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Alle wissen wir, was gesagt werden soll, wenn wir ausrufen; eine wahre Idyllenscene!" oder fie führen ein Idollenleben“ u. f. Alle wissen wir auch den Ursprung dieser Dichtungsart. Wie? und wir wären noch über die Bestimmung ihres Ben griffs uneinig? wir zweifelten noch, wohin uns dieser Begriff führe?

Lange vorher, ehe Hirten in Arkadien oder Sicis Lien sangen, gab es in Morgenland Hirtengedichte. Das Leben der Zeitbewohner führte dahin; die Bilder ihrer Sprache, selbst ihre Namen waren aus dieser Welt genommen; das Glück, die Seligkeit, die sie suchten, konnten sich nur in dieser Welt realisiren. Bei Völkern solcher Art war das Idyll so wie die Nar tursprache, so auch das einfache Ideal ihrer Dichts kunst.

Auch wenn sie aus dieser einfachen Lebensart in eine künstlichere übergingen; Sprache und Denkart hatten sich geformt; gern ging man in die Sitten und Sagen, ins Andenken älterer Zeiten zurück, da man in einem so glücklichen Zustande gelebt hatte. Nur die Bilder veredelten sich; es ward ein Idyll höherer Art, ein Traum des Andenkens alter glücklicher Zeiten. Auch die königliche Braut in Schmuck und

Pracht mußte als eine Schäferinn, ihr Gemahl als Schafer, der König ein Hirt der Völker, Gott selbst als ein Hirt seines Volkes erscheinen, um ein Zeitals ter der Ruhe und Freude, ein Idyll der Glückseligs keit darzustellen oder zu schildern. So unauslöschlich find in uns die Züge der Natur, die Eindrücke der Jugend!

Denn in der Kindheit ist nicht die Idyllenwelt uns ser süßester Eindruck? Wenn der Lenz erwacht, ers wachen wir und fühlen in ihm den Lenz unsres Lebens ; mit jeder Blume spriessen wir auf, wir blühen in jes der Blüthe. Uns klappert der wiederkommende Storch, uns singt die Nachtigall und die Lerche. An der Munterkeit und dem neuen Frühlingsleben jedes Geschöpfs nehmen Kinder brüderlich - schwesterlichen Antheil. Idyllen sind die Frühlings und Kinderpoesie der Welt, das Ideal menschlicher Phantasie in ihrer Jugendunschuld.

Aber auch jede Scene der Natur in allen Jahrs. zeiten hat für gesunde Menschen ihr Angenehmes, ihr Schöues; Sommer und Herbst, selbst der rauhe Wins ter. Thätigkeit ist die Seele der Natur, mithin auch Mutter alles Senusses, jeder Gesundheit. Der Sturm ist angenehm wie die heitre Stille, und wenn wir ihm entkommen sind, im Andenken sogar erfreulicher als jene. Das Ungewitter ist schrecklich, aber doch prächs tig. Jede überwundene Gefahr macht uns die Nas tur anziehender, uns in uns selbst größer..

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Man könnte Idyllen dieser Art die männlichen, jene sanftere die weiblichen nennen; Kinder lieben fie in Versuchen, Männer in Thaten, im Andenken Greife. In der Natur verschlingen beide sich zu Eis nem Kranz; im Ringe der Jahrszeiten ist Eine nicht ~ohne die Andre, Wehe dem, der blos das sanfte, weiche Idyll des Lebens liebet! dem stårkeren, rauheren entgehet er doch nicht.

Bei den Griechen entstand das Idyll nicht anders als bei andern Völkern; nur formte es sich nach ihrem Klima und Charakter, nach ihrer Lebensweise und Eprache. Möge es Arkadien oder Sicilien gewesen seyn, wo zuerst ihre Hirten sangen; muntre Hirten au fröhlichen Tagen singen allenthalben. Sie suchten Ge: sellschaft, sie, trieben zusammen, sie wetteiferten in Liedern; sie zankten, wählten einen Schiedsrichter; · verehrten 'einander Geschenke - alles der Natur des dortigen Klima, den Sitten damaliger Zeit gemäß, Ausbrüche der Empfindungen, Anfänge der Dichts kunst. Denn was sangen diese arkadischen Hirten? Ihr Glück und Unglück, das Angenehme und Unangeneh me ihrer täglichen Lebensweise, sogar ihre Träume; wo dann Alles zuleht auf ein Bild der Glückseligs keit hinausging.

Natürlich, daß in diesem engen Cyklus die Liebe eine Hauptrolle spielte; nicht aber war sie der Idyllen

Eins und Alles. fahren, ihres Daphnis ward von den Hirten ges rühmt, ihre Feinde wurden geschmäht, der Verlust ihrer Freunde ward bétrauret. Was die enge oder weitere Spanne des Hirtenlebens umfaßt, war der Inhalt ihrer Lieder, mit Hinsicht auf Glückseligkeit und Freude.

Auch das Andenken ihrer Vors

Und ihr Zweck? Bei müßigen Hirten mag der Gefang Zeitkürzung seyn; zugleich war er unläugbar Cultur ihrer Seele. Sich selbst und andern ge ben sie von den Vorfällen ihres Lebens Rechenschaft; sie entwickeln ihr Gemüth, in fremden oder eignen Gesängen bildet sich ihr Ton, ihre Sprache. Und da Alles, was wir thun und treiben, nåher oder fer ner immer doch nur unsre Glückseligkeit zum Zweck hat, wie sollten es nicht Gesänge haben, die unsre innere und äußere Welt eben in dieser Rücksicht mit Klage, Wunsch), Verlangen und Freude schildern?

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Die Gesänge indeß, die wir von den Griechen unter dem Namen bukolischer Gedichte und Idyl len haben, sind nichts weniger, als die rohen Ges sånge jener Schäfer; Bions, Moschus, Theokrits Gedichte sind Kunstwerke. Der lehte nannte sie sogar also: denn Idyll (ɛidvλλæμ) heißt ein kleines Bild, ein Kunstwerk. Wahrscheinlich war es Bescheis denheit, daß der gelehrte Alexandriner, Er, in Wahl

der Gegenstände sowohl als im Versbau ein wahrer Künstler, diesen Nahmen wählte. Er faßt unter ihn die verschiedensten, manche der Hirtenwelt sehr entlegene Gegenstände, den Raub der Europa z. B. das Lob Königes Ptolemáus, die Hochzeit des Me nelaus und der Helena, eine Klage über die schlechte Aufnahme der Musen, das Fest des Adonis. Jenen engeren Begriff ursprünglicher Hirtenpoesie verband Theokrit also nicht mit seinem Idyllen - Namen.

Virgil mit dem Namen seiner Eklogen, d. i. auserwählter Stücke, auch nicht; dieser begriff im Sinne der Römer ohngefår Das, was Theokrit mit seinem Namen Idyll anzeigen wollte, nämlich ausgesuchte, wohlausgearbeitete kleine Ges dichte.

Bei dieser Unbestimmtheit des Namens war es Natur der Sache, daß die Folgezeit nach dem Haupts begriff der Gattung die Benennung festseßte. Nothwendig also erhöhete man den Begriff; aus der Hirten ward eine Schäferwelt, aus dem wirklichen ein geistiges Arkadien, ein Paradies unsrer Hoff. nungen und Wünsche, ein Paradies also der Unschuld und Liebe, oft auch in ihren Kämpfen, in ihren Schmerzen. Die Stunde unsrer Seele, da wir uns dem zartesten Glück und Unglück am nächsten fühlen, wurden dazu Eklogen, erlesene Situationen und Momente.

In diese Schäferwelt sehen uns Tasso, Gua

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