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selbst klar; in lebhaftgeschriebnen französischen Memoirs thut sie keine üble Wirkung. Mit frischen Farben wollte man die Personen seiner Bekanntschaft mahlen; zu einer Galanacht gehörte also auch Schminke.

So viel die Farben; anlangend aber den Zweck und die Seele solcher Memoirs, wer könnte daran etwas tadeln? Jeder Mensch, der Denkwürdigkei ten erlebt oder verrichtet, hat das Recht sie zu erzäh len; je verständiger, je unterhaltender, um desto besser. Wer ihm nicht zuhören will, verlasse die Ges sellschaft. An einem stummen Memento mori als Inbegriff feines ganzen Lebens mag ein Karthäuser fich erbauen; Leben ist Aeußerung seiner Kraft; von dem aber was Seele und Hand wirkt, will auch das bewegliche Ruder der Vernunft, die Zunge, reden. Durch dies Sprechen über sich klärt sich der Handelnde selbst auf; er lernt sich als einen Fremden im Spiegel beschauen, und was Shaftesburi so hoch anrath, theilen. Zwei Personen werden aus ihm, Der gehandelt hat und Der seine Hands lungen jeßt erzählt oder beschreibet. Zudem ist in folchen Erzählungen der Erzähler gewöhnlich der kleins ste Theil der Geschichte. Die Personen, mit denen er bekannt ward, die Charaktere, die auf seinen Leo bensweg trafen und sein Schicksal bestimmten, die Begebenheiten, in welche er, meistens unwillkührlich, verflochten ward: (denn wer bestiinmet sich selbst

Ort und Zeit, Umstände und Zufälle seiner Existenz?) und wie Er sich dabei nahm, wie nach Jahren Er sie jeht selbst ansieht; dies macht gewöhnlich das Intes ressanteste solcher Legenden. Der gemeinste Mensch kann in Umstände, in eine Verbindung mit Perso nen gerathen, die gerade Er mit dem schlichtesten Blick ansieht, da sie sich gegen Ihn am unverholenften äußern. Gourville, des Kammerdieners von Rochefoucault, Memoirs sind oft merkwürdiger als die seines Herrn a)?

In Memoirs kommt zum Vorschein, was sonst nirgend ́ans Licht tritt, ja wovon manche Philosophie und Politik kaum träumet. Jest ein Abgrund von so wunderlichem Aberglauben, als man diesem vers nünftigen, jenem großen Mann a priori unmöglich zutrauen würde; jeht in Kleinigkeiten oder gar în Führung der ganzen Lebensweise eine Eigenheit, die zuweilen dem Wahnsinn nahe gränzet; Schwachheiten und Größen, die uns überraschen, die man dem menschlichen Gemüth kaum zutrauet; in Allem ends lich ein Spiel der Verhängnisse und Zufälle, das eitle Menschen sich schwer eingestehen, und das doch in jede Scene des Menschenlebens so mächtig wirket. An reif überdachten, wohlgeschriebenen Memoirs bereichert sich also nicht etwa nur die Psychologie und die kahle Geschichte; vielmehr und inniger

a) Sv auch die von la porte.

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der überlegende Verstand, die praktische Personens Sachen und Weltkenntniß.

Ja, wer wollte dem Herzen seinen Antheil an ihnen versagen? Liebend oder haffend lesen wir sie, indem wir immer doch ferne Zeiten, verlebte Personen mit den Unsern vergleichen. Aus einer verschwunbenen Welt erscheinen sie uns, um uns zum bessern Genuß und Gebrauch der gegenwärtigen, unfres Stans des und Lebens zu erwecken, zu stärken. Mancher Jüngling ist durch das Lesen der Denkwürdigkeiten Eis nes Mannes von großer Natur selbst zu einem nicht gemeinen Mann worden. Manchen Niedergedrücks ten, Troftlosen hat eine einzige Stelle folcher Lebensbegebenheiten, Ein Entschluß, oft nur Ein Wort in ihnen wie ein himmlischer Genius aufgerichtet. Wenn aus irgend einer Gattung von Schriften Gleichs muth, das nil admirari a) und das noch schwerere nunquam desperare b) zu lernen ist, so wäre es aus dieser; die Meisten derselben sind ein fortgehens hender, Commentar der Oden und Briefe des Horaz über die einzige praktische Lebensweisheit warnend oder lehrend. Ja wenn ein Mensch noch einiger Aufs richtigkeit und Wahrheit fähig, wenn der Eitelste von hundert Lügen, deren er sich selbst überredet, der Trägste von gewohnten Hinlässigkeiten, die ihn ins Verderben stürzen, noch zu retten, zu heilen ist; wor a) Nichts zu sehr bewundern. by Nie zu verzweiselu.

durch wären sie es, als durch Memoirs über sich selbst? durch einen ernsten Zurück- und Durchgang feines eignen, wie verlebten Lebens!

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Wenn Einer Nation, so wäre der unsrigen zus zurufen: Schreibt Denkwürdigkeiten, ihr stille, fleißige, zu bescheidne, zu furchtsame Germanen! Ihr stehet hierinn andern Nationen weit nach. Diese erhoben ihre Helden, ihre Entdecker, ihre ausge zeichnete Männer und Frauen auf Schwanen- oder Adlerfittigen in die Wolken; ihr lasset sie matt und vergessen im Staube." Unfre alte Biographien find nicht gesammlet; die Französischen, Englischen sind es. Der prächtigen Ausgabe Thuans sollte unser Sleidan entgegengestellt werden; das Unternehmen kam nicht zu Stande. Eine Biographia Germanica, wie die Britten eine Brittannicam haben, ist, soviel seit Leibniß davon gesprochen ward, ein ynerfüllter Wunsch geblieben; an selbstgeschriebnen Lebensbegebenheiten sind wir Deutsche sehr dürftig. Selten schrieben unsre Helden: denn viele konnten nicht schreiben; die Cultur, die schon zu den Zeiten Franz I., Heinrichs IV., der Elisabeth, Frankreich und England zum sprechendeu Nationalruhm belebte war Deutschland in seinen obern reichen Ständen faft fremde. Unfre Domherrn schrieben nicht; unser Adel spielte und jagte. Treufleißige Geschäftsmänner das

gegen ermatteten und erlagen unter dem Joch ihrer vielvertheilten Geschäfte und unter dem noch schwes reren bleiernen Joch des Deutschen Pedantismus. Sprachen sie von sich selbst, so wars von ihrer Treue, ihrer Religiosität, ihrem Dienfteifer, von der Bürde, die sie zu tragen, von den Kämpfen, die sie zu bestes hen, von der Ungnade, der sie zu entwelchen hatten trauriges Leben! Der vielverdiente Moser in seinem patriotischen Archiv hat uns mehrere dergleichen Castra Doloris dargestellt, die die Brust zusammens drücken, statt daß sie sie erweitern und erheben sollten, ja die zuleht den Seufzer zurücklaffen: anch'io sono***, a) Mit wie freierein Blick sehen Franzos fen, Englander, Italiäner, Schweden auch unter Monarchien umher! urtheilen und scheuen sich nicht beurtheilt zu werden; das Gefühl, daß sie einem Vaterlande, daß sie sich selbst zugehören und von der Anwendung ihres Lebens sich und der Welt. Rechens schaft schuldig sind, gab ihnen Muth zum Urtheile. Wenn dagegen in einen Deutschen von Stande zuweis len das Gefühl, daß Er ein merkwürdiges Ding fei, fuhr, wie abentheuerlich spreißte er sich meistens in seinem vornehm niedrigen Wahne! In Ahnen lebte er, die er aufstellt, in långst verblichnen Schattenbildern; und erröthet nicht, sich selbst dem Publis cum als einen Thoren darzustellen, da es einen weis sen verständigen Mann erwartete, der mit Rücksicht a) Auch ich bin ein ***.

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