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wandtem Talent zwar unterhalten, vielleicht auch bes zaubern kaun, am Ende aber doch ermüdet. Wir fühlen uns durch die glänzende Darstellung getäuscht und find unwillig über diese Täuschung: denn die Folges zeit hat den falschen Firniß abgestrichen, die Begebens heiten anders gerückt und die Gestalten rein modelliret. Wie wenige Geschichten des vorigen und der ihm vorangegangenen Jahrhunderte lassen sich jeht noch mit zustimmendem Urtheil vom Werth der Dinge lesen! Anmaaßungen, Entwürfe, Schlachten, Lobsprüche, Siege Alles hat mit dem Ende des Jahrhunderts ein andres Maas erhalten; und wer bürgt uns dafür, ja wer darf es sich aumaaßen, daß er dieß Maas schon in der bestimmtesten Reinheit der Absichten und der Schahung der Dinge habe? Auf jeden Fall indeß sind wir weiter.

Die Geschichte Wilhelms von Oranien und der Königinn Anna hatte, obwohl aus andern Ursachen, dasselbe Schicksal. Die Gährung der Whigs und Corys, die hundert Dinge in einander mischen und ihre Bestrebungen mit jedem neuen Minister ånderten, ja die oft selbst nicht wußten, was sie wollten, machs ten lange Zeit jede reine Ansicht der Begebenheiten und Charaktere unmöglich. Swifts Geschichte der lehten Jahre dieser Königinn ist das trockenste seiner Werke, und da es das aufrichtigste seyn will, doch auch einseis tig, partheilich. Es gehört ein Erwachen dazu, den

raum und Drang der Begebenheiten zu ørönen, wenn er geträumt ist.

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Wie viel gehört überhaupt zum leicht ausgesproches nen Wort Geschichte neuerer Zeiten. Em schäßbarer Schulmann ließ eine Rede über den Sah halten, ,,daß die neuere Geschichte zwar angenehmer, bei weis tem aber ungewisser sei als die alte" a) und führte zu dessen Bestärkung als ein eifriger Verehrer der Alten manche Gründe an. Das Ungewisse bei Seite geseht, in welches sich die alte und neue Geschichte verhältnißmäßig wohl theilen möchte, ist die neuere Geschichte viel zusammengeseßter und verflochtner als die alte, Die Führung unsrer Geschäfte, ihre Hülfswerkzeuge und Maschinen, noch mehr die Entwürfe und Charaks tere der jüngeren Welt haben jene plane Evidenz vers lohren, die uns in der Geschichte der Griechen und Römer bezaubernd vesthält. Alle Begebenheiten Eu ropa's laufen in einander und ihre ersten Triebfedern sind oft, wo man sie am wenigsten sucht, im dunkels sten Winkel, nicht etwa eines Cabinets, sondern einer Gefindstube oder in einem noch heimlichern Raume. Die Register eines Staats, (Departemente genannt) tönen oft in einem solchen Gewirr, oder Eins, ges wöhnlich das Kriegswesen, ruft allen andern so laut vor, daß eine Geschichte der Zeit, d. i. eine Harmonie zu ziehen, gewiß das Werk nur eines Orpheus, Ams

a) Joh. Mich. Heinzens kleine deutsche Schriften Th. 2. S. 228.

phions, oder gar eines himmlischen Genius seyn möchs te. Håtte Boulainvilliers z. E. aus den zwei und vierzig Folio - Bånden pon Berichten, die über den Zus ftand Frankreichs auf Befehl des Herzogs von Bours gogne einlangten, ein Gemählde entwerfen wollen, wie aristokratisch wäre es geworden! Håtte Bossuet eine Geschichte seiner Zeit geschrieben, welch eine kle ricalische Gestalt würde sie gewonnen haben, da z. B. der Abt de Choisy seinen König zu einem förmlichen David und Salomo machte. Die jüngste, späteste Lochter Mnemosynens, ist die Muse einer währen Geschichte; wenn wir in Mitte oder zu Ende des Jahrhunderts an sie oder an Vorläuferinnen derfelben kommen werden z mit welcher Freude wollen wir sie bes grüffen! mit welcher hoffnungsreichen Aufsicht auf zukünftige Zeiten wollen wir sie umarmen! Tionne

Damit wird den Geschichtsforschern Frankreichs und Englands unter Ludwig, Wilhelm und Anna an ihren Verdiensten nichts geraubet. Sie übten sich in åltern Zeiträumen, über die sie frei schreiben durften. Der brave *) Mezerai in Frankreich, Rapin de Thoiras in England thaten so viel sie konnten; St. Reals Geschichte der Verschwörung in Venedig, du Bos Geschichte der Ligue von Cambrai, Vertots Res volutionen mehrerer Völker, Rollin u, f. werden ims mer noch mit Wohlgefallen gelesen. Die zum Appas rat der Geschichte in Bibliotheken, Sammlungen oder a) Allzu verkannte. M.

fu historischer Kritik beigetragen, le Long, Lauriere, Launoy, Mabillon und so viel andre Sammler in Frankreich und den britannischen Inseln sind durch ihre Mühe oder durch ihre Kritik sehr schätzbar. Die Akademie der Auffchriften lieferte trefliche Discussionen über die alte und mittlere Geschichte, insonderheit Franks reichs; aus Furcht der Unsicherheit in den nächsten Ges genden besuchte die historische Muse entlegnére Reviere. Wie werden Sie es machen, fragte der Herzog von Bourgogne 'den Abt Choisy, um zu sagen, daß Karl der sechste nårrisch war? "Monseigneur, antwortete dieser, ich werde sagen: er war närrisch. So als Ludwig 14. den Geschichtschreiber Mezerai fragte: warum er. Ludwig den 11ten zum Tyrannen gemacht habe?" antwortete dieser demüthig Sire, pourquoi l'étoit-il? Damit hatte das Gespräch ein Ende; beim grand Alcandre selbst wäre es damit nicht beendet gewesene

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Geschichte und Dichtkunst.

Ein Musengespräch in der vatikanischen Rotonda.

Im schönen Musentempel, wo ich einst Anschauend in Begeistrung mich derlohr, Jungfräuliche Gestalten, sprach ich, lebtet Wo lebtet ihr? Der reinen Menschheit Bilder, Woher nahm Euch der hohe Genius?"

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Da füllte des entzückten Phôbus mich
Des schönen Jünglings Påan; und das Chør
Der Mufen mit Gesang und Flötenton,
Psalterion und Leyer stimmten ein;
Ralliope mit aufgeschlagnem Buch
Euterp' und Erato, Terpsichore,
Thalia; nur die Muse der Geschichte
Saß schweigend da mit weggewandtem Blick.

Ich nahete mich ihr, und Geist zu Geist
Verstand sie mich, antwortete mir sanft:
Du wunderst, Fremdling, dich, daß ich im Chor
Der lauten Schwestern schweig'? Ich horche zu
Und merk auf unsres hohen Führers Anklang,
Und lern' an Jeder lebendem Gesang.

Ralliope stellt meinem Ohr vor Augen,

Was einst geschah. Umfang und Ziel und Zweck,
Das Maas der Gegenwart und Leidenschaft
fern' ich aus ihrer und der Schwestern Weise;
Doch steht auch schweigend dort Melpomene,
Die ihren Fels hinansteigt; siehe dort
Urania mit ihrem Stabe, mit

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