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Wenn der Richter greift zum Schwerte,
Deinem Sohne uns versöhn'.

Vor dem höchsten König stehe
Und der kleinen herd' erflehe,
Daß für Recht ihr Huld geschehe,

Ob sie gleich sich schwer verging!
O des Richters, des geduld'gen,
Dem mit Dante stets zu huld'gen,
Daß ein Hoffnungspfand der Schuld'gen
Er am Kreuz als Opfer hing.

Sohn der Jungfrau, dem wir trauen,
Sei uns in der Stürme Grauen
Führer zu des Himmels Auen,
Führer, Weg und Freigeleit.

Lent das Steuer, nimm's zu Handen,
Still die Stürme, wehr dem Branden,
Laß uns wohlbehalten landen

Einst im Port der Seligkeit.

(G. M. D.)

So wünschenswert, ja so notwendig es zur Kenntnis unseres Dichters wäre, noch andere seiner herrlichen Dichtungen heranzuziehen, sein unübertreffliches Salve, mater salvatoris, die wundervollen Märtyrerhymnen auf Stephanus und Laurentius, die schönen Sequenzen vom hl. Geiste und vom Pfingstfeste: wir müssen uns bescheiden. Eine kurze Übersicht, wie die vorliegende ist und sein soll, kann nicht eine genügende Vertrautheit mit einer Literatur vermitteln wollen und sollen, sie kann nur eine Idee, nur die Anregung geben, das wenige Gebotene anderweitig zu ergänzen und zu vertiefen.

Mit dem Tode Adams von St. Viktor sind wir an der Grenze des zwölften Jahrhunderts angelangt. Wir gehen in das 13. hinüber und wenden uns einer Gruppe von Dichtern zu, die ich als die Hymnendichter der Bettelorden bezeichnen möchte, die sich aber um eine Persönlichkeit scharen, die im Leben zu den streitbarsten

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Gegnern der Mendikanten gehörte, um den Kanzler Philipp de Gréve. In dieser Gruppe sehen wir Thomas von Aquin († 1274), den Sänger des Altarssakramentes, den Verfasser des mit Recht berühmten Lauda Sion, des Pange lingua, des Adoro te. In dieser Gruppe sehen wir Johannes Fidanza, genannt Bonaventura († 1274), Theologe wie jener, Dichter wie jener, Dichter des Lebensbaumes, eines Officiums der Passion des Herrn, Dichter eines schönen Kreuzliedes mit dem Anfange Recordare sanctae crucis, dem aber das ausgehende fünfzehnte Jahrhundert er wurde erst unter dem Franziskanerpapste Sixtus IV. kanonisiert ähnlich wie Bernhard von Clairvaur eine Reihe von asketischen Dichtungen zugeschrieben hat, die er nie ge= macht hat und die nicht gemacht zu haben für ihn keine Unehre ist. In dieser Gruppe sehen wir John Peckham (Johannes Pechamus), den Schüler Bonaventuras, später Erzbischof von Canterbury († 1292), den Verfasser des lieblichen Nachtigallenliedes, von dem uns Diepenbrock und 2. Dreves Verdeutschungen geschenkt haben; den Verfasser eines theologisch tief durchdachten, in die vollendetsten Rhythmen gekleideten Reimoffiziums auf die hl. Dreifaltigkeit; den Verfasser weit verbreiteter Marienlieder u. s. f. In dieser Gruppe finden wir Julian von Speier (Julianus Teutonicus † 1278), den Dichter der Reimoffizien auf die hl. Franz von Assisi und Antonius von Padua; finden wir Constantinus Medici, Erzbischof von Orvieto († 1257), den Verfasser eines ebensolchen Offiziums auf den heiligen Dominikus; finden wir Thomas von Celano († n. 1250), den Verfasser einiger Sequenzen und den mutmaßlichen Sänger der unsterblichen Sequenz vom letzten Tage, des oft verdeutschten und oft vertonten Dies irae.

Wir dürfen an ihm nicht vorübergehen:

Nr. 30.

Tag des Zorns, bei deinem Tagen
Wird die Welt zu Staub zerschlagen,
Wie Sibyll' und David sagen.

Welch ein Grau'n wird sein, welch Beben,
Wird der Richter sich erheben,

Streng zu richten alles Leben!

Die Posaun' mit grellem Schalle
Tönt in jedes Grabes Halle,
Lädt zum Thron die Toten alle.

Schaudernd sehen Tod und Leben,
Was da starb, der Gruft entschweben,
Rechenschaft dem Herrn zu geben.

Dann wird man ein Buch entfalten,
Dessen Blätter, weh! enthalten
Eines jeden Tun und Schalten.

Sigt der Richter zu Gerichte,
Wird jedwedes Dunkel lichte,
Strafe jedem Bösewichte.

Was soll dann ich Armer sagen,
Welchen Anwalt mir erfragen
Dort, wo selbst Gerechte zagen?

Herr, den Grau'n und Glanz umschweben,
Der du liebst auch zu vergeben,

Born der Gnade, laß mich leben!

Denke mein, der du genommen

Hast das Kreuz auch mir zum Frommen,

Jesu, ist der Tag gekommen!

Hast ja auch für mich gestritten,

Bist den Weg zum Kreuz geschritten,

Das sei nicht umsonst gelitten.

Richter der gerechten Rache,
Gnade werde meiner Sache,
Eh' der jüngste Tag erwache!

Sieh, ich flehe voller Bangen,

Reu' und Scham färbt meine Wangen.
Gott, laß Gnade mich erlangen!

Der vergeben du Marien

Und dem Schächer selbst verziehen,
Hast auch Hoffnung mir verliehen.

Wirst mein unwert Fleh'n beachten,
Daß ich nicht im wildentfachten,
Ew'gen Feuer müss' verschmachten.

Rechts von deines Thrones Schwelle,
Ferne von der Böcke Stelle,
Zu den Lämmern mich geselle.

Wenn Verworf'nen ohne Schonen
Wird der Hölle Feuer lohnen,
Laß mich bei den Sel'gen wohnen.
Knieend, faltend meine Hände,
Mein Gebet empor ich sende:
Herr, gib mir ein selig Ende!

Tränenreich der Tag wird werden,
Wenn der Mensch vom Staub der Erden

Zum Gericht sich wird erheben,

Woll' ihm dann, o Gott, vergeben!

Frommer Jesu, Herre du,

Schenke allen ew'ge Ruh!

(L. D.)

Ursprünglich für die Privatandacht geschrieben, schloß das Lied jedenfalls mit den Worten: „Herr, gib mir ein felig' Ende!" Schon im 13. Jahrhundert wurde aber das Lied, wenn auch sehr vereinzelt, als Sequenz in die Meßbücher des Franziskanerordens aufgenommen, wobei die sechs lezten Zeilen, die zum Vorhergehenden absolut nicht passen, angehängt wurden. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts begegnen wir der Sequenz häufiger in den gedruckten Meßbüchern; in Deutschland auch jetzt

noch nicht, weil eine Messe, die kein Alleluja kennt, streng genommen auch der Sequenz entraten müßte.

Alle lettgenannten Dichter und manche andere, deren Namen ich übergehe, überragt an Bedeutung und Fruchtbarkeit ein Mann, der erst in der lezten Zeit als das erkannt und gewürdigt worden ist, was er den Zeitgenossen war, der Kanzler der Pariser Kirche, Philippe de Grève (de Grevia, 1236). Derselbe war nach Alberich von Troisfontaines zu Paris in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts geboren. Im Jahre 1218 war er Kanzler der Pariser Kirche und stand als solcher an der Spize des bischöflichen Unterrichtswesens. In dieser Eigenschaft geriet er zunächst mit der Universität (1219), später mit den Bettelorden (1224) in Konflikte, die er mit der ihm eigenen temperamentvollen Weise, doch ohne Erfolg führte. Wir besigen von ihm eine, leider noch ungedruckte Summa theologica und drei Predigtsammlungen: Festpredigten, Predigten über die Psalmen, Predigten endlich über die Evangelien. Auch diese, in vieler Hinsicht interessanten Reden sind zum größten Teile noch nicht veröffentlicht. Neben diesen ernsten und tiefen theologischen Studien und neben den laufenden Geschäften seines Amtes fand Philippe de Grève noch die Zeit, sich in ausgiebigem Maße in der Poesie zu betätigen. Sein eigentliches Gebiet ist die Cantio (f. Einleitung). Wir besißen von ihm eine ganze Reihe von Liedern über die verschiedenartigsten Gegenstände, vom frommen Marienliede bis zum sarkastischen Spott- und Rüge-Gedichte. Doch versucht er sich auch im eigentlichen Hymnus, und es wird wenige Hymnen der Kirche geben, die sich seinen MagdalenaHymnen an die Seite stellen können. In ihnen finden. wir eine Innigkeit, die wir in den Liedern meist vermissen, in denen aus den mannigfaltigen und künstlichen Strophen meist der Verstand eines begabten, aber kühlen

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