deutelei des Textes die Erzählung in der Regel zurück, die frei ausgeführt, oft so kurz gefasst ist, dass auch ihr Verständniss eine Kenntniss des Bibeltextes voraussetzt; mitunter selbst wird diese direct gefordert, da die biblische Erzählung vom Dichter gar nicht reproducirt, sondern nur angedeutet wird, wie bei der Steinigung des Stephanus (I, v. 586 ff.) und der Bekehrung des Paulus (I, v. 708 ff.), also den wich

1) Leimbach hat die erwähnte Stelle der Widmung bei Beurtheilung der Dichtung gar nicht berücksichtigt.

2) Die auch moralischer Natur ist, wie z. B. der Excurs über die verderbliche Liebe zum Gold, der sich an die Geschichte des Ananias knüpft I, v. 422 ff.

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