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lichem Interesse. Er ist an seine Schwiegereltern von ihm gerichtet, zugleich im Namen seiner Frau und seiner kleinen Tochter, von welchen die erstere auch redend eingeführt wird. Salvianus hatte sich, so erfahren wir daraus, in jüngern Jahren verheirathet, und zwar mit der Tochter eines Heiden- dass er das weltliche Leben aus eigener Erfahrung kannte, zeigt auch sein Buch De gubernatione zur Gentge, aber er hatte sich später zugleich mit seinem Weibe zu einem asketischen Leben verpflichtet, wie einst Paulin und seine Therasia: und das ist gerade der Anlass zu diesem Schreiben. Die Eltern der Frau zürnten ihnen deshalb nämlich und hatten sieben Jahre nichts von sich hören lassen, obgleich sie unterdessen selbst zum Christenthum übergetreten waren; aber es mochte ihnen allerdings noch das Verständniss für eine solche Ehe der Enthaltsamkeit abgehen. Das Schreiben soll nun die Eltern versöhnen und ihre Verzeihung erbitten, so wenig die Schreiber sich auch einer Schuld anklagen könnten. In dem rührendsten und von Seiten der Frau zugleich zärtlichsten Ausdruck verfasst, und dabei in einem einfachen und reinen Stile geschrieben, ist es ein ausgezeichnetes Denkmal christlicher Beredsamkeit, welches von neuem ein Zeugniss von der für jene Zeit nicht geringen formalen Bildung und Begabung Salvians ablegt.1)

1) Gennadius 1. 1. erwähnt noch von Werken Salvians, die er gelesen: ,De virginitatis bono ad Marcellum presbyterum libri III', eine Erklärung des letzten Theils des Prediger Salomonis, Homilien, und in Versen ein Hexaëmeron (in morem Graecorum a principio Genesis usque ad condicionem hominis composuit versu hexaëmeron librum unum). Ausserdem fügt er noch der Erwähnung der ,5 libri De praesenti iudicio' hinzu: et pro eorum (sic) merito satisfactionis nach anderer Lesart praemio satisfaciendo

ad Salonium episcopum librum unum. Statt,pro eorum' ist Hauck, a. a. O. S. 318, meint, ob nicht etwa

wohl,peccatorum' zu lesen?

zu lesen: pro eorum (sc. librorum) titulo satisfactionis und dann die Ep. IX hier zu verstehen sei? Um eine Entscheidung zu treffen, wäre zunächst eine kritische Ausgabe des Gennadius erforderlich.

ACHTZEHNTES KAPITEL.

VINCENTIUS VON LERINUM.

Wie diese aus dem klassischen Alterthum überlieferte formale Bildung gerade in Gallien, und namentlich im südlichen, zu Anfang dieser Periode noch eine Heimath hatte, bezeugt auch ein anderer Autor mit einer der wichtigsten populärtheologischen Schriften, die, obgleich aus speciellen Verhältnissen ihrer Zeit entsprungen, doch eine weithin tragende Bedeutung hatte, sodass sie selbst in der Gegenwart noch angezogen wird. Es ist das Commonitorium des Presbyter VINCENTIUS LERINENSIS1), so genannt, weil er dem Kloster Lerinum angehörte, wo er auch dieses Werk 434 schrieb. Auch er gab dasselbe pseudonym, und zwar unter dem Namen Peregrinus heraus. Es ist diese Denkschrift zunächst, so stellt es der Verfasser im Eingang dar, für seinen eigenen Gebrauch geschrieben worden, um der Schwäche seines Gedächtnisses zu Hülfe zu kommen: er wollte, um sich gegen die Hinterlist neuer Ketzereien zu schützen, die Aussprüche der,heiligen Väter' sich aufzeichnen 2), zumal die klösterliche Musse, deren er sich nach einem stürmischen Weltleben jetzt erfreute, zu solcher Beschäftigung ihn einlud. Er wollte seine Aufzeichnungen tagtäglich durchgehen, verbessern und ergänzen: was er zur Entschuldigung für den Fall gesagt haben will, dass die Schrift zufällig etwa in andere, fromme Hände käme. Diese ganze Einleitung, die der Schrift einen so harmlosen Anstrich gibt, worauf man wenig geachtet zu haben scheint, beweist für ihren actuellen polemischen Charakter, und macht die Annahme, dass sie im Interesse des Semipelagianismus gegen den Augustinismus gerichtet ist, zur Gewissheit, wie auch ihre pseudonyme Herausgabe über allen Zweifel dies erhebt. Die Schrift erscheint auch als eine ganz

1) S. oben S. 459, Anm. 2, und Vincentii Lerinensis commonitor. ed. et notis illustr. E. Klüpfel. Wien 1809.

2) Er hielt es für keinen geringen Vortheil: ,si ea quae fideliter a sanctis patribus accepi, litteris comprehendam, infirmitati certe propriae pernecessaria, quippe cum adsit in promptu unde imbecillitas memoriae meae adsidua lectione reparetur. c. 1. Vgl. damit den Schluss dieses Kapitels und den des Kapitels 29.

andere, als man nach jener Ankündigung erwartet.) Vincenz gibt nämlich eine methodisch entwickelte Anweisung über die Kriterien des wahren katholischen Glaubens, um diesen von dem falschen ketzerischen unterscheiden zu können. Die Norm der Bibel, sagt er, genügt dafür nicht, weil letztere verschiedener Auslegung unterworfen ist, die Häretiker selbst sich auf die Bibel beriefen; zu ihrer richtigen Interpretation eben bedarf es noch der Norm der Tradition der katholischen Kirche. Als wahrhaft katholische Ueberlieferung aber ist nur das zu betrachten, was überall, immer, und von allen geglaubt worden ist. Universitas, antiquitas, consensio sind die Merkmale der katholischen Tradition. Der Verfasser zeigt dann, wobei er verschiedener Häresien gedenkt, wie nach dieser Anweisung im einzelnen Falle zu verfahren sei, er vertheidigt seine Sätze gegen verschiedene Einwürfe, und begründet sie durch Aussprüche der Bibel. Dies bildet den Inhalt des ersten Buchs.

In einem zweiten erwies er dann das Verfahren an einem concreten Beispiel der jüngsten Vergangenheit, der Verurtheilung des Nestorius durch die ,vor fast drei Jahren gehaltene' 2) ökumenische Synode von Ephesus; diese Verurtheilung erfolgte nämlich auf Grund von Aussprüchen von zehn angesehenen Kirchenvätern des Morgen- und Abendlandes, welche wie Erklärungen von Richtern oder Zeugen aus ihren Schriften recitirt wurden. Das zweite Buch wurde aber, nach Gennadius, zum grössten Theil dem Verfasser gestohlen, und wie es scheint gerade diese Aussprüche und andere von ihm gesammelte Actenstücke der Synode; nur der Schluss, der von dem Inhalt der ganzen Schrift eine Recapitulation gibt, blieb erhalten, und die

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1) Denn die von Vincenz für sein Gedächtniss aufgezeichneten Aussprüche der Väter finden sich gar nicht was man merkwürdiger Weise bislang gar nicht beachtet zu haben scheint; denn wir können darunter doch nicht die auf der Synode von Ephesus citirten verstehen, da sie Vincenz nicht selber ausgezogen, und ebenso wenig die paar Stellen, die für die Bedeutung der Tradition aus den Werken der Väter angeführt werden. Ich möchte gern annehmen, dass jene von Vincenz aufgestellte Sammlung von Aussprüchen der Väter in der gestohlenen Partie des zweiten Buchs gewesen sei, wenn nicht in der Recapitulation ganz darüber geschwiegen würde. Man muss also denken, Vincenz habe sie bei der Publication des Buchs schliesslich weggelassen.

2) c. 29. Danach lässt sich die Abfassungszeit der Schrift genau bestimmen.

letztere scheint mir, was das zweite Buch anlangt, nach dem Diebstahl von Vincenz selbst noch erweitert worden zu sein.1)

Die Schrift zeichnet sich übrigens durch einen einfachen 2), klaren und verhältnissmässig correcten Ausdruck, weniger durch eine sorgfältige Disposition aus.

NEUNZEHNTES KAPITEL.

KANZELBEREDSAMKEIT. PAPST LEO. CAESARIUS.

Die Kanzelberedsamkeit dieser Epoche findet ihre bedeutendste Vertretung in einer reichen Sammlung von Predigten des Papstes LEO 3), der seiner ungemein einflussreichen Wirksamkeit den Beinamen des Grossen verdankt. Er hat in Wahrheit das Papstthum erst fest begründet. Leo nahm den römischen Bischofsstuhl vom Jahre 440-461 ein. In diesen Zeitraum fallen seine uns erhaltenen 4) Sermones, da er als Papst sie gehalten. Es sind der echten gegen 100, von welchen eine Anzahl als Collecten- und Fastenpredigten, andere an den Festen der Geburt, der Erscheinung und der Passion, ein paar auch Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten, einige an dem Tage der

1) So erklärt sich auch meines Erachtens vollständig die Art, wie sich Gennadius c. 64 ausdrückt, wenn er sagt: Cuius operis quia secundi libri maximam in schedulis partem a quibusdam furatam perdidit, recapitulato eius paucis sermonibus sensu pristino, compegit et uno in libro edidit. Auf eine nachträgliche Erweiterung der Recapitulation weist aber die Darstellung in einzelnen Zügen nach meinem Gefühl mit Sicherheit hin. Daher ist denn auch die Recapitulation des Inhalts des zweiten Buchs viel länger und ausführlicher als die des ersten.

2) Seine Absicht ging auch auf einen facilis communisque sermo, nicht einen ornatus et exactus, wie er c. 1 sagt.

3) S. Leonis M. opera, post Pasch. Quesnelli recensionem ad complures et praestantiss. mss. codd. ab illo consultos exacta, emend. et ineditis aucta etc. curant. Petro et Hieronymo fratribus Balleriniis. 3 Tom. Venedig 1753 ff. fol. (Praeff.) Vgl. oben S. 450, Anm. 1. der Grosse und seine Zeit. Mainz 1835.

Arendt, Leo

4) Es ist uns nur ein Theil geblieben. Man sollte denken, dies sei im Hinblick auf die erhaltenen, sowie auf die Art ihrer Ueberlieferung, selbstverständlich, doch da selbst Arendt, S. 418, es nicht annimmt, sei es ausdrücklich bemerkt.

Ordination Leo's, sowie eine an dem Geburts-, d. h. Todestag der Apostel Petrus und Paulus, gehalten sind. Frei von Weitläufigkeit, zum Theil sogar auffallend kurz, zeichnen sie sich durch Klarheit der Disposition sowie durch einen im allgemeinen einfachen'), leicht verständlichen und dabei doch keineswegs trivialen, zugleich für jene Zeit merkwürdig reinen Ausdruck aus; aber weder der Gedankenreichthum und die oft fesselnde Dialektik Augustins, noch der oratorische Schwung und Glanz der Sermonen des Ambrosius ist in ihnen zu finden. Nur in der zuletzt genannten Predigt (sermo 82) erhebt sich der Redner höher, als sonst, in dem Bewusstsein von der Macht und Grösse des neuen, päpstlichen Rom, die er selbst erst wahrhaft gegründet, indem er diese priesterliche und königliche Stadt, welche, durch den heiligen Sitz des seligen Petrus das Haupt des Erdkreises geworden, durch die göttliche Religion weiter, als durch die irdische Herrschaft regiert', mit der antiken Roma vergleicht. Von dieser hierarchischen Inspiration sind auch die auf seinen Ordinationstag gehaltenen Predigten Leo's durchdrungen, die eben deshalb von historischer Bedeutung sind: auch sie feiern Petrus' Primat. Im übrigen sind die Predigten Leo's keineswegs eine bloss raisonnirende Analyse des Textes des Evangeliums, gleich den alten Sermonen, wie auch die allegorische Interpretationsweise derselben selten in ihnen sich findet, vielmehr haben sie stets sowohl einen dogmatischen als moralischen Inhalt auf Grund der besondern gottesdienstlichen Feier, die sie veranlasst. Sie wollen die christliche Wahrheit lehren und sie zugleich zur sittlichen Besserung verwerthen. Tragen sie auch nicht das Gepräge des Genius, so zeigt sich desto mehr Talent in ihnen, und so konnten sie wohl als Muster für die Folgezeit dienen, die sie auch, und nicht mit Unrecht, in hohen Ehren hielt.

Auch 173 Episteln besitzen wir unter Leo's Namen, die auch aus der Zeit seines Episcopats sind. Sie sind durchaus

1) Dass es Leo an rednerischer Kunst fehlte, soll damit aber keineswegs gesagt sein, im Gegentheil ist die Darstellung offenbar eine Frucht derselben; ja es findet sich auch wohl rhetorische Künstelei, aber bei weitem nicht in dem Grade als bei andern, selbst den christlichen Rednern jener Epoche, und als Leo von neuern Gelehrten, namentlich Dupin, vorgeworfen ist, der die erlaubten Kunstmittel mit den unerlaubten in seinem Tadel zusammenwirft.

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