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Denkers spricht. Es ist ungewiß, ob wir in diesen drei Hymnen einen zu sehen haben, der nur auf Vesper, Nokturn und Laudes aufgeteilt ist, oder ob drei von Anfang an selbständige Hymnen vorliegen.

Nr. 31.

Sei, zu preisen Magdalene,

Aus des Herzens tiefstem Schacht,
Jhrer Luft und ihrer Träne

Hell ein Loblied dargebracht,
Wie zum Lob der Philomene
Schmerzerfüllt die Taube lacht.

Vor dem Heiland fällt sie nieder,
Achtend nicht der Gäste Schar,
Salbet seiner Füße Glieder,

Trocknet sie mit ihrem Haar,
Nezt sie dann mit Zähren wieder,
Und so wird sie sündenbar.

Ihren Reiniger fie reinet,

Bach den Quell mit Wasser tränkt,
Zu betau'n die Blume scheinet
Jhn, der Tau auf sie gesenkt,
Was die Erd' zu spenden meinet,
Wird vom Himmel ihr geschenkt.

Doch an ihre Spezereien,

An die Narden, die sie reicht,
Höh're Deutungen sich reihen,
Durch die bildlich angezeigt,
Wie die Kranke, zu gedeihen,
Salbend ihren Arzt bestreicht.

Seine Huld ihr zugewendet

Hat der Herr, den sie erkannt,
Hat Vergebung der gespendet,
Die er reich an Liebe fand,
Ja als Botin sie entsendet,

Da vom Tod er auferstand.

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Laß, die du zu Christi Füßen
Selbst gereiniget durch ihn,
Ihn gesalbt, herniederfließen
Alle Huld, die dir verlieh'n,
Als dir einst mit holdem Grüßen
Der Erstandene erschien.

Ruhm und Preis dem Herrn erschalle,

Der, nur spendend seine Gnad',

In des Pharisäers Halle

Der, die weinend ihm genaht,

Zu dem Mahl des Lebens alle

Reuigen berufen hat.

(L. D.)

Auch das Lied Cum sit omnis caro foenum ist von Philipp de Grève, nicht vom hl. Bernhard noch von Alanus von Lille verfaßt. Es gibt uns so wenig wie der mitgeteilte Hymnus einen Begriff von dem verskünstlerischen Vielseitigkeit unseres Dichters. Es ist aber inhaltlich so ansprechend, daß ich es andern Gedichten, in denen das Formentalent des Kanzlers vorschlagen würde, vorziehe:

Nr. 32.

Mensch, der du dem Tod zum Raube
Gleich dem Laube wirst zu Staube,
Sei nicht übermütig drum!
Sieh, was ist dein Los auf Erden?
Eine Blume bist du, werden
Mußt du Asche wiederum.

In der raschen Flucht der Jahre
Rückest stets der Totenbahre,
Deinem Ende näher du,
Gleich dem Schatten, der nicht weilet,
Flieht das Leben hin und eilet

Bald mit dir dem Grabe zu.

Schweres Los! o zum Erbarmen
Hartes Schicksal, das uns Armen
Die Natur ließ angedeih'n!

Zähren bringt des Lebens Morgen,
Das dahinfließt unter Sorgen
Und geendet wird in Pein.

Da du, Mensch, das Los nun kennest
Deines Lebens, was entbrennest
Noch in Fleischeslüsten du?
bedent', du wirst vergehen,
Und was wir hienieden säen,

Misset man uns droben zu!

Ird'iches triebst du, ird'sches liebst du
Und der Erde wieder gibst du,

Was ihr ward entnommen, drum
Sprich, was ist dein Los auf Erden?
Eine Blume bist du, werden

Mußt du Asche wiederum.

(L. D.)

Wir haben noch einer Reihe von Dichtern zu ge= denken, die der uns beschäftigenden Periode angehören und die zum Teil Schönes auf dem Gebiete der religiösen Dichtkunst geleistet haben. So den,,doctor universalis," Alanus von Lille († ca. 1203), der durch seinen Anticlaudianus zu den gefeiertsten Dichtern des Mittelalters zählt und dem auch das eine oder das andere geistliche Lied zugeschrieben wird; Alexander Neckam (latinisiert in Nequam), Abt von Cirencester († 1127), ebenfalls einer der gewandtesten und gelesensten Dichter der Zeit, von dem wir eine Reihe schöner Marienlieder sowie Hymnen auf Maria Magdalena besigen; Johannes Hoveden († 1275), Hofkaplan der Königin Eleonore von England, der Mutter König Eduard III., einer der fruchtbarsten Dichter seiner Zeit, der ebensosehr verdiente gekannt zu werden als er unbekannt ist. Wir besigen von ihm eine Reihe längerer lyrisch-religiöser Dichtungen, die indes das Mittelmaß dessen, was wir im Mittelalter zu erwarten gewohnt sind, kaum überragen.

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Hervorragend ist dagegen seine Philomena", ein lyrisch-erzählendes Gedicht vom Leben und Leiden Jesu, das vielleicht in seiner Gesamtheit etwas ermüdend wirkt, das aber Partien von wahrhaft dichterischem Empfinden und schönem Ausdruck des Empfundenen enthält. Guy de Basoches (Guido de Bazochis), Cantor von Châlonssur-Marne († 1203), der in seine für die Kulturgeschichte der Zeit nicht unwichtige Briefsammlung zahlreiche Hymnen und religiöse Lieder verwoben hat; Adam de la Bassée (Adamus de Basseia), Kanonikus von St. Pierre in Lille († 1258), der auf vorhandenen liturgischen und populären Singweisen Lieder der verschieden sten Art gedichtet hat. Endlich dürfen wir eines Dichters des ambrosianischen Ritus nicht vergessen, des Mailänder Erzpriesters Orrigo Scaccabarozzi († 1293), der uns zahlreiche liturgische Dichtungen, Hymnen, Reimoffizien und gereimte Meßformulare hinterlassen hat, inhaltlich indes wie formell nicht eben hervorragend.

In besonderer Weise haben wir zweier dichtenden Frauen zu gedenken, der hl. Hildegard, Meisterin auf dem Ruppertsberge bei Bingen († 1179), und Herradis von Landsberg, Abtissin von Hohenburg oder St. Odilien im Elsaß († 1195).

Hildegard, die große Visionärin des 12. Jahrhunderts, hat auch Hymnen und Sequenzen geschrieben, genauer gesagt, Kladden von Hymnen und Sequenzen. Denn sie war des Lateinischen nie so mächtig, daß sie der Helfer und Korrektoren hätte entraten können, welche ihr die „Kasus und Tempora in Ordnung brachten“. Noch viel weniger als eine korrekte Prosa zu schreiben, war Hildegard natürlich imstande, in der Sprache Latiums und in den verfeinerten rhythmischen Formen ihrer Zeit zu dichten. Ihre „Hymnen und Sequenzen“ find daher prosaische, von fremder Hand korrigierte Nieder

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