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in Folge der Assimilation hellenisch - römischer Kulturelemente dem Romanismus besonders angehörte, konnte dieser die Herrschaft behaupten, um von hier aus auch auf das Staatsleben die wichtigsten Einflüsse auszuüben. Und so sehen wir denn, wie schon zur Zeit der Westgothenherrschaft in Gallien vornehme Romanen, die früher Staatsmänner waren, Bischofssitze einnehmen, die dann unter den Franken zum Theil geradezu eine Domäne bestimmter senatorischer Geschlechter werden. Auch in Spanien, wo zunächst die Verhältnisse der frühern Epoche fortbestehen, nur dass zeitweise, wie unter König Leovigild, der Katholicismus die heftigste Verfolgung erfährt, findet in diesem doch der Romanismus seine Hauptstütze; ja der Einfluss des katholischen Priesterthums auf den Staat wird, als Leovigilds Sohn Reccared (586) zur orthodoxen Kirche übertritt und seinem Beispiel die Gothen folgen, ein höchst bedeutender, sodass die Romanisirung der Westgothen viel rascher als die anderer Germanen erfolgt.

Der Process der Verschmelzung der Nationalitäten unter der Einwirkung der katholischen Kirche, aus welchem die neuen Völker des Abendlandes hervorgehen sollten, löst überall das antik-römische Bewusstsein vollends auf, nachdem dasselbe nicht nur in politischer Beziehung durch die Germanen gebrochen, sondern auch in moralischer durch das immer tiefer eindringende Christenthum zerstört worden war. Beides geht ja Hand in Hand und steht in Wechselwirkung. Nun traten auch die geistlichen, insbesondere die Klosterschulen mehr und mehr an die Stelle der aus dem Alterthum überlieferten Profanschulen, die bis auf spärliche Reste in dieser zweiten Epoche verschwinden. Die antike Bildung muss sich durchaus unter die Fittige der Kirche flüchten, die ihr in der That, namentlich in manchen Klöstern, ein rettendes Asyl schenkt; aber wird auch dort die Literatur des Alterthums zu einem guten Theil geborgen, ja durch neue Abschriften vermehrt, so wird doch die antike Wissenschaft nur noch in einer kirchlich modificirten Form, wie durch die Schule, so durch encyclopädische Werke, in grössern Kreisen verbreitet. In dieser Gestalt war sie ihnen jetzt auch allein ansprechend und verständlich: so allein liess sie sich für die nächsten Jahre conserviren, wie sich Früchte eingemacht nur durch einen fremden Zusatz erhalten, der freilich die Eigenthümlichkeit ihres Geschmackes wesentlich verändert.

Die Literatur ist in dieser Epoche, zumal vom siebenten Jahrhundert an, gar spärlich vertreten, wenn auch manches verloren gegangen sein mag, das aber gewiss auch dieses Schicksal verdiente. Nicht bloss war in den Ländern, in welchen die christlich-lateinische Literatur bisher gepflegt wurde, jetzt die Bildung im allgemeinen zu sehr gesunken, sondern es fehlten auch alle äussern begünstigenden Einflüsse, vielmehr machten sich fast nur die nachtheiligsten geltend. Die katholische Kirche war in dogmatischer Hinsicht zu einem Abschluss gelangt: praktische Interessen bewegten sie nur, ihre äussere Stellung feindlichen Mächten, wie dem Arianismus der Langobarden, früher auch der Westgothen, sowie Byzanz gegenüber zu behaupten, oder ihr Gebiet über die heidnischen Barbaren auszudehnen; andererseits dann in politischer Beziehung die unaufhörlichen innern Kämpfe und Fehden in Italien und Gallien, wozu seit dem Anfang des achten Jahrhunderts in Spanien der Einfall der Araber kam, der dieses Land bald fast ganz dem Christenthum entriss. Die Literatur dieser Epoche würde noch ärmer sein, ja die Continuität ihrer Entwickelung unterbrochen erscheinen, wenn nicht dagegen auch ganz neue Gebiete das Christenthum sich erobert hätte, aus deren Bevölkerung selbst wieder bald begeisterte Apostel desselben hervorgingen, die mit jugendlich frischem Enthusiasmus auch der durch die Kirche überlieferten antiken Bildung sich bemächtigten und sie zu verarbeiten und weiter zu verbreiten sich gedrängt fühlten. Ich meine die Iren und Angelsachsen. Nachdem seit den dreissiger Jahren des fünften Jahrhunderts der heil. Patricius das Christenthum in Irland eingeführt, bedeckte sich das Land rasch mit Klöstern, wo gerade auch die höchsten Klassen, der Adel und die Druiden, der christlichen Askese und Weisheit zugleich mit aller Begeisterung sich widmeten, wie ja schon die Druiden in ihrem Berufe die Pflege der nationalen Wissenschaft mit der des Kultus vereint hatten. Diese irischen Mönche brachten dann, namentlich seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts, die Begeisterung für die Askese und nicht minder die gelehrte Bildung nach dem Continent, Gallien, Germanien und selbst Oberitalien, wieder zurück, indem sie hier Klöster gründeten, wie Luxeuil, Bobbio, St. Gallen u. a., welche für die nächsten Jahrhunderte die wichtigsten Stätten der Kultur wurden. Um dieselbe Zeit begann durch Benedictiner Italiens, welche direct von dem Papst

gesandt wurden, die Bekehrung der Angelsachsen, an welcher sich dann auch die Iren betheiligten, die auch zu ihnen ihren asketischen und wissenschaftlichen Eifer trugen. Aber auch mit Italien blieb die junge angelsächsische Kirche in stetem, regem Verkehr, was sie vor der Einseitigkeit der irischen schützte. So kam es, dass, als seit dem letzten Drittheil des siebenten Jahrhunderts die angelsächsischen Mönche dem Beispiel ihrer Lehrer, der irischen folgend, auch deren Missionsthätigkeit aufnahmen, sie die ihrer Meister bald verdunkelten. Auch die kirchliche wissenschaftliche Bildung, die sie zum Theil von ihnen empfangen, trug bei den Angelsachsen eine weit reichere Frucht: sie sind es, die zuletzt noch in den dunkelsten Zeiten die christlich - lateinische Weltliteratur in bedeutenderer Weise fortsetzen und lebendig erhalten, um sie dem karolingischen Zeitalter später zu überliefern, und sie sind es zugleich, die zuerst unter den neuen Völkern des romanisch - germanischen Abendlandes, welche an der Stelle der Römer die Träger der Weltkultur dort werden, eine Nationalliteratur hervorbringen.

So zeigt sich recht, wie diese Periode der christlich-lateinischen Literatur eine Uebergangsperiode in der Geschichte der Weltliteratur selbst ist, und aus diesem Gesichtspunkt hat namentlich die zweite Epoche kein geringes historisches Interesse. Ein neuer, ihr eigenthümlicher Zug, der unmittelbar mit ihrem allgemeinen Charakter zusammenhängt, und schon am Schluss der ersten Epoche dieser Periode sich ankündigt, besteht darin, dass das germanische und keltische Volkselement auf die christlich-lateinische Literatur einwirken, theils stofflich, theils durch die Autoren, die entweder jenen Nationalitäten angehören oder unter ihrem Einflusse stehen. Hierdurch erhielt diese Literatur der Epigonen ein neues frisches Lebenselement. Eine andere Eigenthümlichkeit dieser zweiten Epoche unserer Periode, die nicht minder im innigen Zusammenhang mit ihrem allgemeinen Charakter steht, beruht, um mich kurz auszudrücken, in der Popularisirung der christlich-lateinischen Literatur, d. h. allerdings nur einzelner ihrer Zweige, die einer solchen besonders fähig waren, indem sie durch mündliche Rede sich überliefern liessen, so der Hymne, der Predigt und der Legende.1)

1) Ozanam, La civilisation au cinquième siècle; Derselbe, La civilisation chrétienne chez les Francs. Oeuvres 2o éd. Paris 1855. Tom. I et II, IV. — Dahn, Die Könige der Germanen. Bd. I—VI. München 1861 ff.

ERSTES KAPITEL.

PROSPER.

Indem wir nun zur Betrachtung der literarischen Erscheinungen dieser Periode und zunächst ihrer ersten Epoche übergehen, können wir in derselben, im allgemeinen wenigstens, die Poesie und die Prosa sondern, zumal die Fälle selten sind, wo ein Autor in beiden zugleich eine literarhistorische Bedeutung erlangte. Wir beginnen mit der Dichtung, die sich zwar in der Regel nur auf den bereits im vorigen Zeitraum eröffneten Bahnen bewegt, aber dennoch einzelne recht originelle Werke aufzuweisen hat. An der Spitze der Poeten steht der Zeit nach ein Autor, der noch mehr in Prosa geschrieben hat, dessen Prosawerke aber bis auf eins für uns hier ohne Interesse sind, und der, so prosaisch auch seine Natur war, doch in seinen poetischen Producten allein eine gewisse Originalität zeigt. Es ist der Aquitanier PROSPER. 1) In ihm reicht diese Periode der vorausgehenden wahrhaft die Hand. Er, der eifrigste Anhänger und Schüler des Augustin d. h. durchaus durch seine Schriften gebildet 2) setzte dessen Kampf gegen den Pelagianismus mit wahrer Leidenschaft fort, indem er denselben auch in jener vermittelnden Ansicht über das Verhältniss der Gnade zu dem freien Willen, welche in Südgallien damals aufkam, noch aufsuchte und hierbei namentlich gegen den dort so einflussreichen Cassian, der, wie oben bemerkt, in einer seiner Conlationen jene Ansicht entwickelt hatte, sich

*

1) Sancti Prosperi Aquitani opera omnia ad mss. codd., nec non ad editt. antiquiores et castigatiores emendata etc. Paris 1711. fol. (herausgegeben von Le Brun und Mangeaut). * S. Prosperi Aquitani De gratia Dei et libero arbitrio hominis et praedestinatione sanctorum opera omnia. Edition. emendatiss. et variis lectionibus praecipue ex codd. mss. Vatican. curavit P. F. F. (Petrus Francisc. Fogginius). Rom 1758. Danach Venedig 1786. Wiggers, a. a. O. (s. oben S. 316, Anm. 4). Holder-Egger, Untersuchungen über einige annalistische Quellen zur Geschichte des 5. und 6. Jahrhunderts, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, Bd. I (1876), S. 54 ff. Haucks Art. Prosper in der RealEncycl. f. prot. Theol. Bd. 12 (1883), S. 300 ff.

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2) Persönlich kannte er ihn nicht. S. den Eingang seiner Epist. ad Augustinum.

wandte. Von Prospers Leben haben wir gar wenige sichere Daten; und nur solche, die mit seiner literarischen Thätigkeit unmittelbar zusammenhängen. Er war ein gelehrter Laie, der offenbar mit vielem Erfolg die noch immer hervorragenden Schulen seiner Heimath besucht hatte.') Nach der Provincia, und, wie es scheint, nach Massilien übergesiedelt, macht er um das Jahr 429 durch ein Schreiben Augustin zuerst mit dem dort sich entwickelnden Semipelagianismus bekannt und veranlasst ihn zu den Schriften De praedestinatione sanctorum und De dono perseverantiae, welche seine Lehre erläutern sollten. Prosper selbst tritt dann bald darauf wider die Gegner des Augustinismus mit einer Reihe von Werken in die Schranken, von welchen eines der ersten, wenn nicht das erste selbst, seine Dichtung De ingratis ist, die noch bei Lebzeiten des Augustin, zwischen 429 und 430, verfasst wurde. Von seinen Streitschriften in Prosa aber ist am bedeutendsten das ein paar Jahre danach direct gegen Cassian gerichtete Buch De gratia dei et libero arbitrio, welches eben deshalb später den Zusatz contra Collatorem erhielt, wonach es häufig auch allein citirt wird. Ausserdem heben wir unter seinen Werken als beachtenswerth noch die folgenden hervor: einmal, eine Sammlung von fast 400 Sätzen aus den Schriften seines Meisters (Sententiarum ex operibus Augustini delibatarum liber), gleichsam als eine Summe der Theologie desselben, ein Buch, literargeschichtlich schon deshalb merkwürdig, weil es im Abendland das erste einer Art war, die im Mittelalter noch so wichtige Werke als das des Petrus Lombardus zeitigen sollte; dann aber gab diese Sammlung zur Abfassung eines Buchs Epigramme dem Prosper die Veranlassung; endlich schrieb er auch eine Weltchronik im Anschluss an die des Hieronymus, auf welche ich später zurückkomme. Er starb wahrscheinlich im Jahre 463 2), nachdem er,

1) So nennt ihn auch Gennadius De vir. ill. c. 84: sermone scholasticus.

2) Da die Chronik in ihrer letzten Edition (s. darüber weiter unten) mit dem Jahre 455 schliesst, so lässt sich wohl annehmen, dass der Verfasser dies Jahr nicht lange überlebte, weil er sie sonst wohl fortgesetzt haben würde: nun gedenkt Marcellinus Comes in seiner Chronik des Prosper unter dem Jahre 463 (s. Ronc. p. 295); der Schluss liegt hiernach nahe, dass dies sein Todesjahr gewesen. Dieser in der ersten Auflage ausgesprochenen Vermuthung bin ich trotz des Widerspruchs Holder - Eggers noch immer, da ich seine Behauptung, dass Marcellinus die aus Gennadius

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