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taine's Scherze, den die Natur doch selbst im Scherz gebildet zu haben schieu, haben sich zum Theil überlebt; keiner seiner Nachäffer hat ihn erreichet. Und dann, wäre es wirklich amusant und lustig, wenn ich lese:

In einem alten Fabelbuche,

(Der Titelbogen fehlt daran;

Sonst führt' ichs meinen Lesern an).
In einem alten Fabelbuche,

In welchem ich, wenn ich nicht schlafen kann

Und sonst zuweilen, mich Raths zu erholen suche
In einem alten Fabelbuche

Ei so wirf das alte Fabelbuch in den Winkel, und era
záhle was du darinn fandest. Sind Langweiligkeit,
Práambuln und Digressionen solcher Art naiver
Scherz? Gehe man die Scherz. Digressionen und
Epaas Práambuln der Fabulisten durch; ohn alle
Rücksicht auf Theorie der Fabel wünscht man die meis
ften hinweg. Es find platte Einschiebsel; auch dem
Ausdruck nach haben sich die Meisten selbst überlebet.

A

Einfalt ist die Grazie der Natur; hohe Naivetät die Grazie der Fabel. Sie ists, die Alles würzt vom Burlesken niedriger Naturen zum Erhabensten, dem Schweigen. Eben in dem Contrast von Bildun gen und Sitten scherzt die Natur unaufhörlich ; aber wie ernst scherzt sie, wie consequent ist ihre Persiflage! Die Naturfabel ahme ihr nach; ihr höchster und daus reudster Reiz ist stille Größe, schweigende Anmuth besonders in den Fabeln des Schicksals.

Als eine zweite Ursache, warum die Fabel am liebsten Thiere darstelle, führt Lessing, wie wohl selbst nur zweifelhaft, an,,,daß es geschehe, um die Erregung der Leidenschaften so viel als möglich zu vers meiden. Dies könne nicht anders geschehen, als wenn der Dichter die Gegenstände des Mitleids unvollkom mener macht, und anstatt der Menschen Thiere oder noch geringere Geschöpfe annimmt“ a). Ich zweifle. Haffen wir den Wolf, den Tiger der Fabel nach Ums ständen nicht eben so inniger, weil er uns die ganze Gattung auch der Menschenwölfe und Tiger unver Iarvt, in ihren Gesinnungen, Entschlüssen und Thas ten charakteristisch darstellt? Bemitleiden wir nicht das unschuldig unglückliche Lamm um so mehr, da wir in ihm eine ganze Gattung gleich Unschuldiger dem Rachen des Wolfs, den Zähnen des Tigers hülf, und rettungslos hingegeben sehen? Und wer nåhme in sittlichen Fabeln an der muntern Lerche, der liebenden Nachtigall, der treuen Turteltanbe u. f. nicht für alle Charaktere ihrer Art herzlichen Antheil? Um so mehr Antheil, da die Fabel in die Kinderwelt gehöret und wir bei ihr in die Empfindungen der Kinds heit zurücktreten. Nirgend fast sonst erscheinen die Charaktere lebendiger Wesen haffens und liebenswere ther, als in der Fabel, eben weil sie diese Charaktere rein darstellt. Haß und Liebe in ihr werden Leidens schaften des Verstandes'; so tiefgewurzelt, so allge: a) Lessings Fabeln S. 190.

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mein und daurend, als diese Typen der Natur selbst sind. Die Hyåne der Fabel haffen wir über und für alle Hyånen; die mütterliche Nachtigall lieben wir als Urbild aller Mutterliebe,

Da nach dieser Theorie die Fabel einen so tiefen Grund, einen so reinen Umriß bekommt; wie vieles schneidet dieser Umriß weg, das, wenn man es genau prüfet, die Fabel eben verächtlich gemacht hat! Er schneidet ab

1. Jeden Schnickschack, der nichts weniger als eine große veste Ordnung der Natur in Lehre darstellt. Holbergs genannte Moral',,,daß keine Creatur wenis ger in Zucht zu halten sei, als eine Ziege," hat in den Fabelbüchern viele Schwestern, denen Abschied zu geben ist, wenn je die wahre große Naturfabel ihs ren Werth wieder erhalten soll. Wir sind dieser Kindereien unwichtiger Lehren fatt und müde. Abgeschnitten werden

2. Alle Erzählungen zusammengeflickter Situationen, die darauf hinausgehen, daß Thier oder Mensch eine scharfsinnige Sentenz sage. Erscheint diese Sentenz nicht, in der Lebensweise der Dargestellten gegründet, jet in Handlung sichtbar, so mdge der Einfall seyn was er wolle; seine Einkleidung ist keine Natur und Kunstfabel. Wie manches wißige Histörchen schleicht sich hiemit weg aus dem strengen Gebiet der Fabel.

3. Die angebliche Moral der Fabel verschwindet als ein verführendes Scheinwort völlig. Von wels chem Thier sollen wir Moral lernen? Vom Wolf oder vom Bår? Kein Thier ist der Moral fähig; keins muß ihrer fähig seyn, wenn es fabelmäßig, d. i. charakteristisch handeln, und die Fabel nicht selbst vers nichten soll. Auch die sittlichen Fabeln danntén-wir deshalb nicht moralische, sondern ethische Fabeln; an den Sitten, auch der gefälligsten Thiere lernten wir nichts als Naturordnung. Moral sagt der Mensch sich selbst; sie entspringt aus seinem Vers stande, aus seinem Herzen. Wozu der Dichter die Fabel darstellte, ist Lehre, aus der sodann nach jen der neuen Wendung Jeder sich seine Moral bilden möge. Die Moralisten in der Fabel sind langweilis ge, alberne Geschöpfe.

Wäre nach diesen Vorausseßungen eine geläuters te Fabellese nicht zu wünschen? Um so mehr zu wünschen, da die neueste, obwohl von einem berühms ten und verdienten Manne gesammlet, so sehr miß rathen ist a). Sie wird erscheinen. Nicht Alles, was I. I. Rousseau in seinem Emil gegen den Ges a) Rammlers Fabellese. In ihr liegen Fabeln, Erzählungen, Geschichten, Conversationsmåhrchen durch einander, Kindern muß sie cußerst langweilig werden; und die gebohrnen Richter der Fabel sind Kinder,

brauch la Fontaine's bei der Jugend sagt, ist De clamation; in Manchem hat er sehr Recht, obwohl nicht immer aus rechtem Grunde.

Noch ein Wort endlich vom Sylbenmaaße der Fabel. Soll sie in Prose oder poetisch erzählt wër. den? Nach Belieben, oder vielmehr nach Gelegeus heit, Zweck und Juhalt. Die Morgenländer haben ihre schönsten Fabeln in Prose erzählt; bei Auläßen im Leben wird sie schwerlich jemand anders erzählen. So Lockman, Aesop, Sadi, Wischnu - Sarma, Luther, Lessing, obgleich des Leßten gläns zender Styl oft Poesie ist.

Jedermann fühlt indeß, daß da die Fabel ein Kunstwerk ist, ihr auch wohl in der Sprache wie in der Composition eine Kunstförm gebühre, die dann von Zeit und Ort, am meisten von der Sprache selbst bestimmt wird. Als bei den Griechen der Hexameter die Form poetischer Erzählung war, ward auch die Fabel in Hexametern erzählt, wie Hesiodus u. a. cs beweisen. Erschien sie auf dem Theater, so bekam sie einen höheren Tritt; auß solchen entstand ohne Zwei fel, das schöne Sylbenmaas, das wir in Bruchstücken des sogenannten Babrias fiudent. Wäre es unsrer Sprache zur Natur zu machen, so gåbe es vielleicht ein schöneres Kleid für die Fabel; leider aber ist unfre Profodie und Declamation noch viel zu unbestimmt, als daß es sich nicht, auch sorgfältig angewandt, ía eintönige Famben verlöhre. Uebrigens waren die

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