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in seiner besten Ausgabe a) wie ein belehrender Ros man gelesen, b)

Fortan fehlten unter den folgenden Königen Denks würdigkeiten ihrer Zeit, von vortreflichen Männern geschrieben, nicht; insonderheit waren die Zeiten der Kriege seit Franz I., noch mehr die Zeiten der Ligue daran fruchtbar. Die Memoires von Bellay, Thuans Geschichte seiner Zeit, Boivin, 'Castelnau, Tavannes, Monluc, d'Etoiles, Mornay, d'Aubignee, und wie viele andre! find in ihrer Art schäßbare Schriften. Wem find die Memoires de Sully unbekannt? Unter Ludwig XIII. die Berichte von d'Avrigny, dem Marschall d'Etrees, Bassoms piere u. f. Jeder ausgezeichnete Mann hatte in dies sen verwirten Zeiten seinen Memoir:Schreiber gefun. den oder er schrieb seine Begebenheiten und Ansich ten der Dinge selbst.

Auf dieser sprachreichen lichten Höhe stand die Vorzeit Frankreichs, als Ludwig XIV. minderjährig auf den Thron kam. Die Zeiten der Fronde begans nen und endeten mit einem Reichthum von Denke würdigkeiten, die eifrig, fein, zierlich dargestellt und erzählet, Leser jeglicher Art und entgegengeseßter Partheien vergnügten. Die Memoires des Cardinal

a) Memoires de Messire Philippe de Comines, Ausgabe des Langlet du Fresnoy Par. 1747. 4. Vol. 4.

b) Er ist der Einzige, welcher Ludwig den Eilften zeigt wie er

war.

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de Reh z. B. wird man lesen, so lange die französ sische Sprache dauret. Sie schildern den Lermen um Nichts, der auf einem jour de Barricade, (ein Sperren der Gassen) auf nichts höheres hinausging, samt dem nächtlichen Zusammenlaufen, Unruhen und Intriguen; bei diesen die Charaktere der Theilneh mer und Theilnehmerinnen in mancherlei Rang und Stande so lebendig, daß man sich in ihrer Mitte bes findet, und wenn man die bekannten Bildnisse dieser Personen dabei im Sinn hat, mit ihnen gleichsam mitlebet; selten zwar thätig mit ihnen, desto öfter aber wundernd und staunend, verabscheuend und bis weilen hochachtend. Der störende Cardinal, der nach einem Leben voll Unruhe zu nichts gekommen war, eigentlich auch zu nichts hatte kommen wollen, konnte in seinem hohen Alter Besseres nichts thun, als in Ruhe leben und seine Schulden bezahlen. Die Mes moires von Jely, Rochefoucault, Gourville, der Herzoginn von Nemours u. f, die der Erzählung des Cardinals als erzänzende Berichtigungen zur Seite gehen, bringen in diesen Winkel der Geschichte viel Licht der Menschenkenntniß, wenn gleich nicht immer der Menschenliebe.

Als Ludwig selbst den Scepter ergriff, ånderte sich der Ton solcher Denkwürdigkeiten nach jeder Weise des Hofes. Die galanten Abentheuer des Königs mit dem immer trostlosen Ende seiner Maitressen gaben galante und traurige Memoirs; die Kriegs,

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und Staatsbegebenheiten, das oft veränderte Hofleben von Zeiten der Königinn - Vormünderin an durch alle Lebensperioden ihres verliebten, ehrsüchtigen, dann verwelkten und devoten Sohues, mit allen Glücksund Unglücksfällen der Höflinge und Minister, ihrer Werkzeuge und Diener gaben Denkwürdigkeiten in ber seltsamsten Mischung. Und da von diesem allen in Der Classe von Menschen, die damals für die einzig gebildete galt, allgemein gesprochen ward, da. man die Bildnisse der Personen dieser Memoirs da: mals an Höfen und in Schlössern aufstellte; so gal, ten ihre Memoirs selbst als Muster des Geschmacks, und der feineren Lebensart allenthalben. Welche ziers liche Bibliothek besißt nicht Denkwürdigkeiten einer Motteville, Montpensier, d'Aunoi, Mainte non, eines Bussi - Rabutin u. f.? Welcher Kriegsmann der alten, galanten Zeit hätte sich nicht um die Meinoirs vom großen Condee, von Turenne, Vauban, Villars, Berwick, Luxembourg, Catinat u. f., welcher Seemann nicht um die Denkwürs digkeiten Forbins, Tourville, du- Gue Trouins, welcher Staatsmann um die Berichte eines d'Avaux, d'Estrades und die Erzählungen eines Montglat, Bouillon u. f. nicht bekümmert! Selbst die Denk, würdigkeiten, die in den Zeiten der Revolution, also ein Jahrhundert spåter erschienen, und den Hof Ludwigs betreffen a) fanden eine Lesewelt, als ob Lud

a) Vour St. Simon, Noailles, Richelieu, du Clos u, f.

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wig noch lebte und herrschte. Ueberhaupt ist durch die französischen Memoirs die Sprache, der Geschmack, die Denkart Frankreichs mehr als durch irgend eine andre Gattung von Schriften thätig in die Welt verbreitet.

Was sie nicht bewirkten, thaten Briefe. Bour fault, le Pais, Voiture, Fontenelle hatten durch wikige, galante, naive Briefe einen Geschmack an diesen Näschereien des entfernten und näheren Ume gangs vorbereitet; an der Sevigne Briefen glaubte man endlich das Muster so wie mütterlicher Liebe, so der feinsten weiblichen Schreibart zu finden. Die vornehme Delikatesse in ihnen gefiel am meisten; wenigstens ihre Phrasen ahmte man Standesmäßig nach. Und wer könnte den Briefen der Maintenon, Fenelons, ja seines Vorbildes schon, des heiligen Franz von Sales, ihrer schönen Vernunft, ihs res zarten Ausdrucks wegen, den innigsten Beifall versagen?

Wie stehen nun alle diese Productionen am Ende des Jahrhunderts? sind sie ausschließend ewige Muster?

Einen gewiffen Ton der Farben, so wie den Firs niß damaliger Salauterie hat die Hand der Zeit ziems lich scharf abgestrichen, als man unter dem Herzog Regenten und der nachkommenden Regierung ihre

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Folgen erlebte, so daß man in Frankreich dieses Tons längst fatt war und ihn långst lächerlich gemacht hatte, als man ihn in Deutschland noch nachahmte. Zur Kunst ein schönes Nichts zu sagen gehörte eigens die Behendigkeit, der Glanz und die scheinbare Präcision der französischen Sprache; die herzliche Biederkeit, oder wo diese fehlt, der schwerfällige Ernst der Deuts schen machte jene. leuchtenden Bliße oft zu unsanften Donnerschlägen.

Die Manier, Charaktere zu zeichnen, wie sie im Zeitalter Ludwigs Mode war, gründete sich gleich falls auf den Bau der Sprache, so wie auf den Ton der damaligen Lebensart und Unterhaltung. Eine gewisse Metaphysik, die der französichen Sprache von jeher eigen geworden war, sodann auch die Flüchtigkeit des Hof- Charakters, der Eine Person oder Sache von mehreren Seiten zu bedugen und mit einem neuen Ausdruck sie treffend, und noch treffender zu bezeichnen strebte, gab den vielen Abstuffungen und Lichtbrechungen der Begriffe Raum, die der frans zösischen Sprache sogar eine eigne Interpunction gas ben: denn wie fie, lassen sich weder Griechen noch Rd. mer interpunctiren. Fast alle Sprachen Europa's sind ihnen indeß bei Annahme des Baues ihrer Schreibart gefolget. Wie die Begriffe zerlegt und gespalten werden; so auch der Ausdruck. Daß diese überfeine Schilderung der Charaktere von fremden Nationen mißlich nachgeahmt werde, ist durch sich

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