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rechts erklärlich erscheint die ausdrückliche Erklärung des § 12, dass ein Wechsel notariell beglaubigt werden kann 35). Verboten ist die notarielle Beglaubigung natürlich nirgends 36).

13. Der Entwurf und die Gesetze schweigen darüber, ob die Gültigkeit des Wechsels von der Verwendung des Stempels abhängig sein soll. Bisher war dies in Russland, England und Italien leider Rechtens. Eine Aenderung ist bisher wohl in keinem jener Länder eingetreten 37).

VI.

Haftung des Ausstellers.

Der 3. Abschnitt des Entwurfs ist ,,Begebung des Wechsels" überschrieben. Er enthält nur zwei Paragraphen, deren erster (§ 15) den Wortlaut hat:

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,Der Wechsel erlangt Wechselkraft, sobald der Aussteller denselben an den Remittenten begeben hat."

Mit diesem Satz entscheidet der Entwurf die grosse Streitfrage nach der Entstehung der Scriptur-Obligation. Die deutsche, schweizerische, ungarische, skandinavische, italienische und belgische Gesetzgebung haben sich dagegen der ausdrücklichen Beantwortung dieser Frage enthalten, und nur die britische Act hat in Sect. 21, wie der Entwurf, eine gesetzgeberische Erklärung für nöthig erachtet.

Eine Entscheidung einer so bedeutsamen Streitfrage thut allerdings Noth, und in dieser Hinsicht verdienen Russland und England gewiss Lob. Dagegen kann dem materiellen Inhalt der getroffenen Entscheidung nicht beigetreten werden. Russland, wie England, lehnen übereinstimmend die Creationstheorie ab; erst mit der Begebung (delivery) soll die Verbindlichkeit des Ausstellers entstehen, bis dahin die Obligation (das

35) Ueber Analphabeten vgl. § 141 und dazu unten.
36) Vidari p. 31 und Lyon-Caen p. 542, n. 5.

37) Vgl. Beiträge p. 78. Die Act hält in Sect. 97, Nr. 3 a das Stempelgesetz v. 1870 ausdrücklich aufrecht. Vgl. übrigens auch Sect. 72, Nr. 1 a und Lyon-Caen p. 725, n. 2, u. 716 ff.

englische Gesetz sagt: every contract on a bill) nur vorbereitet sein (incomplete and revocable). Es kann hier nicht der Ort sein, die Creationstheorie eingehend zu motiviren; das hat Kuntze erst neuerdings wiederum in seinem Gutachten für den 16. deutschen Juristentag p. 131-140 gethan1).

Wie sehr das Verkehrsbedürfniss eine Milderung der Vertragstheorie verlangt, beweist das englische Gesetz, welches allgemein die Präsumption, dem,,holder in due course" gegenüber aber sogar die unwiderlegliche Fiction der ordnungsmässigen Begebung aufstellt. (But if the bill be in the hands of a holder in due course a valid delivery by all parties prior to him so as to make them liable to him is conclusively presumed.")) Hier wird also künstlich geschaffen, wozu die reine Creationstheorie keiner Nachhilfe bedarf3).

Sollte man aber auch der Creationstheorie sich nicht anschliessen, so bleibt doch die Fassung des Entwurfs noch bedenklich. Was versteht denn der Entwurf unter,,begeben"? Ist der Wechsel bereits begeben, wenn der Aussteller sich freiwillig des Besitzes entäussert, die Urkunde abgesandt hat? oder bedarf es noch ausserdem eines Nehmens Seitens des Remittenten? Die englische Act hat diese Frage in Sect. 2 durch die Definition,,delivery means transfer of pos

1) Der Juristentag hat sich dem Kuntze'schen Votum allerdings nicht angeschlossen, vielmehr auf das Referat Brunner's die Ueberzeugung ausgesprochen, dass es mit Rücksicht auf die allgemeine Wechselfähigkeit als unzweckmässig erscheine, den Aussteller eines vor der Begebung gestohlenen oder verlorenen Wechsels dem gutgläubigen Erwerber haften zu lassen. Vgl. Wiener jurist. Blätter XI, 1882, Nr. 39. Soeben hat auch Goldschmidt (Z.f.H.R. XXVIII, p. 84 ff., besonders p. 106–114) sich aufs Neue gegen die Creationstheorie erklärt.

2) Sect. 21 Nr. 2 u. 3. „,Holder in due course" ist nach Sect. 29 derjenige Inhaber, der vor Verfall den anscheinend regulären Wechsel gegen Entgelt und bona fide ohne Kenntniss entgegenstehender Mängel erworben hat. Vgl. auch Heinsheimer, Die englische W.O. p. 31, n. 3 u. p. 37, n. 2.

3) Kuntze a. a. O. p. 135.

session, actual or construction, from one person to another" anscheinend im Sinne des ,,Gebens und Nehmens" entschieden.

Uebrigens lässt der Wortlaut des Entwurfs,,sobald der Aussteller denselben an den Remittenten begeben hat" die Frage ganz offen, wann der Wechsel an eigene Ordre,, Wechselkraft erlangt". Nach dem Entwurf strenggenommen nie; denn an sich selbst kann Niemand einen Wechsel begeben, und der Indossatar ist doch kein Remittent.

Endlich scheint es eine Inconsequenz, dass der Aussteller erst mit der Begebung haften soll, die Annahme aber nach § 34 als unverbrüchlich erfolgt gilt, sobald das Accept auf den Wechsel gezeichnet ist. Das heisst doch die Creationstheorie, die bezüglich des Ausstellers eliminirt ist, bezüglich des Acceptanten offen zur Geltung bringen 4). In dieser Beziehung ist doch die englische Act wenigstens consequenter; sie proklamirt in Sect. 21 ausdrücklich die Unvollständigkeit jeder Wechselverpflichtung,,,whether it be the drawer's, the acceptor's, or an indorser's" (bezüglich des letzteren schweigt der Entwurf ganz!), sofern nicht die Uebergabe hinzugetreten. Freilich hat auch England diese Consequenz wieder insoweit aufgegeben, als sie die Benachrichtigung des Bezogenen, dass er acceptirt habe, der delivery der acceptirten Urkunde in Sect. 21, Nr. 1 gleichstellt 5).

2. § 16 des Entwurfs entspricht dem Art. 8 der D.W.O. von der Haftung des Ausstellers mit den durch die Begebungstheorie und die kumulative Behandlung beider Wechselarten bedingten Modificationen. Der Trassant soll nicht nur für die Zahlung, sondern auch für die Annahme haften. Diese Bestimmung findet sich in gleicher Weise auch in den Wechselordnungen Deutschlands, Belgiens (Art. 7), Ungarns, Skandinaviens, der Schweiz und Englands (Sect. 55); sie ist indess

4) Für die Vereinbarkeit der unwiderruflichen Bindung des Acceptanten mit der Vertragstheorie vgl. indess jetzt ganz besonders Goldschmidt, Z. XXVIII, p. 85 ff.

5) Vgl. unten Cap. VIII, p. 59.

Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft. IV. Band.

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theoretisch bedenklich. Der Trassant verspricht nicht das Accept, sonst müsste er,,zur Einlösung einer präjudicirten Tratte dann verpflichtet sein, wenn sie nicht acceptirt worden"; der Regress wegen Nichtacceptation aber erklärt sich auf andere Weise 6). Der Codice hat überhaupt keine prinzipielle Bestimmung der Haftbarkeit des Ausstellers; in der Abtheilung von der Wechselklage sind die verschiedenen Verpflichtungen des Ausstellers mangels Accept und mangels Zahlung speciell behandelt (Art. 309, 313, 317, 325).

Eventuell ist in § 16 die Haftung als eine,,wechselmässige" zu bezeichnen). Der Entwurf hat diese Bezeichnung an vielen Stellen, wo die D.W.O. sie enthält, beseitigt, ohne sie doch consequent auszumerzen; so findet sie sich z. B. in §§. 14 und 24.

3. Der Aussteller darf nach der englischen Act (Sect. 16) durch eine Klausel seine eigene Haftbarkeit dem Inhaber gegenüber ausschliessen oder beschränken. Der Entwurf und die anderen Gesetze sprechen sich nicht bestimmt darüber aus 3). In Deutschland ist die Frage nach der Wirkung der vom Aussteller beigefügten Klausel,,ohne Obligo" bestritten). Es scheint empfehlenswerth, diese vom Aussteller beigefügte Klausel für nicht geschrieben zu erklären, „da es sich mit der Klarheit des Willensausdrucks nicht vertragen dürfte, in ein und derselben Erklärung eine Wechselverbindlichkeit einzugehen und sofort wieder aufzuheben“ 10).

VII.
Indossament.

Der vierte Abschnitt (§§ 17-26) ist etwas zu weitgehend „Uebertragung des Wechsels" überschrieben; denn er

6) Vgl. Thöl § 94.

7) Vgl. Thöl, Protok. p. 20.

8) Vgl. indess die allerdings für eine andere Frage ergangene Bestimmung der belgischen W.O., Art. 59, a. 1. 2. Les conventions particulières recevront néanmoins leur exécution."

9) Vgl. Borchardt, A.D.W.O., 8. Aufl., Zus. 116, 272 a, 745, Nr. 7, u. 955, auch Lyon-Caen p. 573.

10) Borchardt p. 346, Zus. 745, Nr. 7 und Sachs in Z. f. H.R. XVIII, p. 622.

behandelt nur das Indossament, während die anderen Uebertragungsarten 1), insbesondere die Cession des Wechsels, welche die ungarische W.O. besonders geregelt hat, von dem Entwurf in richtiger Selbstbeschränkung ausgeschieden sind.

Im Allgemeinen stimmt der Entwurf mit der deutschen und den sämmtlichen anderen Wechselordnungen bezüglich des Indossaments überein; grössere Abweichungen zeigen sich nur bezüglich der Wirkung der Recta-Klausel und des Nachindossaments.

Im Einzelnen ist Folgendes zu bemerken:

1. § 17 constatirt als Regel die unbeschränkte Indossabilität des Wechsels, auch an Personen, die bereits auf dem Wechsel stehen. Die Fassung ist freilich (insbesondere das unglückliche und so fort") eine reformatio in pejus der D.W.O. Art. 8. Die gleiche Regel haben auch Ungarn (8 und 9), Skandinavien (9 und 10), die Schweiz (728) und England (36 und 37) ausdrücklich ausgesprochen; der Codice begnügt sich (255) dagegen mit Hervorhebung der Transportfunktion des Wechsels, aus der jene Folgerung abzuleiten der Auslegung überlassen bleibt.

Auch Belgien hat diese Uebertragbarkeit nicht ausdrücklich hervorgehoben. Dagegen hat Belgien, wie England, es für erforderlich gehalten, die Wirkungen des Rückindossaments an den Aussteller oder einen Vorindossanten, sowie des Giros an den Acceptanten näher zu bestimmen. In diesem Falle sollen jene Indossatare nach beiden Gesetzen zur weiteren Girirung befugt sein. Das belgische Gesetz Art. 28 fügt noch hinzu, dass „tous les endosseurs restent néanmoins tenus vis-à-vis du porteur", sofern nur die neue Indossirung durch Aussteller, Giranten oder selbst Acceptanten vor Fälligkeit erfolgte. Dieser Satz ist gegen die Ansicht des französischen Cassationshofes gerichtet, der zufolge sich durch das dem Acceptanten ertheilte Indossament stets eine Confusion vollziehe, welche

1) Wächter p. 919 ff.

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