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Zeiten, da selbst in der Akademie der Wissenschaften d'Alembert bei jeder seiner Pointe im Lesen innes hielt, damit geklascht wurde? Wie dem auch sei; dem Charakter unsrer Sprache und Nation ist der falsche Glanz (faux brillant) des Französischen Wißes fremde.

Durch Blumengårten von pensées öfters müssig zu gehen, ist beinahe gefährlich; der Duft der würze reichen Blumen benehelt das Haupt und macht den geis tigen nüchternen Sinn trunken, Keine Leserei fos dert eine so strenge Diät als das Lesen abgerissener, hingestreueter Gedanken. Ueber jeden sollte man sich Rechenschaft geben:,,ist er wahr? und wiefern? wie kam der Denker auf ihn? und was hat er für Folgen?" Dies sich selbst kurz oder ausführlich, aber bestimmt zu bemerken, ist eine Conversation der Geister; eine Uebung, da wir selbst aus dem Falschen oder Halbwahren Wahrheit lernen. Manche Gedanken führen uns in dieser Geistesunterredung ungemein weit auf Wege und zu Materien, an die der Autor selbst nicht dachte; aus manchem Samenkorn, das ein Vogel hius trug, erwuchs mit der Zeit ein Wald von Bäumen, eine neue Schöpfung. Wie Diderot den Seneka durchgehet und controlliret, wie Macchiavell den Livius, andre Italianer den Tacitus ausgesponnen und commentirt haben; so dürfen wir mit einzelnen pensées oder thoughts berühmter Männer, die unfrem Geist verwandt sind, umgehu. Oft muß man sie variiren, wie in Spanischen Liedern die sogenannte Gloffa den

gegebenen Gedanken, die Letra, variirt, umkehrend, erweiternd. Für jugendliche Jahre ist dieser Geisters Umganz eine trefliche Uebung; er weßt das Urtheil und veranlaßt Gedanken. Wer wollte aber auch je ohne diesen Umgang leben? wer je für ihn alt werden?

Noch schärfer aber als Gedanken müffen Maxi, men geprüft werden; ihr Einfluß ist höchst wichtig, Wie sogar Mienen und Gesichtszüge sich beim Umgange unvermerkt mittheilen, so auch der Lesung hochs geachteter oder geliebter Schriften die Haltung des Geistes und Herzens, in der der Autor schrieb, sein Charakter. Unvermerkt, auch wo man ihn vers bergen wollte, blickt er durch; unvermerkt, selbst wenn wir gegen ihn auf der Hut sind, geht er in uns über. Dies ist die Salbung oder daß Gift, mit dem berühmte Schriftsteller ohne ihr Wissen unwillkührs lich auf ihre Zeit wirken. Eben auf diesem unmerk lichen Uebergange (transpiration) beruhet die innigste Sympathie, wie die widrigste Antipathie zwischen Geistern und Geistern.

Wenn wir aus der Gesellschaft zurückkehren, wundern wir uns oft, daß Menschen so denken und sprechen konnten! Ihre Urtheile frappirten uns ; wir staunen ihre Denkart an, als ob sie aus den Monde käine. Seine Maximen verbirgt man mehr und paradirt oft mit falschen; mit sogenannten Sens

timents, die schon durch ihren erborgten Prunk als Lüge sich selbst verrathen. Wie man in der Gesells schaft Personen classificiret; so unterscheide man sie auch in Schriften. Die Haltung ihres Charakters nämlich, d. i. wohin das Resultat ihres Denkens, Dichtens und Trachtens gehe? ob es glücklich oder unglücklich mache? Menschen entzweie oder vereine? Ihr Musen und Grazien, bewahrt uns vor bösen Dämonen! Eine verderbliche Maxime, in unseru Verstand, in unser Herz aufgenommen, schadet mehr als hundert gelesene falsche Gedanken. Ueber diese findet sich der Verstand endlich zurecht; da jene das Herz vergiften und verpesten, zumal wenn sie uns schmeicheln. Ein guter Geist, wie unendlich mehr ist er werth, als ein häßlich schöner Geist, der uns verderbt und verführet!

Wollten wir wohl, daß unsre näheren Freunde nach Rochefoucaults, nach Helvetius GrundsåHen denken sollten, so unschuldig diese Grundsäße bei ihren Bekennern gewesen seyn mögen? Wollten wir, daß Swifts Unzufriedenheit mit der Welt, seine harte und böse Laune in die überginge, die wir wie uus selbst lieben? Eine feinere Verkehrung des Sinnes und der Moral, Stolz, Frechheit, eine vornehme Insolenz gehen eben so unvermerkt über, zumal in Jahren der affischen Jugend, die soaern von ihren vergötterten Denkart, Styl, Gebehrden nachahmt, und sich damit selbst vergöttert dünket.

Ob der Himmel einem Zeitalter große Geister bescheren wolle, sei ihm überlassen; er gebe uns nur heilbringende Genien, gute Geister.

„Wenn mich, sagt Diderot in seinem Ehrengedächtniß auf Richardson, eine dringende Noth zwäns ge; mein Freund geriethe in Dürftigkeit; mein mite telmäßiges Vermögen reichte nicht hin, für die Er ziehung meiner Kinder zu sorgen; dann werde ich meine Bücher verkaufen, aber die werde ich behalten, und ne ben einen Moses, Homer, Euripides und Sophos kles stellen; euch werde ich wechselsweise lesen." So Diderot; ein andrer wird sich andre Freunde wählen; niemand aber als ein Mensch ohne, charakter wird Charakterlose Schriften unter die Lieblinge feis nes Herzens zählen.

Endlich bei der Jagd fremder Gedanken lasset uns auf der Hut seyn, daß wir unsre eigne darübernicht verlieren. Wir Deutsche gehen mit Stammbie chern umher, die Sprüche und Maximen Andrer uns erbittend. So in Leben, so in der Literatur bei jez dem Anlaß. In Collectaneen waren wir längst Meister; wie? und wir bedenken nicht, daß unsre eigne Seelenkräfte uns nicht immer zu Gebot stehen, daß die schönsten, die blühendsten Gedanken nur bei Ges legenheiten, in glücklichen Augenblicken, oft vielleicht gar lieber dort als hier, wie Boten der Liebe koms

men und verschwinden? Die wißigsten, die sinnreiche ften Ausländer erhaschten jede vorüberschwebende Blüs the ihres Geistes; Voltaire sprang vom Tisch auf, einen Einfall, der ihm schön dünkte, aufzuzeichnen; andre liessen keine von einem denkenden Mann gehörte Meynung untergehen, wie so viele, so viele Ana zeis gen! Fühlen wir nicht im Leben, durch einen uners warteten, oft bisarren Gedanken eines Dritten uns aufgeweckt, und bisweilen auf Bahnen geleitet, auf welche wir einsam nie gerathen wären? Und wenn wir nach Jahren einen Ort, eine Gesellschaft besuchen, wandelt uns nicht bisweilen ein Staunen an, wie anders wir ehemals hier dachten und uns befanden? Also auch die Gedanken kommen und gehen; sie zie: hen wie Zugvögel vorüber. Späterhin glaubet man oft kaum, daß man ehedem so gedacht habe. Und da die ersten Gedanken oft, nicht aber immer die sind; wie lieb werden uns in der Folge der Jahre alte Denkbücher unsrer selbst, Memoranda der Jugend! Sie bringen uns in die Zeit zus rück, da uns der Weltgeist noch jugendlich neu ans strömte; Er, nur Er ist die Fülle, die sich jedem Organ nach seiner Weise mittheilt, in den edelsten Menschenseelen Quell ihrer erhabensten, schönsten Ges danken. Auf also! unsre und andrer denkwürdige Gedanken mit Pythagoras Griffel aufzuzeichnen! Kein Tag gehe ohne Linie vorüber!

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