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italienisch-russische Cumulation nicht als empfehlenswerth gelten. Bei aller Verwandtschaft beider Wechselarten bleiben doch auch in der Gegenwart recht erhebliche Verschiedenheiten in den Wirkungen, die sich bei dem eigenen Wechsel aus der unbedingten Haftung des Ausstellers, als wäre er Acceptant, ergeben. Jedenfalls hat die Cumulation durch das fast unvermeidliche ,,beziehungsweise" eine gewisse Schwerfälligkeit und Breite des Ausdrucks in einer ganzen Reihe von Paragraphen zur nothwendigen Folge. (Vgl. §§. 9, 16, 44, 45, 49, 51, 64, 65, 68, 70, 79, 80, 81, 86-89, 125, 135-137, 148.)

Einzelne Abschnitte handeln überdies doch nur von der Tratte, wie der fünfte (Annahme des trassirten Wechsels), die erste Abtheilung des 6. (Sicherstellung wegen nicht erhaltener Annahme) und der 13. (Duplikate und Copien).

2. Der Entwurf zerfällt in 19 Abschnitte, die zum grossen Theil sich den 18 Nummern des 2. Abschnitts der A.D.W.O. anschliessen. Doch fehlt es auch nicht an Abweichungen, auf die bei Besprechung der einzelnen Abschnitte näher einzugehen sein wird. Neu ist nur der 12. Abschnitt über die Wechselbürgschaft, welche auch im ungarischen und italienischen Gesetz besondere Behandlung gefunden hat. Die Disposition der D.W.O. ist übrigens nur in dem schweizerischen Gesetz strikt beobachtet; selbst dort befindet sich indess immerhin eine Abweichung, insofern die Normen über,,ausländische Gesetzgebung", nicht zwischen Klagerecht und Protest, sondern, wie auch im russischen Entwurf, ganz passend an das Ende der gesammten Wechselordnung gestellt sind. Auch das skandinavische und italienische Gesetz sind der Disposition des Mutterrechts nicht durchaus getreu geblieben. Belgien hat die Disposition des französischen code de commerce getreulich adoptirt, nur dass in Belgien die Verjährung vor dem billet à ordre, nicht hinter demselben abgehandelt wird. Die Anordnung der englischen Act schliesst sich zum grössten Theil der Disposition des Chalmer'schen Lehrbuchs an. Sie ist

höchst unglücklich; einzelne Institute werden gar nicht im Zusammenhang, sondern an sehr verschiedenen Stellen erörtert 32).

Die Gesammtzahl der Paragraphen des Entwurfs beträgt 165, also bedeutend mehr, als die deutsche, belgische, ungarische, skandinavische, schweizerische, italienische u. englische Wechselordnung mit ihren 100, resp. 84, 114, 96, 109, 81 u. 100 Artikeln aufweisen, ja sie übersteigt sogar die Zahl der (144) Artikel des bisherigen russischen Gesetzes. Diese grössere Zahl ist aber, von der Wechselbürgschaft abgesehen, nicht durch einen reicheren Inhalt, sondern der Hauptsache nach durch Zerlegung einzelner Paragraphen in mehrere bedingt. Im Wesentlichen ist im Entwurf nur das eigentliche Wechselrecht geregelt; geringe Ausnahmen werden später Erwähnung finden.

III.
Wechselfähigkeit.

Der 1. Abschnitt des Entwurfs proklamirt mit den Worten der A.D.W.O. die allgemeine Wechselfähigkeit 1), beseitigt somit die Beschränkungen, die nach heutigem russischem Recht noch bezüglich der Geistlichen, der nicht grundbesitzenden Landbauern und der niederen Militärgrade bestehen. Diese Beseitigung ist als Fortschritt, als Anschluss an das herrschende Recht fast sämmtlicher civilisirten Staaten zu begrüssen. Hat doch trotz aller in der Gegenwart erhobenen Angriffe noch jüngst der deutsche Juristentag 1880 sich einstimmig 2) für jenes Prinzip der allgemeinen Wechselfähigkeit erklärt, welches auch an die Spitze der Bremer Grundzüge eines Weltwechselrechts gestellt worden. Die Abhilfe gegen die mit

32) Vgl. oben p. 12, n. 29. Es fehlt z. B. eine besondere Abtheilung für das Accept, dessen Normen in den Rubriken 1, 5, 6 u. 7 des 2. Theils (s. 17-19, 39-44, 54 u. 61) sich ganz zerstreut befinden.

1) Vgl. hierüber Beiträge p. 49–56 u. p. 141.

2) Vgl. Verhdlgn. des 15. d. Juristentags II, p. 324 u. 373.
Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft. IV. Band.

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jenem Prinzip zweifellos verbundenen Gefahren ist nicht auf dem Boden des Wechselrechts, sondern auf wirthschaftlichem Gebiet in der Begünstigung der genossenschaftlichen und staatlichen Kreditinstitute und daneben in den Waffen des Strafrechts zu suchen.

Die allgemeine Wechselfähigkeit der Vertragsfähigen ist auch in den sämmtlichen neuen Codificationen, stillschweigend oder ausdrücklich, sanctionirt worden. Stillschweigend: in Skandinavien, sie durfte im Norden als selbstverständlich gelten 3) — in Belgien1) und in Italien; ausdrücklich: in Ungarn (nach § 1 auch bezüglich der ein Gewerbe selbstständig treibenden Minorennen) und bezüglich der physischen Personen auch in England Sect. 22. Die englischen Corporationen haben dagegen auch durch die B. o. E. Act nicht sämmtlich die Wechselfähigkeit erworben 5) und haften, sofern sie nicht Handel treiben oder durch ihre Incorporationsakte zur Wechselzeichnung autorisirt sind, leider noch immer nicht aus dem Accept ihrer gesetzlichen Vertreter. Was endlich die Schweiz anlangt, so hat das Obligationenrecht zwar in Art. 720, a. 1. 1 das Princip der allgemeinen Wechselfähigkeit mit den Worten der D.W.O. wiederholt, dasselbe aber bezüglich der prozessualen Wechselstrenge nicht ohne lebhaften Widerspruch 6) auf die im Handelsregister eingetragenen Personen und Gesellschaften beschränkt; bezüglich der materiellen Wechselstrenge hat man von dieser unglücklichen Scheidung abstrahirt.

Die Frage der Wechselhaft ist im Entwurf wie in Skandinavien '), England ) und der Schweiz verständiger Weise

3) Maurer p. 336.

4) Selbst die absolute Wechselunfähigkeit der Frauen hat man fallen lassen. Sachs p. 48 n.

5) Sect. 22 a. 1. 2 und Chalmers' Note dazu, sowie desselben digest of the law of bill of exch. 1878, p. 53. So haften z. B. Eisenbahngesellschaften nicht aus ihrem Accept!

6) Vgl. Schneider u. Fick p. 501, Botschaft p. 56.

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der Prozessgesetzgebung überlassen; Ungarn 9), Italien, Belgien kennen die Schuldhaft überhaupt nicht mehr.

Die Frage nach der Wirkung der Unterschriften wechselunfähiger Personen auf die Verbindlichkeit der übrigen Wechselverpflichteten ist vom Entwurf nicht, wie in der deutschen, ungarischen, schweizerischen, belgischen und englischen Wechselordnung für sich besonders geregelt, sondern in § 143, wie im skandinavischen und italienischen Gesetz mit der Frage nach der Wirkung falscher Unterschriften verbunden. Diese Verbindung kann mit Maurer a. a. O. als ganz zweckmässig bezeichnet werden 10). Materiell stimmen alle Legislationen und der Entwurf darin überein, dass die Wechselunfähigkeit nur relativ wirkt, auf die Verbindlichkeit der Wechselfähigen also keinen Einfluss ausübt 11).

IV.
Definition.

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Der 2. Abschnitt des Entwurfs ist: Erfordernisse eines Wechsels" überschrieben. Er enthält indess mehr, denn er wird durch einen Paragraphen über die Eintheilung und Definition der Wechsel eröffnet. Auch der Codice und das englische Gesetz geben in Art. 250 resp. Sect. 3 und 83 Definitionen beider Arten des Wechsels, während die deutsche W.O., die Schweiz, Skandinavien, Ungarn und Belgien auf die Definition Verzicht leisten und sie der Wissenschaft überlassen. Russland und Italien sind allerdings zu ihrem Verfahren durch die oben bemängelte kumulative Behandlung beider Wechselarten gewissermassen genöthigt.

9) Ueber Ungarn vgl. Nagy p. 210.

10) A. M. indess Renaud p. 8.

11) D.W.O. 3, Ungarn 2, Schweiz 721, Belgien 3, Skandinavien 88, Codice 326. England 22, Nr. 2. Ist der Bezogene wechselunfähig, so hat der Inhaber nach der engl. Act s. 5 Nr. 2 die Wahl, den Wechsel als Tratte oder Eigenwechsel zu behandeln.

Was die Definition selbst betrifft, so ist die russische Erklärung der Tratte weniger gelungen, als die des eigenen Wechsels. Der Entwurf § 2 lautet: „In dem eigenen Wechsel verspricht der Aussteller, und in dem trassirten beauftragt er einen Anderen, die in dem Wechsel bezeichnete Geldsumme zu zahlen." Diese Definition der Tratte könnte zu der Annahme verleiten, dass die Tratte nur einen Zahlungsauftrag enthalte, während sie doch neben dem Zahlungsauftrage, der allerdings 1) in der Tratte enthalten, das bedingte Zahlungsversprechen des Ausstellers enthält und gerade erst durch dieses Regressversprechen sich von der Anweisung aufs schärfste scheidet.

Die englische Tratten-Definition s. 3 theilt die Schwäche der russischen, zeichnet sich nur durch Urgirung des Unbedingten aus und leidet im übrigen noch an einer schwerfälligen Breite, die durch das Bestreben, alle Fälle descriptiv mit zu umfassen 2), verschuldet ist. Der Hauptsache nach ist ihr der Eigen wechsel ganz richtig: „an. unconditional promise in writing“ die Tratte aber, wie in Russland ,an unconditional order in writing"

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Um vieles empfehlenswerther ist die Erklärung des Codice. Derselbe hat für die Tratte (lettera di cambio) und den Eigenwechsel (pagherò cambiario oder vaglia cambiario) den gemeinsamen Namen „,la cambiale" und definirt in Art. 250:,,La cambiale contiene 3) l'obbligazione di far pagare o di pagare, alla scadenza, una somma determinata al possessore di essa, nelle forme stabilite nel presente capo."

1) Das R.O.H.G. hat in der Beantwortung der Frage, ob die Tratte überhaupt einen Zahlungsauftrag enthält, geschwankt. Vgl. Thöl § 33 n. 9 und desselben Praxis des Handelsrechts p. 52 ff. und Goldschmidt, Z. f. H.R. XXVIII, p. 95, n. 58.

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to pay on demand or at a fixed or determinable future time a sum certain in money to or to the order of a specified person, or to bearer."

3) Besser wäre vielleicht: „la cambiale è una scrittura, chi contiene"...

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