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Das Conversatorium und die Erscheinung.

Auf einem großen Jahrmarkt gerieth ich vor eine prächtige Bude, geziert mit der Aufschrift: Conversatorium. Diese lockte mich hinein und ich sah,

ich hörte

ihr Götter und Göttinnen des Olymps,

helft mir sagen, was ich hörte und sah.

Ein großer Berg war aufgerichtet; neben ihm viele Verge. Die ganze lebendige Schöpfung erschien auf ihnen, alle Geschöpfe wißig sprechend, aus Holz, Thon und Wachs, fein decoriret; das Ganze ausgeziert wie ein Italiänisches Präsepe. Welche Stimmen umgaben mich! wie scherzhafte Gestalten! Al les conversirte.

Mein Ohr gellte; ist das die neuere Fabel ?" feufzte ich, und schlich traurig in meinen stillen Hain

Da nahm mich auf der Vögel Chor

Mit wundersüßem Schall,

Die Lerche schwirrte hell empor

Es sang die Nachtigall.

Die Amsel schlug. Es såuselte

Der Westwind um mich her;
Es rauscht. Die Quelle murmelte
Und murmelte nicht mehr.

Denn siehe, die große Mutter' stand vor mir da, gekrönt mit der Sternenkrone, bekleidet mit dem weis ten Gewande, auf dem in lebendigen Bildern alle Naturwesen sich regten. Wie mit dem Gewande die

Lüfte spielten, enthüllten sich neue Wesen; endlich entschleierte sie ihr Angesicht und sprach freundlich:

„Mensch! du bist der Ausleger der Natur, ihr Haushalter und Priester. Alles spricht zu dir, Geist im Körper, Verstand in ewigen Charakteren. Lerne sie verstehen, diese Denkbilder, und orduen und vers nünftig gebrauchen. Vor Alles merke auf jede Folge deffen, was du fichest; im Bande der Wesen ist meine Kraft, in Folge der Dinge erblickst du meine und Deine Herrschaft.“

Sie schwang ihren gebietenden Stab, und war entschwunden im Bilde. Aber

Der ganze Hain lobjauchzete,
In Einem hellen Chor;
Und Blatt und Wipfel såuselte,
Ein Weihrauch stieg empor.

Die Echo rief:,,Natur! Natur!
Dein frohes Eigenthum

Bin ich!“ Mein Herz sprach : „O Natur!

Und ich dein Heiligthum."

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Ueber die Fabel.

Vielleicht scheinets kleinfügig, daß ich über das Wesen der Fabel zu reden fortfahre; nur das Wort aber macht irre. Ist die Fabel Darstellung einer in Handlung gesezten Lehre, so ist sie der Grund aller Dichtkunst, mithin der Rede wohl werth. Eben

die einfachste Dichtkunst ist die sogenannt, åsopische Fabel.

Lessing, dem wir die beste Theorie der Fabel zu danken haben, dem wir uns also auch in Erörtes rung derselben dankbar anschließen, erklärt sie so: „wenn wir einen allgemeinen moralischen Saß auf einen besondern Fall zurückführen, diesem besondern Falle die Wirklichkeit ertheilen und eine Geschichte daraus dichten, in welcher man den allgemeinen Sah anschauend erkennt, so heißt diese Erdichtung eine Fabel.“ a) Fühlet man nicht, daß zu Bestimmung der åsopischen Fabel hier etwas fehle. Denn wenn wir auch den Ausdruck,,allgemeiner moralischer Sah" übersehen, auch nicht fragten: wie ists mög lich, daß ich einen allgemeinen Sah in einem besondern zur Geschichte gedichteten Fall anschauend erkenne? da dies immer nur ein besondrer, dazu ers dichteter Fall bleibt, in welchem die Allgemeinheit einer moralischen Lehre nie anschaubar werden kann: wäre diese ganze Operation der Zurückfüh rung einer Lehre auf einen besondern Fall, dem ich die Wirklichkeit ertheile und eine Geschichte daraus dichte" nicht ohne Grund und Kraft, wenn in der Natur nicht eine Ordnung, d. i, eine Wirklichkeit da wäre, die in jedem Fall nach allgemeinen Gesehen in einer veststehenden Folge als ein

a) Leffings Fabeln S. 171.

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GegeDnes fortexitinet ?

Wäre sie nicht da; ich könnte sie nicht dichten, noch weniger würde durch meine Dichtung, als durch eine willkührliche Zusama mensehung irgend ein allgemeiner Sah erkennbar. Eben nur jene Naturordnung und Naturfolge, nach allgemeinen, daurenden Gefeßen, die der Fabel zum Grunde liegt, macht den allgemeinen Saß in ihr erkennbar; und gelang es dem Dichter nicht seine Lehre auf sie dergestalt zurückzuführen, daß dies Allgemeine, das Unwiderstrebliche dieser Ordnung und Folge in seinem besondern gedichteten Feste sichtbar ward; ganz oder halb ist seine Arbeit verlohren.

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Lessing glaubt, daß,,die allgemein bekannten und unveränderlichen Charaktere der Thiere die eis gentliche Ursache seyn, warum sie der Fabulist zu mos ralischen Wesen erhebt. Die wahre Ursache (sagt er,) warum der Fabulist die Thiere oft zu feiner Abs. sicht bequemer findet als die Menschen, sehe ich in die allgemeinbekannte Bestandheit der Charaktere." a) Soll in diesem zusammengeseßten Auss druck die allgemeine Bekanntschaft mit den Thiers charakteren das Hauptmoment der Ursache seyn, so litte der Sah eine Einschränkung. Manchen Thier. charakter, wie er jeht zum Zweck des Dichters dient, kannte ich vielleicht nicht; aus der Fabel selbst werde

a) Leffings Fabeln, S. 181. 187.

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ich ihn leicht kennen lernen. Der tiefere Grund liegt, (ich kenne sie vorher oder nicht) in der Thiercharaks tere unveränderlichen Bestandheit, als einer ges gebnen Naturordnung. In dieser sind sie unvers ånderlich- handelnde Wesen, und können uns, mehr als der vielseitige, veränderliche Mensch, eine Ansicht der Naturordnung in ihrer Permanenz und Folge anschauend zeigen. Pflanzen und Bäume desgleichen, ja alles, was zu sprechenden Naturtypen gehöret. Daher die größere Wirkung der Fas bel als der Parabel oder eines Beispiels aus dem Menschenleben. Dieser Mensch handelte so; ein andrer, ja Er selbst zu andrer Zeit kann und wird an ders handeln. Der Fuchs in der Fabel aber steht für alle Füchse, die Cypresse für alle Cypressen.

Auf die Frage, wie weit der Fabulist die Nas tur der Thiere und andrer niedrigern Geschöpfe erhdhen und wie nahe er sie der menschlichen Natur bringen dürfe?" antwortet Lessing kurz:,,so weit und so nahe er immer will, wenn sie nur in ihrem Charakter denken, reden und handeln. Haben wir ihnen einmal Freiheit und Sprache zugestanden, so müssen wir ihnen zugleich Modificationen des Willens und alle Erkenntnisse zugestehen, die' aus jenen Eigenschaften folgen können, auf welchen unser Vors zug vor ihnen einzig und allein beruhet. Ihr Be

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