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und vielleicht einige Eitate; noch andere find leider Frage mente, aber gedankenreich und der Aufbewahrung werth.

Die eingewebten Poesieen mögen den strengen Blick der Adrastea erheitern und stärken.

Nimm, erhabene Göttinn, Dein Dir geheiligtes Werk in Schutz und Gedeihen!

Weimar, den 16. März 1804

D. Wilhelm Gottfried v. Herder.

I.

Das Drama. a)

Ein Fragment.

„Wie also? wenn wir das ganze griechische Theas ter hinüberpflanzten?" Wie? Mit Wurzel und, Stamm? oder aus Sprößlingen und Zweigen? Auf die lehte Weise haben es alle gebildete Nationen versucht, Franzosen, Engländer, Italiåner. Leset sie, bemerkt die Schwierigkeiten und ihre darauf gewandte Mühe; lernet. Denn mit Wurzel und Stamm es hinüber zu pflanzen, wäre ein Wunderwerk wie noch keins geschah. Uns in jene Jugend der Welt, als wäre sie noch da, hinüberzufeßen, als lebten wir eben in Athen, als stünden Tempel und Gdtter noch vor uns da, dazu gehörte ein Wunderglaube.

Wir schaffen Athen. In unsrer neugriechischen Dichtkunst pflanzen wir das altgriechische Theater aus dem Kern hinüber. Glückzu! Aber

1. Das griechische Theater war Gesang. Das zu war alles eingerichtet, und wer Dies nicht vers nommen hat, der hat vom griechischen Theater nichts gehört. Gåbe uns nun Jemand ein Stück, worinn vom melodischen Sylbenbau der Griechen und dessen a) S. Adrastea IV. St. S. 286. Herders Werke. schön. Lit, u. Kunst. XII.

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Wirkung nichts zu vernehmen wäre, worinn der Ver: faffer die Worte, die Klänge, selbst des Chors, die allein für die Musik eingerichtet waren, uns in langen Reden, in der taumelndsten Sprache, in der der Sprechende nie zu Athem, der Hörende nie zum Vers nehmen kommt, zu hören gåbe; machte das Stück wohl einen andern Eindruck, als der Lanz Tolltrunkner, die ohne Musik tanzen, und sich in mächtigen Perioden in dithyrambischen Phrasen die Brust zers arbeiten?,,Sprachen die Griechen wirklich also?" Glaube nichts davon. Es ist des Schriftstellers zus sammengeraffte, der Musik entwandte Phrasensprache, eine Schulübung.

Wer kennet nicht die gänzliche Verschiedenheit des Gesanges und der Rede? Wer weiß nicht, wie Löne die Stimme erheben? Wie Melodieen den Ausdruck verständlich machen und umbilden? Roh also, unferm Organ zuwider, in die tragische Gesangesart der Griechen tappen und sie zu einer widersinnig - declae matorischen Rede machen, hieße dem Apollo in sein Leier greifen, ihre Saiten zersprengen, und mit den übriggebliebenen Fåden umherrafen.

2. Das griechische Theater war ursprünglich gottesdienstlich. Aus Gesängen dieser Art erwachsen, behielt es eine alte Berehrung gegen Orakel, Götter, Heroen und alles Heilige bei. Mit Ehrfurcht wurden ihre Fabeln behandelt; mit Schonung die Flek ken und Fehler darinn entweder umgangen oder groß

und mild' ausgeleget. In Euripides Jon, z. B. der vom Apollo begangne Jugendfehler. Der Gott selbst schämt sich desselben; er getrauet sich nicht, in dem ihm eigensten Tempel zu erscheinen; aufs zarz teste will er alles gut machen, und sendet die strengste, jungfräuliche Göttinn ihn mit den Sterblichen, die alle stark gegen ihn reden, anständig, und über die Maasse wohlthätig auszusöhnen. Sein Tempel, seine Pythia, sein John, Alles erscheint in angemessener Wohlanständigkeit und Ordnung.

Tráte uns nun ein Verpflanzer vor Augen, der dieses anständigen Gefühls ganz unkundig, uns den Gott selbst vorschdbe, wie er mit der frechsten Stiru in einer Glorie hervorspringt:,,me voici! l'Auteur de cet charmant ouvrage batard; moi, le Dieu Phebus, grand Genie! Genie exemplaire!" während daß Vater, Mutter, Sohn ánf Knien vor ihm liegen, und ihre Beschimpfung andächtig anhören. „König, rufen wir alle, das ertrågst Du? machst Dich nicht auf, und packst den Unverschämten, der dies Dir vorsagt, Dir eine Frucht, wer weiß wessen? aufhänseln will und dein Weib Dir als eine Entehrte verleidet? Mache Dich an die Behorcherinn Pythia, die unächte Kinder hier im Tempel pfleget; reinige den Tempel." Bei Euri pides, selbst bei Euripides, Alles wie anständiger, sittlicher, schonender, Alles wie anders! Pflanzet ihr so die griechischen Götter zu uns herüber; ihre

Tempel werden leer bleiben und den Namen erhals ten, den sie verdienen.

3. Die griechische Bühne, die wir kennen, feis erte Athen. Dort war sie entstanden, dort blühete sie, bearbeitend in Attischem Geschmack am liebsten Attische Fabeln, die sie, wie alles Fremde, auf die Herrlichkeit Athens zurück führte. Wie hoch steht in ihnen Pallas Athene! der Areopag, Atheus Vers fassung, Ruhm, Macht u. f. Würde Euripides eine Fabel wie Jon gewählt haben, wenn er nicht damit einen Flecken ihrer alten Geschichte, daß Fremde über Athen geherrscht, mit dem glänzendsten Licht hätte überstrahlen, und die Abkunft aller gebildeten Colos nien der Welt, der Jonier, Dorier, Achåer u. f. aus Athen in dies glänzende Licht hätte stellen wollen? Dazu erscheint, dazu spricht seine Pallas Athene.

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Gåbe uns nun jemand einen Jon, wo der Fabel diese ganze Volkes Stadt- und Gebietsherrlichkeit entnommen, in ihr mißkannt wäre, an deren Statt aber eine unzüchtig gehäßige Tempel - Betrugsges schichte widerlich nackt dastünde; welch ein unattisches Schauspiel!

4. Die tragische Bühne der Griechen nahm ihre Fabeln aus vorhergegangenen harten und rohen Helden- und Königszeiten, mit stiller Freude der Zuschauer über ihr gegenwärtiges Glück, frei von solchen Tyrannen, Bürger Athens zu seyn. An dies sen abgelebten Königsgråueln, Menschenopfern u. f.

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