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verfiel. Von seinen Homilien sind nur wenige, namentlich ein paar der an den in Vienne zuerst eingeführten Tagen der Bittgänge (rogationes) gehaltenen, vollständig, alle übrigen nur fragmentarisch überliefert. Sie beweisen aber die bedeutende Thätigkeit, die Avitus auch als Prediger entfaltet hat.

SECHSTES KAPITEL.

PAULINUS VON PERIGUEUX.

Ein Seitenstück zu jenen Uebertragungen des biblischen Prosatextes in Verse, wie sie mit Iuvencus anheben, und die mit der Zeit zu so selbständigen Dichtungen als die des Avitus führten, bilden Versificationen von in Prosa verfassten Heiligenleben, wie uns eine solche in umfangreicher Gestalt in der Vita Martini des PAULINUS von Périgueux) in dieser Epoche entgegentritt. 2) Die gegen 470 vollendete 3) Dichtung ist in Hexametern und umfasst sechs Bücher, von welchen die drei ersten eine Bearbeitung der Vita Martini des Sulpicius Severus sind, indem Buch I (386 Hexam.) bis c. 8 der Vita geht, d. b. bis zum Episcopat Martins, Buch II (726 Hexam.) bis c. 19, d. h. bis zur Heilung Paulins von Nola und der des Martinus selbst, der eine Treppe herabgefallen, Buch III (458 Hexam.) bis zum Schluss der Vita des Severus, indem es, dieser folgend, mit einem Lob Martins endet. (Die der Vita angehängten Episteln, namentlich die, welche Martins Ende schildert, sind von dem Dichter nicht benutzt.) Das vierte und fünfte Buch gründen sich ebenso auf

1) Bened. Paullini Petrocorii De vita b. Martini libri VI cum notis Iureti. Eiusdem ad nepotulum etc. etc. Cura et stud. Chr. Daumii. LeipOeuvres de Paulin de Périgueux zig 1681. revues sur plusieurs mss. et traduites pour la prem. fois en français par Corpet. Paris 1852. *Paulini Petricordiae quae supersunt, rec. Petschenig. In: Poet. christ. minores. Pars I (Corp. scr. eccl. Vol. XVI).

2) Ueber diesen Dichter wissen wir nichts weiter, als was im Folgenden gelegentlich seiner Dichtungen von uns gesagt wird; nur sei noch bemerkt, dass er in dem Gedicht über die Heilung seines Enkels, welches im Anfang der siebziger Jahre verfasst zu sein scheint, sich als ,senex' bezeichnet; hiernach möchte sein Geburtsjahr in den Anfang dieses Jahrhunderts zu setzen sein.

3) S. weiter unten S. 405, Anm. 2.

die Dialoge des Severus, und zwar Buch IV (673 Hexam.) auf die zweite Abtheilung des ersten, Buch V (873 Hexam.) auf den zweiten Dialog.') In dem sechsten Buche (506 Hexam.) ist Paulinus aber einem andern Autor gefolgt. Er hat hier einen Bericht des damaligen Bischofs von Tours, Perpetuus über die Wunder des Heiligen nach seinem Tode, namentlich solche, von denen er selbst am Grabe desselben Zeuge gewesen, bearbeitet. Die Dichtung ist gewiss allmählich entstanden: anfangs hatte der Verfasser auf die Vita des Severus sich beschränkt, er kannte offenbar die Dialoge noch nicht; als diese ihm mitgetheilt wurden, fügte er das vierte und fünfte Buch hinzu 2); denen erst später das sechste sich anschloss: vielleicht hatten die frühern Bücher selbst erst dem Perpetuus die Anregung zu seiner Aufzeichnung gegeben. Das ganze Werk aber, zu dem ihn dieser wohl ermuntert hatte 3), war eine Captatio benevolentiae an den Heiligen, der dem Dichter die Gesundheit, und wohl der Augen) zurückgeben sollte (I, v. 305 ff.); hatte doch Martin auch gerade auf diesem Felde durch Wunderkuren sich berühmt gemacht.5) Dieser praktische Zweck muss den Verfasser entschuldigen, dass er das Werk unternahm, obgleich er von seiner literarischen Fähigkeit selbst, wie er wiederholt ausspricht, eine sehr geringe Meinung hatte, ja eingesteht (IV, v. 7 f.), dass die Kraft des Severschen Ausdrucks, ,durch das Metrum erweicht', sehr verliere ), aber er tröstet sich damit,

1) Nach unserer Zählung, s. oben S. 333.

2) Dies zeigt der Eingang des vierten Buchs; ebenso ergibt sich das Folgende aus dem des sechsten.

3) Dafür spricht der Eingang des Prologs der Carmina minora und wohl auch der in einer Handschrift sich findende der Vita S. Martini selbst, obgleich sich dieser zunächst nur auf ihr letztes Buch, die Bearbeitung der von Perpetuus verfassten Erzählung bezieht, denn nur diese kann unter der von ihm dem Paulin gesandten historia tam splendida, ut rectissime, si ita iussisset vestra benedictio, ad totius orbis notitiam pervenisset, verstanden werden, nicht die Vita des Severus.

4) In der ersten Auflage konnte dies von mir ohne Einschränkung gesagt werden, da die angezogene Stelle in dem damals vorliegenden Texte lautete: Auxilio Domini vultus mihi redde salutem, Petschenig aber gibt auf Grund aller von ihm verglichenen Handschriften statt vultus: fultus. 5) S. oben S. 333, Anm. 2.

6) Cum vis verborum, viva virtute coruscans,
Perderet ingenitum metro mollita vigorem.

Dass hier nicht die Prosa überhaupt, sondern insonderheit die des Severus gemeint ist, lehrt der ganze Zusammenhang der Stelle.

dass nicht alle zu den Quellen selbst dringen mögen, sondern sich mit dem Wasser der Bäche, obgleich ihm die Frische fehlt, begnügen. Die Stelle charakterisirt die Arbeit Paulins. Er folgt einerseits im allgemeinen, von einzelnen Auslassungen, namentlich allen persönlichen Bemerkungen des Severus abgesehen, diesem Schritt für Schritt im Gange seiner Darstellung, wobei er auch manchmal von Wörtern und Wendungen seiner Vorlage Gebrauch macht: andererseits aber hat er die Darstellung paraphrasirend erweitert und keineswegs nur in soweit dies die Versification erforderte, denn er bewegt sich mit Behagen in den weitschweifigsten Umschreibungen1), wobei er zu Gunsten seines Helden übertreibt, und das Wunderbare noch zu steigern bestrebt ist; aber er malt auch im Detail aus, nicht ohne Geschick und mit wahrer Empfindung, wie in der Erzählung von der Heilung des stummen Mädchens V, v. 18 ff., wo freilich den 16 Zeilen des zweiten Dialogs des Severus (c. 3) nicht weniger als 83 Verse entsprechen. Nicht selten endlich erweitert er seine Darstellung durch lange Exclamationen und Apostrophirungen, worin er seinem Herzen Luft macht, so in Bewunderung der Tugenden des Heiligen, oder im Groll gegen den diesen immer von neuem wieder versuchenden Teufel. Was den Ausdruck betrifft, so hält er sich wenigstens von Schwulst frei, in der Erzählung oft ganz lesbar, erscheint er sehr steif in den Eingängen.

Wir besitzen von unserm Autor noch zwei kleine Gedichte, die auch in einer Beziehung zu dem heiligen Martin stehen: das eine (80 Hexam.), Versus Paulini de visitatione nepotuli sui

1) Sein Verfahren mag ein Beispiel zeigen. Severus sagt von seinem Helden Vita, c. 2: frugalitatem in eo laudari non est necesse, qua ita usus est, ut iam illo tempore non miles, sed monachus putaretur; und ein wenig weiter unten rühmt er von ihm das ,alere egentes'. Bei Paulin wird dies also übertragen (I, v. 56 ff.):

Tum sumendorum districtio quanta ciborum,

Ne distenta citum vitiarent viscera sensum,

Nec premeret vigilem membrorum sarcina mentem,

Ut divisa inopi praeberet copia partem,

Quaeque unum obrueret, melius refoveret utrumque:
Nam sic supplicibus diviserat omnia egenis,

Ut sola exesis superessent tegmina membris.

Von den,membra exesa' sagt Severus natürlich überhaupt nichts ein Beispiel der Uebertreibungen Paulins.

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es ist

betitelt, feiert ein Wunder, das der Heilige sehr indirect, nämlich durch die oben erwähnte Schrift des Perpetuus, an einem kranken Enkel des Dichters und dessen kranker Braut vollbrachte, indem sie durch Auflegung der Schrift die schweisstreibend wirkte! gesundeten; das andere, kürzere Gedicht ist eine Aufschrift von 25 Hexametern für die neue Basilika, die Perpetuus um 470-731) dem Heiligen gebaut, verfasst auf den Wunsch jenes Bischofs.2) Eine gleiche Aufforderung erhielt von ihm Apollinaris Sidonius, der ihr ebenwohl nachkam. 3)

SIEBENTES KAPITEL.

PAULINUS VON PELLA.

Noch gehört dem Gebiet der erzählenden Poesie die Dichtung eines andern Paulin an, die ungefähr um dieselbe Zeit geschrieben. Es ist das in 616 Hexametern verfasste Dankgedicht, Eucharisticos 4), des PAULINUS von Pella.5) So hat derselbe

1) Nach Tillemont, Hist. ecclés., X, 2.

2) Beide Gedichte sandte ihm Paulin zugleich. Aus ihrem an Perpetuus gerichteten Prologus geht hervor, dass das günstige Urtheil des Bischofs über die Dichtung Paulins auf den heil. Martin ihn zu der Aufforderung in Betreff der Aufschrift bestimmt hatte. Da nun im sechsten Buche der Vita Mart. Paulins eines Wunders gedacht wird, das ein der politischen Geschichte angehöriges Ereigniss des Jahres 459 den Sieg des in Arles belagerten Aegidius über die Westgothen (v. 111 ff.) betrifft, so ist 460

der Terminus, über welchen die Vollendung der Vita Mart. nicht zurückdatirt werden könnte. Die Darstellung macht aber an jener Stelle ganz den Eindruck, als sei Aegidius schon todt gewesen, als Paulin schrieb; er starb aber 464: also ist die Vita zwischen 464 und 470 entstanden.

3) S. Sidon. Apoll., Epp. 1. IV, ep. 18, wo uns das Gedicht selbst auch erhalten ist.

4) So nach der Handschrift statt des gewöhnlichen Eucharisticon. Was diesen Titel betrifft, so findet er sich schon bei Statius, Silv. 1. IV, 2, wo so ein speichelleckerisches Gedicht in Hexametern genannt ist, in welchem der Autor dem Domitian seinen überschwenglichen Dank für eine Einladung zur kaiserlichen Tafel sagt. Auch kehrt der Titel bei einem Gedicht des Apollin. Sidonius wieder, s. Carm. XVI, weiter unten.

5) Paullini Carmen eucharisticum, prolegomenis et adnotationibus illustr., auctore L. Leipziger. (Doctordissert.) Breslau 1858. Auch findet es sich angehängt an die oben S. 402, Anm. 1 citirte Ausgabe des Paulinus Petric.

nämlich die Geschichte seines Lebens, die er in diesem Gedicht in seinem 84. Jahre1) gibt, betitelt, wie denn auch der Titel genauer Eucharisticos Deo sub ephemeridis meae textu lautet. Diese Autobiographie soll eine Gott dargebrachte Danksagung sein, dem der Dichter, wie er im Vorwort sagt, nicht bloss für das in der Jugend genossene Glück, sondern auch für das Unglück, das ihn vom 30. Jahr an verfolgte, seinen Dank schuldet: durch das letztere lehrte ihn Gott nämlich, das gegenwärtige Glück nicht zu hoch zu schätzen, noch auch andererseits im Unglück zu sehr zu verzagen, da er darin den Beistand seines Erbarmens erfuhr. Nicht also des Ruhmes wegen habe er diese ,Ephemeriden' geschrieben; nicht für Fremde, sondern zu eigenem Frommen: so entschuldigt er im voraus bei den,Gelehrtern' das carmen incultum. Die Lebensgeschichte, welche uns hier in verhältnissmässig schlichter Sprache, die allerdings in Construction und Ausdruck oft ganz prosaisch ist, erzählt wird, ist interessant genug, indem sie uns nicht bloss das treue Conterfei eines liebenswürdigen Charakters gibt, dessen Anspruchslosigkeit, Wahrhaftigkeit und Herzensgüte von diesen Zeilen überall wiederglänzen, sondern auch ein lebendiges Gemälde seiner Zeit, das in seinem Detail nicht nur sehr anziehende Beiträge zur Sittengeschichte, sondern auch werthvolle Thatsachen und Daten uns liefert, wie von der Geschichtschreibung der Völkerwanderung bereits anerkannt ist.

Paulin so erfahren wir hier zu Pella geboren, wo sein Vater, damals Vicar von Macedonien, residirte, kam bald nach der Geburt nach Carthago, wohin derselbe als Proconsul versetzt wurde, aber auch nur auf kurze Zeit, um dann nach Bordeaux, der Heimath der Vorfahren, in das gross väterliche Haus 2) gebracht zu werden. Dort erhielt er seine erste Aus

von Daum.

*Paulini Pellaei Eucharisticos, rec. Brandes, in: Poetae chr. min. Pars I (Corp. scr. eccl. Vol. XVI) p. 263 ff. (Prolegg.). Brandes, Zu Paulinus von Pella in: Zeitschr. f. d. österr. Gymnas. 1881, S. 326. 1) v. 12 ff. Altera ab undecima annorum currente meorum Hebdomade, sex aestivi flagrantia solis

Solstitia et totidem brumae iam frigora vidi.

Dass hier unter,altera ab undecima' die zwölfte und nicht die dreizehnte Woche zu verstehen ist, ist an sich schon sehr wahrscheinlich, da der Verfasser sonst 90 Jahre gezählt haben würde, aber diese Auffassung verträgt sich auch allein mit den übrigen Daten.

2) S. weiter unten S. 408, Anm. 2.

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