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37.

Gedanken über die Auslieferung der Aften am vor: maligen Kaiserlichen Reichskammergerichte, auch wie es damit bei dem Reichshofrathe gehalten wird.

Die im Archive des vormaligen K. R. Kammergerichts aufbewahrten Akten und Schriften sind von verschiedener Art und verschiedenen Gehalten.

Sie sind; Extrajudicial-, Extrajudicial - judicial - *) und Judicial - Akten, Original-Urkunden, Kautionsscheine, Vormundschaftsdokumente, Testamente und andere Schriften und Briefschaften, welche auf Anweisung des Gerichts, vers möge der ihm zustehenden jurisdictione voluntaria, der Leserei zur Aufbewahrung überlassen und anbefohlen wurs den. Wer die Kameral Praxis sich eigen gemacht, oder auch nur theoretisch den ehemaligen Reichsgerichtlichen Pro zeß kennt, und weiß, wann nach römischem Rechte das judicium eigentlich seinen Anfang nimmt, dem wird auch schon ohne unser Erinnern der Gedanke, wie bei Ausliefe: rung der Judicial- und Extrajudicial-Akten nicht ein nnd das nämliche Verhältniß eintreten könne, von selbst sich auf: dringen.

*) Dies sind die Akten bei Streitigkeiten der Kameralen, vorzüglich unter sich, und bei ihnen treten eben die Verhältnisse bei der Auslieferung und ihrer Verabfolgung ein, welche wir für die andern Akten rücksichtlich des Zeitpunkts, von wo an sie ges meinschaftlich genannt zu werden pflegen, festseßen, nur daß ihre Reproduktion nicht in der Audienz geschah, und die Ers kenntnisse in der Kanzlei ergiengen.

Erst von der Zeit an, wo in der Audienz die Repro duktion geschah, fiengen die Akten an gemeinschaftlich zu seyn; folglich kann uns auch nur dieser Zeitpunkt dazu die: nen zu bestimmen, von wo an beide Theile über die Ab: oder Nichtablieferung, oder besser gesagt, Verabfolgung der Akten ein Recht für sich in Anspruch zu nehmen, ermächtigt erscheinen können.

Ehe die Reproduktion geschah, blieb der Extrajudicials Stock ein Eigenthum des exhibirenden Theils; dieser wurde ihm auch selbst von dem Gerichte in der Regel auf sein Bes gehren wieder zurückgegeben, und ihm hierbei überlassen, ob er mit etwaigen Veränderungen die Faszikel reexhibiren, oder auch die Sache auf sich selbst beruhen lassen wollte.

Der Gegentheil hatte kein Recht hierauf; sie waren ihm vor der Infinuation oder Reproduktion noch nicht ges meinschaftlich, blieben das alleinige Eigenthum des exhibi: renden Theils *), und müssen ihm daher auch jetzt noch auf sein alleiniges Verlangen in der Regel verabfolgt werden; denn auch hier heißt es, wie so oft im menschlichen Leben : nulla regula sine exceptione. Es lassen sich Fälle dens ken, wo auch ein Dekret gewissermaßen schon jus inter partes macht, folglich auch der andere Theil ein Recht darauf

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*) Der erhibirende Prokurator hatte auf diese Akten, die er nach erlassenen Dekreten wieder in seine Hände erhielt, ein jus retensionis, bis ihm seine Deserviten bezahlt waren. Dieses Recht hat er noch; nur fragt sich: Wer soll entscheiden, wenn die Parthie die Rechnung ihres Anwalds ermäßigt und tarirt hae ben will? Einige Prokuratoren ließen ihre Designationen von einem oder dem andern Kammergerichtsbeisißer ermäßigen, legten mit diesem Zeugnisse der Wahrheit hiernächst das Ganze ihren Parthieen vor, und erhielten auf diesem Wege ihre Bezahlung. Allein wer entscheidet, wenn dieses nicht geschieht, besonders da so manches in der Tarordnung von 1715 nicht bestimmt ist, und nach der Praxis entschieden werden mußte?

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hat, daß die in Camera erhibirte Akten sammt und sons ders dem an die Stelle des faktisch aufgelösten Reichskams. mergerichts tretenden Richtern überliefert werden. : A. aps pellirt gegen ein verschiedene Punkte in sich fassendes Uri. theil; B. übergab dagegen eine sogenannte Supplicam pro documento denegatorum appellationis processuum; nun, wird gravamen primum abgeschlagen, in Rücksicht gravaminis secundi eine etwaige Beschleunigung › anbefohlen, fatalia a dato auf zwei Monate erstreckt, und B. zugleich: auf besagtes Dekret ein remisorium ertheilt. Hier hat B. + ein vollkommnes Recht auf besagtes Dekret. Ihm liegt dars: an, daß der succedirende Richter wisse, wie gravamen primum schon abgeschlagen, folglich hierinn das erlassene Ur: theil des Unterrichters Rechtskräftig geworden sey; und eben daher kann und darf ohne Vorwissen des B. dem A. der Extrajudicial Aktenstock nicht verabfolgt werden, wenigstens hat er ein Recht *) für sich, eine Specifikation der Supplie ken und Anlagen von demjenigen Aktenstocke zu verlangen, den sein Gegentheil zurück verlangt und ausgeliefert erhält.

Judicial Akten.

Von der Zeit der in audientia geschehenen Reproduks tion fiengen die Verhandlungen an ein gemeinschaftliches Ei genthum der Parthieen zu werden; und folglich kann kein Theil dieser Akten ohne des Gegentheils Einwilligung verabs folgt werden, sondern dies kann nur, so lange kein Urtheil erlassen worden, mit beiderseitiger Einwilligung geschehen.

*) Benn Gegentheil dieses Recht nicht anerkennt,, wer foll dies entscheiden? Daß bei diesen und ähnlichen Fällen eine causae cognitio vonnöthen, ergiebt sich auch ohne unser Erinnern, und bestätigt abermals die Nothwendigkeit eines Richters oder eines Gerichts, von dem wir im sechsten Hefte S. 399. schon gesprochen haben.

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War einmal ein Urtheil im eigentlichen Sinne des Wortes erlassen, so ließ selbst im Falle beide Parthieen einig waren vormals das K. Reichskammergericht die Aks ten nicht in originali verabfolgen. - Das Kammergericht ließ aber dergleichen noch weniger ohne Einwilligung der ans dern Parthie ausfolgen, und hat diese Grundsähe selbst in jenen Augenblicken befolgt, wo es, unter französischer das mals feindlicher Gewalt stehend, standhaft die Verabfolgung von abgeurtheilten Akten auf das linke Rheinufer verweigers te. Und als der Lüneviller Friede abgeschlossen, und das linke Rheinufer wirklich abgetreten war, verweigerte doch das Kammergericht die Verabfolgung, und ließ dem Oberappels lationsgericht zu Lüttich, welches in Bezug auf den sechsten Artikel des Lüneviller Friedens das Gesuch der Erben des bekannten Kaufmanns Levoz zu Lüttich *) unterstüşte, ant: worten: » Daß nach der Verfassung des höchsten Reichsge: richts die Verabfolgung der Originalakten selbst nach geendig ter und entschiedener Sache nicht Statt habe, wenn nicht von Kaiser und Reich eine anderweitige Verfügung erfolgte.<< Indessen erachtete das Kammergericht für nothwendig, dies sen Vorfall nach einem am 20. Mai 1802 gefaßten Plenars beschlusse dem Kaiser, dem gesammten Reiche und dem Kur: fürsten zu Mainz, als Reichserzkanzler, anzuzeigen. dem desfallsigen Berichte an den Kaiser heißt es: » Die Originalakten eines Gerichts sind nicht allein ein Privatdos minium der litigirenden Theile, dessen Depositarius der Richter um deswillen bleiben muß, weil auch verglichene und abgeurtheilte Sachen unter gewissen Umständen wieder eingesehen werden können oder müssen, wie sich darüber an E. K. M. Kammergerichte die Fälle sehr oft ergeben has

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*) In Sachen des Fürßbischoff zu Lüttich contra Levoz und Conserten puneto privilegii der Haltung öffentlicher Spiele und Tanzgesellschaften für die Kürgäste und andere Fremde in Spaa.

ben, daß gerichtliche Akten aus dem Jahre 1530, wo nicht noch ältere, gleich nach der Einsetzung dieses Kaiserlichen Kammergerichts Anno 1495 eingeführte Sachen haben auf gesucht werden müssen. Es kommt die Regel hinzu: Quod lis ubi coepta est, ibi finienda sit und daß die Ab: tretung des linken Rheinufers an der Rechtshängigkeit derje: nigen Sachen, worüber dahier lis kontestirt ist, nichts verz ändert, noch weniger aber ohne Einwilligung der Gegens parthei von hier ab: und an ein anderes Forum gezogen werden kann. E. K. M. Kammerberichte steht nicht allein die getreue Verwahrung der Originalakten zu, sondern auch zugleich das Eigenthum derselben, welches ihm durch Ucber: gebung der exhibitorum in duplo, von welchen der Richs ter das eine, die Parthie aber das andere Exemplar be: kömmt, übertragen ist. Dieses zu des Richters Rechtferti: gung für die späteste Zukunft unentbehrliche Eigenthum hat zugleich den Zweck, daß keine faische Akten gemacht und un tergeschoben werden können, und daß sich Richter und Refe rent aus diesen Originalakten, die sogar die Unterrichter den höchsten Reichsgerichten nicht einschicken, sondern nur blos vidimirte Abschriften, vertheidigen, und gegen alle und jede Verläumdung rechtfertigen können. Sie müssen daher diese Originalakten zu ihrer eignen Sicherheit und Aufrechthaltung ihrer Ehre beibehalten, um daraus zu beurkunden, daß die jezigen Mitglieder des Kammergerichts und ihre Vorfahren im Amte Justiz und Ordnungemäßig verfahren haben, wenn darüber auch nach Verlauf eines Jahrhunderts ein Zweifel aufgestellt würde. Diese unveräusserliche Original: akten sind überdies ein Troft für die Parthieen, daß ein, fidem publicam habendes reichsgerichtlich beurkundetes Do: kument über die Gerechtigkeit ihrer Sache in dem reichsge: richtlichen Archiv liegt, von dem sie noch überdies bei künf tig nicht vorauszusehenden Umständen Gebrauch machen kön: Es ist hierbei noch zu bemerken, daß nach einmal

nen.

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