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auf Andre, auf die ganze gebildete Welt, anständigs bescheiden von sich rede. Im fiebenzehnten bis zur Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts waren die soges nannten Lebensläufe hinter den Leichenpredigten und Epicedien das steife Maas deutscher Denkwürdigkeiten; nachher verloren sich auch diese, da dany hie und da eine freche Selbstlobpreisung oder eine erkaufte Lobpreisung durch andre ans. Licht trat, glorreich anzuschauen, eckel zu lesen. Die Deutschen Gelehrs ten endlich- fie in ihrem mühseligen Kreise vers traten bierinn fast noch einzig den Ruhm der Nation. Sie lobten und befehdeten einander auch im Grabe; durch beides ward das wahre Verdienst von den Hånden der Zeit gesichtet und erprobet. Aber auch unter ihnen, wie wenige sind, die von sich selbst. n sich selbst zu schreis ben wagten! und die meisten derselben erzählten ein wie trauriges, mühvolles Leben!

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Denkwürdigkeiten sein selbst müssen, zu welchem Stande man auch gehöre, rein menschlich geschrie. ben seyn; nur dann intereffiren sie den Menschen. Uns Deutschen zumal bei unsrem Charakter, unsern Sitten, unsrer Verfassung und Lebensweise ist diese Gemüthlichkeit unen behrlich, ja vielleicht unableglich. Der galaute Scherz mit sich selbst und der Welt, ge schweige mit der Politik, ist uns selten gegeben. Menschliche Denkwürdigkeiten aber, wem wären sie untersagt? ja von wem würden sie, seiner eignen Bildung wegen, nicht gefodert?

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Maas der Adrastea

in Denkwürdigkeiten seiner selbst. 1. Niemand erröthe beschämt oder zitternd, daß er von und über sich selbst schreibe; als ein Vernunftwesen ist es Rechenschaft über sich, sich selbst schuldig. Wozu er von der Natur bestimmt sey? was er geworden? weßhalb nicht mehr? was ihn daran verhindert? wer ihm dazu geholfen? Fragen, deren sich keiner überheben sollte. Jede Pflanze, jes der Baum håtte, wenn es Vernunft besäße, das Recht also zu fragen; in seinem Namen thuts der Naturforscher, der Haushalter. Naturforscher und Haushalter über uns selbst sind Wir, mit angebohrnen, unveräußerlichen Naturrechten.

2. Sogleich treten uns bei diesen Fragen eine Mens go Gegenstände vor, die unsre Aufmerksamkeit fodern. Wir gaben und versagten uns unsre Fähigkeiten und Neigungen nicht selbst; wir riefen uns nicht an die Stelle, wo wir von Kindheit auf unsre Bildung oder Mißbildung erhielten. Was uns hier förderte oder aufhielt, wirkt aufs ganze Leben; die Hindernisse, die uns in den Weg traten, samt dem Schaden, der uns daher erwuchs, sind unerfeßbar; sie dauren fort, drüks en vielleicht auch andre und mißbilden Sie. Daß sie abgethan werden, dazu sind wir ihnen also unsre Beis hülfe schuldig. Wenn mit Nennung der Namen,

mit treuer Bezeichnung der Lage der Sache und Ums stånde, sich hundert anklagende Stimmen allmålich erheben, so bestürmen, so zerreiffen sie, hart wie es sei, das Ohr der tauben Fühllosigkeit entlich. Ges drångt wird sie, aus öffentlicher Beschẳmung zu thun, was sie aus edel freiem Willen nicht thun mochte; sie muß die drückendsten Hindernisse der Menschenbildung hinwegthun; sie muß bessern. Die aus dem Fegfeuer jugendlicher Quaalen ertönende Stimmen haben sie das zu gezwungen, ja überwältigt.

3. Dankbar zeichne der Selbstbiograph die Schußengel seines Lebens aus, die ihm, meistens so unvermuthet! trostreich begezneten, ihn retteten, ihm forthalfen. Nicht nur ist dies das angenehmste Ges schäft dankbarer Erinnerung, die auf den lichtesten Augenblicken des jugendlichen Lebens am liebsten weis let; sondern eben diese gefühlvolle Auszeichnung ers hebt andre Gleichbedrängte, ruft andre Gleichedle zu hülfreichen Schußengeln der Verlassenen auf. Wie Undankbarkeit das schändlichste Lafter im Leben eines Menschen ist; so wird Dankbarkeit der süße Weihs rauch, der auch das Widriaste im Leben mit Erquickung begabet. Noth und Mühe sind dem Zurückdenkenden wie ein Traum vorüber; die Fesseln der Peia sind von unsern Hånden hinweg; der lichte Befreier steht vor uns, unserm Herzen eingeprägt, unsrer Erinnerung unauslöschlich. Milde Gabe des Himmels! Balsam, den ein mitfühlender Geist dem leidenden Geschlecht

der Sterblichen durch das Gefeß gab, daß in der Erinnerung das Bittere selbst süß werde; wenn wir es wohl anwandten, und daß in unserm Leben uns nichts so aufrichtet, stärkt und belebet, als das ges nossene Mitgefühl Andrer. Wie Sterne einer andern Welt erschienen uns diese Edeln; wie Sterne einer andern Welt glänzen fie ewig in unserm Herzen, erquickend, erwärmend. Niemand ist, der auch in den fremdesten Lebensbeschreibungen dergleichen Ers scheinungen nicht mit Wohlgefallen lese: sanft bezaus bert lieben und loben wir an andern, was wir selbst vielleicht nicht leisten konnten. Wohlan! andre hdhere Gemüther werden es leisten; und Du muntertest sie dazu an.

4. Ueber Fehler der Jugend hüpfe man nicht hinweg; ihre Folgen ziehen sich durchs ganze Leben. Dies baut seine Alter wie Stockwerke über ein ander; unter dem Dache wohnt sich unsicher, wenn der Grund des Gebäudes schlecht gelegt ward. Borzüglich bes merke man den geheimen Feind, der uns mitfolgte, unsre liebste Eigenheit, sobald sie wider Plau und Regel war. Sie zeichnete uns immer aus, machte uns oft anstoßen, noch mehr vergessen, noch mehr vers säumen. In jugendlichen Jahren sehen die Menschen ihr nach, bewundern sie gar lächlend; im ernsteren Als ter richten und strafen sie solche desto unerbittlicher, "des sto schärfer. Wohl ihm, den hierinn die Vorsehung nicht verzårtelte, dem sie frühe, scharfe Censoren weck

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te! und wohl ihm, der das scharfe Regelmaas dieser Censur nußte! Verzärtelte Lieblinge des Schicksals sind in spätern Jahren sich und andern zur Last; ihre nicht abgeriebne Ecken und Breiten drücken und verwunden. Dagegen ist nichts liebenswürdigeres, als die gelehris, ge, sanfte Gemüthsart eines Menschen, der sich selbst überwinden, sich selbst ablegen, der das Joch in seiner Jugend tragen lernte. Non ignara mali, miseris succurrere disco,` *) ist vielleicht die zarteste Senz tenz, die je eine menschliche Lippe sprach; mit den innigsten Banden ziehet sie schwache au starke, hülflose an hülfreiche Menschen, und macht beide durch einans der glücklich.

5. Es ist ein Naturgefeß im Gange des menfchlichen Schicksals, daß, wie früher oder spåter jeder Fehler in seinen Folgen sichtbar werden muß, alle Unregelmäßigkeiten unsres Charakters durch Anstöße uns fühlbar werden: denu auf Ordnung und Harmonie ist die Welt gebauet. Gegenseits ist auch kein edles Bestreben, das sich nicht durch sich und in seinen Folgen lohne; vör Allem lohnen Wohlwollen, Großmuth, Liebe. Daß man noch so manche wilde Zweifel gegen die Vorsehung in Ansehung der moralischen Welt heget, kommt daher, weil man diese selten recht aufdecken und das innere Les..

*) Selbst bekannt mit dem Unglück, fernt ich Unglücklichen beistehn. Virgil.

Herders Wicke 34 schön. Lit. ú. Kunst. XII.

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