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Auch in spätern Zeiten noch war der Staatscredit so schwach, oder zeigten viele Regierungen noch eine so grosse Abneigung gegen dies Hilfsmittel zur Deckung der Staatsbedürfnisse, dass man sich noch lange der alten, nämlich des Ansparens eines Staatsschatzes bediente.*) Dem neunzehnten Jahrhundert erst, wo die Staatsausgaben sehr zunehmen und jenes Mittel nicht mehr ausreicht, ist die Ausbildung des Staatscredits zuzuschreiben.

Der Staatscredit aber ist der Natur der Sache nach in mehrfacher Hinsicht mächtiger als der Privatcredit. Weil der Staat ja über das Vermögen aller seiner Angehörigen gebietet, so ist seine Zahlungsfähigkeit an sich grösser, als die jedes Einzelnen. Der Staat, als eine unsterbliche moralische Person, kann ausserdem leichter, als der Private, unkündbare Schulden contrahiren, sowie Schulden von so grossem Betrage, dass die ganze lebende Generation das Kapital derselben nicht zu tilgen vermag. Privatpersonen kann man darum nur dann zahlfähig nennen, wenn ihnen die Bezahlung der geliehenen Hauptsumme möglich ist;

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,, König Richard I. bei der Rückkehr aus Palästina vom Herzog von Oesterreich gefangen und dem deutschen Kaiser Heinrich ausgeliefert. In Rymer's Fondera ist ein Brief dieses Monarchen an seine Mutter ,, Königin Eleonore und an die Richter von England aufbewahrt, worin er darauf dringt, Geld zu seiner Lösung für den geizigen Kaiser aufzutreiben im Betrage von 70,000 Mark und zur Erreichung seiner Absicht möge sowohl alles Geld der Kirchen als der Barone , geborgt werden." (William Jakob, Ueber die Production und Consumtion der edeln Metalle, I. K. XII. S. 215.)

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Als Carl VIII. im J. 1449 eine Expedition nach Neapel mit besoldeten Truppen unternahm und sein Schatz, bevor er in Neapel ankam, erschöpft war, sah er sich genöthigt, bei den Venetianern zu 42 Procent Geld zu leihen, während diese zu 5% sich Geld verschaffen konnten. (Dufresne St.-Léon, Etude du Crédit public, p. 6 Anmerk.)

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*Heinrich IV. von Frankreich und Friedrich II., König von Preussen, und selbst Napoleon I. besassen noch einen Staatsschatz. (Nouveau Traité d'Econ. Polit. von Villiaumé, Ch. VI. p. 200.)

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den Staat aber nennt man schon zahlfähig, wenn er nur die Zinsen der Hauptschuld und nicht diese selbst bezahlen kann.

2) Guter Willen zu zahlen ist allerdings nicht minder unbedingtes Erforderniss des Credits da, wo der Staat, als da, wo der Private ihn in Anspruch nimmt. Der gute Wille ist beim Staatscredit aber ein um so nothwendigeres Requisit, als die Staaten auf dem gewöhnlichen Wege der gerichtlichen Execution nicht zu zahlen genöthigt werden können. *)

3) Dagegen ist das dritte Moment des Credits, der Zahlungszwang, bei dem Staatsschuldner nicht anwendbar. Die Staatsregierung kann von dem Privatgläubiger zur Zahlung nicht genöthigt werden, wenn auch in der Jetztzeit, namentlich in constitutionellen Staaten, durch moralische Impulse und durch das eigene Interesse der Staaten, welche den perio

*) Wie leicht die Regenten es früher mit den von ihnen contrahirten Zahlungsverbindlichkeiten nahmen, zeigt Philipp der Schöne, der sich seiner Schulden gegen die Tempelritter dadurch entledigte dass er sie aller möglichen Verbrechen beschuldigte, sodann sie verbrennen liess und ihre Güter einzog.

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Ferdinand, König von Spanien, unterschrieb eine Entscheidung der Theologen, dass er die von seinem Vater Philipp V. contrahirten ,,Verbindlichkeiten zu zahlen nicht schuldig sei." (Dufresne St.Léon, a. a. O. p. 20.)

Die deutschen Kaiser zahlten nicht allein oft ihre eigenen Schulden nicht, sondern dispensirten sogar ihre christlichen Unterthanen von der Verpflichtung, ihre jüdischen Gläubiger, zu bezahlen, wenn sie den zehnten Theil der betreffenden Forderung an die kaiserliche Kammer bezahlten. (Neumann, Geschichte des Wuchers in Deutschland, S. 326.)

Sogar der verdienstvolle Sully, Minister des grossen Heinrich IV., scheute sich nicht, einen Theil der Rechtstitel der französischen Staatsgläubiger und Domänenkäufer insbesondere unter dem Vorwand einer Revision der Rententitel, sechs Millionen Rentenscheine zu vernichten. Sogar Colbert hat das System der Revision, der Liquidation und der Annullation der Schuldtitel nicht verschmäht. (Ganilh., a. a. O. p. 295 und 296.)

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dischen Geldbedürfnissen Rechnung tragen müssen, dieser Mangel ausgeglichen wird. Darum ist auch unter sonst gleichen Umständen der Staatscredit in constitutionellen Staaten in weit grösserer Blüthe, als in despotischen.

4) Dass eine richtige Valutazahlung eine Hauptbedingung des Staats- wie des Privatcredits ist, bedarf keines Beweises. In frühern Jahrhunderten wurde die Valuta durch Münzverringerung, in neuerer Zeit wird sie durch einen Strom von uneinlöslichem deprecirten Papiergeld und damit aller Handel und sonstiger Verkehr beeinträchtigt. Wie sehr Italien, Oesterreich, Russland, die Vereinigten Staaten von Nordamerika u. s. w. an diesem Uebel leiden, ist bekannt, und sie können sich neue Anlehen nur dadurch zu erträglichen Bedingungen verschaffen, dass sie ihre Zinsen in Silber oder in Gold zu zahlen ausdrücklich sich verbindlich machen.

Ein fünftes Moment des Staatscredits führt v. Hock*) auf: die Sympathie für die Staatsregierung und für den Zweck, für welchen das Anlehen verwendet werden soll. Zwei Anlehen, meint er, die Oesterreich aufzunehmen sich bemühte, scheiterten; das eine 1853, weil die Regierung eben die Gleichberechtigung der Juden zurückgenommen hatte; das andere 1859, weil man wusste, es sei zur Abwehr gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen Italiens gerichtet. Wenn auch diese Ansicht nicht unrichtig ist, so ist diese Sympathie jedenfalls nur ein sehr schwaches Moment des Staatscredits. **)

*) A. a. O. S. 293. §. 38.

**) Proudhon (Handbuch der Börsenspeculation, S. 25) leugnet ganz und gar die Sympathien in Geldsachen. ,,Die Speculation ", sagt er kümmert sich nicht um Vaterlandsliebe und Ruhm, sie kennt weder Ehre noch Mitleid" u. s. w.

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§. 15.

Nutzen des Credits.

Der Credit hat für die Gesammtheit überhaupt eine ganz andere Bedeutung, als für den einzelnen Creditgeber oder Creditnehmer. Als Circulationskraft gleicht er auch hierin dem Gelde, dem Circulationsgute. Für die Nation dient er nur als Circulationskraft, und als solche hat er den Nutzen, dass die Productions- und Consumtionsgüter stets in Circulation erhalten werden und hierdurch die nationale Production und Consumtion nicht in Stockung geräth; für den einzelnen Creditgeber und Creditnehmer aber dient er zu ganz andern und zu gar vielerlei Zwecken; folglich ist auch sein Nutzen für dieselben gar verschiedenartig. Ohne Credit würden bei eingetretenem momentanen Geldmangel die Producenten ihre Production und die Consumenten ihre Consumtion unterdrücken müssen und das nationale Interesse würde hierdurch mitleiden. Das Privatinteresse aber würde in anderer Weise durch einen solchen Umstand berührt werden: die Leiher würden sich kein neues Zinsen-, Dividende- oder Renteeinkommen erwerben können und die Creditnehmer sich keinen Kapitalprofit oder sonstigen Geldgewinn zu verschaffen wissen. Ein solcher Schaden wäre kein nationaler, weil es der Gesammtheit keinen Vortheil gewährt, wenn Werthe oder Güter von dem Beutel einzelner ihrer Gesellschaftsglieder in den anderer als Einkommen oder Gewinnste übergehen. *)

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*) Zu weit geht John St. Mill (a. a. O. B. III. Kap. XI. §. 2): Credit welchen Verkäufer unproductiven Consumenten ge,, währen, ist niemals eine Vermehrung, sondern stets ein Nachtheil für die Quellen des National-Vermögens. Ein solcher Credit über,, trägt zum zeitweiligen Gebrauch nicht das Kapital der unproductiven Klassen auf die productiven, sondern vielmehr dasjenige der productiven Klasse auf die unproductiven."

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Hiergegen ist jedoch zu bemerken, dass die nationale Consumtion

Aber auch der Privatnutzen selbst oder der verschiedene Zweck des Credits ist bei den verschiedenen Creditgebern und bei verschiedenenen Creditnehmern sehr verschieden. Manche Creditgeber wollen sich durch eine derartige Operation einen Zins, eine Rente, eine Dividende erwerben; andere wollen, indem sie sich an einer Staatslotterie oder an einer Tontine betheiligen, einen aleatorischen Gewinn erzielen u. s. w. Der Nutzen oder Zweck des Credits für den Creditnehmer lässt sich unter vier besondere Arten subsumiren: 1) zur Befriedigung seines Consumtionsbedürfnisses, z. B. des Rentners, dessen Zinsen nicht zur rechten Zeit eingehen, oder einer Staatsregierung, deren Steuereinnahmen zur Führung eines Krieges nicht ausreichen u. s. v.; 2) zum Zweck eines Productions- oder Gewerbgewinnstes, wenn z. B. ein Unternehmer denselben erweitern wollte und er durch seine eigenen Mittel beschränkt wäre; 3) zam Einkauf oder zur Errichtung von Werthfonds oder Sachfonds, z. B. um den Wechselbrief eines Dritten von ihm selbst zu erwerben oder ihn von Andern zu kaufen, um ein zu vermiethendes Haus zu errichten oder es von Andern zu kaufen (oben §. 9); 4) endlich zu Zahlzwecken, um fällige friher gemachte Schulden pünktlich zur Verfallzeit zahlen zu kömen.

Die Creditnahme zu einem dieser vier Zwecke ist von bedeutendem Einflusse auf den Vermögensstand des Schuldners. 1) Ein Credit zu Consumtionszwecken ist gewöhnlich mit einer Verminderung des Vermögens des Schuldners verbunden. Eine Regierung, die aus Eroberungssucht, ein Gutsbesitzer der aus Prunksucht Geld borgt, verden beide dadurch ihren Vermögensstand verringern. 2) Der

eben so gut, als die nationale Production, zur Unterstützurg durch den Credit berechtigt ist. Auch ist es nicht richtig, dass die Uebertragung des Leihkapitals in unproductive Hände immer nachtheilig ist und die Quellen des Nationalvermögens hierdurch vermindert werden.

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