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bildung, der er alles Lob zollt, indem er zugleich beklagt, wie seitdem der wissenschaftliche Sinn gesunken. Mit der Ilias und Odyssee begann der grammatische Unterricht denn das Griechische war seine Muttersprache geworden, weniger wegen seines Geburtsortes, in dem er nur sehr kurze Zeit verweilt hatte, als weil das Hausgesinde aus Griechen bestand; die Lecture Virgils, die darauf alsbald folgte, machte ihm daher viel Arbeit. Mit aller Pietät und Dankbarkeit gedenkt er dann der trefflichen Erziehung durch seine Eltern, nur bedauernd, dass sie mit seinem Wunsche, Mönch zu werden, nicht übereinstimmten. Doch wie es Gott gefügt, sei es am besten. Eine Erkrankung, die den eben fünfzehnjährigen traf, nöthigte ihn leider die Studien zu unterbrechen. Auf den Rath der Aerzte gab er jetzt zur Stärkung seines Körpers sich ganz ritterlichen Uebungen und Vergnügungen hin, von denen der Dichter manche interessante Einzelheiten mittheilt; vornehmlich die Jagd, insonderheit die mit dem Falken, sowie das Ballspiel ergötzten ihn. Freilich überliess er sich jetzt auch manchen jugendlichen Ausschweifungen.) So lebte Paulin bis zum zwanzigsten Jahre, wo er mit einem Mädchen aus altem angesehenen Hause, aber von zerrütteten Vermögensverhältnissen, sich vermählte. Indess durch Fleiss und Ordnung gründete er sich bald einen Wohlstand, der ihm alle Genüsse eines grossen Gutsherrn bot 2), da der Ehrgeiz ihn nimmer quälte. Dies behagliche Leben führte er bis zum dreissigsten Jahre. Da trat die Wendung in seinem Schicksale ein: sein Vater starb und zugleich erfolgte der Einbruch der Feinde.3) Er litt durch die Invasion, noch mehr aber durch 1) Jedoch mit der für die Sitten jener Zeit bezeichnenden Einschränkung: Hac mea castigans lege incentiva repressi,

Invitam ne quando ullam iurisve alieni

Adpeterem, carumque memor servare pudorem
Cedere et ingenuis oblatis sponte caverem,

Contentus domus inlecebris famulantibus uti. v. 162 ff.

2) Er war zufrieden, ein schönes, geräumiges Haus zu besitzen, eine wohl besetzte Tafel, zahlreiche Dienerschaft, durch Geschmack ausgezeichneten Hausrath, schöne Wagen und Pferde. v. 205 ff.

3) Sed transacta aevi post trina decennia nostri
Successit duplicis non felix cura laboris,
Publica quippe simul clade in commune dolenda
Hostibus infusis Romani in viscera regni
Privata cum sorte patris de funere functi.

v. 232 ff.

Welche Feinde? S. darüber S. 408, Anm. 2.

Erbschaftsstreitigkeiten mit dem Bruder. Schlimmer wurde noch seine Lage, als gegen seinen Willen ihn der Usurpator Attalus zum Schatzmeister seines nicht existirenden Schatzes machte (414). Von den Gothen in Bordeaux ausgeplündert, flüchtete er nach Bazas, wo er durch einen Sklavenaufstand selbst in Lebensgefahr geräth, aber die Stadt vor der Einnahme durch die Gothen rettet, indem er deren Hülfstruppen, die Alanen gewinnt, die mit ihrer Wagenburg sie schützend umschliessen ein lebendiges Kriegsbild aus jenen stürmischen Zeiten!')

Nach diesen schweren Erlebnissen nahm Paulin von neuem den schon früher gehegten Plan auf, nach der illyrischen Halbinsel auszuwandern, wo er noch manche Güter von Seiten seiner Mutter besass; aber seine Frau konnte sich zu einer Seereise nicht entschliessen. Auch trug er sich wieder mit dem Gedanken, Mönch zu werden. Die Rücksicht auf seine Familie hielt ihn auch davon ab, aber er widmete sich wenigstens einem asketischen Leben (v. 469) und geistlichen Studien, namentlich der Untersuchung häretischer Dogmen, zu denen er selbst hinneigte. Aber er kam von dem Abweg zurück und kehrte,die Sacramente zu Ostern empfangend' zu den Altären der Kirche zurück. Er war in den Vierzigen damals.2) Bald stand er

1) In wenigen Versen gezeichnet, v. 383 ff.:

Vallanturque urbis pomeria milite Alano,

Mira urbis facies, cuius magna undique muros
Turba indiscreti sexus circumdat inermis
Subiecta exterius; muris haerentia nostris

Agmina barbarica plaustris vallantur et armis.

2) Diese für die Datirung des Gedichts besonders wichtige Stelle v. 474 ff. ist leider in verderbtem Texte überliefert. Sie lautet, indem ich die Emendationen des letzten Herausgebers Brandes in Klammern beifüge: Post autem exacta iam [ter] trieteride quinta Rite recurrente statuto tempore pascha

Ad tua, Christe Deus, altaria sacra reversus,
Te miserante, tua gaudens sacramenta recepi

Ante hos ter decies super et his (bis) quattuor annos. Nimmt man die Emendationen an und bezieht den ersten Vers auf die ganze Lebenszeit, so erklärt sich die Stelle leicht in Anbetracht, dass der Autor 83 Jahre bei der Abfassung der Dichtung zählte (s. oben S. 406, Anm. 1). Auch steht dann der Annahme des Jahres 376 durch Brandes als Geburtsjahr nichts mehr entgegen, sobald man nur mit ihm den Einfall der Barbaren, welcher im 30. Jahre des Verfassers, wie er selbst erzählt (s. oben S. 407) erfolgte, in das Jahr 406 setzt. Dann kann Paulin als ein Enkel des Dichters

ganz allein da, nur auf Gott angewiesen, der Tod entriss ihm Schwiegermutter, Mutter und Frau, seine zwei Söhne gingen ihre eignen Wege: so zog er verarmt nach Marseille, wo mehrere fromme Freunde von ihm wohnten, um in der Nähe der Stadt von einem kleinen Gütchen zu leben, das er selber bestellte. Aber das Glück war ihm nicht hold. Von Sorgen und Jahren gebeugt, kehrte er nach Bordeaux zurück. Da kam ihm in der äussersten Noth Gott zu Hülfe: ein Gothe sandte ihm von freien Stücken den Preis für Land, das er von ihm zu kaufen wünschte, wenn auch die Summe freilich dem Werthe nicht entsprach. Hierfür wie für alles dankt der Dichter Gott, den er bittet, ihm den Muth gegen alle Widerwärtigkeiten aufrecht zu erhalten, - Gott, dem er im Leben wie im Tode angehören will.

Diese Ergebung in den göttlichen Willen, dieses unerschütterliche Vertrauen auf die Vorsehung, wovon das Gedicht erfüllt ist, geben den stilistisch wie metrisch oft so mangelhaften Versen1) einen gemüthlichen Reiz und einen erhöhten individuellen Ausdruck, die uns, auch abgesehen von dem historischen Interesse, bis zu Ende zu fesseln vermögen. Wie vortheilhaft sticht dieser freie wahrhaftige Erguss eines christlichen Herzens trotz seiner formellen Mängel gegen jene künstlichen unwahren, gemachten rhetorischen Producte der heidnischen Panegyristen und der ihnen nachfolgenden Namenchristen ab!

Ausonius (s. S. 406), der 379 Consul war, erscheinen, da nach v. 49 sein Grossvater diese Würde bekleidete, als er im 3. Jahre stand. Für diese Annahme spricht allerdings, wie ich mich nunmehr überzeugt habe, manches (s. namentlich Brandes' Prolegg. und seine Abhandlung), aber auch nicht weniges dagegen, mag man als Vater des Paulin mit Brandes an den Sohn Ausons Hesperius oder mit Seeck (Symmachi Opp. p. LXXVII f.) an den Schwiegersohn Thalassius denken. Auch fällt es schwer, den Einfall der Barbaren nicht auf die Gothen zu beziehen und damit nicht in das Jahr 412 zu setzen, da doch später nur von den Gothen die Rede ist und der Verfasser zwischen ihrem Einfall und dem im Jahre 406 angenommenen durchaus nicht unterscheidet. Nach den Annahmen von Brandes würde das Gedicht 459 verfasst sein; theilt man sie nicht, und setzt den Einfall der Barbaren in das Jahr 412 (was eine andere Auffassung und Lesung der oben citirten Stelle [für his hos] verlangte, wie ich sie in der ersten Auflage versuchte), so würde sich das Jahr 465 ergeben.

1) S. über die Mängel von Sprache und Vers die fleissige Zusammenstellung von Leipziger, 1. 1. p. 10 ff.; namentlich ist das verhältnissmässig häufige Eintreten des Hiatus bemerkenswerth: dass auch dem Paulin Virgil Vorbild war, ist dagegen kaum zu erwähnen nöthig. Vgl. im übrigen Brandes, Prolegg. p. 276 ff. und Indices p. 318 ff.

J

ACHTES KAPITEL.

ORIENTIUS.

Neben der epischen Poesie, die in der rein christlichen Dichtung dieses Zeitalters durchaus in den Vordergrund tritt durch Zahl und Bedeutung der Werke, erscheint, wie wir schon sahen, in zweiter Reihe die didaktische, die sich mit ihr mannichfach kreuzt, denn Lehrzwecke beherrschen ja die christliche Dichtung damals überhaupt: ihr gehört noch ein Werk an, das auch von einem Gallier verfasst, und nicht ohne allgemeineres historisches Interesse ist. Es ist das in Distichen in zwei Büchern (618 und 418 Verse) geschriebene Commonitorium des ORIENTIUS1), wie sich der Autor selbst am Schlusse nennt. Dass er aus Gallien war, geht aus dem Gedichte selbst hervor, wie auch, dass er die verwüstenden Eroberungen der Gothen dort erlebt, deren er mit Schaudern gedenkt. Indem er in seiner Dichtung aber, wie keinem Zweifel unterliegen kann, das Gedicht De providentia und gerade an der Stelle, wo er solche Verwüstungen beschreibt, vor Augen gehabt hat, so hat er also nach dem zweiten Decennium dieses Jahrhunderts geschrieben.) Alle diese Daten, sowie der ganze Charakter dieses Vermahnungsgedichts passen auf jenen Bischof von Auch Orientius, von welchem eine alte Vita 3) erzählt, dass er im hohen Alter für den Gothenkönig Theoderich I. eine Sendung an die diesen bedrängenden römischen Feldherren Aëtius und Litorius (437-439)) unternommen habe. Auch stimmt die Vita mit dem Gedicht überein, wenn sie sagt, dass Orientius erst, ,nachdem er den Schmutz der weltlichen Schlüpfrigkeit (lubri

1) Orientii carmina rec. Ellis in: Poet. christ. minor. Pars I (Corp. scr. eccl. V. XVI) p. 191 ff.

2) S. oben S. 317. Ich möchte das Commonitorium um 430 setzen. Der Verfasser macht ganz den Eindruck eines hochbetagten Mannes.

3) Die erste in den Acta S. S. (Maii, T. I), s. § 3 derselben. Nach dieser Vita zeichnete sich Orientius als Bischof auch durch seine Bekehrung der Heiden aus, was wohl auf eine Wirksamkeit schon im Anfang des Jahrhunderts hinweist, und zu dem hohen Alter stimmt, in dem er Ende der dreissiger Jahre des fünften Jahrhunderts stand.

4) Die gewöhnliche Annahme ist 439, Dahn (1.1. S. 74) scheint 437 anzunehmen.

citas) abgelegt, mit keuschem Sinn sich ganz Gott geweiht habe': denn der Verfasser des Gedichts gesteht, die Anfechtungen der Wollust, vor der er so ausführlich warnt, selber erfahren zu haben. 1)

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Der Inhalt der Dichtung ist nun der folgende. Der Verfasser will den Weg lehren, der zu den Belohnungen des ewigen Lebens führt; Gott und Christus bittet er dazu um Beistand. Es gibt aber einen doppelten Weg für den Menschen, ein irdisches und ein zukünftiges Leben, gleichwie er eine doppelte Natur hat, einen thierischen Körper von irdischer Last, und eine durch den Hauch Gottes belebte Seele. Wir werden geboren, Gott zu suchen, wir suchen ihn, um ihn zu erkennen, wir erkennen ihn, um ihn zu verehren. Aber wie sollen wir ihn verehren? Es genügt, an ihn frommen Herzens zu glauben. Daraus folgt dann die Liebe zu Gott und zu dem Nächsten: so allein können wir Gott für seine vielen Wohlthaten danken, bei denen wie bei der Nächstenliebe der Dichter in ausführlicher Darstellung länger verweilt. Handle so, fährt er dann fort, das Ziel seines Weges bezeichnend, dass dich nach dem Tod die ewige Herrlichkeit aufnimmt. Denn der Mensch wird auferstehen mit seinem Leibe. Der Dichter gedenkt hier der bekannten Beweise für die Unsterblichkeit, namentlich der aus der Natur geschöpften. Aber wenn also das ewige Leben nach dem Tode folgt, und wie es die Gerechten erfreut, die Schuldigen straft, so strebe mit allen Kräften den rechten Weg einzuhalten. Die erste Bedingung dazu ist, die sinnliche Lust zu meiden. Fliehe vor allem die schönen Gesichter; denn die Augen fassen die Flammen und gebären die Sünde: ist doch das Weib die erste Unheilstifterin, durch die der Mensch das Paradies verlor, die Pforte des Todes. Wie viele Völker schon das Gesicht eines Weibes zu Grunde gerichtet, will der Autor nicht wiederholen 2): er begnügt sich, an die alttestamentlichen

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1) S. l. I. v. 405 f. Nur ein bodenlos unkritisches Verfahren, oft durch eine lächerliche Nationaleitelkeit erleichtert, konnte in Orientius einen Spanier, Bischof von Illiberis, sehen, wie dasselbe schon Dracontius zu einem solchen gemacht hatte. Und dergleichen findet sich in der kritischen Geschichte der spanischen Literatur des Amador de los Rios wieder!

2) Er deutet dabei auf Semiramis hin in einer an Dante erinnernden Weise:

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