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Wem die Gabe zu bezaubern versagt ist, wolle nicht zaubern; er lehre wachend, nicht träumend. träumend. Noch minder störe der Dichter sein, eigen Werk, indem er uns mitten im Traum aufrüttelt, und daß es nur ein Traum sei, ungeschickt belehret. Wie oft geschieht dieses! und durch wie manche unselige Künste! Nicht immer weiß der Dichter sein eigen Gebilde gnugsam zu schonen und zu ehren; sofort verfliegt der Zauber.

2. Die in uns wirkende, Vieles zu Einem erschaffende Kraft ist der Grund des Traumes; sie werde auch Grund des Romans, des Mährchens. Fehlet es diesem an Einheit, an Verstand, an Abs sicht, sowohl im Ganzen, als in Fortleitung der Sces nen, so ists ein kranker, gebrechlicher Traum, Nichts foltert im Schlummer uns mehr, als wenn wir sus chen und nicht finden, man erwartet uns und wir find nicht fertig, werden es auch nicht bei aller Mühe und Arbeit; oder wir kommen nicht weiter, klettern in dunkeln Semauern auf und nieder; man verfolgt uns und wir wissen nicht, wer uus verfolge - uns felige Traume! Dergleichen Angst treiben uns Ers zählungen ein, in denen wir auch auf und niedersteis gen ohne fortzukommen; wir suchen und finden nicht, kleiden uns an und werden nie fertig. Und der häßs liche auf Nichts ausgehende Traum jagt uns gar wie Udolfo's Geheimnisse der Miß Radclif, um zus leht ein Cadaver zu sehen, aus Bånden in Bände!

Herders Werke. schön. Lit. u. Kimst. XII:

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Böse Zauberer und Zauberinnen, ihr kocht Macbethsche Hexengerichte.

3. Ueber das große Gewirr des wachenden Lebens hebt uns der Traum; er zeichnet feiner. So hebe uns auch über die gemeine Welt der Roman, das Mährchen. Alltägliche Dinge sehen und hören wir täglich; wozu, o Dichter, trägst Du den magischen Stab und die Krone, als daß Du uns in eine andre Welt zaubern, und magisch erfreuen und belehren sollt? Mit trivialen Geschichten, mit Fraßengestals ten, willst du uns wie ein Alp erdrücken und tödten? So reiche uns lieber mit deinem Buch den vollen Mohns kopf oder das Opium selbst dar, daß wir Dir ents schlummern, um uns von Dir Ju entträumen.

4. Das Wunderbare des Traums ist sein süßes fter Reiz. Je zarter es Mährchen und Romane wie ein Koischer Flor webt und überwebet, desto Anmuth, reicher sind sie; dagegen Alles grobgesponnene, mühs fam erdrechselte Wunderbare uns wunderbar wegs scheucht. Hält man uns für Kinder, (ruft man) sobald man den Betrug wahrnimmt? und für so blöde Kinder, die Bande und Stricke nicht zu sehen, mits telst welcher diese hölzerne Puppen spielen? Gemeis niglich ist dies der Fall, wenn das Wunderbare zu grob und gemein auf die körperliche Welt wirkt, wenn es Berge verseht und den Mond spaltet. Zu Wunderthaten dieser Art gehören große Hebel, und auch in der Seele des Dichters große Kräfte. Jedes Wuns

der muß necessitirt werden, so daß es jeßt und also nicht anders als erfolgen kann; oder man verlacht den Dichter mit seinem feingeschnißten Gebets- und Glaubensstabe. Gåbe er sich vollends Mühe, das Wunderbare uns zugleich nicht wunderbar, b. i. natürlich zu machen; warum gab er sich dann Mühe, den Wunderschrank zu zimmern, in welchem er uns gemeines Spielwerk zeiget?

5. Im Traum endlich sind wir uns die schärfften Richter. Aus dem tiefsten Gruude holt er die Heims lichkeiten und Neigungen unsres Herzens hervor, stellt unsre Versäumnisse und Vernachläßigungen ans Licht, bringt unsre Feinde uns vor Augen und weckt und warnet und strafet. So, thue es auch unablässig und unvermerkt der Roman, das Mährchen. Hies durch gewinnen sie ein magisches sowohl als moralis sches Interesse, an welches, außer dem Drama," keine andere Dichtungsart reichet. Der Traum macht uns Personen kenntlich, und sie sinds doch nicht; ähnlich und doch nicht Dieselbe; er zeichnet im Mondlicht. So auch der Roman, das Mährchen. Sie strafen Laster und Thorheiten, aber an schwebenden Gestals ten, unbekannt mit der Knotengeißel des Satyrs. Die Vergangenheit wie die Zukunft stellen im Zaubers spiegel der Ahnung sie dar, unendlich, unvollender; unsre Seele soll sie vollenden. Wünsche des Herzens endlich der Traum bilder schöner als Praxiteles und Lysipp; er mahlt schöner als Raphael und Guido,

vorzüglich geistige Gestalten ; die Stimmen in ihm sind von magischer Kraft und Wirkung. Ihr Dichter, fühlt euren Beruf! Voll Geistes der heiligen Götter, träumt glücklich. Um also zu träumen, seyd nüchtern,

Und Du, Morpheus - Apollo, vertreibe die. bösen, die wie Nachteulen um uns flattern, und schaffe uns göttliche, glückliche Tranmer.

Der er ft era um.

Als Adam einst im Paradiese matt
Und müde sich gesehn, und müd' und matt
Als Herr der Schöpfung an die Dienenden
Sich ausgesprochen hatte, sprach der Schöpfer;
„Erquickung will ich dem Ermatteten,

Dem Suchenden den Wunsch des Herzens geben,
Den wachend er nicht fand. Er schlummere."

Einschlummert er; da stiegen aus des Herzens
Geheimsten Tiefen, zart und zärter jetzt, werd
Unausgesprochne Wünsch' empor; ihm ähnlich
Und auch nicht ähnlich stand vor ihm ein Traum.

"

Sie werde!" sprach der Schöpfer, und sie ward.
Aus seiner Brust erhob sich das Gebilde

Des leisen Sehnens, blickt ihn an, und Er
Erwachte.

„Bist Du? sprach er, Traum,

Bist Du ein Wefen? Du mein beßtes Ich,
In meiner Bruft entsproffen, sei fortan

Mir untrennbar, o Mutter alles Lebens,
Mein Traum, der Menschheit schönere latur.“

Des Menschen erster, hochbeglückter Traum Du Vorbild aller Dichtung, aller Schöpfung In Kraft und Schönheit, werd' ihr Jdeal. Wie seines Herzens Traum behandele

Der Mann fein Weib, der Dichter seine Schöpfung, Und Lebens Fülle blüh' aus ihr empor,

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