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Griechen hier wie in Allem, das liberalste Volk; eine Fabel, die Epigramm war, ward Epigramm, in Elegischem Sylbenmaaße. Wir sollten es ihnen hiers inn nachthun und keiner Fabel das Gewand rauben, das ihr gebühret.

Die Fabeln der mittlern Zeit schlentern in ihren einförmigen Reimen etwas langsam daher; man ließ sich diesen Gang lange wohlbehagen. Die Englånder, treue Anhänger der alten Gewohnheit, gehen ihn noch, Constitutionsmäßig. Gay ist ihr Vorbild. Wir Deutsche liessen uns durch den sogenannt unres gelmäßigen Vers der Franzosen, in welchem la Fontaine, la Motte u. f. unsre Muster waren, unser altes naives Fabel - Sylbenmaas zu bald verleiten; ohne zu bedenken, daß jene Nation, die keine eigents lichpoetische, sondern nur eine Conversations - Sprache hat, Eines Theils nur aus Noth so unregelmäßig sprach, und daß andern Theils, was sie mit diesem Sylbenmaas erreichte, wir nicht immer erreichen konnten. Aller Nachäffangen ohngeachtet ist noch kein la Fontaine unter uns aufgestanden; wir hinkten ihm nur nach.

Und fühlen es selbst, daß die deutsche Fabel eines regelmäßigen Sylbenbaues bedürfe, daher unter uns fern Fabulisten der so dftere Gebrauch des Liedes, des Epigramms u. f., Kleist war meines Wiffens der Erste, der das Kunstwerk der Fabel in einem reiz nen Kunstbau des Versmaaßes darstellte; seine zwei

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versificirte Schicksalsfabeln, mehrere in Gleim a), Pfeffel u. a. sind auch dem Versbau nach in hoher oder stiller Naivetåt Muster.

a) 3. B. Die, kleine Biene, Adler und Lerche, die fromme Nachtigall, Raupe und Schmetterling u. f.

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Mährchen und Romane.

Hat auch das Mährchen seine Regel? Uebel, wenn es solche nicht hätte, da bei seiner tiefen Einwirkung auf die Seele des Menschen, bei seinem noch tiefern Grunde in unsrer Natur es ein ungeheures Mittel zu Bildung oder Misbildung menschlicher Gemüther seyn kann. Beides ist es, obwohl nach verschiedenen Zeis ten und Völkern verschieden, immer gewesen und wird es bleiben.

1. Staunend erwachen wir in die Welt; unser er stes Gefühl ist, wo nicht Furcht, so Verwunderung, Neugierde, Staunen. „Was ist das Alles um mich her? wie wards? Es gehet und kommt; wer zieht die Fåden der Erscheinung? Wie knüpfen sich die wandelnden Gestalten?" So fragt, sich selbst unbewußt, der kindliche Sinn: von wem erhält er Antwort? Von der stummen Natur nicht; sie läßt erscheinen und verschwinden, bleibend in ihrem dunkeln Gründe, was sie war, was sie ist, und seyn wird.

Da treten zu uns sie, die uns selbst aus dem Schooße der Natur empfingen und einst selbst so fragten; wie sie belehrt wurden, so belehren sie uns, durch Sagen. Das gebildetste System der Gesund Kosmogonie bleibt Sage; mehr noch mußten es die frühen Anfänge seyn, die über das Woher?

und

und Wie? der Dinge Rechenschaft gaben, ohne daß sie ihr Daseyn selbst verstanden.

Daher die ältesten, die Kosmogonischen Mährhen aller Völker; sie waren Erklärungen der Natur, in dem was man täglich oder jährlich vor sich fah. Wo man nicht wußte, dichtete man und erzählte.

2. Die ålteste Naturlehre konnte also nicht anders als Mährchen werden; und sie wards, hie und da auf eine rohe, oft aber und gewöhnlich mit der Zeir auf eine sinn und verstandreiche, angenehme Weis fe.,,Wie erhaben sich diese Berge? wie entstanden diese Blumen? Woher das mit sich selbst kämpfende Nordlicht? Woher der Blik, der Donner, die Urne des Regens, der Hagel? In Blumenflocken fällt Schnee vom Himmel, wer streuet die Blumen? Dort brüllt und tobt ein flammenspeiender Berg; wer åchzt unter dem Berge? Auf dunkeln Wolken hängt dort ein farbiger Bogen, wer hing ihn auf?" So fragte über alle Erscheinungen der Natur die jugendliche Neus gier; allenthalben ward sie, wie man sie geben konnte, durch Sagen belehret.

Insonderheit erweckten seltne Erscheinungen der Natur den Geist des Mährchens. Manche Gegenden, sind sie nicht wie von diesem Geiste bewohnt? Hier dies romantische Thal, dort jener zauberische Brunn, dieser Fels, jene Brücke, diese Basaltsäulen, jeue Hole. Auf dieser Stelle des graunvollen Hains, auf jenem Scheidewege, ists nicht, als ob dort und hier

Herders Werkez, schön. Lit, u. Kunst. XII,

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unsichtbare Befißer, die zuweilen sich blicken laffen, wohnen? Pan, Nymphen hausen in dieser Höle ; Feen tanzen in diesem romantischen Thal; in jenem Zauber, brunn schwimmt eine Najade, in ihm wohnt Melusine, Gelegentlich hatte man vielleicht hie und da eine Ers scheinung zu sehen geglaubt; in diesem langen Sange eine weiße Frau, åhulich jener Gestalt in dem alten Bilde; im Walde dort einen wilden Jåger, in Klos ftergängen Mönche und Nonnen, in Kreuzwegen Hes rengestalten. Oder man hatte alte Sagen, die det Phantasie vorschwebten, örtlich zu machen; wo, sagte man zu sich selbst, konnten sie füglicher vorgegangen seyn, als hier? Dies ist Fingals Hdle; jenes Arthurs Berg; dort hielt er seine Tafelrunde; hier stand sein Palast. So häuften, so firirten sich Mährchen. Oft mischten sie sich; oft verjagte Eins das Ans dre. Keine Nation ist ohne dergleichen Geschicht- und Localfagen; in allen spiegelt sich ihr Land, ihr Geistes, charakter. Sinnreiche Völker dichteten sinnreich; krieges rische kriegerisch ; sanfte sanft ; so verschieden wurden dann auch die Mährchen, aus denen spåterhin die Geschichte aufblühte, erzählet. Das alte Griechenland war voll dieser sogenannt heiligen Spuren; keine Provinz, tein Tempel, kein Heldengeschlecht war ohne Einwirs kung der Götter und Genien aufgeblühet; Pindars Gesänge, das Epos und Drama leben in diesem Zaus berkreise heiliger National -, Local- und Familien. måhrchen.

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