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6.

I de e

zum ersten patriotischen Institut

für

den Allgemeingeist Deutschlands. a)

S. I.

Da Einheit und Mannichfaltigkeit die Vollkoms menheiten sind, die alle daurenden Werke der Natur und ihrer Nachahmerin, der Kunst, bezeichnen: so ist es wohl unzweifelhaft, daß auch die höchste, schwerste und nüßlichste Kunst der Menschen, die Einrichtung einer Nation zur allgemeinen Wohlfahrt, nach diesen Eigenschaften streben müsse und unvermerkt strebe. Je getheilter eine Nation ist, desto mehr Kräfte kann fie vielleicht haben; die Kräfte werden sich aber eins ander nicht kennen, mithin auch nicht auf Einen ges meinschaftlichen Endzweck wirken. Ein Beispiel davon giebt die mittlere europäische, insonderheit die deutsche Geschichte. An Mannichfaltigkeit und Kraft

a) Dieser Aufsaß wurde durch einen der ehrwürdigen, allgemein hochverehrten Fürsten Deutschlands (C. F. M. ¡. B.) veranlaßt, für welchen der Verfasser diese Idee im Jahr 1788, vor seiner Reise nach Italien aufgeseht hatte, und verdient von der Adrastea aufbewahrt zu werden.

Herders Werke. schön. Lit. u. Kunst. XII,

(Wilh. 3.)
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hat es unsrer Nation von jeher nicht gefehlet. Von jenen Zeiten an, da Deutschland ein Tummelplak von Stämmen und ziehenden Völkern war, durch alle Jahrhunderte hin, da einzelne Gebiete und Provinzen kämpften, stritten, arbeiteten, strebten und erfandeu, bis vielleicht selbst auf unsre Zeit, war unser Vaters land ein Staatskörper, der seine eignen Kräfte nicht imnier kannte, fie also auch nicht zu Einem gemeins schaftlichen Zweck mit gehaltener Vestigkeit anwenden konnte, ja vielmals zu falschen und fremden Zwecken, gegen sich selbst mißbrauchte. Es ist also wohl kein Zweifel, daß jemehr Licht in diesen ungeheuren Wald menschlicher Bemühungen kommt, je mehrere helle Köpfe und thatige Hände sich zu dem Einen großen Endzweck, der National, Wohlfahrt, verstehen und verbinden lernen: desto mehrere Vestigkeit, Ordnung und gesetzmäßige Freiheit muß der Staat vou innen, desto mehr bestimmte Macht, Würde und Weisheit muß er in seinen Wirkungen von außen gewinnen; und in beiden Fällen wird er dem höchsten Vorbilde einer belebten Maschiene, dem menschlichen Körper selbst, nacheifern, in dessen sämmtlichen Gliedern nur Eine gemeinschaftliche Seele lebet. Nach unsrer deutschen Verfassung sind also alle Bemühun. gen ruhmwürdig, die nicht nur Licht zu verbreiten, sondern auch Licht zu vereinigen suchen, daß Eine gemeinschaftliche Flamme werde. Alle Bemühungen, die dahin zwecken, daß die sämmtlichen Völker

und Provinzen Deutschlands sich in ihren besten Kös pfen, in ihren thätigsten Gliedern einander kennen, verstehen, und in ihren Arbeiten fürs Wohl des Gans zen helfen und beistehen lernen, damit allenthalben nur Ein Geseß der Vernunft und Billigkeit regiere und jede blinde Partheilichkeit entkräftet werde, sind unsterbliche Wohlthaten für die gesammte Nation, die sich mit jedem Schritte mehr belohnen und taus sendfache Früchte hervorbringen müssen.

S. 2.

Wenn irgend eine Zeit zu allgemeinen Versuchen und Anstalten dieses grossen Werks vorbereitet und bes quem war: so scheint es die unsrige. Die allgemeine Men schen Vernunft hat Licht und Stimme gnug gewon nen, um aus dem Gemählde der Barbarei voriger Jahrhunderte, aus ihren tausendfachen Frruugen, Unordnungen und leeren Bemühungen die Lehre ans zuerkennen und laut zu sagen:,,daß Finsterniß, und Vorurtheil, daß gesehwidrige Macht und Partheilichkeit, daß Verkennung seiner Kräfte, Vernachlä. Bigung der unentbehrlichen Mittel zum Wohl des Ganzen keine gute Folgen haben können und nie ges habt haben." Das Beispiel großer Männer auf dem Thron und im Cabinet, auf Richterstühlen und in Schriften ist vor uns, die diese Lehre auerkannten und mit einer Wirksamkeit ausübten, die wir noch anstaunen und bewundern. In alle Provinzen von

Deutschland sind Strahlen dieses Lichts gedrungen: selbst wo man sie mit Gewalt zu verdrängen sucht, machen sie sich Bahn und glänzen in verborgenen Winkeln vielleicht desto stiller und reiner. Man siehet Werke des menschlichen Geistes in Gegenden erscheinen, wo man sie nicht erwartet håtte; und das Gründlichste und Beste entziehet sich vielleicht dem Auge des Publikums, entweder aus Mangel der Aufmunterung, oder gar aus bescheidner Furcht, und weil es in der Unterdrückung schmachtet. Man fies het hie und da Anstalten zum Vorschein kommen, die eine Reihe der aufgeklärtesten Ueberlegungen vorausseßen; und leider auch gutgemeinte Anstalten fcheitern, denen vielleicht blos eine fremde freunds schaftliche Ueberlegung, eine glückliche Communicas tion mit anderweit gemachten Erfahrungen fehlte. Die große Anzahl unsrer gelehrten und politischen Journale zeigt, welche Menge von Keimen sowohl der Wissenschaft als politischer Bemühung in Res gung sei, und sich entweder als Kraut oder als Un: kraut zeige. Die große Anzahl geheimer Gesellschafs ten, die meistens nur deßwegen geheim sind, weil sie sich ans Licht hervorzutreten nicht wagen, zeigen auch in ihren Mißbrauchen und Verderbnissen, daß eine Gäh. rung dasei, deren Wirkungen man nur dadurch zuvorkommt, daß man die Gemüther der Menschen öffentlich auf allgemeine, beffere Endzwecke leitet. Das Mißvers hältniß unsrer deutschen Provinzen gegen einander in

den Graden der Aufklärung, verglichen mit ihrer Lage und der Zeit, seitdem sie diese Aufklärung ges nossen haben, dringet noch mehr auf eine Vereinis gung ihrer Stimmen und Einsichten. Große Pros vinzen, gegen welche sich andre Gegenden von Deutsch: land das ihnen angestammete Recht erlauben, sie für Barbaren halten zu dürfen, wollen sich nicht mehr dafür halten laffen; sie murren und sind unzufrieden, mit den Vorzügen, welche jene sich blos deßwegen anmaaßen, weil das Licht der Aufklärung und guten Einrichtung fie früher traf. Sie wollen von der Eintheilung Deutschlands in zwo Hälften, deren eine licht, die andre dunkel sei, nicht mehr wissen, und sagen:,,was thut Ihr jeßt denn mehr, als Wir?" Indessen hindert sie oft ihre geographische oder polis tische Lage, nebst vielen andern Umständen, unter welchen der Mangel an gelehrten Hülfsmitteln und an Communication keine kleinen Hindernisse sind, hers vorzutreten und sich der Reihe allgemeiner Bemüs hungen so anzuschließen, wie sie es wünschten. Je dem Landesherren und seinem Lande muß daran ges legen seyn, daß dies Mißverhältniß der Provinzen Deutschlands gehoben werde. Es muß ihnen daran gelegen seyn, daß allenthalben, wo man in Deutsch, land lebet, man auch zu Deutschland gehöre, die Sprache unsres Vaterlandes rein spreche und schreibe, in Bekanntschaft mit Demjenigen sei, was auch außer unsern Grenzen Vorzügliches gedacht, gethan, ges

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