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ständiger wurde, da gar manche der auslautenden Consonanten bereits verstummt waren. 1)

Um so werthvoller erscheint aber dieser Hymnus in allen diesen Beziehungen, als er doch durch den Namen seines Verfassers wenigstens eine ungefähre Datirung sichert: nach dem oben Bemerkten würde er wenigstens noch in das zweite Drittheil des fünften Jahrhunderts zu setzen sein. Von den dem Ambrosius beigelegten Hymnen gehören manche sicher auch diesem Jahrhundert an, wie Splendor paternae gloriae2) oder Illuxit orbi iam dies, den Daniel dem Ambrosius zuschreibt 3), und auch in diesen zeigt sich bereits der Widerstreit von Vers- und Wortaccent weniger als in den authentischen Hymnen des Ambrosius und zugleich der Reim schon öfter, während dagegen der Hymnus Inluminans altissimus in beiden Rücksichten den vier authentischen Hymnen des Ambrosius sich anschliesst, und auch in der ganzen Darstellungs- und Ausdrucksweise, ohne doch den Charakter einer blossen Copie zu haben1), dergestalt, dass vieles für die Autorschaft des Ambrosius bei ihm spricht 5), jedesfalls er im Alter den genannten wie dem Hymnus des Sedulius noch vorauszusetzen ist. Dass auch in allen diesen Hymnen die Quan

1) Hierdurch scheint auch die Einreimigkeit noch mehr vertreten: sie findet sich in den Strophen A, C, K, L, P, R, Y, Z. (A und Y sind durchaus nur als einreimig aufzufassen, nicht abba, weil das auslautende m sicher stumm war.) Auch gleitende Reime finden sich in Strophe H.

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2) Daniel, Thes. hymnol. I, p. 24 f., Mone, Lat. Hymnen I, p. 373; ein höheres Alter wird bezeugt durch seine Erwähnung in der Regula des Bischofs von Arles, Aurelianus, der 555 starb, s. Daniel, 1. 1. IV, p. 15.

3) Mone, a. a. O. p. 77; Daniel IV, p. 11 ff. Er glaubt, dass auf diesen Hymnus die Stelle in Cassiodors Psalmen commentar Ps. 74, v. 8 sich beziehe, die man bisher auf den Hymnus,Inluminans altissimus' bezogen; und allerdings hat er darin Recht, dass sie auf jenen Hymnus noch mehr passt, und zwar aus einem Grunde, den er ganz übersehen hat, nämlich wegen des V. 15: Pallor ruborem parturit; aber das Zeugniss Cassiodors kann überhaupt hier nicht genügend sein.

4) Wie z. B.,Somno refectis artubus' oder,Consors paterni luminis'. Daniel, 1. 1. I, p. 26 f.

5) Auch das Zeugniss Cassiodors (s. oben Anm. 3) würde die Prăsumtion noch verstärken, wenn die erwähnte Stelle auf diesen Hymnus zu beziehen wäre, und dies würde sicher der Fall sein, wenn in v. 14 ruborem statt saporem zu lesen wäre, und die Vertauschung jenes mit diesem Wort lässt sich leicht annehmen. S. den Hymnus bei Mone I, p. 75, Daniel I, p. 19 f., er wie der erstgenannte finden sich auch in der ältesten Hymnenhandschrift, s. Siona IX, S. 82.

tität beobachtet ist, versteht sich von selbst, denn die von uns oben (S. 250, Anm. 1) gegebene höchst wichtige Bemerkung des Augustin zeigt, wie noch Ende des vierten Jahrhunderts der streng metrische, d. h. quantitative Charakter der Hymnen als so selbstverständlich betrachtet wurde, dass er keine Ausnahme zuliess; und es wird hiermit unsere Ansicht über die Versform der ältesten dieser Art Hymnen, speciell der des Ambrosius vollkommen bestätigt.1)

VIERTES KAPITEL.

DRACONTIUS.

Eine eigenthümliche und zum Theil echt poetische Behandlung der Schöpfungsgeschichte finden wir gegen die Neige des Jahrhunderts in einer grössern Dichtung eines afrikanischen Poeten enthalten wieder, von der sie den grössten Theil des ersten Buchs bildet, welcher wohl schon frühe, jedesfalls vor dem siebenten Jahrhundert unter dem Titel,Hexaëmeron' selbständig edirt, das ganze Werk, selbst aus dem Gedächtniss der Menschen, verdrängte; ja in den zwei Handschriften, die uns jenes, dort De deo betitelt, überlieferten, ist dasselbe einem andern, dem Augustinus, beigelegt. Der Autor aber ist BLOSSIUS AEMILIUS DRACONTIUS 2), einer der interessantesten Dichter dieser Epoche, ein wahrer Poet, insofern seine christliche Dichtung mit seinem Leben auf das innigste verwebt erscheint. Ausser dem genannten grössern Werk besitzen wir von ihm noch eine

1) Um so weniger ist der Hymnus,Lucis largitor' (s. oben S. 136, Anm. 1) dem Hilarius beizulegen, weil in demselben bereits das quantitative Princip im Schwanken sich befindet.

2) Dracontii carmina ex mss. Vatican. duplo auctiora iis quae adhuc prodierunt, recens. F. Arevalus. Rom 1791. 4o. (Prolegg.) Carminis de deo quod Dracontius scripsit, liber II, e cod. Rhedig. emend. ac suppletus a C. E. Gläser. Breslau 1847. 4o. lib. III, ib. 1848 (Progr.). Dracontii carmina minora plurima inedita ex cod. Neapol. ed. F. de Duhn. Leipzig 1873.

Dracontii carmina profana ed. Bährens in dessen Poetae lat. minores, Vol. V. Leipzig 1883, p. 126 ff. Barwinski, Quaestiones ad Dracontium et Orestis tragoediam pertinentes. Pars I. De genere dicendi. Göttingen 1887 (Diss.); Pars II. De rerum mythicarum tractatione. Gymnasial - Programm von Deutsch Crone. 1888.

Elegie von 158 Distichen, welche auch im Geleite des Hexaëmeron publicirt wurde. Es ist dieselbe Satisfactio betitelt und an den Vandalenkönig Gunthamund, der von 484 bis 496 in Afrika regierte, gerichtet. Dieses Gedicht sowie einzelne Stellen des grössern Werkes geben uns über den Dichter interessante Aufschlüsse: sie werden noch erweitert durch eine Anzahl Profandichtungen, meist offenbar Jugendproducte, die unlängst von ihm entdeckt worden sind.) Er stammte aus einer der vornehmen Possessoren-Familien Afrikas, die trotz der Eroberung des Landes im Besitze von Gütern geblieben war; einer dieses Namens war in den sechziger Jahren des vierten Jahrhunderts Vicarius dieser Provinz gewesen. Dracontius erhielt die grammatisch - rhetorische Bildung seines Standes und widmete sich der juristischen Laufbahn: wie es scheint, war er Anwalt bei dem Proconsulat Carthagos; er verheirathete sich und hatte zahlreiche Kinder. 2) So lebte Dracontius offenbar in den glücklichsten Verhältnissen, bis er den Zorn des Königs Gunthamund sich zuzog, der nicht nur ihn selbst auf das härteste, sondern auch seine Familie traf. Dracontius ward in den Kerker geworfen, mit Schlägen misshandelt 3) in welcher grausamen Weise ja die Vandalen zu strafen pflegten - und seiner Güter

1) Die Carmina profana sind theils Schularbeiten, wie die Versification der Fabel des Hylas, in dem Auditorium des Grammatikers Felicianus vorgetragen, oder aus der Rhetorenschule hervorgegangene versificirte Declamationen (eine Controversia und eine Deliberativa), welche nur als Zeugnisse für das Fortleben der überlieferten antiken Schulbildung in Afrika damals von Werth sind, zumal die Praefatio des erst erwähnten Gedichts auch beweist, dass selbst die Vandalen an dem grammatischen Unterricht in Verein mit den Romanen sich betheiligten. Auch zwei Hochzeitsgedichte finden sich da, das eine während der Gefangenschaft verfasst, welche eine seltsame Mischung des mythologischen Prunks und der wollüstigen Sinnlichkeit des antiken Epithalamiums mit christlichen Gesinnungen zeigen. Dazu kommen noch zwei erzählende Gedichte, von welchen das eine (655 Hexam.) den Raub der Helena, das andere (601 Hexam.) die Fabel von der Medea zum Gegenstand hat. Alle diese Gedichte des Dracontius ebenso wie der schon früher veröffentlichte Orestes haben für uns kein weiteres Interesse, namentlich schon um deswillen, weil sie, verschollen, ohne alle Wirkung auf das Mittelalter geblieben sind.

2) So bittet er Gott am Schlusse der grössern Dichtung, 1. III, v. 690 f.: Sit mihi longa dies felici tramite vitae,

Sit domus haec felix, felix numerosa propago.

3) Satisfact. v. 312.

beraubt, so dass die Seinigen mit Noth zu kämpfen hatten. Sein Verbrechen aber hatte er durch eine Dichtung begangen: wie er selbst in der Satisfactio sagt, bestand seine Schuld darin, einen Fremden sogar als seinen Herrn besungen zu haben, statt des eigenen, vandalischen Fürstenhauses. 1) Es war wohl der römische Kaiser: und die geheimen Beziehungen des romanischen Adels und der katholischen Geistlichkeit Afrikas zu Byzanz waren mit Recht den Vandalen verdächtig.

Dracontius hatte schon längere Zeit den Zorn des Königs erfahren, als er sein Reuegedicht verfasste. 2) Der Dichter wendet sich in demselben zunächst an Gott, der die Herzen der Menschen lenkt; alles was sie thun, Gutes und Schlechtes, ist deshalb eine Folge der Gnade oder des Zorns Gottes. Wie Gott einst Pharaos Herz verhärtet, so liess er den Dichter, wegen seiner langen Sündhaftigkeit, das Unerlaubte begehen, dass er statt die triumphreichen Kriege der Asdingen zu erzählen, wovon er Lohn und Lob ernten konnte, gewisse Gefahren suchte (v. 21 ff.). Nur ein Sinnloser, getrieben vom himmlischen Zorne, vermochte das. Er erinnert an Nebucadnezar, dem nicht bloss der Sinn, sondern selbst die Gestalt durch Gottes Zorn verändert worden sei. Wie Gott aber diesen wiederherstellte, so möge er des Dichters Herrn befehlen, dass er es mit ihm thue. Er will dann sein, des Vaters und Grossvaters (Genserich) Lob singen. Auf der Welt ist das Gute und Böse gemischt: wie die Schlange den Tod und die Heilmittel in sich trägt, so nützt und schadet zugleich auch der Buchstabe (v. 64). Nachdem der Dichter dann Gott für seine Schuld, die er hier genauer bezeichnet (s. unten Anm. 1), um Verzeihung gebeten, wendet er sich darauf mit derselben Bitte an den König, der gegen ihn so gnädig, wie er gegen andere pflege, sein möge. (Und Gunthamund zeigte sich in der That, namentlich im Gegensatz zu seinem Vorgänger Hunerich, auch gegen die Katholiken,

1) Culpa mihi fuerat dominos reticere modestos,
Ignotumque mihi scribere vel dominum.

v. 93 f. Dass es ein Gedicht war, zeigt v. 105:

Te coram primum me carminis illius

paenitet.

Seine Schuld war aber noch vergrössert worden durch den ,boshaften Mund' seines Angebers. 2. Epithalam. (Carm. min. VII.) v. 128 f.

2) Er sagt darin zum König v. 120:

EBERT, Literatur des Mittelalters I. 2. Auflage.

Tempore tam longo non decet ira pium.

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d. h. zugleich die Romanen, sehr milde.)') Dracontius rühmt insonderheit die Milde des Königs den gefangenen Feinden gegenüber. Er fordert ihn auf, Gott im Verzeihen nachzuahmen, um das Volk nicht Lügen zu strafen, das ihn Rex pius nenne. Die Gnade sei der wahre Ruhm der Fürsten, da sie ihnen allein gehöre. Gott belohne auch seine Milde, wie sich dies schon während seiner Regierung gezeigt.) Der Dichter stellt dem König auch noch das Beispiel seines ,berühmten, waffenmächtigen Vorfahren des Genserich vor Augen, der dem gelehrten Vincemalos mit den Worten verziehen habe: Nicht dem Menschen verzeihe ich, aber seine Zunge verdient es.

Das Reuegedicht hatte keinen Erfolg gehabt; Dracontius aber erhielt sich die Hoffnung auf die Gnade Gottes, die er nachzuahmen den König aufgefordert; in dieser Hoffnung sich zu bestärken, vielleicht auch um dem Könige das Vorbild Gottes in jener Beziehung wirkungsvoll vorzuführen, unternahm er es in dem grössern Werke 3), einer Dichtung in Hexametern von drei Büchern, die Gnade (Pietas) Gottes zu besingen. So steht auch dieses Werk zu seinem Autor in der innigsten Beziehung,

1) S. Dahn, Die Könige der Germanen I, S. 258.

2) Hier gedenkt Dracontius einer Niederlage der Mauren in des Königs Abwesenheit, sodass er selbst kein Blut zu vergiessen brauchte. Hieran wird vermittelst der Verse: Quod pereunt hostes, regis fortuna vocatur Quod pereunt populi, temporis ordo regit etc., eine lange, an dieser Stelle schwer begreifliche Episode über den Satz: Alles zu seiner Zeit' (v. 219 bis 264) eingeschaltet, eine triviale Paraphrase desselben, in Anknüpfung an den Prediger Salomonis.

3) Ich halte dies also für nach der Elegie abgefasst. Aus der Vergleichung der nicht wenigen übereinstimmenden Stellen beider Dichtungen lässt sich, so weit ich sehe, kein sicheres Urtheil in dieser Frage entnehmen. Zu meiner Ansicht bestimmen mich folgende Erwägungen: 1) es lässt sich erwarten, dass der Dichter die,Satisfactio‘, sobald als er konnte, verfasst haben wird; 2) das grössere Werk gibt, wie oben schon angedeutet, nur eine ausführliche Motivirung des Hauptsatzes, worauf die Elegie sich gründet, der Barmherzigkeit Gottes; 3) der Dichter geht darin zu der Drohung fort, dass Gott die Unterdrücker unterdrücke. Auch erscheint es mir einer poetischen Natur, wie sie in der That Dracontius besass, der in beiden Dichtungen von Herzen spricht, würdiger anzunehmen, dass er in dem grössern Werk Gedanken des kleinern ausgeführt, als dass er in diesem in solchen Fällen blosse Reminiscenzen aus jenem gegeben habe. Hierin bestärken mich auch Einzelheiten bei der Vergleichung, auf die ich, Weitläufigkeit zu vermeiden, einzugehen mir versage, um so mehr, als sie nur eine subjective Ueberzeugung zu gewähren im Stande sind.

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