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eines Himmels um ihn auf die Erde. Wohl bedachtig unterlies Pope seinen Brutus, Klopstock seinen Heinrich den Vogler; Hermann bearbeitete er nur dramatisch, nicht episch. Das Feld der Epopee, wenn es dieses Namens werth seyn soll, fodert gleichsam die Mitwirkung der ganzen Natur, die ganze Ansicht der Welt zwischen Himmel und Erde, mithin auch die ganze Wissenschaft und Seele des Dichters. Im Herzen und Geist der Nation soll es ein Schauplaß des Weltalls, ein lebendiges Wort für Alle, in Allem werden: so ward es Homer, weil fein Gefang von Allem, was im Gesichtskreise seiner Nation lag, gleichsam die Krone erfaßte. So ums faßten Dante, Milton, Klopstock, jeder in seinem Gesichtskreise Himmel und Erde.

Hiemit tritt der Grund hervor, warum unter mehreren christlichen Nationen mehrere epische Dichs ter vor Allem zur biblischen Geschichte griffen, und einen Helden derselben zu ihrem Thema wählten.,,Das Wort von ihm, sagten sie sich selbst, (nach damaliger, vielleicht nicht nach jeßiger Erziehung) als ein früher Eindruck, oder gar als ein Saamenkorn des Glaubens in meiner Hörer Herzen: (denn gehört sollte das Epos werden, nicht gelesen.) Er: ziehen will ich also zum lebendigen Baum voll Frucht und Blüthe dies heilige Wort." So sprach Milton zu sich, und erschuf sein doppeltes Paradies; so Klopstock, Bodmer, Geßner und wer sonst die

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heilige Palme berührte. Das Verdienst Jedes dies ser Männer in jedem seiner Werke zu wågen, ist hier mein Werk nicht; daß aber jener veraltete Spott über biblische Epopeen eben so ungerecht als abges schmakt sei, liegt am Tage. Perser und Araber, die sich an der Geschichte Josephs und der Zulika ergeßten, werden deßhalb keine Juden; niemand darf es seyn, um an Adam, Noah, und wie die Pas triarchaden weiter heißen, nicht minder an den Thaten und Schicksalen, eines Chriftus Geschmack zu finden. Mißrieth manche Bearbeitung dieser Helden, sang von einigen die Muse schwach, von andern erbárm lich: so zeigt die Harfe Andrer, daß die Schuld hies bei nicht daran lag, daß dieser Gegenstand zu einer Religion gehörte. Gewiß konnte das Religiöse an ihm, der Epopee nicht schaden, so lange das Menschliche, das Verständliche des Helden unversehrt blieb; vielmehr mußte es demselben aufhelfen, oder es war nicht, was es seyn sollte, göttlich.

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Welch großes, ewiges, lebendiges Wort (soc) in aller Menschen Herzen ist, recht verstanden, der Christus! eine reine Gestalt, die Gottheit im Menschen, sichtbar, gegenwärtig, verklåret. Und da das Werk und der Zweck einer Gottheit auf der Erde nichts anders seyn kann, als Rettung und Beglückung des ganzen Geschlechtes durch Raih und That, auf die reinste Weise; wie? wenn dies Werk an sich und in allen seinen Folgen anschaubar

gemacht, und gleich einer neuen Schöpfung ans Herz gelegt werden könnte; wåre sein Sånger nicht der ers fte christliche, ja der erste menschliche Dichter? Gern vergåßen wir an ihm Nationen, Sprachen, Secten, -geschweige Lehrbegriffe und Vorurtheile, sobald und solang er in uns das lebendige Wort, d. i. den Bes griff und die That Eines einzig - möglichen Weltheis landes sprechen machte. Ob dies göttliche Werk (J Tomμa) und wo es geschrieben sei? ob und wann es einen für unsre Zeit kräftigen Ausleger erlangen werde, darüber darf unser Fest keinen Aufschluß geben.

Waltet Gottheit mit unserm Geschlecht, wirkt Göttliches in der Menschheit, und ist ihr das Edelste, das Beste, das sie besißt, durch Menschen worden: so lasset uns an einem Plan dieses Werks, mithin an einem Epos der Gottheit im Fortgange der Menschheit nicht zweifeln. Auch an einem Sân ger, der

den hohen Rath

Des Menschengottes mit der Menschenschaar,
Wie er durch Nebel und durch Dämmerung,
Aus Finsterniß und Irren sie geführt,

Und führen wird zum Licht,

verkündet; der es meldet, wie der hohe Genius der Menschheit,

wie er die Stralen dieses Lichts zerstreut
Durch Völker, Zonen und Jahrhunderte,
Und nichts verlohr, und alle sammlen wird
Zu einer Sonne der Glückseligkeit

zu seiner Zeit wird es an einem solchen Sänger nicht

fehlen. Die themata des vergangenen Jahrhunderts, feine Eroberungs, Handels und Successionskriege, geschweige, das fürchterliche Ungewitter am Abende, d. i. am Ausgang desselben waren harte, schreckliche Mitklänge zum Spruch dieses großen Wortes.

Immer wird es also wohl eine doppelte Epopee ges ben: Eine, die Senienlose, die bloße Sagen singt, und sich um die höhere Leitung, die Haushaltung menschlicher Begebenheiten wenig bekümmert. Sie kann höchst angenehm und lehrreich seyn: denn sind es nicht so manche treflich versificirte Geschichten und Mährchen der Arioste, der Spensers, der Novellisten? Die andre, die in den Verwirrungen der Menschheit den höheren Gang ihres Genius darzustel len strebet. Freilich hat sie bisher in den befreiten Italien und Jerusalems, in den Colombiaden und Lusiaden, selbst in den Epopeen höheren Inhalts, den verlohrnen und wiedergefundnen Paradies sen fast nur umhergetappt und sich versuchend geübet; aber jeder selbst mißlungene Versuch, jede zu einem so hohen, alle Zeiten umfassenden Zweck angestellte Uebung ist von Werth.

Soweit Olympikus. Kritias an dem ihm bes ftimmten Tage nahm also das Wort:

II. Bom Langweiligen,

das die Epopee oft begleitet.

Niemand, sagte er, wird es, selbst bei Homer und Vilgil läugnen, daß manche Kämpfe und Schlachten, so nothwendig sie vielleicht dem Dichter waren, ihm, dem Leser, langweilig wurden. Und so sehr Dante, Ariosto, Tasso, Camoens, Ercilla, die Begebenheiten ihrer Gesänge zu wechseln bemühet find; wem wiederfuhr es nicht zuweilen, daß er ers mattete, und den Dichter beiseit legte. Geschah dies bei Epopeen unbekannten Inhalts, wie öfter möchs te es bei denen der Fall seyn, deren Geschichte uns von Jugend auf erzählt worden. Daher sanken Bodmers Patriarchaden sobald in Vergessenheit; ja von Klopstocks Meßias selbst, (ich wiederhole meinen Zweifel) wie wenige haben vielleicht dessen lehten Ges fang geendet! Woher diese Schlummerkörner im Füllhorn der Epischen Muse?

Offenbar erstlich, weil dies oft zu voll, weil das wesentliche Erforderniß der Epopee, die Größe-habende Handlung zu lang und breit war, als daß sie in Ohr und Auge als ein Ganzes behalten werden konnte. Schon Aristoteles warnt vor dieser Ueberlänge des epischen Gedichts; er will, daß es übers sehbar bleibe und ungefähr nur auf das Zeitmaas bes rechnet werde, das die an Einem Tage aufgeführten Trauerspiele einnehmen dürften. Auch siehet man bei den Griechen selbst, daß, jemehr die Aufmerk

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