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tionalgefühl in seinem Kerne geschädigt; und selbst die Beschränkung der väterlichen Gewalt musste das Selbstbewusstsein des römischen Bürgers noch mehr schwächen. Die unumschränkte Herrschaft im eigenen Hause war gewissermassen das Pfand der Theilnahme an der Herrschaft im Staate gewesen, denn dieser war auf die Familie gegründet. Der Staat selbst aber war, seit seiner Erweiterung zum Weltstaat, mehr und mehr eine bureaukratische Maschine geworden, die zu ihrer obersten Leitung der Hand eines Einzelnen bedurfte. Ein Weltstaat, wie dieser, konnte nur eine Weltmonarchie sein. Die Monarchie selbst aber nahm mit der Zeit immer mehr, namentlich seit Commodus und Septimius Severus, den halborientalischen Charakter einer Militärdespotie an, indem auch hierin das ältere, orientalische Weltreich Alexanders, allerdings durch Vermittelung seiner Nachfolger, normgebend mitwirkte; von dort auch stammte, wie bereits früher die Einrichtung des Hofes, die Vergötterung der Herrscher. War nun schon durch August dem römischen Volke die Theilnahme an der Regierung in Wahrheit entrissen und so der eigentliche Quell der specifisch nationalen Bildung verschüttet, denn die Grösse dieses Volkes wurzelte gerade in dieser Einseitigkeit einer rein politischen Erziehung: so war doch noch dem Volk in Waffen') in den Prätorianer-Cohorten bei der Besetzung des Throns ein theils stillschweigender und indirecter, theils aber, in kritischen Zeitläufen, offenkundiger und direct entscheidender Einfluss geblieben. Aber unter der Einwirkung des kosmopolitischen Princips wurde ihm auch dieser entzogen, seit der Afrikaner Septimius Severus die Prätorianer zu einer Garde umbildete, welche aus den besten Soldaten aller Legionen des Reichs zusammengesetzt wurde, unter denen nichtromanisirte Barbaren um so mehr die Oberhand gewinnen mussten, als ihnen eine grössere physische Kraft inwohnte; denn mit dem Sinken der moralischen war auch die physische Kraft der Römer und Italiker niedergegangen. Um so eher musste der Thron selbst jetzt Provincialen anheimfallen, unter welchen sich bald darauf sogar Germanen und Orientalen befinden, die kaum von der hellenischen, geschweige der specifisch römischen Bildung ober

1) Vgl. hierzu Tacitus, Annal. IV, c. 5, novem praetoriae cohortes, Etruria ferme Umbria delectae aut vetere Latio et colonis antiquitus Romanis.

flächlich berührt waren. Wenn schon ein Hadrian und ein Marc Aurel ihrer Bildung nach mehr Hellenen als Römer zu nennen waren, so herrschte in Elagabal der reine Asiate in den excentrischsten Formen des orientalischen Despotismus. Wie herabgewürdigt musste der römische Geist sich fühlen in den Herzen, in welchen er noch eine Stätte fand! Und während nun über die Herrschergewalt die Legionen fremder Söldner verfügten, drohte bereits seit dem Anfang des dritten Jahrhunderts die Auflösung und Zertrümmerung des Weltreichs. Schon nach dem Tode des Septimius Severus wurde eine Theilung des Reichs beabsichtigt; nach der Ermordung des Alexander Severus aber folgte bis auf Diocletian (235-284) gar kein stetiges sicheres Regiment mehr: in raschem Wechsel nahm ein General nach dem andern den Thron ein, indem nicht selten mehrere zugleich sich Augustus nannten, bis denn zur Zeit des Gallienus sogar 19 Statthalter sich selbständig erklärten, während gleichzeitig Aufstände der Provincialen erfolgten, wie in Gallien, in denen bereits das Streben nach einer Loslösung aus dem Verbande des Reichs und einer staatlichen Unabhängigkeit sich kundgibt. Und im Laufe dieses Zeitraums brachen immer kühner auch die auswärtigen Feinde über die Grenzen im Occident wie Orient; besiegt sah man einen Imperator im Kampf gegen die Gothen fallen (251), und zehn Jahre später einen andern, von den Persern überwunden, in die Gefangenschaft geschleppt. Der einzige Staatszweck wurde nunmehr das Interesse der Selbsterhaltung den äussern und innern Feinden gegenüber, welches denn auch die neue Constituirung des Reichs durch Diocletian bestimmte; und dieser Vorläufer Constantins verlegte schon den Schwerpunkt des Reichs in den Orient, indem er Nicomedien zum Regierungssitz des ersten Augustus machte.

Dass in solchen Zeiten, wo der Stolz der ewigen Roma so gedemüthigt wurde, das Gefühl von der Hinfälligkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen immer tiefer alle Schichten der Gesellschaft durchdrang und jenen naiven selbstbefriedigten Genuss der Gegenwart, wie er der antiken Weltanschauung eigenthümlich war, der gealterten und überlebten Welt vollends zerstörte, ist um so leichter zu begreifen, als die Aussicht in die Zukunft des Reichs eine ganz dunkle, durch keinen Hoffnungsstern erleuchtete war. Wenn hierbei in den höhern Klassen

die moralischen, mussten in den untern die materiellen Motive stärker wirken; auf diesen Klassen lastete ja namentlich von Jahr zu Jahr schwerer der Steuerdruck, sie trafen die Nachtheile des Verfalls der Landwirthschaft, des Handels und der Gewerbe unmittelbarer und schwerer. Einen Trost suchte man nun theils in den Erinnerungen an eine ferne Vergangenheit, die Blüthe der republikanischen Zeiten, die man auf Kosten der traurigen Gegenwart in einem um so idealeren Lichte sah, theils in den Hoffnungen auf ein anderes, zukünftiges Dasein jenseits des Grabes, Hoffnungen, welche den Tod erleichtern konnten, der von so vielen Seiten drohte, und zugleich so oft nicht der Uebel grösstes, sondern das sicherste und einzige Heilmittel derselben schien. Eine erhöhte religiöse Stimmung, die aus dem Innersten der Menschennatur sich entwickelte, durchdrang die heidnische Welt. Gegenüber den gewaltigen unaufhörlichen Erschütterungen des öffentlichen Lebens, welche alles Ehrwürdige in den Staub warfen und das Niedrigste emporhoben, gegenüber so manchen grossen allgemeinen Calamitäten, wie sie damals das Reich heimsuchten, für die der zerrüttete Staat am wenigsten eine Hülfe bieten konnte, wurde das Gefühl der Abhängigkeit des Menschen von höhern Mächten wie das Bewusstsein seiner sittlichen Verderbniss immer mehr gesteigert und lebendig. Die wahrhaft gebildeten Römer suchten schon länger in der Philosophie, zunächst und vornehmlich der stoischen, Trost, welche die Geringschätzung der äussern Dinge, die Unterwürfigkeit unter das über allen waltende Schicksal, die asketische Entsagung und sogar den Selbstmord, soweit diese zur Behauptung der innern Freiheit nothwendig waren, lehrte; aber sie setzte ein Selbstvertrauen voraus, eine Tapferkeit der Seele, welche in den,sittlich Kranken', die der Stoicismus heilen wollte denn so fassten den Beruf der Philosophie schon ein Musonius, ein Epiktet auf') — mit der Zeit immer seltener sich fand: so versagte denn einerseits der Trost, den diese Philosophie bieten konnte, andererseits schlug sie aber selbst eben deshalb auch, wie das Beispiel Marc Aurels zeigt 2), jene mystisch religiöse Richtung ein, der bereits durch

1) S. Zeller, a. a. O. S. 655 und 662; largeïóv ¿otiv tò tov qihocópov 702εlov heisst es in Epict. Dissert.

2) S. Zeller, a. a. O. S. 680.

aus der Pythagoräismus und Platonismus im griechischen Orient huldigten, nämlich die: den Boden der reinen Wissenschaft zu verlassen und eine unmittelbare göttliche Offenbarung zu Hülfe zu nehmen.

Wenn nun selbst in den Höchstgebildeten der Heiden die Zeitverhältnisse ein solches religiöses Bedürfniss erweckten, das der der antiken Bildung eigenen Selbstbefriedigung ganz widerstritt, wie viel mehr musste dasselbe der Fall sein bei der Menge der Halbgebildeten und der Masse des Volks! Konnte dies Bedürfniss aber in der römischen Nationalreligion damals eine Genugthuung finden? Mit nichten. Die Nationalreligion der Römer hatte auch einen durchaus politischen Charakter erhalten, als sie sich zugleich mit dem Staate entwickelte: sie war Staats- und Familien-Religion, oder vielmehr -Kultus, im Interesse des Gemeinwesens, nicht des Individuums. Der Bürger hatte viel mehr als der Mensch an ihr einen Antheil. Unter dem Einfluss der hellenischen Weltkultur aber wurde ihr nationaler Charakter grossentheils verdunkelt, ihr substantieller Inhalt verflüchtigt, unter dem Einfluss des Kosmopolitismus das Gebiet ihrer Herrschaft immer enger beschränkt. Mit der Einwanderung der griechischen Kunst und Poesie, und ihrer Naturalisirung möchte man sagen, wurde auch die römische Religion hellenisirt, oder, wie Zeller sich treffend ausdrückt1), in das griechische immer mehr umgedeutet. Die griechische Skulptur lieferte die Götterbilder, die römische Dichtung war ganz erfüllt und durchdrungen von der griechischen Mythologie, die sie sich leicht assimilirte, indem sie die allerdings verwandten griechischen Götter mit den römischen Nationalgottheiten identificirte. Die Poesie wirkte in dieser Richtung auf das ganze Volk unmittelbar durch das Theater, auf die Gebildeten am intensivsten durch die Schule, indem die klassischen Dichtungen, namentlich Virgils Epos, die erste Grundlage des Unterrichts bildeten. Mit der Verbreitung der griechischen Philosophie aber wurde diesen Gestalten der Phantasie in dem Kreise der Gebildeten alle reale Bedeutung genommen, theils durch euhemeristische, theils durch allegorische Auslegung.

Je mehr aber das Römerreich seine Eroberungen ausdehnte, desto mehr fanden auch ganz fremde, namentlich orientalische

1) Religion und Philosophie bei den Römern (Berlin 1866), S. 18.

Gottesdienste Eingang, ja mit dem Siege des kosmopolitischen Princips Bürgerrecht, in Rom selbst, wie im Abendland überhaupt. Die kleinasiatischen, ägyptischen und persischen Sacra mit ihren Mysterien lockten die Menge um so mehr, als sie in dem, was sie öffentlich schauen liessen, durch ihre Fremdartigkeit imponirten, und zum Theil auch durch ihre üppige Sinnlichkeit die Phantasie entzündeten. In ihren Geheimdiensten suchten nun die Halbgebildeten vorzugsweise das so wesentlich erhöhte religiöse Bedürfniss einer Hingabe an die Gottheit, einer Läuterung des Innern, einer Sicherung der Hoffnung auf persönliche Unsterblichkeit zu befriedigen. Und dies erreichten auch subjectiv manche ohne Zweifel hier bis auf einen gewissen Grad, durch die Wirkungen der Askese, den die Phantasie mächtig ergreifenden nächtlichen Gottesdienst und die Betrachtung der Gottheit als höchster, geheimnissvollster Naturkraft. Aber diese Gottesverehrung, die nur den Eingeweihten zu Theil wurde, war noch exclusiver als die Weisheit der Philosophen. Die Masse des Volks, von der einen wie von der andern ausgeschlossen, war allein der Superstition ängstlich ergeben, die allerdings ihre Herrschaft auch über alle Klassen erstreckte. Das Volk glaubte und fürchtete vorzugsweise jene Mittelwesen, die, Diener der höchsten Götter, die Natur beherrschen sollten, und das Menschenleben, sowohl die Gemeinwesen als die Individuen, überwachten, Elementargeister und Seelen Verstorbener, Dämonen und Genien, mit denen die Laren, Larven und Lemuren sich mischten, gute und böse Geister, die geheimnissvoll das Schicksal der Menschen in Händen hielten. Ihnen war insonderheit der ganze Bereich des Zufalls, so gross für den Ungebildeten, zumal in einer so wechselvollen Zeit, zugewiesen. Magier und Astrologen des Orients waren jetzt vornehmlich die Priester dieses Aberglaubens, neben welchem die officielle Superstition der Staatsreligion mit ihrer Vögel- und Eingeweideschau, ihrem heiligen Feuer der Vesta, all ihren Cerimonien und Begehungen unangetastet fortbestand in den mumienhaft conservirten Formen, die aber keine nationale Begeisterung mehr umgab, kein von Hoffnungen auf die Zukunft erfüllter Glaube, sondern die Furcht des Aberglaubens. Als Kultus blieb die Staatsreligion unangefochten von den Heiden aller Klassen, wie weit auch ihre religiösen Anschauungen auseinander gingen. Aber ein Bedürfniss des Herzens, wie es damals erwacht war,

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