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Paris, der andere1) die, Kirche', d. h. hier den Gottesdienst zum Thema hat. In dem letztern wird eine Predigt gegeben, worin die Sendung Christi, seine Passion, Höllenfahrt, Auferstehung, Himmelfahrt kurz erzählt, und auf seine Wiederkehr zum jüngsten Gericht hingewiesen wird; zum Schluss wird der Genuss des Abendmahls geschildert.2) Ein rhetorisches Pendant zu diesen Centonen bilden in gewisser Weise die Variationen über ein Virgilisches Thema, wie wir ein solches Gedicht von einem Freunde des Luxorius, dem Grammatiker Coronatus, in demselben Codex erhalten haben.3) Auch begegnen wir dort noch einigen ihrem Inhalt nach christlichen Epigrammen, worunter die des Grammatikers Calbulus, der auch wahrscheinlich ein Afrikaner, als Inschriften eines von ihm gestifteten Baptisteriums von allgemeinerem Interesse sind.4)

ZWÖLFTES KAPITEL.

ENNODIUS.

Als ein merkwürdiger Repräsentant des Vereins beider Richtungen der Literatur, der alt überlieferten heidnisch-profanen und der neu ersprossten christlichen, erscheint am Ende dieser Epoche ein Autor, der zugleich Rhetor und Bischof, Prosaiker und Poet war. Er schliesst sich an Sidonius an, nur dass das christliche Element in seiner literarischen Thätigkeit weit mehr vertreten ist. Es ist MAGNUS FELIX ENNODIUS 3),

1) Riese No. 16, Bährens No. 206, auch in den Poet. christ. min. 1. 1. p. 621 ff.

2) Angehängt ist ein Nachwort in sechs Versen, welches der Verfasser improvisirte, als er nach seiner Recitation des Cento mit dem Rufe,Maro iunior geehrt war.

3) Riese No. 223, Bährens Nr. 190. Ein anderes dieser Art ist Riese No. 255, Bährens No. 188.

4) Riese No. 378, Bährens No. 532. S. ausserdem Riese No. 91 ff., Bährens No. 279 ff. und Riese No. 379, Båhrens No. 533 (Verse auf das heilige Kreuz).

5) Magni Ennodii episcopi Ticinensis opera I. Sirmondus in ordinem digesta multisque locis aucta emendavit ac notis illustr. Paris 1611. *Magni Felicis Ennodii opera omnia rec. Hartel. Wien 1882 (Corpus script.

der auch wie jener aus dem südlichen Gallien, wahrscheinlich von Arles, stammte, und um 473 geboren war. Von vornehmer Familie, aber unvermögend, fand er nach dem frühen Tod der Eltern, in Oberitalien, wahrscheinlich in Pavia bei einer Tante, dann nach deren Tode in einem reichen und frommen Hause eine Zuflucht, wo er in der Tochter eine Frau gewann, und so allen Sorgen entrissen wurde. Hier trat er, der eine rein heidnische Bildung erhalten und eine grosse Gelehrsamkeit sich erworben hatte, auch zuerst dem Christenthum näher, wenn dasselbe ihn auch noch nicht tief ergriff, denn er lebte nicht christlich, wie er selbst sich in seinen Bekenntnissen anklagt. Durch Schicksale genöthigt, trat er zu Pavia in den Priesterstand: aber erst eine schwere Krankheit, die ihn dem Tode nahe brachte, rief eine innere Umwandlung in ihm hervor. Er gelobte damals sogar, der Profanliteratur ganz entsagen zu wollen. Als er genesen wie er glaubt, durch die Fürsprache des heil. Victor - schrieb er, Gott dafür zu preisen, die Beichte über sein früheres Leben1) nieder, welcher wir diese Angaben verdanken. Augustins Confessionen hat er in ihr, so kurz und skizzenhaft sie auch gegen diese ist, offenbar sich zum Vorbild genommen. Von dem übrigen Leben des Ennodius haben wir keine so zusammenhängende Nachricht. Nachdem er dem geistlichen Stande mit Eifer sich gewidmet, stieg er, der Diakon geworden 2), gewiss wesentlich in Folge seiner von den Zeitgenossen bewunderten rhetorischen Bildung, welche er und an

eccl. Vol. VI.) *M. Fel. Ennodi opera rec. Vogel. Berlin 1885. (Monum. German. hist. Auct. antiquiss. Tom. VII.) (Prolegg.) Fertig, Magnus Felix Ennodius und seine Zeit. Passau 1855. 4o. (2 Abhandlungen). Magani, Ennodio. 3 Voll. Pavia 1886.

1) Von Sirmond,Eucharisticum de vita sua' betitelt.

2) Ob in Pavia oder in Mailand, wo er jedenfalls längere Zeit sich aufhielt? In dem Streit über diese Frage, in welcher Vogel (Prolegg. p. X) die letztere, Magani (a. a. O. Bd. I, S. 252) die erstere Meinung vertritt, ist, soviel ich sehe, die von mir schon in der ersten Auflage S. 415, Anm. 2 (s. hier S. 435, Anm. 2) hervorgehobene Stelle der Hymne auf Ambrosius gar nicht berücksichtigt worden. Die Frage harrt um so mehr noch der Entscheidung, als beide genannte Autoren zu wenig unbefangen ihr gegenübertraten, da sie in zu naher Beziehung zu andern wichtigern Fragen steht, in welchen sie ganz entgegengesetzter Ansicht sind. Die Entscheidung derselben gehört aber vor das Forum der Kirchengeschichte, dem ich sie überlassen muss.

EBERT, Literatur des Mittelalters I. 2. Auflage.

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dere praktisch sehr wohl zu verwerthen wussten, bis zur Stufe eines Bischofs, und zwar von Pavia, empor (511). Ein Zeugniss für sein Ansehen in der Kirche ist, dass er von dem Papst Hormisdas zweimal als Gesandter an den Kaiser Anastasius nach Constantinopel geschickt wurde, um eine Aussöhnung mit der morgenländischen Kirche zu erzielen, freilich resultatlos. Er starb 521.

Ennodius erzählt uns selbst in der autobiographischen Skizze, wie er in seiner Jugend sich ganz der Poesie, d. h., auch nach seiner eignen Ausdrucksweise'), der Versfabrication hingab, und sich darauf wunderbar viel einbildete: die Form war dabei alles. Indessen hat sich verhältnissmässig wenig von seinen Versen erhalten, und das meiste wenigstens aus späterer Zeit. Es sind zwei Bücher Carmina, von denen das zweite nur Epigrammeumfasst. Das erste enthält neun Gedichte, meist reine Gelegenheitspoesien, so ein Hochzeitsgedicht, ein für den Grammatiker Deuterius verfasstes Carmen in Distichen, worin dieser einen Quästor um einen Garten bittet, also ein versificirter Bettelbrief; ein Empfehlungsschreiben, mehrere panegyrische Gedichte (mit Vorreden in Prosa), wovon eins einen Dichter, ein anderes einen Redner preist, ein drittes zur Feier des dreissigjährigen Jubiläums des Priesterthums des Bischofs Epiphanius von Pavia verfasst ist, endlich auch ein paar beschreibende. Die letzten sind stofflich noch am interessantesten. Das eine, in Distichen, schildert eine Reise nach Bregantio in den Cottischen Alpen, die Ennodius im Auftrag seines Bischofs unternahm, und wobei er die Sommerhitze der Ebene und die Winterkälte des Gebirges zugleich zu ertragen hatte, das andere, in Hexametern, eine Fahrt auf dem übergetretenen Po, der weitaus das Land überschwemmte. Nur eins der Gedichte hat durch seinen Gegenstand einen specifisch geistlichen Charakter, es ist ein Glückwunsch, zur Feier des dreissigsten Jahrestags der Priesterweihe des Bischofs Epiphanius verfasst, also ein geistlicher Panegyricus. Alle diese Gedichte, im Ausdruck bald schwülstig, bald

1)

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poëtarum me gregi

indideram, delectabant carmina quadratis fabricata particulis, et ordinata pedum varietate solidata. Die Mannichfaltigkeit der Metren galt für den Hauptschmuck, so besteht denn auch das Epithalamium des Ennodius aus Distichen, Hexametern und sapphischen Strophen, woran sich noch zwölf adonische Verse schliessen.

trivial, oder auch beides zugleich1), sind ohne jede wahre Inspiration der Phantasie oder des Gemüths geschrieben. Bemerkenswerth ist, dass die antike Mythologie, wo sie in ihnen. erscheint, schon so zur blossen poetischen Formel oder Kunstmittel geworden ist, dass selbst in dem zuletzt genannten prie⚫sterlichen Glückwunsch Orpheus citirt wird, und in dem Hochzeitsgedicht unser Verfasser, der schon Diakon war und sich der Askese geweiht hatte, sich nicht scheut, die Venus nackt vorzuführen, und Amor gegen die Jungfräulichkeit, die ihre Herrschaft immer bedrohlicher erweitere, polemisiren zu lassen.

Auch in den 151 Epigrammen, die das zweite Buch bilden, begegnen wir einer seltsamen Mischung von Geistlichem und Profanem. So finden sich da nicht wenige christliche Epitaphien in welchen auch einmal der Parcen gedacht wird (ep. 2) - Gedichte auf kirchliche Bauten, Basiliken und Baptisterien, auf Bischöfe und Heilige, aber andererseits auch schmutzige Satiren im Geiste Martials gegen Eunuchen und Schandbuben (De adultero et molle, ep. 51 ff.) und wollüstige alte Weiber, oder auch ein Halbdutzend auf die Liebe der Pasiphaë (ep. 25, 29 ff., 103), zu welchen eine Abbildung auf einer Trinkschale den Anlass gab. Und solcher Profanpoesie gegenüber noch zwölf Hymnen!2) Auch in ihnen glüht kein Funke wahren dichterischen Feuers; so schwülstig die Carmina, so trocken sind oft diese Hymnen: wo der Rhetor die gemachten Blumen verschmähte, kommt die dürre Prosa im Ausdruck zu Tage. Einige davon schliessen sich noch an die Hymnendichtung des Ambrosius an, wie denn auch fast alle in iambischen

1) So heisst es im Eingang des Itinerarium Padi:

Umor Castalius veniat, quo Thracius Orpheus
Naufraga diffuso succendit pectora fluxu.

2) Sie finden sich nur in der ältesten Handschrift seiner Werke. Für die Autorschaft des Ennodius spricht aber nicht bloss der von Sirmond, und mit Recht, angeführte Grund: stylo et genio auctorem satis produnt Ennodium, sondern auch, dass auf eine Abfassung solcher Gedichte Ennodius selbst am Schlusse des Carm. VI hinweist (Cantem quae solitus, dum plebem pasceret ore, Ambrosius vates carmina pulchra loqui), und wenn Ennodius dem Mailändischen Klerus angehörte v. 24 des Hymnus auf Ambrosius (Carm. XV): Sedis memento, lux, tuae. Kirchenlieder scheinen aber diese Hymnen nicht geworden zu sein, wie auch Daniel (1. 1. I, p. 150, Anm.) sie in keinem Breviarium fand. Eine derselben ist in sapphischer Strophe, die andern alle im iambischen Dimeter.

Dimetern verfasst sind, nur dass die Verse oft nicht zu Strophen sich verbinden; eine ganze Anzahl aber sind Märtyrern und Heiligen gewidmet: dem Cyprian, Stephan, Ambrosius, Nazarius, Martin und Dionysius (der unter Constantius lebte), der Jungfrau und der heil. Euphemia.

Der Schwerpunkt der literarischen Production des Ennodius liegt aber in der Prosa, wie er denn selbst die Beredsamkeit offenbar über die Poesie stellte, und sich ihr, auch wenn er sie nicht gelehrt, gewidmet hatte. Wir besitzen denn auch von ihm noch eine ganze Reihe Dictiones, theils Werke der überlieferten Schulberedsamkeit, theils der geistlichen. Die erstern machen eine Lehrthätigkeit des Ennodius als Rhetor sehr wahrscheinlich: namentlich die zehn controversiae und die fünf ethicae oder suasoriae, die so ganz in der alten traditionellen Form gehalten sind, dass nicht nur die Themata dort aus der heidnischen Vergangenheit Roms und hier aus der Mythologie entlehnt sind1), sondern auch die Götter selbst noch vom Redner angerufen werden. Dazu kommen noch Schulreden in einem andern Sinne, bei der Einführung von Verwandten in die Schule eines Grammatikers, bei der Verlegung eines Auditorium in Rom u. s. w. Gegenüber diesen heidnisch-profanen Leistungen des Rhetors stehen die geistlichen Gelegenheitssermone des Priesters, von denen einzelne auch, wie die Dictio incipientis episcopi, blosse Musterstücke sind: hier sehen wir also den profanen Rhetor in einen Lehrer geistlicher Beredsamkeit umgewandelt. Diese an die Urkunden- und Briefformulare erinnernden Producte mögen in den nächsten Jahrhunderten wissenschaftlicher Finsterniss manchem gute Dienste geleistet haben, zumal sie sich durch ihre Kürze empfahlen. Alle diese Dictiones zeichnen sich durch Einfachheit der Periodisirung aus, nur führt die Kürze mitunter zur Unklarheit; diese wird für uns, nicht für jene Zeit, dadurch nicht selten vermehrt, dass die Wahl des Ausdrucks sich schon so weit von der klassischen und selbst der silbernen Latinität entfernt. Wichtiger, und namentlich von historischer Bedeutung,

1) So findet sich unter den controvers.: In eum qui praemii nomine Vestalis virginis nuptias postulavit; auch eine In tyrannum, ein früher so beliebtes Thema, fehlt nicht; die ethicae zeigen solche Themata wie: Verba Menelai cum Troiam videret exustam oder Verba Iunonis cum Antaeum videret parem viribus Herculis extitisse.

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