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Einleitung

zur

chriftlichen Literärgeschichte des patrißtischen Zeitraums.

§. 1. Begriff und Aufgabe der christlichen Literärgeschichte.

Ueber die christliche Literatur haben wir aus den älteren Zeiten nur kurze Nachrichten von den kirchlichen Schriftstellern mit Angabe ihrer Schriften. Auch wurde der Inhalt der lezteren meist zu besonderen Zwecken, durch Veranstaltung von Sammlungen der kirchlichen Canones und s. g. dogmatischer und eregetischer Catenen (èmirouaí) verwendet, worin Bezeugungen der Dogmen oder Erklärungen wichtiger Bibelterte von Kirchenvätern wie Kettenglieder an einander gereiht wurden. Eine Wissenschaft über dieselbe entstand erst im 17. Jahrhundert zunächst durch den Katholiken du Pin und den Anglicaner Cave.

Als man darauf speciell für die ältere christliche Literatur eine Patrologie (Lehre von den Vätern) schuf, ward der Begriff wie der Umfang derselben schwankend gefaßt und ausgeführt, indem man ihr noch eine Patristik zur Seite jezte (Glaubens- und Sittenlehren aus den Vätern), so daß jener nur die Biographie und Bibliographie (Aufzählung der Schriften) übrig blieb. Zudem behandelte man in der Patrologie nicht bloß Väter, sondern auch Kirchenschriftsteller, selbst Häretiker; und die der Patristik zugewiesene Aufgabe wurde meistens schon durch die Traditionsbeweise der Togmatik und Moral geleistet. Diesen Uebelständen entgehen wir dadurch, daß wir auch die für die ältere christliche Literatur unter dem Namen Patrologie und Patristik behandelten Disciplinen als christliche Literärgeschichte" bezeichnen, und im Allgemeinen auffassen als:

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„Die Geschichte der Entstehung, Fortbildung, Vervollkommnung, der Blüthe oder des Verfalls der christlichen Literatur in dem auch für die Kirchengeschichte angenommenen ersten, griechisch - römischen Zeitraume."

Dem Entwicklungsgange der christlichen Literatur entsprechend werden. in diesem Zeitraume zweckmäßig vier Epochen gesezt: I. Entstehung der christlichen Literatur, die Zeit der apostolischen Väter; II. Fortbil dung und Vervollkommnung, die Zeit der (vorherrschend) apologetischen Literatur (150-325); III. Blüthezeit der patristischen Literatur (vom ersten Alzog's Patrologie. 3. Aufl.

1

ökumenischen Concil zu Nicäa bis zum Tode P. Leo's d. Gr. (325-461); IV. Berfall der patristischen Literatur im römischen Reiche bis zur Wiederbelebung und eigenthümlichen Gestaltung der kirchlichen Literatur unter den germanischen und romanischen Völkern.

§. 2. Kirchenvater, Kirchenschriftsteller und Kirchenlehrer.

Im Oriente und theilweise auch im Occidente herrschte die tiefbegründete Sitte, das Verhältniß der Lehrer und Lernenden durch Väter und Söhne oder Kinder" zu bezeichnen. So nannte bekanntlich auch Alerander d. Gr. den Aristoteles seinen Vater. Diese Benennung findet sich ebenfalls in der hl. Schrift. Elijäus nennt den Elias seinen Vater 4 Kön. 2, 12, und ibid. V. 3-5 werden die Schüler der Propheten „Söhne“ genannt. Vgl. Ps. 33, 12; Sprüchw. 4, 10; Matth. 12, 27; besonders Galat. 4, 19; 1 Kor. 4, 14 ff. Im engern Sinne nannte man diejenigen schriftstellerischen Zeugen Kirchenväter", in denen nicht nur der erste Strom der apostolischen Tradition ununterbrochen fortdauerte, sondern die auch die kirchliche Lehre des Alterthums als abgeschlossenes Ganzes im Geiste der griechischrömischen Bildung für die noch ungebildeten germanischen Völker überlieferten, und für diese wahrhaft die geistigen Väter in der kirchlichen Wissenschaft geworden sind. Und in weiterer Erwägung der zu verkündenden unab änderlichen göttlichen Offenbarungslehre zur Erleuchtung und Heiligung der Menschheit wurden bei Ertheilung des Ehrennamens Kirchenvater folgende Requisite erfordert: a) antiquitas, b) doctrina orthodoxa, c) sanctitas vitae und d) approbatio ecclesiae, die eine ausdrückliche oder stillschweigende sein kann, insofern die kirchliche Lehre aus ihren Schriften als Zeugen begründet wird oder die Verfasser bei besondern Anlässen durch Concilien als solche erklärt wurden 1. In der lateinischen Kirche setzte man die chronologische Demarkationslinie bei Papst Gregor d. Gr. († 604), und in der griechischen bei Johannes Damascenus ( nach 754), weil diese die lezten bedeutenden Repräsentanten der antiken Bildung unter den kirchlichen Schriftstellern des Occidents und Orients waren.

Wie streng die Kirche bei Ertheilung dieses Ehrennamens verfuhr, er sehen wir daraus, daß sie mehreren um Bezeugung und Begründung_kirchlicher Lehren hochverdienten Schriftstellern, wie Tertullian, Origenes, Lactantius, Eusebius, Bischof von Cäsarea, Theodoret, Bischof von Cyrus, u. A. denselben versagte, weil sie ungeachtet ihres heiligen Wandels und großer Gelehrsamkeit nicht immer und durchgängig die christliche Lehre im Geiste der Kirche erläutert und vertheidigt haben. Sie wurden nur Kirchenschriftsteller (scriptores ecclesiastici) genannt.

Später wurden diejenigen Lehrer in der Kirche, welche neben den Nequisiten eines Kirchenvaters noch einen ausnehmenden Grad von Gelehrsamkeit bekundeten, und im Kampfe für die orthodore Lehre sich hervor

1 Vgl. Fessler, Institut. Patrologiae T. I. pag. 26—29. Permaneder, Patrol. T. I. p. 378-386. Namentliche Anführung solcher Kirchenväter vgl. bei Harduin, collect. Conc. T. I. p. 1399 sq.; T. II. p. 241 sq.; 299 sq.; 651 sq.; T. III. p. 1399 sq.

thaten, Kirchenlehrer" (doctores ecclesiae) genannt. Darnach waren die Requisite zum doctor ecclesiae: a) eminens eruditio, b) doctrina orthodoxa, c) sanctitas vitae und d) expressa ecclesiae declaratio (also statt der antiquitas dort die eminens eruditio hier).

Diese schon in den Acten des V. ökumenischen Concils vorkommende Distinction der Doctores ecclesiae von den Patres wurde in einem Decrete P. Bonifazius VIII. vom Jahre 1298 zunächst für die vier Lateiner Ambrosius, Augustinus, Hieronymus und Gregor d. Gr. sanctionirt. Dort bezeichnet der Papst dieselben als magni ecclesiae doctores und verordnet, daß sie einen höhern Grad der Verehrung in der Kirche haben sollten: Ut scilicet, sagt er, ab ea (ecclesia) tanto propensius honorari se sentiant, quanto ipsam prae ceteris excellentius illustrarunt.

Außer den vier genannten zählten zu den doctores ecclesiae in Folge ausdrücklicher oder stillschweigender Anerkennung aus den Griechen: Athanasius, Basilius d. Gr., Gregor von Nazianz, Chryfoftomus, Cyrill von Alexandrien, und Johannes Damascenus; aus den Lateinern Papst Leo d. Gr., Thomas von Aquin, Bonaventura, Bernardus seit 1830, zulcht Hilarius von Poitiers seit 1852 und Alfons v. Liguori seit 1871. Nur im liturgischen Gebrauche der Messe und des Breviers werden noch als Kirchenlehrer bezeichnet und als solche behandelt: Petrus Chrysologus, Erzbischof von Ravenna, Jsidor, Bischof von Sevilla, Cardinalbischof Petrus Damiani (jeit 1828), Anselm, Erzbischof von Canterbury u. A. Sie erhalten in der Messe ihrer Festtage zugleich das Credo, ja ein eigenes Meßformular, welches im Introitus bezeichnend anhebt: In medio ecclesiae aperuit os ejus et implevit eum Dominus spiritu sapientiae et intellectus.

§. 3. Autorität der Kirchenväter in der katholischen Kirche.

Nach dem Vorstehenden ertheilte die katholische Kirche denjenigen Lehrern den ehrwürdigen Namen Kirchenväter", welche sie für wahre Verkünder und Vertheidiger ihrer Lehre hielt. Sie betrachtete dieselben als die Organe, in welchen Christus und der hl. Geist ihre fortwährende Thätigkeit in der Kirche offenbaren. Daher sagte Augustinus von ihnen: Ut in eis timeas non ipsos, sed illum, qui eos sibi utilia vasa formavit, et sancta templa construxit. Diesem entsprechend erklärte das erste ökumenische Concil. zu Nicäa (325): Es sei nach dem Zeugnisse der Väter der Sohn Gottes ópooótos to Harpi zu nennen, obschon dieser Ausdruck sich nicht in der hl. Schrift findet. Deßgleichen forderte das zweite ökumenische Concil zu Constantinopel (381) die häretischen Macedonianer auf, offen zu erklären: Num vellent necne stare judicio Patrum, qui floruerint antequam nascerentur illae haereses, de quibus agebatur2; und ebenso verlangte das dritte ökumenische Concil zu Ephesus (431), es sollen zur Feststellung der wahren Lehre die Aussprüche der Väter vorgeführt

1 Vgl. Athanas. ep. ad Afros nr. 6. 2 Socrates et Sozomenus h. e. ad a. 381.

werden, mit der Erklärung, das sei zu glauben: Quod sacra sibi consentiens Patrum tenuisset antiquitas1. Darauf forderte das vierte ökumenische Concil zu Chalcedon im Jahre 451: Ut St. Patrum fidem servemus, iisque utamur testibus ad nostrae fidei firmitatem.

Haec Patrum

fides est, ita et nos credimus 2. Und das fünfte ökumenische Concil zu Constantinopel im Jahre 553 sprach feierlich aus: „Confitemur, nos fidem tenere et praedicare, ab initio donatam a magno Deo et Salvatore nostro Jesu Christo St. Apostolis, et ab illis in universo mundo praedicatam, quam et St. Patres confessi sunt et explanarunt“ 3. Aehnlich erklärte das sechste ökumenische Concil zu Constantinopel im Jahre 680: Sanctorum et probabilium Patrum inoffense recto tramite iter consecutum iisque consonanter definiens confitetur rectam fidem*. Und das neunzehnte ökumenische Concil von Trient im 16. Jahrhundert braucht doctrina ecclesiae und unanimis consensus St. Patrum oft ganz promiscue und identisch.

Doch ist jener unanimis consensus nach der Erklärung des Vincenz von Lerin um 450) in seinem berühmten commonitorium also zu verstehen: Quidquid vel omnes vel plures uno eodem sensu manifeste, frequenter, perseveranter vel quodam consentiente sibi magistrorum concilio accipiendo, tenendo, tradendo firmaverint, id pro indubitato, certo ratoque habeatur (commonitor. c. 39) gemäß seiner Definition von Tradition: Quod semper, quod ubique, quod ab omnibus creditum est; und ibid. c. 42 ist aus den Verhandlungen des dritten ökumenischen Concils zu Ephesus gezeigt, wie ein Traditionsbeweis zu führen ist 5.

Hiernach werden die Kirchenväter gewissermaßen als der Strom des göttlichen Lebens betrachtet, welcher seine Quelle in Christus hat. Durch sie wird in ununterbrochener Reihe neben der mündlichen Lehre des unfehlbaren Lehramtes der Kirche die christliche Lehre auch schriftlich fortgepflanzt, so daß ihre Schriften zum Theil die im Buchstaben firirte Tradition (napádocis èxxλysiaotixý) bilden. Ausführlich über die Bedeutung der Väter handeln: Melchior Canus in den locis theologicis lib. VII; Natal. Alex. h. e. saec. II. dissert. 16; Perrone, praelectiones theol. im tractatus de locis theol. P. I. Sectio II. §. 6, im größeren Werke Vol. IX.; Franzelin S. J., tractatus de divina Traditione et Scriptura, Rom. 870. Kellner, Verfassung, Lehramt u. Unfehlbarkeit der Kirche, 2. A. Kempten 874.

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1 Conc. Ephesin. actio I. bei Harduin collect. Conc. T. I. p. 1399-1419; bei Mansi T. IV. p. 1183-96. 2 Conc. Chalcedon. bei Harduin T. II. p. 451, 455; bei Mansi T. VI. p. 654, 971. 3 Conc. Constant. bei Harduin T. III. p. 59; 70; bei Mansi T. IX. p. 201–202. 4 Bei Harduin T. III. p. 1395, 1399; bei Mansi T. XI. p. 632, 636. 5 Aehnlich bei Augustinus contra Julianum Pelag. lib. I. nr. 7: Conspice, in quorum conventum te introduxerim. Hic est Mediolanensis Ambrosius, quem magister tuus Pelagius tanta praedicatione laudavit. Hic est Constantinopolitanus Joannes, hic est Basilius, hi sunt et caeteri, quorum te movere deberet tanta consensio. Hos itaque de aliis atque aliis temporibus atque regionibus ab Oriente et Occidente congregatos vides, non in locum, quo navigare cogantur homines, sed in librum, qui navigare possit ad homines. Qui (vero) ab unanimi Patrum consensu discedit, ab universa ecclesia recedit (lib. II. nr. 37).

§. 4. Das Verhältniß der ältern christl. Literärgesch. zu den andern theolog. Disciplinen. 5

Wegen dieser Bedeutung der Väter, also der ältern christlichen Literatur, als zweite Glaubens quelle, ist der erste, der patristische Zeitraum, im Studium der katholischen Theologie abgesondert und ausführlicher zu behandeln, wogegen die christliche Literärgeschichte des II., des scholastischen, und des III. Zeitraumes seit der Bekämpfung der Scholastik durch die Humanisten sich leichter mit der Kirchengeschichte verbinden läßt. Das Eigenthümliche wie der besondere Werth der Schriften der Kirchenväter liegt speciell noch in der engen Verbindung mit dem Leben, insofern fast alle ihre Schriften theils aus innerer Lebenserfahrung flossen, theils für ein Bedürfniß des Lebens berechnet waren (zur Widerlegung von Häretikern, Beseitigung von Mißbräuchen oder Anregung zu christlichem Lebensernste und großen Entschließungen), während die kirchlichen Schriftsteller der folgenden Zeiten vielfach aus der Reflexion und im Interesse theoretischer wissenschaftlicher Begründung schrieben.

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Das Verhältniß der ältern christlichen Literärgeschichte zu den andern theologischen Disciplinen.

Die nächste Beziehung hat sie zur Dogmatik, in welcher der Beweis für den wahrhaft christlichen Ursprung der einzelnen Dogmen wie aus der Bibel, so aus der Tradition, d. i. den Schriften der Väter geführt werden muß, so daß die Dogmatik vielfach auf der wissenschaftlich behandelten christlichen Literärgeschichte basirt. Aus ihr erkennt man nicht nur die allmähliche Entwickelung wie schärfere Formulirung der einzelnen Dogmen, sondern auch deren mannigfache treffliche Vertheidigung und Erläuterung gegen zahlreiche Angriffe oder Mißdeutungen.

Für die Kirchengeschichte liefert die wissenschaftlich behandelte christliche Literärgeschichte die ächten Quellen, wie die nöthigen Erläuterungen zu den bedeutendsten Erscheinungen in der christlichen Wissenschaft. Für die Moral, Exegese, das Kirchenrecht, die Pastoral macht die christliche Literärgeschichte die Männer namhaft, welche diese Disciplinen in verschiedenen Formen bearbeitet haben. Auch bietet die christliche Literärgeschichte zur Anregung für christliches Leben treffliche Vorbilder in den Biographien der hervorragendsten christlichen Schriftsteller, welche im I. und II. Zeitraume meistens vollendete Christen, viele wahrhaft Heilige waren. Demnach haben die Väter mit ihren Schriften als Träger der Tradition und zugleich als Träger des heiligen Lebens cine theoretische und praktische Bedeutung für alle Zeiten.

S. 5. Die Regeln der Kritik

müssen, wenn irgendwo, so hier besonders angewendet werden, wo schon den ächten Evangelien und der Apostelgeschichte des Lukas s. g. apokryphische Evangelien und Apostelgeschichten zur Seite gesetzt, und im 2. und 3. Jahrhundert den Aposteln noch 85 canones und 8 Bücher constitutiones zugeschrieben wurden.

Darnach ist sorgfältig zu untersuchen, ob die vorliegenden Schriftstücke wirklich von den bezeichneten Verfassern herrühren, ächte und unveränderte

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