Page images
PDF
EPUB

ihrer Herrschaft; mit dem Diadem ist es den harten Königsstirnen dieses Hauses eingeprågt, bis in dem geprüften Orest, in der geprüften Iphigenia sich seine Gesinnungen mildern. So manchen Kreon, der tolle Befehle giebt, zeigt sie mit blutender Brust über eigne Unfälle unter der allgemeinen Mißbilligung des Chers, d. i. des Volkes. Vollends die romantische Galanterie der Liebe war den Griechen theils unbekannt, theils bei ihnen verbannt vom tragischen Theater. In Mährchen gehörte sie, und in erotische Lieder.

Shakespear? Wer hat bei ihnen nicht in aller Stände, mithin in der Könige, Tyrannen, Minister, Helden, und was ihnen zugehört, Herz gesehen und deffen innere Stimme gehöret? Habt ihr den König Lear in seinen Unfällen, unter Donner und Bliß, in der Hütte des nackten Bettlers nicht erblickt? seiner Treuen und Ungetreuen, seines Hofnarren sogar, Ges sinnungen nicht vernommen? Keine Angstgebehrde Macbeths drang in eure Brust? die nachtwandelnde Königinn erschien Euch vergeblich? Auch in den historischen Stücken seyd Ihr der Richarde, der Heinriche, König Johanns, Wolsey's u. f. Herzensbe kenntnisse nicht inne worden? Großer, stiller Dichter, Du führtest die Waage menschlicher Gesinnungen und des waltenden Schicksals in Glück und Unglück mit Treue, mit Wahrheit. Keines deiner Stücke ist dem andern gleidh; in Jedem haucht ein andrer

Welt, Zeit- und Lebensgeist; das Band der Bege benheiten ward immer anders geschlungen, anders ges leitet; und doch ists allenthalben nur Dein unsterb: licher Griffel, der von den Tafeln des Verhäng. nisses uns diese Gemählde darstellte, und uns ser inneres Auge ihnen aufschloß.

So auch bei Shakespear die Liebe; nie ist sie ihm Galanterie, als wo sie es seyn muß. Wahre Liebe dagegen mit allen Vorbereitungen und Weuduns gen, mit jedem füßen Spiel, das ihr gehöret, ges schweige mit den verschiedenen Ausgängen ihres Schicksals - wer hat sie reiner, tiefer, vollendeter dargestellt, als Shakespear? Romeo und Julie, Desdemone, Imogen, so manch andres Gemählde mit andern Farben gemahlt, in audern Situationen dargestellt, sind ewiglebende Bilder im Garten der Liebe. Ihr und jeder Leidenschaft wies Shakespear das Gebiet an, das Jeder gehöret.

Auch liegt die Quelle der Infirmitaten vor Augen, unter denen bei andern Nationen das Theas ter leidet; sie ist -die leidige Repräsentation, ein Ding, das Alles verkünftelt. In der Mahlerei kennen wir den Unterschied der Gemahlde, die den Mahler anlächeln, und derer, die vor sich hinsehend für sich da sind. Jene liebäugeln Jedem, der sie ans blickt, wie die Gestalten der neueren Bühne. Sind diese nur für den Zuschauer da, für den sie empfinden, dem sie schmeicheln, den sie rühren wollen,

und sich damit seinem Wahnsinu, seinen Schwächen anheucheln: so wird Alles ein gegenseitiger Betrug. Der Spiegel der Wahrheit ist zerbrochen; der große Gang der Begebenheiten wird durchtåndelt. Vers geffet, daß ihr Zuschauer habt, ihr Schauspielerinnen und Schauspieler! die Großen eurer Kunst vergaßen es stets. Als bedeutende Charaktere, als Werkzeuge des Verhängnisses handelt ihr gegen und für einans der. Die Begebenheit, die ihr darstellt, ist Eure Welt; der Geist, der diese Begebenheit erfüllt, eure Gottheit. Numen. Nicht Parterre und Logen. Noch mehr vers geffet diese, ihr Dichter. In Eurem Herzen hängt die Waage, auf der ihr uns Begebenheiten und Gesinnungen zuwågen follt; auf den ewigen Tafeln muß Euer Geist die Charaktere gelesen haben, die er darstellt. Hat er dies; so werden ihm Herzen und Geister willig folgen. Hat ers nicht so bleibt jede Repräsentation kleinlich. Parterre und Theater verderben einander sodann wechs selsweise und jedes wälzt die Schuld aufs andre.

Vom Dichter muß das Gebot ausgehn; ihm muß der Schauspieler, beiden wird das Publikum willig! gehorchen. Er kann es zwingen zum echten Gefühl, und zwingt es mit süßer Gewalt, unter dem Scepter inniger Wahrheit. Nicht seine Macht ists, die er ausübt; Macht der Begebenheit, Macht der Regel. Solange ihm etwas willkührlich, ganz willkührlich scheint, siehet er selbst noch sein Ziel im Nebel. Glaubt er gar, er könne das Ziel stecken, wohin er

wolle, höhnt er das Gesek — o so hat das Gesetz

ihn längst verachtet.

[ocr errors]

Fortsetzung.

[ocr errors]

„Aber eine so strenge dramatische Gerechtigkeit, verddet sie nicht das Theater? Soll jeder tugendhafte Charakter in dem Maaße, wie er es verdient, belohnt, der Lasterhafte gestraft werden; so hört die Tragödie auf; sie wird ein tragisch-feierliches Lustspiel. Soll den Zuschauern der Coder ihres Gewiss sens aufgerollt werden, so bleiben sie weg; sie wollen geschmeichelt und amüsirt, nur amüsirt seyn." Falsche Vorspiegelungen der tragen Unkunst, aus Mißverständnissen genommen, Schlaffheiten nåhrend, am edleren Theil der Menschheit verzagend.

Wer will danu, daß jede Tugend ganz belohnt, das Lafter ganz bestraft werde? Wer will, daß ein Theater das Factum der höchsten und ewigen Gerech tigkeit werde? Darf sich Dessen ein Mensch nur in Gedanken anmaaßen? Wir sprechen vom Verhängs niß, wie wirs kennen, wie es hier anspinnt, leitet und entscheidet. Nach Maasgabe Dessen foderte Aristoteles, daß kein ganz vollkommener Charakter auf der tragischen Bühne erscheine; aber auch kein ganz lasterhafter Charakter. Jener, weil er über uns, dieser, weil er unter der Menschheit sei, mithin bei Keinem von beiden Furcht für uns, Mitleid mit ihm statt:

stattfinde, weil beide unsres Gleichen nicht sind. Auch der tugendhafte Held sei nicht ohne Fehler, der Böse nicht ohne Anlage zum Guten; beide seyn und bleis ben Menschen, über welche dann das Verhängniß waltet. Walte es über sie, wie es ihm gefällt; die Waage ihres inneren und äußeren Werths, ihres wahren Glücks und Unglücks, ihrer Schuld und Uns fchuld bleibt dem Dichter. Er zeige, was die wal. teade Göttinn mit ihnen vornahm, wie sie es veraus laßten und ertrugen, menschlich. Ließ das Glück sie kleiner Fehler wegen sinken; wohlan! Er darf es nicht rechtfertigen; aber zeigen muß er, was in der Brust des Rechtschaffenen auch gegen diese hohe Hand für ein Gegengewicht liege. Hebt es den Ruchlos sen empor und läßt ihm seine Tollbeit gelingen; er zeige, wie wenig er dadurch glücklich ward, und welche Folgen diese Tollheit für ihn und andre habe. Blute die Wunde, oder werde sie geheilt; nur der Lauf der Begebenheit gewinne einen Ruhepunkt oder werde geründet.

So dachten die griechischen Dichter.

Oedipus, als Mörder seines Vaters enthüllt, der unschuldig. schuldige Oedipus steht da, blind, ein Verbannter. Ein Ruhepunct in der schrecklichen Fabel seines Schicksals. Jokaste ist todt, die Töchter begleiten den Verbanneten. Da erschien sein Schatte dem bes jahrten Sophokles und sprach: „bring' mich zur Rüs he! die Fabel meines Schicksals ist nicht beendet."

Herders Werke z. schön. Lit. ü. Kunst, XII.“

« PreviousContinue »