Page images
PDF
EPUB

Zweck deines Gedichtes passendere Volks. Melodie wäh len, als irgend einer unserer größten Virtuosen. Dies ser Zweck würde neh nlich weit vollständiger erreicht werden, wenn man, indem man die Ballade singen hörte, nicht allein kein Wort davon verlöre, sondern auch beim Singen eben so gut, als beim Lesen den Nachdruck, den du auf gewisse Worte gelegt haben willst, bemerken könnte: denn von diesen Umstånden hángt die Wirkung und der Eindruck, den ein Gesang hervorbringen soll, größtentheils ab. Doch will ich versuchen, eine so viel möglich passende Melodie sehen zu lassen.

Glaube nicht, ich suche die Geschicklichkeit unserer Komponisten zu verkleinern. Ihre Werke sind für Kenner vortreflich, und sie verschaffen sich einander gegenseitig den schönsten Genuß: nur in der Komposis tion der Volkslieder scheint der Geschmack ganz außer der Natur, oder vielmehr wider die Natur zu seyn: gleichwohl lassen sie sich alle, einer oder zwey ausges nommen, von dem Strohme hinreiffen.

Du suchst, ganz im Geiste der alten Geseßgeber, durch den Einfluß der mit Toukunft vereinigten Poesie, deinem Vaterlande Sitten zu geben. So weit man von den alten Gesängen urtheilen kann, war ihre Musik einfach, und stimmte von selbst in Ansehung der Menfur, der Cadencen und des Accents u. s. w. mit der gewöhnlichen Aussprache der Wörter überein, ohne je durch Verkürzung langer, oder Verlängerung

kurzer Sylben der Sprache Gewalt anzuthun. Sins gen war bei ihnen nichts, als eine angenehmere, mes lodische Art zu sprechen. Ihr Gesang war aller Annehmlichkeit der deklamirenden Profa fähig, wos mit er noch das Ver nügen der Harmonie verband. Bei einem neuen Gesange hingegen fallen alle diese Eis genschaften und Schönheiten der gemeinen Rede hins weg, und an deren Stelle treten Fehler und kindische Schnirkel, die für Reise verkauft werden. Da es dir vielleicht Ueberwindung kosten dürfte, mir auf mein Wort zu glauben, so muß ich einen förmlichen Bes weis führen. Hier ist das erste beßte Lied, das mir in die Hände fällt. Es ist von der Komposition eines unserer größteu Meister, des unsterblichen Håndel: und zwar nicht etwa ein jugendlicher Versuch, ehe sein Geschmack gereift war; nein, er hat es verfertigt, als er schon den Gipfel seines Ruhms erreicht hatte. Alle Anhänger dieses Künstlers bewundern es, und wirklich ist es auch in seiner Art vortreflich. Ich meine den bes rühmten Gesang aus dem Nachtrag zum Judas Mac cabâus. Unter den vielen Mängeln und Versündis gungen gegen die Sprache bemerke ich nur folgende: 1) den schlecht angebrachten Accent, der auf unbedeus tenden Worten, oder auf falsch gebrauchten Syls ben steht.

2) Das Schleppen, wodurch die Aussprache der Wors te und Sylben über ihr natürliches Maas ausge: dehnt wird.

3) Das Stammeln, indem er aus einer Sylbe mehs

rere macht.

4) Die Unverständlichkeit, die aus den drei angegebes nen Umständen zusammen entsteht.

5) Die Tautologie, oder unnüße Wiederholung, endlich 6) der volle Ausbruch der Instrumente, ohne Zweck.

Man gebe einem großen Sånger eine unsrer schönften Arien, und lasse sie ihn in einer Gesellschaft sin, gen, die sie nicht schon kennt, so wird man finden, daß die Leute von zehn Worten sicher nicht drei ver: stehn. Daher die Gewohnheit, daß man in Concerten und Opern, in den Händen derer, die dasjenige, was die besten Sånger singen, gern verstehen mögen, Bücher sieht. Nimmt man dagegen einen von diesen schönen, mit Noten überfüllten Gesången, und ließt die Worte desselben ohne die Wiederholungen, so findet man die Zahl derselben sehr gering, diese aber mit eis nem Schwall von Noten überladen. Vielleicht ge stehst Du mir, l. B., daß in den alten Gesången die Worte die Hauptsache gewesen, daß man dagegen in den neuern, wo sie, so zu sagen, blos als Vers anlassung zur Komposition eines Singstücks angeses hen werden, sie kaum einiger Aufmerksamkeit würdigt. Ich bin unwandelbar

Dein

zärtlicher Bruder B. Franklin.

N. S. Noch hätte ich die undeutliche Ausspras che unter die Zahl der Fehler gegen die Sprache sehen köns nen, die in den neuen Gesängen für Schönheiten gelten. Allein, da dieses mehr Fehler der Sänger, als der Komponisten zu seyn scheint, so habe ich hier, wo ich blos von der Komposition sprach, desselben nicht ges dacht. Ein geschmackvoller, das heißt ein modischer Sånger, den ich kenne, läßt alle harten Mitlauter aus, und mildert alle harten Sylben der Wörter, die doch dazu dienen, fie von einander zu unterscheiden. Auf diese Weise hört man blos eine bewundrungswürs dige Kehle, und versteht das, was gesungen wird, so wenig, als wenn die Arie auf irgend einem Instrument gespielt würde. Sonst bemühten sich die Lonkünstler, Instrumente zu machen, die die Mens schenstimme nachahmten: jeßt thun sie gerade das Ges gentheil, indem sie aus der Stimme gern ein bloßes Instrument machen möchten. So verfertigte man die Perucken anfangs zur Nachahmung von schönem natürlichen Haupthaar; nachdem sie aber, zum Theil unter sehr unnatürlichen Formen, allgemein Mode worden waren, so erlebten wirs, die natürlichen Haas re so frisirt zu sehn, daß man sie für Perucken halten möchte.

Lessing an Sleim

über

Lieder fürs Wolk.

Liebster Freund!

Sie haben mir mit Ihren Liedern für's Volk eine wahre und große Freude gemacht.

[ocr errors]

Man hat oft gesagt, wie gut und nothwendig es sey, daß sich der Dichter zu dem Volke herablaffe. Auch hat es hier und da ein Dichter zu thun versucht. Aber noch keinem ist es eingefallen, es auf die Art zy thun, wie Sie es gethan haben: und doch denke ich, daß diese Ihre Art die vorzüglichste, wo nicht die eins zig wahre ist.

[ocr errors]

Sich zum Volke herablassen, hat man geglaubt, hieße: gewisse Wahrheiten (und meistens Wahrheiten der Religion) so leicht und faßlich vortragen, daß sie der Blödsinnigste aus dem Volke verstehe. Diese Herablaffung also hat man lediglich auf den Verstand gezogen; und darüber an keine weitere Herablaffung zu dem Stande gedacht, welche in einer täuschenden Versehung in die mancherley Umstände des Volks be: steht. Gleichwohl ist diese lehtere Herablassung von der Beschaffenheit, daß jene erstere von selbst daraus folgt; da hingegen jene erstere ohne diese leßtere nichts als ein schaales Gewäsch ist, dem alle individuelle Applikation fehlt.

« PreviousContinue »