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6.

Briefe,

den Character der deutschen Sprache be

treffend.

Erster Brief.

Kein Volk, mein Freund, das je zu einiger Culs tur gelangte, konnte bildlicher Vorstellungen ents behren; die Sprachen der Wilden selbst sind voll von Allegorieen, d. i. von übertragnen Begriffen, von Versuchen sich im Körperlichen das Geistige, im Bes sondern das Allgemeine abzubilden und u bezeichnen. Die ganze Form der menschlichen Organisation und Denkart vermag es nicht anders.

Mit mancherlei Sinnen und Seelenkräften, die dem ersten Anblick nach unvereinbar scheinen, nehmen wir um uns ein ungeheuer vielartiges Weltall wahr, und eignen uns dasselbe mit solcher Jnnigkeit zu, daß wir über die Kraft in uns, die sich aus und in Allem ein Eins schaffet, erstaunen. Jeder Sinn vereint und sondert; aus allen vereint der innere Sinn die Empfindung und läutert, was ihm Jene zuführen. Die schaffende Einbildungskraft (ein wunderbares Vermögen) entwirft und ruft aus allem Empfundenen neue Gestalten mit unglaublicher

Schnelle und Leichtigkeit hervor, knüpft sie nach ei nem dunkel- empfundenen Geseß des Raumes, der Zeit und der inneren Thätigkeit zusammen, bis der Verstand sein göttliches Siegel des Erkennens, des Erfassens darauf drückt, und nach seinem innigen We sen, das Ursache und Wirkung zugleich ist, sie an das Band fortgehender Ursachen und Wirkungen knüpft. Wie nun diese mit mancherlei Namen genannte Kräfte in uns von Einer Wurzel ausgehn und zum Gipfel emporstreben: so ist auch das Ger schaft, an dem Sinn und Empfindung, Phantasie und Verstand unaufhörlich schaffen und wirken, nur Ein Geschäft; und welches ist dieses? Ins Chaos der Dinge Ordnung zu bringen, durch Selbstthåtigkeit sich diese Ordnung zu schaffen, aus dem Un, endlichen sich ein Endliches, aus dem unermeßbar: Vielen sich ein genießbares Eins zu erwirken.

Dies uns errungne Gut bezeichnen wir, mit Freude des inneren Sinnes und Geistes; wir nen, nen es unser, mit Freude des Herzens und der Em pfindung. Geschehe die Bezeichnung mit Umrissen des Sonnenstrals und der Farben im Raum, oder durch Verknüpfung dreier Momente, der Vergan, genheit, Gegenwart und Zukunft in der Zeit, oder mittelst der noch innigern Verknüpfung von Ursache und Wirkung, die ganz geistig zur Geisterwelt ge höret; allenthalben wird durch dies Geschäft Ord

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nung erschaffen, Genuß bereitet und wir sind, selbst indem wir leiden; Selbstthäter, Schöpfer.

Alle allgemeine Begriffe, wie viel Mühe has ben sie mit dem Menschengeschlecht geloftet; und wie freute sich jedes Volk der seinen! Wie Gottheiten betete es sie an, kleidete sie in Symbole ein, oder drückte sie durch Gebehrden, Worte, Gebräuche aus und heiligte diese Worte. a)

Glücklich, wenn von den Erfindern nur Wahrheit geheiligt, und auch als solche von den Empfåns gern erkannt und genossen ward! Combinirte man unverständig, falsch, flüchtig, ließ man die Phantas sie allein schaffen und wirken, so erfand man Träume, und ging oft Jahrhunderte in Träumen einher. Nas türlich wurden diese Träumereien sodann immer vers worrener, weil das erste bedeutungsvolle Moment der Erfindung und Empfindung vorüber war, und man jekt unter ganz andern Umständen alte verlegene Worte nur nachlallte. Hatte selbst der Verstand übel symbolis siret, und entweder zu verstehen geglaubt, was er nicht verstand, oder hatte er das Wohlverstandne kraftlvs bezeichnet, so bauete man dort auf Vorurtheilen und Irrthümern, hier auf schlaffen Ausdrücken fort, und a) Wie schwer es z. B. den Egyptern geworden, die Ordnung eines Jahres zu bezeichnen, vest zu stellen und im Andenken zu erhalten, entwickelt eine Schrift, die man als den ersten Schlüssel zur ältesten Sprache durch Symbole ansehen kann, Dorneddens Phamenophis, fortgeseßt in Eichhorns allge meiner Bibliothek B. 10. Št. 2. u. f.

redete die Sprache des halben Sinnes und Un finns weiter. Ein unerläßliches Geschäft ifts also dem fortwirkenden menschlichen Verstande, daß er sein altes, sein frühes Jugendwerk munter forttreibe, unverdrossen sich selbst ausarbeite und lautre. Die allgemeinen Begriffe einer Sprache sind leitende oder mißleitende Sterne, nach denen sich Alles kehrt und wendet, Irrwische oder Polarsterne. Jahrhunderte lang hat oft Ein sinnloses Wort den menschlichen Verstand aufgehalten, bethört, betrogen; Eine neue glückliche Combination, ein neues Wort schuf ihm eine Welt voll neuer Ansichten; es organisirte seine Begriffe zu hellerer Wahrheit.

Was im Reich der Wahrheit gilt, gilt kräftiger noch im Reiche des Rechts und der Sitten. Ges bohren treten wir in eine gebildete oder mißbildete Gesellschaft ein; unsre ersten Begriffe über sittliche Gegenstände und Verhältnisse empfangen wir, da sie ihrer Natur nach unsichtbar sind, durch Worte. Wie mächtig wirken diese fittliche Worte! unauslöschbar bleiben sie im Gemüth und formen Charaktere, Ges wohnheiten, Sitten, auf immerhin bildend oder mißs bildend. Zaubertöne find die Laute: „das ist schön, edel, honett, rühmlich!" oder gegentheils:,,o wie häßlich, wie schändlich!" Eine widrige oder verachs tende Gebehrde, so wie bei anständigen Dingen ein Laut der Bewunderung, ein billigendes Wohlgefal

Len

vorm Auge der Unmündigen, im Ohr der

Kinder sagen sie mehr als lange Collegien über die Moral. Den Geist ganzer Gesellschaften, Famis lien, Aemter und Stände bilden oder missbilden sie; an ihnen erhält sich die schönste Zier der Menschheit, die moralische Grazie, oder wird durch sie verscheucht, verunziert, abgeschmackt verderbet. Was folgt hiers aus? Zuerst dieses. Jede Bemühung des mensch. lichen Verstandes, allgemeine, besonders sittliche Bes griffe von Unfinn zu reinigen, fie in ihrer wahren Bedeutung festzustellen und zum beffern Gebrauch lies benswerth einzuführen, ist für unser Geschlecht Wohls that; eine Wohlthat für die entferntesten Zeiten. Wer die Nußschaalen leerer Worte aus der Philosophie wegkehret; nicht etwa der Schule allein, dem Verstande der Nation selbst leistet er damit Tienste: denn alle diese Hohltöne kommen früher oder spåter durch Umgang in die gemeine Rede, oder sie sind ihr gar entnommen und werden sophistisch) mißgebrauchet. Rüftig gehe der Fleiß unsres Volks im Dienst der Wahrheit fort, Spinnweben und Unrath aus ihrem Tempel zu fegen; er folge darinn andern Nationen, die der Psilosophie, Kenologie, Matãologie, d. i. der kahlen Leerweisheit längst ihr Kenothaphium bauten.

Zweitens. Aus Wissenschaften, Functionen und Sewerben verbanne man mit jenen leeren Worten auch die leeren Formeln, aus denen der Geist ihrer Erfinder längst entflohen ist, noch mehr solche, an

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