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ficht und Sorge übergeben sind. Man sage nicht, es sei dies Gottes Werk, und nicht der Menschen. Gus ter Menschen unerläßliche Pflicht ists durch ihr gans zes Leben, dem Willen der Vorsehung thátig zu Hüls fe zu kommen.

9.

Aurora

die Erscheinung am neuen Jahrhundert a).

I.

Deine nächtlich trübe Gedanken aufzuhellen, trete ich vor Dich, sagte die Erscheinung, und stand vor mir im Glanz der Aurora; (es war ein milder Glanz, ihr Blick war erquickend und tröstend.) Dunkelheit ist die Mutter der Furcht; Dämmerung die Mutter des Irrthums. Rede."

Ach der entflohnen Hoffnungen! Welch Jahrhuns dert glaubte man, das mit der neuen Zahl aufgehen werde, aufgehen müsse! Das leßte Gut der Sterblis chen in Pandorens Büchse ist also auch dahin!

,,Wer glaubte, wer hoffte dies! Und warum hoffte man? und warum hofft man nicht mehr?“

Endlose Fragen! Jedermann hoffte. Wir Mens schen sind so geneigt uns über einen neuen Tag, über ein neues Jahr zu freuen, geschweige nach solchen Zus bereitungen über ein neues Jahrhundert.

„Der Name klingt prächtig; manchem mag er seiz

a) Aurora sollte eine Zeitschrift heissen, die der Verfasser mit dem beginnenden neuen Jahrhundert herausgeben wollte. Die ernstere Adrastea verdrängte sie; sie nehme dafür die Ers scheinung dieser Göttin auf, und bewähre ihre Worte.

(Wilhelm H.)

ner vielumfassenden Dunkelheit wegen gar erhaben tö, nen; Jahrhundert! Der Veränderung wegen kann es Euch Kindern angenehm seyn, der bösen Sieben, zuleßt der langgeschweiften 99 loszuwerden, und nach einem Jahr mit oo bezeichnet in einer geraden Zahl 4+4 neu und frisch aufzuzählen. Ich wünsche euch, daß im Jahrhundert 1800 alles das doppelt geschchen möge, was im Jahrhundert 1400 einfach geschah. Du weißt, was Alles darin ́erfunden ward, wie für Europa sich alles darinnen neugestaltete, und wie Ihr sagt, wiedergebar. Ihr erwartet jeßt die reichste, vollständigste Aerndte jener Aussaat"

Nebst dem, was die Jahrhunderté 15. 16. 1700 fäeten. Der menschliche Geist ist nicht stillgestanden; er ging fort

,,Und wird fortgehen. Warum traurest Du also?

Daß er noch immer nicht so glücklich ist, rein zu ärnten geschweige zu genießen, was er såte. Im Ab: lauf eines Jahrhunderts strengt er sich an; er glaubt zu Ende kommen zu müssen, mit beschleunigter Ves wegung das Werk des Jahrhunderts zu vollenden. Seit 1789 geschahen Dinge, die sonst in Jahrhuns derten nicht geschahen; in Worten, Lagen, Stuns den geschahen Dinge →

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,,Man war also sehr in Eil. Wohlan dann! alle diese in Eil geschehene Dinge sind geschehen; auf der Tafel der Zeit stehen sie unauslöschlich), unwieder, bringlich gezeichnet; die Früchte davon werdet Ihr

und

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und eure Nachkommen erleben. Was traurest Du also?"

Eben dieser Früchte wegen. müssen jest um so mehr fürchten.

„Was fürchtet Ihr?"

Wir hofften und

Das Gegentheil von Allem, was wir hofften; so ganz sind unsre Erwartungen umgeschlagen. Ach, Erscheinung, wenn Du in der Brust der Sterblichen Liesest

Ich lese darin und hörte Eure mißgebrauchte Worte. "

Welche? Freiheit und Gleichheit. Jedermann schämt sich ihrer; niemand braucht sie mehr.

,,Das ist Schade. Ich wollte, daß Du sagtest: niemand mißbraucht sie mehr: tenn brauchen müßt ihr sie. Nicht blos dem Philosophen und Mathemas tiker, Eurem Geschlecht sind sie unentbehrlich; ihr werdet sie auch wieder und besser gebrauchen."

Sie sind nicht die Einzigen; wie diese giebt es hundert, ja tausend mißbrauchte Worte. Die ganze politische Sprache ward entweiht.

,,Ward sie das nicht stets? wenn sprach die polis tische Sprache genau, wahr, herzlich ? "

Die ganze menschliche Sprache ist entweiht: die edelsten Worte darf man nicht nennen, die der Mensch, heit innigsten Gefühle nicht ausdrücken, weil jeder Ausdruck beschmußt ist.

„So schafft Euch neue Worte.

Herders Werke z. schön. Lit. u. Kunst. XII.

Hältst Du es

für keinen Vortheil, dieser Frrthümer los, diesen Vorurtheilen und Misbräuchen entkommen zu seyn? Eine abgezahlte Schuld, ist sie nicht Reichthum? eine überwundne Gefahr ist sie nicht lehrreich?“

Bitter- lehrreich ist diese. Welche Gråuel! „Sie gehören zum verflossenen Jahrhundert; sie find vorüber."

Aber ihre Folgen bleiben.

„Daß man auch sie hinwegthue, und jede Schands fäule Ehrensäule werde. Das Rad, das hinunters ging, gehet aufwärts. Gute Düngung verspricht gute Aernte."

Aernte für wen? Für die wilde Gefehlosigkeit? oder für den eisernen Zwang und Despotismus? und in beiderlei Fall für eine Barbarei, die hinter uns ist, der wir kaum zu entkommen vermögen.

"

‚Wie sehr irrest Du Dich! Judem Du Contraste genannt hast, siehest Du nicht, daß diese Gegensäke sich einander selbst einschränken und aufheben? Bes merkst Du nicht, daß das Resultat dieses Streits durchaus nicht Unwissenheit und Barbarei, d. i. weder ewis ge Verwirrung, noch ein bloßes Null seyn kann?"

Wie lange aber wird der Streit währen?

„Was ist lang und kurz im Buch der Zeiten? Geschehen muß immer etwas; je langsamer es geschieht, desto besser; da übereilt man sich nicht, wie Du vors hin sagtest. Alles was geschehen kann, geschieht; für Sterbliche ists aufmunternder Trost, daß Alles

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