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nun die von Christus gethanen Wunder zu berichten, indem der Dichter mit dem ersten, dem der Hochzeit von Cana (hier sowie bei der Wiedererweckung des Sohnes des Regulus von Capernaum im Anschluss an Johannes) anhebt; darauf folgen die von Matthäus von Kapitel 8 bis Kapitel 17 erzählten, und den Schluss bildet merkwürdigerweise die Frage der Jünger, wer von ihnen der grösste im Himmelreich sein werde, und ihre Beantwortung durch Christus, Matth. c. 18 init. Das vierte Buch (308 Hexameter) beginnt dann mit der Rückkehr Christi von Galiläa über den Jordan nach Judäa, Matth. c. 19, v. 1 f., worauf der Dichter in seinem Berichte der Wunder diesem Evangelisten noch bis c. 21 folgt (dabei aber hier den Einzug in Jerusalem übergehend), um alsdann die nicht bei Matthäus sich findenden Wunder aus den andern Evangelisten, zunächst aus Lucas, zum Theil auch aus Marcus, dann aus Johannes zu ergänzen bis zum Einzug in Jerusalem, welchen er denn am Schlusse dieses Buchs nach der Wiedererweckung des Lazarus erzählt. Im fünften Buch (438 Hexameter), wo der Dichter im Anfang auch noch speciell Johannes (c. 12 f.) folgt), wird das Leiden, der Tod, die Auferstehung, die Erscheinungen Christi und seine Himmelfahrt geschildert, und mit einer Umschreibung der beiden letzten Verse des Evangelium Johannis das Werk geschlossen.

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Die Behandlung des biblischen Stoffes ist schon durch die Aufgabe, die sich der Dichter gestellt hat, eine viel freiere als in der Historia evangelica, obgleich er sich, wie wir sahen, auf die Erzählung der Wunder allein nicht beschränkt, und dies ist von dem ersten Buche natürlich hier abgesehen nicht bloss in dem zweiten und im letzten Buche der Fall, wenn auch hier vornehmlich, indem auch in den beiden übrigen hin und wieder andere Züge aus dem Leben Christi erzählt werden, wie bereits angedeutet, und wie im vierten (v. 222 ff.) die Begegnung Christi mit der Samaritanerin und die mit der Ehebrecherin. Sedulius setzt, im Unterschied von Iuvencus, offenbar eine Kenntniss der evangelischen Geschichte, im allgemeinen mindestens, bei seinem Leser voraus: so verknüpft er meist nur sehr lose und äusserlich, oder auch gar nicht die aus dem Zu

1) S. über die biblische Vorlage im weiter Folgenden, wie über sie überhaupt Leimbach, S. 11 ff. und 45 ff.

sammenhang der biblischen Erzählung herausgenommenen Thatsachen, die oft nur wie aufgezählt erscheinen; zugleich reproducirt er sie in einer viel freiern, subjectiven Weise, indem er öfters, die Thatsache bloss andeutend, mehr seinen Empfindungen und Betrachtungen über dieselbe Ausdruck verleiht. Dies gibt seinem Werk einen weit originellern Charakter und in seinen besten Partien oft eine dramatische Lebendigkeit: Treue im Ausdruck bei der Wiedergabe der Bibel lag nicht in seiner Absicht. Dass trotz dieser Originalität auch Sedulius zeigt, wie er bei Virgil in die Schule gegangen, versteht sich; er scheut sich selbst nicht, einmal einen ganzen Vers aus der Aeneis zu entlehnen. In der pittoresken Anschaulichkeit einzelner Beschreibungen, wie III, v. 90 ff. oder IV, v. 175 ff., und in der Versmalerei (s. III, v. 52 ff.) bekundet er sich als seinen gelehrigen Schüler. Aber es fehlt auch nicht hier und da an rein rhetorischen Spielereien.) In einzelnen Partien ist mir das häufige Eintreten des leoninischen Reims sehr aufgefallen, so namentlich im zweiten Buche von v. 82 an.

Auch ein dem Iuvencus gegenüber eigenthümlicher Zug unseres Dichters, der mit dem oben Gesagten zusammenhängt, ist die nicht selten zu findende mystische Erklärung, die er den biblischen Thatsachen beifügt. So entspricht die Vierzahl der Evangelisten der der Jahreszeiten, die Zwölfzahl der Jünger der der Tagesstunden und Monate (I, v. 360 ff.); so weisen die drei Stunden, wo die Sonne beim Tode Christi verfinstert war, auf die drei Tage hin, die er im Grabe lag (V, v. 241 ff.) 2); so wird auch der Erzählung von dem zur Quelle Siloa gesandten Blinden eine mystische Deutung gegeben (IV, v. 263 ff.) 3), ebenso

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Neglegis et regi regum tua regna minaris. Dergleichen ist aber selten. Vgl. auch II, v. 7 f. Auch Wortspiele des Witzes finden sich, so wenn es von der Geburt des Blindgebornen heisst IV, v. 253: in lucem sine luce ruit. S. andere Beispiele bei Boissier, 1. 1. S. 565.

2) (Lux) Non absens mansura diu, sed mystica signans

3)

Per spatium secreta suum; quippe ut tribus horis

Caeca tenebrosi latuerunt sidera caeli,

Sic Dominus clausi triduo tulit antra sepulcri.

Cognoscite cuncti,

Mystica quid doceant animos miracula nostros.

der Zerreissung des Vorhangs des Tempels (V, v. 273 f.), dem Fischzug des Petrus Joh. c. 21 (V, v. 401 ff.) u. s. w.1)

Auf diese Dichtung liess Sedulius später eine Uebertragung derselben in Prosa (auch in 5 Büchern) folgen, die er im Gegensatz zu dem Carmen Paschale opus nannte. Auch dies,Opus' widmete er dem Macedonius, auf dessen Aufforderung hin er es verfasst hatte, wie er in der Widmung desselben sagt. Er stellt dort das Werk unter den Schutz der Autorität des Macedonius, etwaigen Verkleinerern gegenüber, die ihm Untreue in der Ueberlieferung vorwerfen könnten, weil in der Prosa manches enthalten, was in dem Gedicht sich nicht finde. Aber er habe nicht sowohl geändert, als vielmehr nur vervollständigt. Was dem ersten Werke gefehlt hätte, sei dem zweiten hinzugefügt. Und in der That machen solche Ergänzungen den materiellen Unterschied beider Werke aus, wie denn z. B. Stellen der Bibel, namentlich des Alten Testaments, auf die im Carmen nur hingedeutet ist, in dem Opus wörtlich wiedergegeben sind, sodass das letztere hier und da dem erstern zur willkommenen Erklärung dient. Auch sonst finden sich an wichtigern Stellen die Worte der Bibel selbst in dem Opus hinzugefügt, wodurch es einen kirchlichern Charakter erhält. Die Prosa, die allerdings offenbar eine poetische sein soll, bildet in ihrem geschraubten und schwülstigen Ausdruck einen merkwürdigen Gegensatz zu dem Gedicht, das im allgemeinen gerade durch eine schwulstfreie leichte Darstellung sich auszeichnet, und deshalb nicht bloss von den Dichtern der nächsten Epoche, einem Venantius Fortunatus, Aldhelm und Beda, sondern auch in dem Zeitalter Karls des Grossen, und selbst noch in dem des Humanismus sehr hoch geschätzt wurde.

Wir besitzen von Sedulius noch zwei Gedichte, davon ist das eine eine,Elegia', 55 Distichen, worin die Künstelei der Epanalepsis durchgeführt ist: ja dieser zu Gefallen ist wohl

1) Hier sei auch die folgende Stelle über die Form des Kreuzes ausgehoben V, v. 188 ff.:

Neve quis ignoret, speciem crucis esse colendam,
Quae Dominum portavit ovans, ratione potenti
Quattuor inde plagas quadrati colligat orbis.
Splendidus auctoris de vertice fulget Eous,
Occiduo sacrae lambuntur sidere plantae,
Arcton dextra tenet, medium laeva erigit axem.

das Gedicht überhaupt geschrieben, welches zum Lobe Christi verfasst, grösstentheils wenigstens Facta des alten Bundes zu solchen des neuen in typische Beziehung setzt, indem der Hexameter dem Alten Testament, der Pentameter dem Neuen gewidmet ist: dazu musste sich allerdings gerade die Epanalepsis wohl eignen.') Man hat deshalb das Gedicht auch Collatio veteris et novi testamenti betitelt. Der metrischen Spielerei sind Präcision und Klarheit des Ausdrucks nicht selten geopfert. Für die typologische Kenntniss ist das Gedicht nicht ohne Interesse, das sonst keinen, am wenigstens poetischen Werth hat. Mehr ist dies der Fall in dem andern, auch literarhistorisch interessanten Gedichte.

Es ist dies ein alphabetischer Hymnus auf Christus in der Form der ambrosianischen, in welchem die Anfangsbuchstaben der Strophen der Reihenfolge des Alphabets entsprechen, wie bei dem Augustinischen Psalm (s. oben S. 250). So besteht er, indem hier kein Buchstabe übergangen ist, aus 23 vierzeiligen Strophen, in welchen die wichtigsten Momente aus dem Leben des Heilands kurz besungen werden. Der Ausdruck ist einfach und doch nicht gewöhnlich; und eine innige Empfindung spricht aus mancher Stelle in ihm. So hat sich denn auch die Kirche schon frühe Theile dieses Hymnus angeeignet und beim Gottesdienst verwandt, nämlich die ersten sieben Strophen (A bis G) als Weihnachtslied, dann die achte, neunte, elfte und dreizehnte (H, I, L, N) als Lied zum Epiphanienfeste.2)

Merkwürdiger, als durch Inhalt und Darstellung, ist dieser Hymnus in Bezug auf den Vers. Es zeigt sich da in einzelnen Zügen bereits ein bedeutungsvoller Unterschied von den Hymnen des Ambrosius wie auch des Prudentius. Zwar ist die Quantität der Silben hier nicht weniger beachtet als in jenen; kaum einmal ist eine Kürze durch die Arsis gehoben; auch er

1) Eins der besten Distichen diene als Beispiel, v. 7 f.:
Sola fuit mulier, patuit qua ianua leto:

Et qua vita redit, sola fuit mulier.

Ganz ähnlich verfuhr

2) S. Daniel, Thes. hymnolog. I, p. 143 ff. man ja auch mit Hymnen des Prudentius, s. oben S. 255. Der Hymnus des Sedulius findet sich auch bei Du Méril, Poésies popul. lat. antér. au XIIe s., p. 142 ff.

scheint der Spondäus nicht im zweiten Fusse, ausser bei einem fremden Eigennamen: dagegen aber wird einmal bereits der Hiatus zugelassen (v. 17); was aber am wichtigsten ist, der Widerstreit des grammatischen und des Versaccentes erscheint viel seltener als bei Ambrosius, ja im Innern des Verses, im zweiten und dritten Fusse, ganz in der Regel nicht; es finden sich sogar zwei ganze Strophen (B und L), in welchen der Widerstreit gar nicht eintritt. Und, was nicht zu übersehen, dies ist bei einem Dichter der Fall, der, wie sein Paschale carmen zeigt, die beste Schule gemacht hat, der in diesem sich als reinen Kunstdichter im klassischen Sinne bewährt hat. Höchst beachtenswerth aber ist ferner, dass zugleich in diesem Hymnus der Reim bereits in einer so ausgedehnten Weise Anwendung findet, dass er geradezu als ein Kunstmittel zu betrachten ist, das sich hier offenbar Hand in Hand mit der zuletzt erwähnten volksmässigen Eigenthümlichkeit, der Herrschaft des grammatischen Accentes, einstellt.1) Von einem zufälligen sporadischen Eintreten des Reimes kann hier ebenso wenig mehr die Rede sein, als von einer Anwendung im Geiste der antiken Kunstpoesie: er erscheint vielmehr hier als ein musikalisches Element, das dem Rythmus eine Zierde verleiht und die Hebung der Schlusssilbe des Verses verstärkend das Metrum trägt und markirt, so also einen Ersatz für das seltnere Eintreten des Widerstreits von Vers- und Wortaccent bieten kann. So zeigt sich hier schon der Verlauf der spätern metrischen Entwickelung angedeutet, welchen diese Dichtungsart, die von der Basis der antiken quantitativen Kunstpoesie ausgeht, unter dem Einfluss des in der Volkssprache über die Quantität zum vollkommenen Siege gelangten Accentes und der vom Metrum mehr und mehr sich emancipirenden musikalischen Composition nehmen sollte. Merkwürdig ist zu beobachten, wie bereits auch die verschiedensten Arten des Reimes, natürlich ohne Absicht des Dichters, in diesem Hymnus sich zeigen, aber die einfachsten und volksmässigsten, der gepaarte Reim und die Einreimigkeit, durchaus vorherrschen; und wie dem vollständigen der blosse Vocalreim zur Seite geht, der allerdings bei volksmässiger Aussprache schon damals in vielen Fällen ein voll

1) Allerdings um so leichter bei einem Dichter, der, wie wir oben S. 378 bemerkten, schon eine Vorliebe für den Reim besass.

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