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die allein auch seine ganze Anlage wie Ausführung erklärt, und ihm eine individuelle Wärme verleiht, in der der Reiz und die Originalität der Dichtung wesentlich beruhen. - Das erste Buch (754 V.) feiert vornehmlich, wie die Gnade Gottes sich in der Schöpfung der Welt offenbart hat. Der Eingang scheint durch die persönlichen Verhältnisse des Dichters bedingt worden zu sein. Die Natur, spricht er da aus, folgt nur dem Befehle Gottes. So kommt auch das Schlimme von ihm, aber Gott straft nicht, ohne vorher gedroht zu haben hier gedenkt der Dichter u. a. der Prodigien. Nur wer in der Sünde verharrt, erfährt Gottes Zorn. Gott will das Menschengeschlecht erhalten, dem er den Erdkreis gegeben, welchen er in sechs Tagen schuf (v. 115). Und hierauf beginnt nun die Erzählung der Schöpfung, die Partie des Werkes, die unter dem Titel,Hexaëmeron' selbständig edirt ward. Mit Begeisterung preist der Dichter das erste Werk Gottes, das Licht. Schön ruft er aus: Quanta spes mundi praemissa est principe luce! (v. 132). Beim dritten Schöpfungstag gibt Dracontius eine ausführlichere Schilderung des Paradieses, die anziehend schöne poetische Züge enthält 1): wie überhaupt diese ganze Darstellung der Schöpfung durch Lebendigkeit, Farbenreichthum und Abwechslung sich auszeichnet. Besonders hervorgehoben sei die Schilderung der Vögel, die in bezeichnender malerischer Weise mit dem Verse beginnt: Exilit inde volans gens plumea laeta per auras (v. 240).2) Nach der Schöpfung des Menschen schildert der Dichter, wie alsbald der Anblick der Welt in diesem das Bedürfniss der Gesellschaft, der Mittheilung erweckt. Manche andere eigene und hübsche Züge finden sich, wie z. B. die freudige Ueberraschung der Erzeltern über die nicht erwartete Wiederkehr der Sonne (v. 417 ff.).3) Das Leben jener im Paradiese, nach der Thiere Art' und der

1) Sunt ibi sed placidi flatus, quos mollior aura
Edidit exsurgens nitidis de fontibus horti.
Arboribus movet illa comas, de flamine molli

Frondibus impulsis immobilis umbra vagatur;

Fluctuat omne nemus et nutant pendula poma. v. 192 ff.

2) Naturgetreu und schön auch: (Ales) Frondibus insidens vento cum fronde movetur.

3) So auch die Bemerkung nach der Schöpfung der Eva:

Somnus erat partus, conceptus semine nullo,
Materiem sopita quies produxit amoris,

Affectusque novos blandi genuere sopores. v.390 ff.

Sündenfall werden darauf noch dargestellt. Die Thorheit der Erzeltern, zu glauben sich vor Gott verbergen zu können, gibt dem Dichter zu einer Episode (v. 500 ff.) Anlass, worin er, nachdem er die Allwissenheit Gottes constatirt, ausführt, dass in manchen Fällen die Menschen selbst zukünftiges voraussehen, ja Thiere und leblose Wesen es anzeigen können. Der Tod, fährt er dann fort, den die Sünde in die Welt gebracht als ihre Strafe, ist zugleich dank der Milde Gottes ein Segen als Erlösung von den Leiden der Welt. Poena mori crudelis erat, sed vivere peius: ruft der unglückliche Dichter aus (v. 548). Ja, Gott, der dem Menschen trotz des Falles die Herrschaft der Erde lässt, und diese fortblühen und Frucht tragen, und ihn selbst sein Geschlecht fortpflanzen, will ihn sogar von der Strafe des Todes durch die Unsterblichkeit wieder erlösen. Für diese werden nun hier mannichfache Beweise, wie sie sich meist schon bei den ältesten Apologeten finden, namentlich solche, welche die Natur darbietet, vorgebracht (v. 625 ff.), und dabei auch des Phönix ausführlicher gedacht (v. 653 ff.). 1) - Der Dichter endet das Buch mit einem Preise Gottes, seiner Allmacht und seiner Barmherzigkeit, der die Mächtigen hinstrecke, die Unterdrücker unterdrücke, und ein barmherziger Rächer (pius ultor) die Zerschlagenen aufrichte: ihn bittet er, sein Auge auf ihn zu wenden und ihn, den niedergeworfenen, ein wenig zu erheben, ihm beizustehen, da er bereue, auf dass er sein Lob in diesem Gedichte zu singen vermöge.

Das zweite Buch (etwas über 800 V.) 2) preist die Gnade Gottes, wie sie nach der Schöpfung in der Erhaltung der Welt), und namentlich durch die Sendung Christi, sich bewährt hat. Bei letzterer (v. 96 ff.) verweilt der Dichter am längsten, sie bildet den Kern des Buches, dessen Darstellung, oft eine sehr abspringende, eines festen Gedankenganges entbehrt. Der Dichter gedenkt in der Kürze der Wunder Christi (v. 115 ff.), dann der, welche Gott selbst in der Natur vollbringt, die ihn in ihren Elementen und Erscheinungen, wie

1) Hier wird auch die Sage vom Hirsch, der durch Fressen von Schlangen das Geweih sich erneut, v. 640 erwähnt. In Betreff des Phönix vgl. auch die Medea des Dracontius, v. 104 ff.

2) In der Ausgabe von Gläser 813, der von Arévalo 808 V. Ich citire bei diesem und dem folgenden Buche nach Gläser.

3) Vgl. insonderheit v. 74, 97, 185.

durch ihre Geschöpfe lobt, selbst durch die Schlange. Die Erwähnung der letztern führt den Autor auf den Tod, den der Mensch durch die Sünde verdiente, und damit auf dessen Sündhaftigkeit selbst. Der Mensch sei schlimmer als die todbringenden Thiere, die nur denen schaden, die sie angreifen. Und der Mensch wüthet gegen sein eigenes Geschlecht: Kriege zu Wasser und zu Lande, Bruder- und Kindermord; die eigene Mutter mordet, schlimmer als die Stiefmutter, das Kind selbst vor der Geburt; ja nicht einmal die Todten lässt man in Ruhe, indem man sie mit Beschwörungen heimsucht. Dieser lange Excurs v. 234-335 ist als Spiegelbild der Zeit des Dichters von grösserm Interesse. - Der Mensch verdiente noch schlimmeres als den Tod, meint er dann. Er sei im Gegensatz zu der Natur, die Gott gehorcht, das Böse, des Verbrechens kühner Erfinder, aller und sein eigener Feind ');,ein frevelhaftes Geschlecht sind wir von der Geburt an (scelerata propago Nascimur), die nicht die Barmherzigkeit, noch der Zorn Gottes je zähmt. Hier gedenkt der Dichter der Sündfluth, die ihm zu einer hübschen Schilderung die Gelegenheit bietet (v. 376 ff.), sowie des Untergangs von Sodom. Ohne die Sünde wäre die Welt ein Paradies, das der Dichter hier ausmalt. Der Fall der Engel entschuldigt nicht den Menschen. Trotz alle dem aber sandte Gottes Barmherzigkeit Christus. Sein Verrath, Tod, Höllenfahrt und diese ausführlicher geschildert 2) stehung und das zukünftige Gericht, das er halten wird, werden erwähnt; dann Judas' Tod: so gross auch sein an Christus verübtes Verbrechen ist, er würde Verzeihung gefunden haben, wenn er sie gehofft hätte (v. 562). So ist die Barmherzigkeit Gottes, der auch die stumme Bitte erhört. Christus wäscht mit seinem Blut unsere Sünden ab: nur müssen wir glauben. Die Macht des Glaubens zeigt der Dichter dann vornehmlich an Abrahams Beispiel, indem er Isaacs Erzeugung erwähnt (v. 620 ff.). Mit einem allgemeinen Lob Gottes, namentlich seines Erbarmens (v. 687 ff.), worin freilich manche Wiederholungen sich

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1) Est homo grande malum, legis transgressor et audax
Criminis inventor, scelerumque repertor et auctor

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Aufer

2) v. 531 ff. Poesievoll ist die Schilderung der Wirkung des Lichtes, das Christus begleitet. Die Darstellung ist hier im Ausdruck antikisirend.

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finden, hauptsächlich aus dem Ende des ersten Buchs, schliesst das zweite. Bezeichnend ist, dass vor allem der Gedanke wiederkehrt, dass Gott die Unterdrückten erhebt, die Stolzen niederwirft, wie denn zuletzt noch auf die Rettung der Juden aus der ägyptischen Knechtschaft und den Untergang des Pharao hingewiesen wird.

Das dritte Buch (gegen 700 V.)) hebt wieder mit einem allgemeinen Lob Gottes an, namentlich seiner Güte, wie sie sich in dem Erntesegen offenbart. Hiermit wird der Egoismus der Menschen, die mit den Gaben Gottes Wucher treiben, contrastirt, und doch lieben diese Thoren durch ihren Geiz nicht sich, sondern ihre Erben, indem sie selbst nicht bloss das irdische, sondern auch das ewige Gut verlieren. Der Dichter gedenkt hier der Parabel vom reichen Manne und Lazarus (v. 54 ff.). Die Liebe zu Gott muss vielmehr dem Menschen über alles gehen. Ihr muss er alles opfern können: hiervon ist Abraham ein glänzendes Beispiel wieder; nur um dies der Welt zu geben, hatte Gott das Opfer Isaacs verlangt (v. 134 ff.). Auch andere zeigten, ,wie die sichere Hoffnung auf die Zukunft sie das gegenwärtige Leben herrlich verachten liess' (v. 169 f.). Hier wird der drei Männer im Ofen und des Daniel in der Löwengrube gedacht.2) Was der Glaube vermag, zeigen auch die Wunder, welche Petrus vollbrachte. Damit aber nicht ein Profaner, ,dem das heilige Gesetz Gottes verborgen', an solchen Thaten, namentlich der des Abraham, zweifle, weist der Dichter auf Heldenthaten des klassischen Alterthums hin von solchen, die sich oder die Ihrigen opferten, aus andern Motiven, vornehmlich des Ruhms (v. 251 ff.), wobei er aber den Selbstmord als Verbrechen bezeichnet. So werden hier Menoeceus, der Sohn des Creon, Codrus, Leonidas, die Brüder Philaeni 3), der ältere Brutus, Virginius, Manlius Torquatus, Scaevola, Curtius, Regulus, die Einwohner Sagunts vorgeführt, in einer Darstellung, die nicht durchaus des Sinnes für antike Grösse ermangelt. Auch solche Frauen gibt es, die das Kühnste vollbrachten, indem die Leidenschaft ihnen den Muth gab: Judith, Semiramis, Tomyris, Euadne, Dido, Lucretia sind hier die Bei

1) Bei Gläser 699, bei Arévalo 682.

2) Dabei erwähnt der Dichter die Thierkämpfe des Amphitheaters ausführlicher (v. 191 ff.)

3) Die Carthager, s. Valer. Maxim. V, c. 6.

spiele. Hierauf geht der Dichter wieder zum Lobe des einigen Gottes über, dem die unwissende Natur gehorche, dessen Gebote aber der Mensch, welcher was Recht, was Unrecht ist weiss, verachte. Ein frevelhaftes Geschlecht sind wir und verdienen kein Erbarmen, von welchen ich der erste, mehr noch als ein Sünder bin' 1) (v. 565). Und hiermit beginnt denn der Autor sich jeder Schuld anzuklagen. Diese Uebertreibung scheint nur die Verzeihung Gottes ihm um so mehr sichern zu sollen. Er gedenkt dann seiner gegenwärtigen Lage, und wir sehen, dass er auch diese Dichtung noch im Gefängniss schrieb 2); hier erwähnt er, wie Sklaven, Clienten und Verwandte ihn verliessen. Gott möge sich des reuigen erbarmen, und ihm die Gunst seines Herrn zurückgeben, ihn wiederherstellen, wie einst die Todten durch die Weissagung des Hesekiel 3) welches Wunder der Dichter ausführlich beschreibt (v. 626 ff.). Glück und Ehre möchten ihm und seinem Hause zurückkehren, und dereinst das Paradies ihn aufnehmen.4) Auch der Schluss dieses Buchs ist zum Theil nur eine Wiederholung des Schlusses des ersten. Die Idee des Buchs aber, die den Zusammenhang mit dem ganzen Werke vermittelt, ist die, dass die Gnade Gottes unsere unbegrenzte Liebe zu ihm verlangt, die in dem festen Glauben, dem sichern Vertrauen auf ihn sich bekundet, das eine Bürgschaft, wenn nicht des irdischen, doch des himmlischen Glückes ist.

So sucht der Dichter in seiner verzweifelten Lage sich durch das ganze Werk zu trösten, das erst durch die persönliche Beziehung zu ihm seine volle innere Einheit erhält. Durch die Mischung des subjectiven, lyrischen Elements, das am reinsten in den Eingängen und Schlüssen der Bücher in Apostrophen an die Gottheit hervortritt, mit dem der Erzählung und Didaktik empfängt das Werk einen ganz eigenthümlichen Charakter. Für solche Originalität musste aber dem grössern Publikum jener Zeiten das Verständniss und Interesse fehlen; auch lässt sich nicht leugnen, dass bei dem Charakter der Dichtung die Ueber

1) Gens scelerata sumus, nil de pietate merentes,
Quorum primus ego, plus quam peccator habendus.

2) Vincla legant. v. 597.

3) Hesek. c. 37.

4) Diese Stelle zeigt recht, dass das Werk hier sein Ende fand: nicht etwa noch Bücher verloren gegangen sind. Sie erinnert an den Schluss der ,Hamartigenia', nur dass Prudentius bescheidener in seiner Bitte ist.

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