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«Ma di cλes u. Poße) nicht durch die Verkündigung, sondern durch die Affecten selbst, die uns ergreifen.

Wozu nun erregte es diese Affecten, wenn es sie nicht reinigen, d. i. läutern, ordnen wollte? Stürze tet Ihr uns aus Leidenschaft in Leidenschaft ohne Zweck, ohne vernünftige Absicht und Ordnung; vers schwendetet Ihr unser Mitgefühl an Personen, die dessen unwerth sind, an schwache Elende oder an teuf. lische Bösewichter, in denen kein Zug der Menschheit erscheinet; zerfleischtet ihr unser Herz für und wider nichts durch Unverstand oder Bosheit; ließet z. B. Die, denen wir durch Euch unsre Theilnehmung ges schenkt, so schief denken, sprechen, handeln, daß wir, mit Haß gegen Euch, unser Mitleid ihnen verachtend entziehen müssen; oder kennet Ihr nirgend Maas und Raum, daß wir Euch immer zurufen:,,dre auf, Henker kenntet Ihr die Geseße und Gänge des Schicksals so wenig, daß Ihr uns entweder unnüße und lächerliche Furcht einjaget, oder diese dergestalt über die Grenzen ins Reich der Unnatur hinaustries bet, daß wir statt stark zu werden, schwach, statt mits fühlend weise, stupid gegen das Verhängniß, fühlloshart gegen unsre Nebenmenschen werden, und uns aller Theilnahme an ihnen entfagten; wåret ihr sodann gute Haushalter der Begebenheiten des Schicksals? und in eurer Kunst rechtschaffene Künstler? Was würde man von einer Musik sagen, die uns statt angenehm zu rühren, widrig aufbråchte? uns

langweilig einschläferte oder toll und wild machte? Schlechte Mischer der Affecten, empörende Darsteller der Begebenheiten des menschlichen Herzens und Les bens, des Glücks und Unglücks der Sterblichen, Ihr trübt, statt zu läutern; ihr empört, statt zu versöhnen. Siebt es also keinen Ausweg von der Pflicht, daß wenn ich Leidenschaften errege, ich sie zu einem vers nünftig menschlichen Zweck erregen, mithin fie reinigen, läutern, ordnen müsse; verbeut es die Menschheit sowohl als die Kunst, und Vernunft selbst, vor dem hohen Gefeß der Weltfügungen, der großen Waage des Glücks und Unglücks, mit dem mensch lichen Herzen und dessen Empfindungen zu spielen, daran zu schnißeln,. und entweder ihm unnöthige Wuns den zu schlagen oder sie ungeschickt zu verbinden; so ist Aristoteles nicht nur gerettet, sondern er hat, nach den großen Mustern, die er vor sich fand, dem Dichs ter in seiner Poetik selbst sehr weise Warnungen und Vorschriften in Behandlung der Schicksalsfabeln, in Erregung und Bändigung der Leidenschafs ten gegeben. Welche Charakter z. B. er zu wähz len? wie er ihnen ihr Verhängniß, uns unser Mitges fühl mit ihnen, unsre Furcht für uns selbst zuzumessen, zuzuwägen habe? ja wie es ohne dies Maas, ohne diese Waage keine Tragödie gebe. Denn ein Gemehel von Empfindungen, ein Gewirr blinder Schicksalsstreiche ist dem ersten Begriff des Trauerspiels entgegen. Eben dazu tritt sie ja auf, die Tragödie, daß sie

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mit größester Klarheit das über dem Helden schwes bende Verhängniß darstelle, ihn bei jedem Schritt seines Benehmens mit Warnung, Bitte, Wider: spruch, Furcht, Rath oder Tröftung begleite.

Daher auf Stellen, wo die Schickung zweischneis dig vorliegt, und von jeder Seite Bemerkung ver dient, der schnelle Wort- und Verswechsel des griechischen Theaters. Uns scheinen sie affectirt, diese kurzen Säge, theils weil die Ueberseßung selten sie so rein und treffend geben kann, wie sie der griechische Jamb, Schlag auf Schlag, sanft oder kühn, immer aber rasch treffend giebt, theils weil wir auf unsrer Bühne ein so strenges Ausfechten des Rechts und der Wahrheit, dessen was geschehen und nicht geschehen soll, nicht erwarten. Die Athener, an öffentliche Reden für und wider, überhaupt an Staatsund Gerichtskämpfe gewöhut, liebten dergleichen leis denschaftliche Vernunftkämpfe. Und am rechten Plak, wer liebte sie nicht? Entspringt je ein reines Res fultat, wo die einander gegenüberstehende Meinungen nicht aufs schärfste geprüft werden? Lasset sie also, wie im Zweikampf, mit blanker Schneide einander bes gegnen; was der Zuschauer dadurch gewinnet, ist eine um so hellere Gesinnung, erfochten im Zweikampf unter der Hand des Schicksals,

,,Aber Schicksal, und immer Schicksal! Wir Christen und Weise, glauben kein Schicksal."

Herders Werke z. schön. Lit. u. Kunst, XII.

So nenne man's Schifung, Begegniß, Ereigniß, Verknüpfung der Begebenheiten und Umstände; unentweichlich stehen wir unter der Macht dieses Schicksals.

Freilich, wenn ein Dichter das Wort so mißvers stünde, daß die große Göttinn ein Poltergeist würde, der, für und wider nichts, die aufs beste angelegte Plane menschlicher Vernunft, aller Vernunft entges gen, absichtlos oder schadenfroh ohne alle Schuld der Menschen verwirrte; wenn er auf das Kunststück sönne, daß alles, was Menschen wohlgesïnut und wohlbesonnen unternehmen, unglücklich, dagegen was die Götter leidenschaftlich und brutal wollen, abscheulich glücklich ausfalle; dann haßten wir in diesem Dichter das tumme, stupide Schicksal. Ein zweis ter lähmte den Menschen den Arm, reichte ihnen ein Opium gegen alle vernünftige Ueberlegung und Ents schlüsse, ließ aber dafür das Schicksal walten; ',,geh nach Orient, rufen wir, du Opium- Kråmer!“ Ein Dritter gåbe sich alle Mühe, den Karren in den Koth zu schieben, damit ihn das Schicksal ohne Hände hers ausziehe. Ein Vierter ließe die blinde Göttinn auf Menschen wie auf einen Marmorblock schlagen, und nennte diesen empfindungslosen Block einen Weisen. Ein Fünfter triebe mit der Schickung Scherz; wenn fein Held Alles gethan hat, fällt er ins Wasser oder bricht ein Bein, und Alles ist, als ob es nicht geschez hen wäre; freilich solche Mißgriffe im Gebrauch die

ses Worts zeigen ein klägliches Schicksal, und wenn Lessing in einem andern Sinn die Tragödie „ein Gedicht nannte, das Mitleid erreget," so erregen solche Stücke wahres Mitleid. Mitleid nämlich mit dem Dichter; Abscheu gegen den Misbrauch des mißverstandenen hohen Namens, ja des ersten Begrif fes der Sache selbst. a)

War dies aber der Sinn der Griechen? Warum dringt Aristoteles darauf, daß im Trauerspiel Alles natürlich zugehe und die Auflösung des Knotens nie durch Maschinen geschehen müsse? Warum macht er uneingeschränkt die Meinungen und Sitten der Menschen zu Quellen ihrer Handlungen, ih. res Glücks und Unglücks? und wäzt mit einer Goldwage ab, wie fern vollkommene und unvolle kommene, gute und böse Charaktere ins. Trauers spiel, d.i. unter die Bürde des tragischen Verhängnisses treten dürfen? Dies und jenseit verdammet er den kleinsten Fehler.

Und das mit Recht. Wollen wir der Bühne die reine Darstellung menschlicher Charaktere mit allem, was aus ihnen folget, wollen wir Ihr die reine Entwicklung menschlicher Leidenschaften und Gesinnuns gen, der Glücks- und Unglücksfälle, wie sie aus Jes nen folgen, rauben, und ein falsches Wunderbare, Poltergeister, die allenthalben die Natur stören, auf

a) Dramaturgie B. 2. S. 193. Hamb. bei Bode.

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