Page images
PDF
EPUB

Ein Grieche, der in unser Trauerspiel tråte, an die musikalische Stimme des Seinigen gewöhnt, müßte ein trauriges Spiel in ihm finden. „Wie wortreich - stumm, würde er sagen, wie dumpf- und tonlos! Bin ich in ein geschmücktes Grab getreten? Ihr schreit, und seufzet und poltert! bewegt die Ars me, strengt die Gesichtszüge an, raisounirt, deklamis ret; wird dann Eure Stimme und Empfindung nie Gesang? vermißt ihr nie die Stärke dieses damoni schen Ausdrucks? Laden euch Eure Sylbenmaaffe, ladet Euer Jambus euch nie dann ein zu Accenten der wahren Göttersprache ?

„In Athen wars anders. Unser Theater erklang vom Jamb und Trochåus, vom Choriamb und stürmenden Anapåsten. Versuchts und leset sie laut. Ob unsre Aussprache, unsre Declamation, Action und Musik Euch gleich verlohren sind; Eure Kammer wird Euch zu eng', Euer Haus voll schallender Lufts genien werden, indem ihr sie nur leset a). euch dies bestimmt fortgehende, immer wechselnde Melos, unterstüßt jeht von der Flöte, jest von ans dern Instrumenten, wie es Ecene und Leidenschaft

Denkt

foders

Wer die Griechen in ihrer Sprache nicht lesen kann, lese sich
Bochens Uebersehung des Euripides laut vor.
Ein erster
kühner Versuch, dem andre folgen mögen. In ihm wird ein
Geist laut und lebendig, an den uns eine schleichende Prose-
Uebersehung kaum erinnert.

foderten; hört es im Geist, und verstummt über eure verstummte Bühne, “

,,Und diesem hohen Longefolge, was legten wir ihm unter? Etwa nur Liebesseufzer? Galanteries phrasen? Tändelei mit der Empfindung, der Spras che, dem Gedanken? Reimspåße? Nichts weniger. Einen großen Kampf menschlicher Leidenschaften unter der höchsten Macht, dem Willen des Schicksals. Einen Knoten der Begebenheit, der nur durch Charaktere und Gesinnungen, durch Handlung aufgelößt werden konnte. Der Gang der Löne war hierinn unser lebendiges Vorbild. Wie diese sich verschlingen, damit sie sich froh entwickeln, indem kaum etwas ermüdender ist, als eine einförmige Mu. sik, und nichts verwirrender, als eine verwirrte Cons kunst: so verschlang, so lösete sich unser Drama, der Seele melodisch. Aus Dissonanzen stieg die höhere Consonanz mit jeder geschouten Annäherung feierlich, schauderlich, langsam, prächtig hervor; und schloß mit einer Beruhigung, die nicht etwa dumpf fåttigte, sondern einen Fortklang dieser Töne zu hös ren einlud. Daher, daß wir unsre Fabelwelt so durs stig erschöpften, jede große Begebenheit in ihre Fols gen verfolgten, und nichts unvollendet liessen: denn eine unterbrochne, matt-geendete Musik ist ein plus tonisches Kunstwerk, “

„Ihr fangt an und endet, wo es euch beliebt ; · wir endeten, wo geendet werden mußte, und fiengen von

Herdert Werke z. schön. Lit. u. Kunst, XIL

[ocr errors]

neuem an. So ward jedes Stück dem innern Hers zen Musik, ein Ganzes. Ihr schleppt eine Menge Trommeln, die weder Klang noch Ton geben, unter die zartesten Instrumente, und nennets historische Schauspiele; wir nicht also. Fabel war bei uns Fas bel, Geschichte Geschichte. Auf dem Theater mußte die bekannteste Geschichte eine reine, ganze, sich selbst entwickelnde Fabel werden, oder sie blieb das Werk jenes Leyrers, der, wenn er nicht spielen konnte, pfeifend erzählte. Wir wagten es, die höchs ften Bilder mit den kühnsten Tonfügungen zu vers einigen, und klopften stark an die menschliche Brust.“

Doch warum sollte der Grieche fortreden dürfen? Da jedem, der die Alten und Neuern kennet, der Uns terschied beider Theater dunkler oder klårer vorliegt. Nicht nur haben sich das Drama und Melodrama gänzlich gesondert; nicht nur ist der Chor verstummt; fondern, was daraus folgen mußte, in so vielen Stüks ken auch die Melodie der Handlung. Das Richts maas und der Zweck, nach und zu welchen bei den Griechen die Begebenheit dem Zuschauer theatralisch dargestellt und entwickelt werden sollte, sie werden von den Neuern nicht anerkannt; in den meisten Stücken sind sie also vom Theater verschwunden.

Wer hat Recht? Die Griechen oder Wir? Eine Frage, die hier nur fragmentarisch erörtert werden soll, fern von Partheilichkeit und einer thörichten Anbetung der Einen oder der Andern Seite.

1

Ist einmal das Theater zu unsern Zeiten ein so vielbesuchter Plak, zu dem man die Menge zusam menruft, ihnen Geld und Zeit nimmt, und darauf Koften wendet; ist das Drama unerkannter Weise das schwerste und mächtigste Poem, mithin das künstlichste Kunstwerk, dem so viele große Geister sowohl zum Studium, als zur Darstellung und Auss führung ihre Kräfte, ihr Leben widmeten; ists ein so vollkommnes und wie man sagt, unentbehrliches Werkzeug, auf die Gemüther der Menschen zu wirken; so steht es nothwendig unter der prüfenden Waage des sorgsamsten Urtheils.

Aristoteles lebte in Zeiten, da das griechische Thes ater ausgebildet war; es hat sich nachher zu keiner glänzendern Höhe gehoben. Auch war Er der Mann, der die Regel eines Kunstwerks wohl abzuziehen wußte. Wie erklärt nun Er die Tragödie seiner Nation? Bekanntermaaßen durch die „Nachahmung einer åmsigbetriebenen, vollständigen, Größe - habens den Handlung, in einer anmuthig - gebildeten Rede, (deren jede Form für sich in abgetheilten Schranken wirket,) und zwar nicht durch Vers kündigung oder Erzählung, sondern durch Ers barmen und Furcht, die Läuterung solcher Leidenschaften vollendend.“ Ohne die viele und weitläuftige Commentare über diese Worte vermeh zen zu wollen, bemerken wir nur djes:

1. Handlung ist die Seele des Drama, nicht Charaktere, noch weniger Sitten, Meinungen, Sentenzen. Vollständig, sagt Aristoteles, werde sie dargestellt, d. i. ihr Anfang, Mittel und Ende, eifrig, mit einer Art Schnelle werde sie betrieben; sie sei überschaulich. Nicht also übermäßig lang, nicht verwirrt durch fremde Zwischenfälle, (Episo, den.) Ueber alles dies hat Aristoteles in seiner Poetik bündig geredet.

2. Angenehm sei die Rede des Drama; jede Gestalt der Rede habe ihre bestimmte Schranken. Bei den Griechen hob und verstärkte sie die Musik, und auch sie in angemessenen Formen.

3. Zur Kunstnachahmung, (μnois) der Handlung, (an welches Wort sich bei Aristoteles Alles heftet) gehörte vorzüglich die Action, die Gebehrs dung, der die Decoration half. Alle diese Mittel, verständig vereint, untrennbar von einander, machs ten die Tragödie der Griechen zum höchsten Poem, zu einem Kunstwerk.

4. Mittelst der Rede wirkt die Mimesis des Theaters, worauf? Deutlich sagt Ariftoteles;,,auf Reinigung der Leidenschaften. Wodurch? nicht durch laute Verkündigung, durch Moral, Sens tenzen, Erzählung u. f. (sagt er) sondern durch Erregung der Leidenschaften selbst, durch Furcht und Mitleid.

5. Durch diese vollendet die Tragödie eine Rei

« PreviousContinue »