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sich auch, dass der Inhalt der Tristicha mitunter so ganz unbedeutend ist, oder auch zum vollen Verständniss einer Erklärung bedarf, die nur die betreffende Stelle der Bibel liefert: da ergänzte das Bild.

ZEHNTES KAPITEL.

MEROBAUDES. APOLLINARIS SIDONIUS.

Neben den rein christlichen Dichtungen, die aus dieser Epoche uns erhalten sind, besitzen wir noch eine Anzahl solcher, deren Verfasser zwar Christen waren, obgleich zum grössten Theil nur dem Namen nach, die selbst aber gar nicht, oder kaum von einem christlichen Geiste beseelt sind, vielmehr in Genius und Form die heidnische Dichtung fortsetzen, wie wir dies auch schon von einem Theil der Dichtungen des Dracontius bemerkten. Dieser Fortsetzung der heidnischen Dichtung ist hier zu gedenken, insofern sie manche Beziehung und Einwirkung auf die rein christliche der Zeitgenossen hatte, oder zum Theil selbst als eine solche von dem Mittelalter betrachtet, auch auf die Folgezeit von Einfluss war. Sie ist aber vornehmlich Gelegenheitsdichtung, und in dem ordinären Sinne des Worts, d. h. im Dienste äusserer Zwecke. Hierher gehört vor allem der Panegyricus, ein Staats- und Hofgedicht zur Verherrlichung der Mächtigen, vornehmlich des Kaisers, womit man weniger um Lob, als um reellen Lohn, namentlich Befriedigung des Ehrgeizes durch äussere Auszeichnungen, Aemter und Würden, warb; dies Gedicht vertrat zum Theil, indem es die Thaten der Gegenwart preisend erzählte, in dieser aus der Hand in den Mund lebenden Zeit, welche von der Vergangenheit eine immer mehr sich erweiternde Kluft trennte, selbst das heroische Epos. Claudian war jener Zeit für diese Dichtungsart das unerreichte Vorbild.

An der Spitze dieser Dichter steht in unserer Epoche der Spanier FLAVIUS MEROBAUDES1) nach den von ihm durch Niebuhr entdeckten poetischen Fragmenten. Durch seine Kriegs

1) Fl. Merobaudis carminum panegyricique reliquiae ex membranis Sangallensibus editae a B. G. Niebuhrio. 2. Ausg. Bonn 1824. (Prolegg.) EBERT, Literatur des Mittelalters L. 2. Auflage.

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thaten, wie durch seine Beredsamkeit zeichnete sich dieser Rhetor, denn er war es von Beruf1), so aus, dass ihm zu Ehren 435 in Rom eine Statue gesetzt wurde. Er verfasste unter andern 2) einen Panegyricus auf das dritte Consulat des Aëtius, welches in das Jahr 446 fiel; und von diesem sind uns ausser Bruchstücken der prosaischen Vorrede noch 197 Hexameter, freilich manche nur fragmentarisch, erhalten. Merobaudes zeigt sich darin als einen glücklichen Nacheiferer des Claudian, nur dass ihm die hellenische Grazie desselben fehlt, an deren Stelle ein etwas aufgeblähtes Virgilisches Pathos tritt. Aber eine für jene Zeit seltene Eleganz des Ausdrucks und Verses zeichnet diese Dichtung wie auch die Fragmente von vier andern Gelegenheitsgedichten desselben Autors aus, von denen drei auch panegyristischer Natur waren: zwei in Distichen preisen Valentinian III. und seine Familie, eins in Hendecasyllaben (von welchem mehr erhalten) feiert den zweiten Geburtstag eines Sohnes des Aëtius, um den Eltern desselben die schönsten Schmeicheleien zu sagen. Das vierte, wovon wir nur wenige Zeilen (Distichen) besitzen, ist der Ueberschrift und dem Inhalt des Erhaltenen nach auf den Park eines vornehmen Mannes verfasst, vielleicht ein epigrammatisches Gedicht. Diese Gedichte, zumal der Panegyricus, athmen eine durchaus antike Gesinnung, wie denn auch die Mythologie ihre alte poetische Rolle hier fortspielt: in dem Geburtstagscarmen wird zwar der Taufe gedacht eine Anspielung darauf findet sich auch in dem ersten, dem Valentinian gewidmeten Gedichte, aber es geschieht in einer, sie heidnischen Vorstellungen assimilirenden Weise. Als Poet wenigstens war dieser Merobaudes Heide geblieben: daher scheint es mir auch zweifelhaft3), ob das Lobgedicht auf Christus Proles vera Dei (30 Hexam.) 1), welches eine Handschrift ihm, eine andere Claudian beilegen soll, sein Werk ist, wenngleich es in Reinheit des Ausdrucks und Verses seiner würdig; denn es durchdringt dies Gedicht eine christ

1) Wie er selbst in dem zweiten Fragment der Praefatio des Paneg. auf das Consulat des Aëtius sagt.

2) Dass er auch andere Panegyrici verfasst hat, zeigt die Inschrift der Statue: viro, tam facere laudanda quam aliorum facta laudare praecipuo. 3) Trotz der im Rhein. Museum, N. F., 28. Bd., gegebenen Beweisführung Jungmanns, der alle sichere Basis fehlt.

4) Riese 1. 1. II, p. 301, Nr. 878.

liche Empfindung, die sich nicht machen lässt, und es entbehrt im Stil ganz jenes Virgilischen Pathos.

Der Hauptvertreter aber dieser heidnisch-antiken, nun von Christen weiter gepflegten Richtung ist in diesem Zeitalter für uns GAIUS SOLLIUS APOLLINARIS SIDONIUS1), von dem auch eine grössere Zahl von Werken auf uns gekommen ist, während von einer ganzen Anzahl Dichter seines Kreises, die er zum Theil überschwenglich preist, fast gar nichts erhalten blieb. - Aus einem der vornehmsten Geschlechter Galliens stammend, wurde Sidonius um 430 in Lyon geboren. Seine Familie war schon längere Zeit eine christliche, da bereits sein Grossvater, Apollinaris, der Praefectus praetorio Galliarum war, die Taufe genommen. Dasselbe Amt bekleidete auch der Vater. Sidonius erhielt eine so vortreffliche Ausbildung, als sie nur jene Zeit gewähren konnte; denn noch immer zeichnete sich das südliche Gallien durch seine Grammatiker und Rhetoren aus. Diese Bildung aber war noch durchaus die überlieferte heidnisch-antike. Panegyristische Declamationen über beliebige Themata, namentlich auch aus der grossen Vergangenheit Roms (wie De laudibus G. I. Caesaris), philosophische Disputationen im Kreise von Freunden, Gedichte, die er schon von Kindheit an verfasste, waren die Frucht dieser Bildung und der dilettantische Zeitvertreib der vornehmen Jugend neben ritterlichen Uebungen und Spielen. Die Form war dabei alles: Schwierigkeiten zu überwinden, rhetorische, dialektische und metrische Kunststücke das preiswürdigste Ziel; äussere Auszeichnung, rauschender Beifall der erstrebte Lohn. Die antike Ruhmbegier, durch die Zeitverhältnisse auf den Boden der Gesellschaft in der Regel ein

1) Gai Sollii Apollinaris Sidonii epistulae et carmina, rec. Luetjohann. Accedunt Fausti aliorumque epistulae ad Ruricium aliosque Ruricii epistulae rec. Krusch. (Monum. German. hist. Auct. antiquiss. Tom. VIII.) Berlin 1887. (Praef. in Sidonium von Mommsen.) Germain, Essai littéraire et historique sur Apoll. Sidonius. Montpellier 1840. Fertig, C. S. A. Sidonius und seine Zeit, nach seinen Werken dargestellt. 3 Programme. Würzburg 1845-46. Passau 1848. 4o. G. Kaufmann, Die Werke des C. S. A. Sidonius als eine Quelle für die Geschichte seiner Zeit. (Dissert.) Göttingen 1864. Derselbe, C. S. A. Sidonius im Neuen Schweizerischen Museum, 5. Jahrg. Basel 1865. Büdinger, Apoll. Sidonius als Politiker. Eine universalhistor. Studie. Wien 1881. (Aus den Sitzungsber. der phil. hist. Cl. der Wiener Akad. d. Wissensch. Bd. 97.) Ampère, a. a. O. T. II, p. 216 ff.

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geschränkt, erfüllte noch ganz solches Leben, in dem auch das Christenthum nur eine Form war. Mit seiner Verskunst aber wusste sich Sidonius auch noch grössere Ehren und Vortheile, als das Lob seiner Freunde, zu erwerben. Ein Panegyricus auf seinen Schwiegervater Avitus, als dieser, Kaiser geworden, das Consulat 456 antrat, trug ihm die Auszeichnung einer Bildsäule auf dem Trajansforum inmitten der Statuen der berühmtesten Männer ein. Nach dem Sturze des Avitus noch in demselben Jahre, bekämpfte Sidonius mit einem grossen Theil des gallischen Adels seinen Nachfolger Majorian, um, als sie unterlagen, durch einen andern Panegyricus auf den Sieger (458) nicht bloss dessen Verzeihung, sondern selbst seine Gunst sich zu erwerben. Nach Majorians Untergang hielt sich Sidonius zu dem in Gallien mächtigen Westgothen Theoderich II. Als dieser aber 466 ermordet worden, und durch die Ernennung des Anthemius zum Kaiser im folgenden Jahre die Hoffnungen auf Rom wieder sich hoben, huldigte Sidonius, nach Rom entboten, dort dem neu aufgegangenen Gestirn, indem er den Anthemius zum Antritt des zweiten Consulats mit einem Panegyricus begrüsste (468). Zum Lohn dafür wurde er zum Stadtpräfecten ernannt. Ein paar Jahre später aber, nachdem er eine Zeitlang wieder auf seinen Gütern im Lande der Arverner gelebt, wurde er, der eine so hohe Stufe weltlicher Ehren erreicht hatte, ohne Frage der angesehenste Mann in der dortigen Gegend, ja weit darüber hinaus, zum Bischof der urbs Arverna, des heutigen Clermont-Ferrand, erwählt (um 470).1) Und er nahm, so sehr ihm auch die theologische Vorbildung fehlen musste wie die geistliche Gesinnung, diese Wahl an, die ihm ein neues Feld des Ehrgeizes eröffnete. Freilich hatte dies Episcopat damals auch keine geringe politische Bedeutung. Und diese wird auch hauptsächlich der Grund seiner Wahl gewesen sein. Eurich, Theoderichs Nachfolger, dehnte bereits seine Eroberungen nach allen Seiten aus, und bedrohte auch die Auvergne. Der Angriff liess nicht lange auf sich warten, aber die Hauptstadt des Landes widerstand mit seltenem Muth unter der Führung des tapfern Feldherrn Ecdicius und der ebenso kühnen und thätigen diplomatischen Leitung ihres Bischofs Sidonius ein paar Jahre. Endlich von Rom selbst aufgegeben, fiel die Stadt. Sido

1) S. Mommsen, Praef. p. XLVIII, der 469 oder 470 annimmt.

nius, seiner Güter zum Theil beraubt, wurde auf dem Schlosse Livia, unweit Carcasonne, gefangen gesetzt. Durch die Verwendung von Eurichs Rath Leo, der selbst ein Belletrist war, erlangte er indess bald seine Freiheit; und ein Loblied auf den Westgothenkönig, wie es scheint, verschaffte ihm später auch die Erlaubniss zur Rückkehr auf seinen Bischofssitz. Er starb in den achtziger Jahren des fünften Jahrhunderts1), nach Gregor von Tours 2) von seiner Gemeinde sehr beklagt.

Von des Sidonius poetischer Thätigkeit ist uns für jene Zeit nicht wenig erhalten, einmal jene drei oben erwähnten Panegyrici, die offenbar alsbald, nachdem sie gesprochen, einzeln3), dann im Verein mit ihren Praefationes und Propemptica (die ersten 8 Gedichte der Ausgaben) 4) publicirt waren; darauf ein Buch oder Büchlein (libellus) vermischter Gedichte (Nr. 9-24 der Ausgaben) 5) in den sechziger Jahren "); endlich über ein Dutzend in seiner Briefsammlung zerstreuter Gedichte, aus früherer wie aus späterer Zeit. So sieht man, bei weitem die meisten dieser Gedichte sind vor seinem Episcopat verfasst worden als er Bischof wurde, entsagte er, wie wir von ihm

:

1) Mommsen (1. 1. p. XLIX) meint 479. Wenn er bei dieser Annahme auf den Panegyricus auf Anthemius Bezug nimmt und denselben als des Sidonius letztes Gedicht betrachtet, so ist dagegen einzuwenden, dass Sidonius selbst erklärt, erst mit der Besteigung des Bischofsstuhls der Poesie (ab exordio religiosae professionis) entsagt zu haben; da er nun in 1. IX, ep. 12, wo er dies eben sagt, bemerkt, drei Olympiaden nicht gedichtet zu haben, so kommen wir auf das Jahr 482 ungefähr als Zeit der Abfassung des Briefes, und so könnte frühestens dies Jahr selbst als das seines Todes angenommen werden.

2) Hist. Franc. 1. II. c. 23. An der Glaubwürdigkeit der Erzählung von dem Ende des Sidonius ist kein Grund zu zweifeln; was dagegen die Intriguen von zwei Priestern seiner Gemeinde angeht, deren Gregor eben dort gedenkt, welche selbst zu seiner zeitweiligen Vertreibung vom Bischofsstuhl geführt hätten, so ist es schwer, den Kern der Wahrheit herauszufinden; ganz aus der Luft gegriffen kann diese Erzählung aber auch nicht sein.

3) Wenn sich dies nicht von selbst verstünde, so würde es die Praefatio und Widmung in Versen, die den einzelnen vorausgehen, beweisen. 4) S. Mommsen, Praef. p. L. 5) S. Mommsen 1. 1.

6) Darauf weist das Vorwort der Briefsammlung hin (1. I, ep. 1), die er nicht lange nach 470 herauszugeben begann. Dort gedenkt er der,edirten Verse', über welche trotz aller Angriffe einer neidischen Kritik das öffentliche Urtheil iam pridem sich so festgestellt habe, dass er sich mit diesem Ruhme habe begnügen können. Vgl. auch Kaufmanns Dissertation S. 3.

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