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Ihre Vorgänger, mein Freund, haben das Volk bloß, und allein für den schwächdenkendsten Theil des Geschlechts genommen; und daher für das vornehme und für das gemeine Volk gesungen. Sie haben nur das Volk eigentlich verstanden, und den mit seinem Körper thätigern Theil im Auge gehabt, dem es nicht sowohl am Verstande, als an der Gelegenheit fehlt, ihn zu zeigen. Unter dieses Volk haben Sie sich ges mengt: nicht, um es durch gewinnstlose Betrachtuns gen von seiner Arbeit abzuziehen, sondern um es zu feiner Arbeit zu ermuntern, und seine Arbeit zur Quelle ihm angemessener Begriffe, und zugleich zur Quelle seines Vergnügens zu machen. Besonders ahmen in Ansehung des lehtern die meisten von diesen Ihren Liedern das, was den Alten Weisen ein so wüns schenwerthes, ehrenvolles Ding war, und was täglich mehr und mehr aus der Welt sich zu verlieren, scheint; ich meine, jene fröhliche Armuth, laeta paupertas die dem Epikur und dem Seneka so sehr gefiel, und bei der es wenig darauf ankömmt, ob sie erzwungen oder freiwillig ist, wenn sie nur fröhlich ist.

Sehen Sie, mein Freund, das wäre ungefähr, was ich Ihren Liedern vorzusehen wünschte, um den aufmerksamern Leser in den eigentlichen Gesichtspunkt derselben zu stellen. Aber wo bin ich mit meinen Ges danken? und wie wenig geschickt, den geringsten Eins fall so auszuarbeiten, als es die Stelle, die ich ihm geben wollte, verdiente?

Ist dem Volke so viel Kunstsinn als Sinn für Wahrheit und Ehrbarkeit nöthig?

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Volksstimme, Gottesstimme" hieß es einst; und obwohl dies Lob über die Grenzen dessen, wors über das Volk seine Stimme geben kann, nicht auss gedehnet werden darf, so zeiget es wenigstens, daß in Sachen, die das Volk belangen, seinem Wahrs heitssinn Achtung gebühre. Die ersten Realkennts niffe haben wir vom Volk erhalten, und es ist lustig zu denken, in welcher unwissenden Verlegenheit der Philosoph a priori seyn würde, hätten durch ein scherzhaftes allgemeines Einverständniß Weiber und der gemeine Mann ihm die gemeinsten Erfahrungen, ewige Geheimnisse der Natur, verschwiegen oder falsch erzählet. Jeht noch hangen wir in den wichtigsten Dingen nicht etwa nur von Nachrichten, sondern auch von Urtheilen, Gesinnungen, noch mehr aber von der ganzen Denkart und Beschaffenheit des Volks ab. Wer es sich zum Feinde macht, wer es zu verfinstern, zu verblenden, zu berücken gedenkt, der sehe zu, daß Er nicht von Ihm berückt und verfinstert werde.

Mit menschlicher Theilnehmung, mit freundlis cher Barmherzigkeit handelten also die Weiseften und Besten jederzeit gegen das Volk; das rem populi tractas, war ihnen etwas Großes; auch in dem,

was sie dem Volk gaben oder entzogen, dachten sie edelmüthig, redlich.

Ein Volk mit Kenntnissen überschnellen und übereilen, die ihm nicht gehören, ist eben so vers nunftlos und unbarmherzig, als ihm die Augen aus: stechen wollen, und das ihm nöthige Licht versagen. Es unzeitig verwirren, schwächen, aus seiner Bahn locken, seinen Charakter verderben, ist eben so schändlich als schädlich. Was könnt ihr dem Volk geben, wenn ihr. ihm sein Herz und Vergnügen, seinen täglichen Fleiß und Frohsinn, seine glückliche Schranken geraubt has be, und es auf die dürre Weiden eurer nie ersättigten Begierden, eurer lechzenden Kenntnisse, eurer Kunsts speculationen und Subtilitäten hinaustreibet? Jes mand an Vergnügen gewöhnen, denen er nicht nachs gehen kann und darf, ist schon grausam; grausamer, wenn diese Vergnügen falsch sind. Ihr raubt ihm die Gesundheit, indem Ihr ihn lüftern macht nach einer Luftfeuche.

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Das arme deutsche Volk! Umstände ließen es nicht zu, daß es frühzeitig überfeint würde; Umstånde, die in seinem Körperbau und Klima, in seis ner Erziehung und Lebensweise, in seiner Verfassung und Geschichte lagen. Dagegen ward ihm von Fein. de selbst, in den frühesten und durch alle Zeiten das Lob der Gesundheit, der Treue und Keuschheit, der Ordnung in seinem Hauswesen, des Fleis ßes, der regelmäßigen Sittlichkeit nicht versaget:

Brant- und eheliche, Geschwister-, Eltern-, Freuns desliebe knüpfen es in engen Kreisen vest zusammen; allenthalben standen Deutsche mit und bei einander, und nannten es Bund. Alle für Einen, Einer für Alle; der Name German, Hermann, Heermund und viel andre deuten auf nichts anders. Mancher, lei Ergeßungen und Bequemlichkeiten andrer Völker waren ihm versagt, die es dagegen verachtete, wenn ihm Recht und Pflicht, Wahrheit, Ordnung, Sitte, Ehrbarkeit blieb.

Sehet z. B. die Geschichte des deutschen Liedes, ja der schönen Künste in Deutschland überhaupt an; gegen andre Völker wie dürftig, ja in Manchem, (wird man sagen, wie grob, wie hölzern! Zumal, (darf man frei hinzufügen,) wenn man nachahmen wollte, wozu man weder Geschick, noch Trieb und Veranlassung hatte, wie ungeschickt, wie tölzern! Was dagegen für Deutsche diente, was ihnen aus Kopf, Herz und Hand entsprang, nüßliche Künste und Erfindungen, Ordnungen und Gewerke, in der Litteratur Lehre, Fabeln, Sinnsprüche, das war altdeutscher Wiz und Geist; ja, wenn wir die Geschichte des Forts ganges im sogenannten Reich des Schönen bis auf wenige Jahre vor uns herabsteigen, es blieb, falls man nicht unzeitig drängte, auf diesem Wege, wie im verflossenen Jahrhundert die Versuche und Werke der Canih, Richei, Brokes, Hagedorn, Haller, Gellert, Witthof, Kleists und so vieler, vieler aus

dern zeigen. Lehrhaft und fromm, ordnungsliebend, keusch, gutmüthig war, und blieb die deutsche Muse. An Lebhaftigkeit also hinter andern Völkern zurück, wovon abermals der Grund im Charakter wie in der Geschichte des geduldig- gutmüthigen Volks lieget; aber wer spát kommt, kommt er nicht noch? Die langsam aber unermüdet fortwandernde Schnecke kam jenem vermessenen Hasen voran, der sich, verachtend, stolz niederlegte und einschlief.

Aber was geschah? Auf einmal nahmen wir uns zusammen, hüpften, sprachen übertrieben. Wir ahme ten nach, was irgend auf der Erde nachzuahmen war, so wenig es für uns gehörte. Einen Boileau, Bayle, Voltaire, das französische Theater, das englische Theater, die italiänische Oper, die freche Romanze, das unzüchtige Lied, ohne auch nur zu fühlen, wie schlecht man nachahmte, wie grob und gröber Alles im Deutschen werde! Plumpe Soldatens, Räubers, Sauf und Zotenlieder auf deutschen Bühnen und Universitäten, fürs deutsche Volk, für die deutsche Jugend!

,,Damit aber wird dem Volk der Kunstsinn ge schårfet!! Dies Kunstsinn? Die vortreflichsten Kothmahler, galten sie nicht allemal und allenthalben für niedrige Mahler? und wenn das Niedrigje zum Sarstigen, das Garftige zum Widrig ekelu, zum Abgeschmackten herabfiukt, indem ihm nicht nur jede moralische Grazie, sondern oft der gesunde Ver

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