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verunziert worden, daß man beinah allgemein das Gefühl für die Heiligkeit der Geschichte verlohr und allenthalben Roman wünschte. Fast kein wohlklingender oder ruhmvoller Name blieb von einer galans ten Narrenkleidung frei; und da die benachbarten Länder mehrere dieser blanken Französischen Rechenpfennige für baare vollwichtige Münzé annahmen, so ist auf den dichterischen sowohl als den historischen Parnaß ein Wirrwarr gekommen, dem nach hundert Jahren seine Rechnung bei weitem noch nicht in Allem gemacht ist. Das unaufhörlich e fortgehende Werk der Zeit ist, daß, wie sie Geschichte zum Mährchen macht, sie auch Geschichte vom Roman fcheide.

Beilage

Suter und bdser Mährchen- Leumund.

Kein Name wird recht berühmt, ehe er zum Mährchen wird; das Mährchen ist die einschmeichelnd - ge= felligste Fama. Alexander dem Großen, und Karl dem Großen haben ihre Unternehmungen, Erobes rungen, Kriege und Siege, Gedanken und Entschlüsse zur Fortdauer ihres Rühms nicht so geholfen, als das Mährchen; dies hat ihn bevestigt. Ihre Ges schichte mußte Gesang, Romanze, Roman werden; so ward sie Volkssama. Durch Namen der Jagd. hunde und Cartenblätter ist Hektor den Natiouen Eut

ropa's bekannter als durch Homer; Sokrates kennen fie minder als den großen Roland durch Bildsäulen und Mährchen.

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Ein ausgewanderter Frankreicher, Premonts val, halbwißig, halbvernünftig, warf die Frage auf: wer wohl der bekannteste und zugleich bemerkteste Nai me des Alterthums seyn möchte? Er entschied für Pontius Pilatus. In allen Glaubensbekenntniss sen der Christen von allerlei Secten komme Er por, und zwar mit dem inerkwürdigen Attribut, daß jeder Buchstabirende, Knaben und Mädchen, bei ihm das Pont, dem gelernten A. B. C. zuwider, wie Ponzi aussprechen, und eben dadurch die Vernunft unter die Regel der Observanz gefangen nehmen müßten; daher dann das Gelitten unter Pontio Pilato“ ihnen fortan oft durch ihr eignes Leiden das Eindrück, lichste des Symbolums werde und bleibe. Alexander, Sokrates, Christus selbst stehe weit hinter Pontio Pilato. Dies Premontval; mit andern eingebleieten Namen der Geschichte und des Mährchens gehet es kaum anders. Rotte Jemand das Mährchen des König Blaubarts und der Xantippe aus; er hat die Amme und Fibel gegen sich; seine Müh ist verlohren. „Aus der Hölle kann ich Euch nicht erlösen!" sagte der Pabst zu jenem Cardinal, den Angelo Buonarotti, unter den Verdammten känutlich gemacht hatte. Er mußte, wer er war, bleiben.

Um so sorgsamer, denkt man, sollte Mährchen

und Gedicht bei Namen der Geschichte verfahren, deren Verstand und Treue fie auf ewige Zeiten hin übergeben worden; welches aber der Fall nicht immer seyn möchte. Das Mährähen nimmt den Wortschall feines berühmten Namens meist aus einem dumpfen Gerücht; der Fibel- Roman kleckt sich entweder an die Namen der Geschichte, die er nach seiner Weise verhandelt und mißhandelt, oder er kleckt sie, mißs günstig, und günstig an sich an. Der elendeste Vers läumder endlich ist der erbettelnde Roman, der hie und da Züge hascht, sie einwebt, und mit Anekdo ten fortbreitet; ein armer Pfuscher der Charaktere Lebendiger Schöpfung.

„Du sollst nicht leumunden!" sagt das moralis sche nicht nur, sondern auch das Kunstgebot. Bes ftehet deine Kunst darinn, einer ehrbaren Gestalt, die Dir kein Leides zufügte, unvermerkt in der Gesellschaft oder auf dem Markt ein Papierchen an den Mantel zu heften; wenn dir die Gesellschaft es verzeiht, verzeihet der Beleidigte es dir leicht. Geschähe es auf der Straße, so weißt du, was dir gebühret.

Außer solchen Romanschreibern, den Verstümms lern historischer Charaktere, hat sich eine zärtlis chere Gattung an sie gemacht; Fledermause, die ihs nen mit fanftem Munde das Blut entsaugen, Vers fasser der sogenannten Heroiden. Ovid war ihr wizs ziges Vorbild; sein galanter Liebesbrief der Sappho

an Phaon, sein stürmiger der Ariadne an Theseus, find das non plus ultra dieser Gattung Schriftstels lerei, dadurch noch unsinniger ward, wenn der Feder die Feder stürmig oder zärtlich antwortete, mithin den Liebesfederkrieg fortsette. Welche Romane sind auf diesem Ambos, dem Liebesbriefepult geschmiedet! Und in mehreren Sprachen wie würdige Namen ges mißbraucht worden!

„Pope, der nicht leicht den geringsten Umstand übersah, woraus sich eine Schönheit ziehen ließs bat in seinem Briefe der Eloise an Abdlard eine so schöne Scene und so vortrefliche Situation gewähs let, (fagt Warton,) daß, wenn wir die ganz beson dern Unglücksfälle dieses Paars mit dazu nehmen”, unter allen alten oder neuen Geschichten vielleicht keine einzige geschickter ist, den Stoff zu einer Heroide herzugeben, als diese." Leben denn die Menschew dazu, um euch den Stoff zu wißigen Liebesbriefen herzugeben, ihr tåndelnden Reimer? Und wenn Ihr die Charaktere verstümmelt, wenn Ihr Alexander zum Ros land, Eloise zum seufz-nden Klosterläßchen macht, a), denkt Ihr dann weder an die Geschichte noch an Horaz 2 Velut aegri somnia vanae

Finguntur species, ut nec pes nec caput vni
Reddatur formae., Pictoribus atque poëtis

Quidlibet audendi semper fuit aequa potestas.“

a) Ihr wahrer Charakter liegt in ihren Briefen offen da: Berrigton in seiner Geschichte Abålards und der Eloise bat sie redlich und noch nicht vollständig gebrauchet.

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Scimus et hanc veniam petimus damusque vicissim,
Sed non vt placidis coëant immitia →

Descriptas servare vices, operumque colores,
Cur ego, si nequeo ignoroque, poëta salutor?
Aut famam sequere aut sibi convenientla finge;
Sit Medea ferox invictaque, flebilis Jo.
Perfidus Ixion, Jo vaga; tristis Orestes. .

Wie aber, wenn Pope gewagt håtte, eine neue Person (personam novam) zu dichten, der er den Namen Eloise beilegte? Warum légte er ihr keis uèn andern bei? warum dichtete er diese neue Person in Abalards weltbekannte Geschichte, Eloisens Chas rakter zuwider?

*:.~,,Pope kannte das weibliche Herz?. Wie, wenn Eloisens Briefe selbst nicht echt waren?" Daß sie echt sind, weiß Jeder, der sie, zusamt Eloisens geistlichen Fragen an Abålard, gelesen; aus ihnén kennen wir ja nur Eloise. Aus zwei mißdeuteten Stellen derselben in einer romantischen französischen Ueberses Hung nahm ja Pepe selbst den Stoff seiner Nonnens Heroide, außer welchem historischen Quell er seine Heldinn nicht kannte. An ihr das weibliche Herz zu schildern, wie es Pope sich dachte - war Eloise dazu gebohren oder geeignet? Begegnete sie ihm in jener Welt; sie schreibe ihm keinen Brief zurück : Eloisa to Mr. Pope;

nicht wie Dido dem Aeneas einmal ginge sie ihm vorüber.

,,Popens Gedicht ist aber doch entzückend schön!”

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