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denen uns oft schwindelt. Und Pascal drückt sie so majeståtisch - ernst, so schmucklos- einfach aus! Uns streitig ist er der Erhabenste der Prosaisten Frankreichs.

Aufs Maas der Dinge zurückgeführt, kann man sich indeß schwerlich bergen, daß manche dieser Contraste grotesk und übertrieben sind. Als Mitwe: seu der Schöpfung hat sich der Mensch nicht mit dem Unendlichen, sondern mit der Endlichkeit zu berechnen, no ihm dann in Allem sein Maas, sein Zweck, seine Bestimmung gnugsam vorliegen; das Weitere hat die Vorsehung hinter einen Vorhang gestellt, den nur Glaube, Liebe und hoffnung durchdringen mögen, nicht messend, sondern ahnend. Angst, Furcht und Schauder, die den kranken Pascal erfüllten, bringen uns hiebei nicht weiter. Auch sind in seinen Gedanken die Jüdischen Schriften und das Jüdische Volk sonderbar beduget, so daß man wahrnimmt, der mathematische Kopf, der die Cykloide fand, fand deshalb nicht auch die Cykloide des Ganges der Religion und Menschheit. Seine vortrefliche Gedanken haben in Manchem also einen vorsichtig prüfenden Leser oder einen einschränkenden Commentar nöthig, an denen es ihnen, (die wenigen Anmerkungen Voltaire's ausges nommen) vielleicht noch fehlet. Den Pascal noch höher zu spannen, als er sich selbst spannt, ist eine vers gebliche, vielleicht schädliche Arbeit,

Wie Pascals Geist oft zu hoch fliegt und vor uns in den Wolken verschwindet, so krümmen sich Roche

foucaults Gedanken, obwohl sehr sinnreich, fein und zierlich, in die Enge der von ihm gekannten Hofwelt, die seine Welt war. In ihr mag alles aus verkappter Eigenliebe gedacht, gesagt, geheuchelt und gethan werden; wäre deshalb Eigenliebe das einzige Princip aller menschlichen Handlungsweise? Offenbar gehören wir der großen Natur zu, der wir in Trieben und Neigungen, selbst wieder unsern Willen, uns nicht entziehen mögen; alles Isoliren schas det; wir sind und gehören dem Ganzen, aus dem wir kamen, in welches wir zurückkehreu. Rochefou caults und späterhin Helvetius Philosophie, die Alles auf gröberen oder feineren Eigennuß gründet und dahin zurückführt, ist die kälteste unter der Sonne, die der fortstrebende Gang der Natur selbst widerleget. Kann der entschlossenste Egoist es je dahinbringen, sich selbst allein zu leben? Vom feinsten Element bis zum höchsten Gedanken und Willen der Schöpfung muß zuleßt Alles Allem dienen. Eine Ausgabe von Ros chefoucaults Gedanken, worinn diese, nicht pedantisch, sondern in seiner finnreichen Manier contrastirt würs den, wäre für den Verstand und das Herz der Mensche heit eine Wohlthat.

Und von dieser Zeit an begann man in Frankreich Aus jedem Hauptschriftsteller (wie man es nannte), den Geist esprit, heraus zu ziehen a), und so bekam man eine ungeheure Anzahl getrennter, scharfsinniger, a) Esprit de Montagne &c.

wißiger Gedanken. Von welchem berühmten Schrifts steller håtte Frankreich nicht einen Esprit, von inláns dischen und fremden. Sie stehen alle in Auszügen da, wie im Ariosts Monde der abgeschiedne Verstand der Menschen in Gläsern,

Auch nach England, das damals mit Frankreich in großem Zusammenhange stand, gieng diese Sedans keulese über, die jedoch auf der Insel mehreres Ges wicht, oft ein Sterlinggehalt erhielt. Swift, der in seiner Jugend viel wikige Franzosen gelesen hatte, war in abgerissenen Original - Gedanken einzig; fie haben alle seine eigne, oft bisarre Manier; es find aber auch trefliche Goldstücke unter ihnen, mit denen wir uns dann und wann künftig bereichern werden. Pope sammlete Wih aus allerlei Schriften, und press te ihn in seine wohlklingenden Reime. Youngs Nachtgedanken endlich find das Non plus vltra finns reicher, wißiger, erhabner, frommer Gedanken, glåns zend wie das nächtliche Firmament; wer mag sie orde nen und zählen ?

Da dergleichen Gedankenvorräthe, mit dem Jahrhunderte fortgehend, immer vermehrt worden find, so ist die nächste Frage wohl die: wie sind sie zu gebrauchen? daß wir nicht unter ihnen, wie in Würz 1 und Blumengårten eines fanften Todes ftera ben."

Man nennet eine bekannte Blume pensée, eine andre Vergiß mein nicht; mehreren Sprachen ist also die Aehnlichkeit zwischen Gedanken und Blumen geläufig. Und wie sollte sie es nicht seyn, da Gedanfen wie Blumen blühn und verblühen, sich aber im Schooß der Natur unaufhörlich fortpflanzen? Der Lenz des menschlichen Lebens bringt die schönsten her, vor; das Alter nimmt manche dabin; im Winter der Tage suchen wir unsre eigne Jugendgedanken oft vergebens. Eine Gattung solcher hingestreueten Ge danken könnte man also den Veilchen vergleichen; ihr Duft kündigt sie an; sie selbst verbergen sich bescheiden. Eine Reihe andrer, die das Gartenbeet erzogen, find Ranunkeln, Narcissen, Tulipanen, dem Auge schön, aber geruchlos; andre dagegen Hyacinthen, Lilien, Rosen. Liebhaber oder Liebhaberinnen solcher Ges danken, die sie gereimt und prosaisch in ihre Denkbücher eintragen, mögen zum Unterschiede derselben die Blume, der ein Gedanke ähnlich ist, zur Verschönes rung ihres Buchs beizeichnen.

Aber es giebt auch Cedern von Gedanken; ja was rum sollte man Einige derselben den Elementen der Welt, dem Feuer, der Lebensluft, den Winden nicht vergleichen? Sie stärken und entzünden; glühende Funken, Samen der Erkenntniß, Fermente des Lebens. In Einem Samenkorn liegt oft ein System, eine Wissenschaft, wie ein Baum mit allen seinen Zweis gen; in andern wehet ein Geist, ein Muth, der zu

den daurendsten Wirkungen aufruft, Große Maxis men beleben noch mächtiger als Gedanken; sie verlas sen uns nicht;" als leitende Stimmen gehen sie vor uns. Ueberhaupt wirken große Gedanken mächtiger, als blos schöne, oder scharfsinnige Gedanken; es sei dann, daß diese eine neue Welt öfnen, und eine ungesehene Reihe von Wahrheiten entfalten. Oft thun dies auch in der höchsten Einfalt naive Gedanken, oft selbst nur ein naiver Ausdruck. Wie eine Perle lag er in der Silbermuschel da; wohl dem Finder, wenu die Perle reif ist!

Denn was hilft aller Schmuck und Pomp der Ges danken, wenn ihnen Wahrheit fehlet? Ein Geist, der nach Wiß und Scharfsinn haschet, wird bald als ein falscher Geist (faux Esprit) unausstehlich, Un: verrückt geht die stille Wahrheit ihren Gang fort, den falschen Wiß, so sehr er auch blendete, abzustreifen; längst vor Ende des Jahrhunderts waren in Frankreich manche zu Anfange desselben vielbeklatschte Einfälle und Wendungen zum Spott worden; die Schreibart hatte einen gesezteren Ernst angenommen, zu dem sich jene alte Hofspielereien nicht mehr fügten. Vollends Zeiten und Anlässe, da man über Leben und Tod, über das Schicksal der Nation sprach, sie waren für Wortund Gedankenspiele fast zu schwer, zu ernsthaft. Werden die Zeiten wiederkehren, da in der französischen Akademie jeder Eintretende gefeßmäßig dem Hofe und dem Cardinal Wortblumen streuen mußte? Die

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