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und höchste Poesie an Würde und Klarheit. Wie die Natur und Wahrheit, wie ein Genius wird es erscheinen, reizend in seiner Einfalt, keines fremden Schmuckes bedürftig. Die Disputirkabale wird unter seinem Blick, wie unter dem Fuß des Engels von Guido gemahlt der Drache erliegen.

Wie aber? Fügen sich auch Wissenschaft und Dichtkunst? ist zwischen Wahrheit und Dichtung, zwischen Wasser und Feuer nicht ein ewiger Streit? Nach der neuern Chemie giebt es keine durchaus streitende Elemente; alle nehmen an einander Theil, fie verjagen und ersehen einander. Ist Dichtkunst die reinste, volleste Darstellung der Wahrheit: so muß sie jede Wahrheit darstellen können, nicht nur in den kräftigsten Worten, sondern auch in ihrem tiefften Grunde, mit inniger Zusammenstimmung und Wirkung. Glaubt Ihr, daß Orpheus Gesang eine Fabel sei? Der Orpheus der Natur wird, wenn die Wis: senschaft reif ist, seine Leier rühren. Das Schnitts gericht (haché) eurer Paragraphen haltet ihr für die einzig beste Methode der Wissenschaft? Für eure Lehrlinge mag es solche seyn; der Ueberblick des Ganzen wird von selbst eine andre Darstellung for dern. Schon das ist ein gutes Vorurtheil für die philosophische Dichtkunst, daß die Griechen sie in so hohem Maas liebten! Mit welcher Felsenstärke kündigs ten Parmenides, Epimenides und mehrere ihrer Weisen die Wahrheiten ihres Systems als Aussprüche der

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Muse an! Nicht Gesetzgeber und Gnomologen als lein; eigentliche Systematiker kleideten ihre Lehrfäße in Sylbenmaaße, deren überbliebne Fragmente uns den Verlust so mancher Geistesschäße bedauren machen. Die stärkste, reinste Aussprache der Wahrheit wird ihrer Natur nach allenthalben Dichtkunst; jedes System ist selbst ein Poem, so fern es mit sich bestehend, ganz und rein ist.

Bis zur lyrischen Poesie erhebt sich die philos sophische Wahrheit. Den Schaß der Griechen hiers inn haben wir, außer Pindar und kleinen Bruchstü: den verlohren; Horaz aber, der die Griechen so schön bestahl, (vielleicht der schäßbarste Dieb aller Zeiten) in wie treflichen Strophen singet er uns Weisheit in die Seele! So fein sind seine Worte zusam mengeseht, daß man sie nicht vergessen kann, wenn man gleich wollte.

In der neuern Dichtkunst, seit Dante und Petrars ka, sind die schönsten Canzonen der Italiåner und Spanier Lehroden. Von Lehre fing allenthalben die bildende Poesie an; die älteste Orientalische, Gries hische, Italiänische, Castellanische, Deutsche Poesie ist voll Sprüche, oft Sprichwörtern ähnlich.

Und was sind die sogenannten Französischen Oden, die seit Malherbe in Gang kamen, anders als sonore Lehrgedichte, höher tönende Declamationen? La Motre Houdart, J. B. Rousseau u. a. vers fificirten eine gute Anzahl derselben, deren Form

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auch in Deutschland lange nachgeahmt und oft übertroffen ward. Meistens betrafen sie geistige oder sitte liche Gegenstände, über die Mancherlei gesagt wer den konnte; und viel Gutes ward darüber gesagt. Eine lyrische Strophe, die, mie der Alexandriner uns jet lang dünket, galt damals für eine schöne poetische Periode.

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Und wären diese sonore Lehroden nicht Poesie? Wäre z. B. (wie unsre Neulinge wollen) Uz kein lyrischer Dichter? Wenn nach griechischer Weise Einem Verstorbenen sein Ehrenzeichen, eine bekränzte Lyra aufs Grab gefeßt werden sollte; so gebührte sie Ihm! eine Lyra mit dreifachem Kranz, der Dichts kunst, der Weisheit und des thätigen Verdienstes, umwunden. Eben Er traf den Lon, in dem die Lehre, jedermann verständlich, in feurigen oder sanfs ten Sylbenmaaßen unser Gemüth durchdringet, und es in süßer Begeisterung mit sich fortziehet oder fortreißt. Seine besten Oden a) sind ein Lehrbuch der Liebenswürdigsten Moral in süßen Gesangweisen. Wenn gleich er Horazens Sylbenmaaße nicht ges

a) 13 poetische Werke, Leipzig 1772. Die Zufriedenheit, das bedrängte Deutschland, der Weise auf dem Lande, an das Glück, die deutschen Sitten, Ermunterung zum Vergnúgen, die Wohllus, die fröhliche Dichtkunst, die Wissenschaft zu leben, der standhafte Weise, die Freude, die wahre Größe, die Glückseligkeit, die- ruhige Unschuld, Theodicee, der wahre Muth, an die Freiheit, Horaz, Laura, das Schicksal, an den Frieden, der Patriot, an die Freude u. f.

braucht hat, so spricht doch Horazens Geist durch ihn, im Inhalt sowohl als im Schwyng und in der Ans ordnung seiner Oden, Kehre der Klang derselben, die ein bisarrer Geschmack verdrängt hat, ins Ohr der Jünglinge wieder!

Unfrer seligen poetischen Zeit wäre ein Pope, ein Boileau wohl zu wünschen. Nicht etwa nur des Fleißes in der Sprache und Verskunst halben, der mit dem abgekommenen Reim hie und da felten wors den ist, sondern des Inhalts ihrer Werke selbst wegen, zu welchem reife Beobachtungen, Grundsäße, überhaupt eine Welt- und Menschenkenutniß nöthig ift, die ein Klingklang an Werth schwerlich erseßen möchte. In unsern Zeiten bearbeitet, würden die Themata jener Dichter neue und merkwürdige Productionen geben! Ueber Kritik und Dichtkunst

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würden sie nach Veranlassungen unsers Lustrums andre Vorschriften machen, im Laufe der großen und kleinen Welt wurden fie andre Thoren zu belehren finden. Und ein Versuch über den Menschen zu unsrer Zeit, (mit aller Bescheidenheit gegen den vers dienstreichen, glänzenden Namen Pope sei es gesagt,) wie größer, kühner, richtiger könnte er werden! In der Haushaltung der Natur, in der der Mensch sichtbarer Haushälter ist, sind seitdem von den Sternsystemen, hinab in die Tiefen der Erde, in die Elemente der Wesen, so weite und scharfe Blicke ge. than; die Frucht, an der das Menschengeschlecht hangt,

auf der es sein Wesen treibt, ist seitdem so um- und durchgangen, seine Haushaltung auf ihr im Guten und Bösen so licht worden, die Geseße seiner Natur, sein Zweck, seine Bestimmung, nebst den Wegen und Abwegen, die er bisher genommen hat, sind so helle ans Licht getreten, daß ein Versuch vom Menschen, in der Zeit des neunzehnten Jahrhunderts geschrieben, in der Pope den seinigen im achtzehnten schrieb, ein neues, unvergeßliches Lehrgedicht werden könnte. Káme dies Blatt einem jungen Genius in die Hand, und weckte ihn, über die Haushaltung der Natur und ihren Haushalter, den Menschen, haushalterisch selbst ein Werk anzulegen, in dem der Geist und das Herz der ganzen Menschheit ewig wohnte.

Die Gärten der Hesperiden.

Eine Unterredung.

Als Adanson voreinst am Senegal a)

In einem Walde sich verirrte, traf
Ein Tiger auf ihn, sah die nie gesehne
Gestalt des Europåers an und stand.
Der Europäer, schrecklich von der Furcht
Ergriffen, zog das blinkende Metall
Und richter' es; doch weise schoß er nicht.
Lang schaut der Tiger Ihn, den Tiger Er

a) Voyage au Senegal p. Adanson.

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