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Regentschaft!

und

Vertretung des Staatsoberhaupts.

Von

M. Beunert.

Einleitung.

Wenn das Haupt des Staates nicht regieren kann oder nicht regieren will, so bedeutet dies eine Gefahr für den ganzen Organismus des Staats, falls ein Ersaß nicht eintritt. Denn der Staat muß eben einen regierungsfähigen und regierungswilligen Träger der Staatsgewalt stets besigen, in dessen Händen die Fäden der Regierung planvoll zusammenlaufen; fällt dieses Organ weg, oder ist es verhindert, so verwirren sie sich, so entsteht Anarchie, ist nicht anders gesorgt.

Von Anfang an scheint in der Republik trefflich für diesen Fall Fürsorge getroffen zu sein. Die Machtfülle derselben ruht in einer Summe der Staatsbürger oder in der deren Gesammtheit: dieser Souverän stirbt nie, ist nie minderjährig, leidet nie an Gebrechen, die ihn regierungsunfähig machen, und ist nie abwesend: Ein vielköpfiges Haupt, wie das der lernäischen Schlange, ergänzt er sich selbst aus sich. Theilt aber die Gesammtheit nicht die Schwächen des einzelnen Merschen, die dessen Regierungsunfähigkeit herbeizuführen im Stande sind, so theilt sie auch nicht dessen Vorzüge. Eines einheitlichen Willens ist die Gesammtheit im Allgemeinen nicht fähig), ist aber die Ausübung der gemeinsamen Macht einem Einzelnen übertragen, so treten hier analoge Schwierigfeiten wie in der Einzelherrschaft ein; denn dieser stirbt und nach seinem Tode trachten Hundert nach der gleichen Stellung. Wer sie erhält, ist oft mehr eine Frage der Macht, und mangelt sie im Drange der Noth der richtigen Form der Entstehung, so sind die Unterthanen dem falschen Präsidenten keinen Gehorsam schuldig und sie begehen vielleicht Hochverrath, wenn sie Gehorsam leisten. Bis zur richtigen Neuwahl ist seine Stelle leer, die Regierung bis dahin ist eine Zwischenregierung, die ungewollt, aber nothwendig ist: der Staat soll mächtig sein; denn nur der Beste soll gewählt werden und die Regierung führen, das ist das Prinzip aber der Staat ist gefährdet im Sturme der Zwischenzeit nach dem Tode des Präsidenten, der nicht ewig die Herrschaft ausüben kann.

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') Deshalb bedarf auch sie einer Vertretung, aber einer Vertretung ganz anderer Art; nicht wegen Gebrechens des Souveräns, sondern als Organ des Souveräns, um dessen Willen verfassungsmäßig zum Ausdruck zu bringen.

Mehr noch fällt dieser Mangel ins Auge in der Wahlmonarchie, in der ja der Träger der Staatsgewalt niemals prinzipiell sofort seinen Nachfolger findet. Mit dem Tode des Monarchen beginnt die kaiserlose, die schreckliche Zeit," das Interregnum, eine verfassungsmäßige Krisis des Staates. Dann ist regelrecht der Staat ohne Träger der Staatsgewalt und nur zeitweilige Zwischenherrscher müssen sorgen, ne quid detrimenti capiat. Mit Recht sagt daher Limnäus von den Wahlmonarchen, den deutschen Königen, im Gegensatz zu denen der Franzosen: moriuntur nostri reges, sie sterben auch nach Staatsrecht.

Anders als diese beiden Staatsformen verzichtet von vornherein die Erbmonarchie darauf, den Tüchtigsten an ihre Spize zu berufen; denn — das muß man sich sagen ein Geschlecht wird nicht immer begabte Sprößlinge erzeugen. Aber im Innern soll der Staat ungefährdet und sicher und deshalb niemals ohne Haupt sein: mit dem Tode des Trägers der Staatsgewalt tritt ipso iure der nächste Sukzessionsberechtigte an dessen Stelle: dieser König stirbt nicht (le roi ne meurt jamais). Für Ausfüllung dieser Lücke der Staatsform ist also gesorgt. Aber noch mehr. Der König regiert. Schon Regierungsunfähigkeit des Regierenden genügt, das sahen wir in der Republik, um den Staat zu gefährden. Um diese aus der Welt zu schaffen, hilft im Einklang mit der Idee der ununterbrochenen Dauer des Königthums eine Fiktion: der König ist nicht nur unsterblich, er ist auch nie regierungsunfähig und daher nie minderjährig (in the king is no minority), er ist über die Zeit erhaben (nullum tempus occurit regi), und schließlich ist seine Regierung immer eine gesegnete: Unrecht kann er nicht thun (the king cannot do wrong).

Doch dies sind Fiktionen), das will sagen: der Wirklichkeit werden sie nicht gerecht. Der rein logischen Durchführung des Prinzips der Kontinuität erbmonarchischer Regierung stellt sich mit unwiderstehlicher Gewalt die Thatsache des Lebens entgegen, daß der König nun doch einmal ein Mensch ist, unterworfen allen Fehlern und Schwächen der menschlichen Natur, wie jeder Andere.

Der Staat mußte sich besser helfen. Drei Möglichkeiten boten sich ihm dar: entweder den Regierungsunfähigen vom Throne überhaupt oder von der Sukzession) oder endlich nur von der Regierung auszuschließen, um einen Regierungsfähigen an seine Stelle zu sehen. In Jahrhunderte währender Entwickelung siegte im Allgemeinen das lettere Prinzip.

Danach bleibt auch der regierungsunfähige König Träger der Staatsgewalt: der Staat hat immer ein Oberhaupt; doch jezt ein Oberhaupt, von dem der sonst unrichtige Sah Thiers' gilt: le roi règne, et il ne gouverne pas.

Da aber nun doch regiert werden muß, so tritt ein Anderer an seine Stelle, der sie im Namen des Verhinderten führt. Dies ist sein Vertreter. Das Wort Vertretung des Staatsoberhauptes bezeichnet beides: Regentschaft und Regierungsstellvertretung.

Das englische Verfassungsrecht, das auf gewohnheitsrechtlicher Entwickelung beruht, kennt sie noch heute. Doch werden sie im positiven Fall nicht beachtet. Man hilft sich mit Spezialgesetzen.

Die Theorie, nach der der König Unrecht nicht thun kann, wird auch neuerdings (z. B. von Bornhak) für das deutsche Staatsrecht verfochten.

2) Thronunfähigkeit ist nicht gleich Sukzessionsunfähigkeit; nach legterem Prinzip hat der Eintritt der Regierungsunfähigkeit nach Erwerb des Thrones dessen Verlust nicht mehr zur Folge, wohl aber nach ersterem.

Theil I.

Die Regentschaft.

Abschnitt I.

Die allgemeinen und historischen Grundlagen.

§ 2.

Begriff und Wesen des Instituts.

Was ist Regentschaft? Zum Theil ergibt sich das schon aus dem Gejagten. Es ist eine Art Vertretung des Staatsoberhaupts. Damit ist weiter zugleich gesagt, daß die Wurzel der Regentschaft in der Erbmonarchie zu suchen ist.

Denn das „Staatsoberhaupt", der Träger der Staatsgewalt in der Republik, ist eine Mehrheit oder die Gesammtheit der Staatsbürger; sie wird nie regierungsunfähig und bedarf keiner Vertretung. Die Volksvertretung ist lediglich das Organ des Volkes, das ständige Mittel der Ausübung seiner Herrschaft, sie tritt nicht ein im Falle der Verhinderung. Auch pflegt man vom Volke wohl als Träger der Staatsgewalt, von Volkssouveränität zu reden, doch kaum vom Volke als Staatsoberhaupt. Diese Art staatlicher Vertretung bleibt somit außer Betracht.

Der Präsident dagegen ist nur Organ der Ausübung fremder Herrschaft 1,) jein Wegfall macht den Staat nicht kopflos; denn er ist nicht Staatsoberhaupt im Rechtssinn. Mithin ist sein Vertreter, der Vizepräsident, da nicht Vertreter des Staatsoberhaupts, nicht Regent; denn Regentschaft ist eine Art der Vertretung des Staatsoberhaupts.

Regentschaft ist aber auch eine Art der Vertretung. Sie unterscheidet sich von allen Zwischenregierungen dadurch, daß ihre Grundlage stets die Erbmonarchie bildet; denn die Vikare, Reichsverweser, wohl auch Regenten genannt, die im alten Reich eine Rolle spielten, sind nicht Regenten in unserem Sinne; die vicarii imperii führten die Regierung, wenn kein römischer König vorhanden ist, bis ein anderer Kaiser gewählt wird und die Regierung angetreten hat“ 2), sie regierten daher auch nicht in Vertretung des Kaisers, sondern sie übten den ihnen geseßlich zustehenden größeren Antheil an der Reichsregierung aus 3).

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Regentschaft ist endlich eine Art der Vertretung. Sie ist zunächst eine staatsrechtliche Vertretung. Der Regent vertritt das Staatsoberhaupt in der Ausübung von Herrscherrechten: der Regent ist nicht Vormund). Nicht die Sorge um den regierungsunfähigen Monarchen ist seine Aufgabe, sondern die um den Staat, der des Herrschers entbehrt). Klar und scharf tritt hier in den Worten Ulpians der Unterschied seiner Rechtsstellung von der des Vormundes entgegen, wenn der Römer sagt: publicum ius est, quod ad statum rei Romanae spectat, privatum, quod ad singulorum utilitatem: sunt enim.

1) Wenn daher Bluntschli a. a. O. Buch III, Kap. 4, von dem Präsidenten alz „Staatshaupt“ spricht, so meint er damit das Wort nicht im gewöhnlichen Sinne.

Moser, deutsches Staatsrecht, Theil 7, S 415, Sartori, a. a. D., S. 3. Reitemeier a. a. D., S. 37, 3öpfl, Regierungsvormundschaft, S. 62. Irrig ist daher die ältere Behandlung des Gegenstandes; in diesem Jahrhundert noch bei 3öpfl, Zachariä, Kraut a. a. D. und Rüdorff, das Recht der Vormundschaft.

So ist mit Recht Vormundschaft u. Regentschaft bei Minderjährigkeit des Monarchen getrennt in Oldenburg, Rev. St. 6. G., 22. Nov. 1852, Art. 27.

quaedam publice utilia, quaedam privatim 1). Damit versagt hier das Hilfsmittel privatrechtlicher Analogie 2).

Das Wesen der Regentschaft ergibt sich nur aus dem Staatsrecht und seiner Geschichte. Es ergibt sich nicht aus der Betrachtung der Republik oder Wahlmonarchie, es ergibt sich allein aus dem der Erbmonarchie. In ihrem Wesen liegt es begründet. Hier hat sich auch der Begriff entwickelt. Die Regentschaft soll die Idee der Kontinuität des Staatsoberhauptes verwirklichen, sie soll die Lücke ausfüllen, welche die Regierungsunfähigkeit des Monarchen in's System der Erbmonarchie reißt; so sagt denn m. E. von Kirchenheim3) richtig, wenn auch mehr erklärend als definirend: „Der staatsrechtliche Begriff der Regentschaft ist nichts weiter als das zur rechtlichen Potenz erhobene Kompromiß zwischen der unentbehrlichen Idee der ewigen, ununterbrochenen Dauer der Erbmonarchie und der thatsächlich nicht wegzuleugnenden und darum am besten rechtlich anerkannten Möglichkeit einer zeitigen Unfähigkeit des Inhabers der staatsgewaltlichen Rechte."

Doch weiter! Die Regentschaft soll eine Lücke ausfüllen, ein Surrogat der Regierung des Fürsten *) sein; und doch sie bedeutet selbst eine Lücke des Systems; denn wenn sie auch die ununterbrochene Sukzession des Monarchen ermöglicht, so ist damit nicht dessen Regierungsunfähigkeit geheilt. Der Idee der Erbmonarchie entgegen tritt an Stelle des regierungsunfähigen Monarchen der regierende Regent. Konsequent müßte die Unfähigkeit zu regieren zur Ausschließung führen, aber die praktische Durchführbarkeit dieser Konsequenz scheitert an der Schwierigkeit der Konstatirung nicht aufzuhebender Regierungsunfähigkeit und nach erfolgter Konstatirung der eventuellen Nothwendigkeit zwangsweiser Abschung des Monarchen, über dessen Berechtigung zur Innehabung des Throns nach erlangter Herrschaft kein Richter zu entscheiden befugt ist. Deshalb bleibt der Regierungsunfähige König, für ihn regiert der Regent, und zwar bedarf dieser Lettere, soll er den Mangel der Regierungsunfähigkeit recht ersehen, prinzipiell der vollen Regierungsgewalt; endlich, da der Regierungsunfähige nicht selbst Rechtshandlungen auch vor der formellen Deklaration vornehmen soll, wird der Regent berufen, kraft der Verfassung oder eines Gesezes schlechthin.

In diesem Sinne spricht Gerber') von der Regentschaft als unvollkommener Art der Thronfolge. Offenbar meint er das Richtige, ist auch der Ausdruck unglücklich gewählt. Er verräth dem ersten Blick Unsicherheit; etwas Klares läßt sich unter ihm nicht denken; dies zeigt das Wort unvollkommen; (ja, in welcher Weise unvollkommen, das ist gerade die Frage! Oder, wenn unvollkommen schlechthin gemeint ist, warum denn dann den Ausdruck mit Thronfolge in Verbindung bringen! Ein unvollkommener Begriff ist nicht der Begriff selbst, er ist gerade etwas anderes, man kann ihn nicht auf einen andern Begriff anwenden, um diesen zu erklären oder man erklärt mit ihm in der That nichts.) Auch ist Thronfolge etwas von Regentschaft fundamental

1) § 1, 2 D. 1, 1.

2) Insbesondere irrig daher Schenk a. a. D. S. 15, der meint, der Mündel handle durch den Regenten. Der Regent tritt an die Stelle des Monarchen in der Führung der Regierungsgeschäfte.

*) a. a. O. S. 55; ähnlich S. 53: von Kirchenheim gebührt überhaupt das Ver dienst, über Regentschaft zuerst von staatsrechtlichem Standpunkte und in systematischer Weise gehandelt zu haben.

S. Reitemeier, S. 4.

5) S. Gerber a. a. O., S. 105.

Verschiedenes, mithin das eine nie eine Art des andern; denn auf den Thron folgt der Regent nicht, der Thron ist besezt.

Ist dies der Fall, dann kann auch die Bezeichnung des Regenten als interimistisches Staatsoberhaupt1) nicht richtig sein. Der Regent vertritt den Monarchen, er beseitigt ihn nicht. Der Monarch bleibt Staatsoberhaupt, wäre der Regent, wenn auch nur interimistisch, Staatsoberhaupt, so existirten während dieser Zeit zwei Staatsoberhäupter in einer Einherrschaft.

Darum ist der Regent nicht Monarch. Sofort erhebt sich die weitere Frage, ist denn der, der nach eigenem Ermessen und kraft eigenen Rechts die Regierung des Staates führt, Unterthan? Dafür sprechen sich gewichtige Stimmen aus). Man macht geltend, daß der Regent nur ein fremdes Herrscherrecht ausübe (Graßmann), daß er die Staatsgewalt kraft Gesezes ausübe, das in der höheren Gewalt des Monarchen seine Quelle habe (v. Seydel), daß man sonst den Regenten zum Monarchen mache, und daß aus dem Schweigen. der Verfassungen über diesen Punkt zu entnehmen sei, daß der Regent Unterthan bleibe (Maurenbrecher), endlich die Rücksicht auf das monarchische Prinzig (Hance), oder auch keine Gründe (G. Meyer)3).

Richtig ist, daß der Regent ein fremdes Herrscherrecht ausübt, aber er übt es aus kraft eigenen Rechts, die Ausübung des Monarchenrechtes ist ihm nicht durch Mandat übertragen; der Regent ist nicht abhängig vom Monarchen, dessen Wille staatsrechtlich todt ist, die Fülle der Gewalt liegt beim Regenten. Dies ist das entscheidende Moment. Denn zum Unterthanen macht die Ausübung eines fremden Rechtes an sich nicht, zum Unterthanen macht lediglich die möglicherweise daraus abzuleitende Gehorsamspflicht dem Inhaber des Rechts gegenüber und diese Gehorsamspflicht fällt weg mit dem Subjekt, dem sie geleistet werden soll. Zum Unterthanen macht die Rechtspflicht, einem andern Willen im Staate sich unterordnen zu müssen, der fremde Wille aber, dem sich der Regent allein zu unterwerfen hätte, der des Monarchen, ist mit dessen Regierungsunfähigkeit nicht mehr rechtlich relevanter Wille; der Wille des Regenten ist an seine Stelle getreten, dieser ist der höchste Wille im Staate.

Auch das Argument v. Seydels kann nicht als richtig oder durchschlagend bezeichnet werden. Es leidet schon von vornherein an dem Mangel, von einer sehr bestrittenen Grundlage auszugehen. Sein entscheidendes Kriterium ist der Rechtsgrund der königlichen Gewalt im Gegensatz zu der des Regenten und damit der Folge der Unterordnung des Lezteren unter das Gesez. Ich muß hier um die Erlaubniß bitten, diese wichtigen und für jede staatsrechtliche Betrachtung fundamentalen Fragen mit einem Worte streifen zu dürfen.

Zunächst ist die Ansicht v. Seydels, daß das Gesetz seine Quelle in der höheren Gewalt des Königs habe, für die konstitutionelle Monarchie schlechthin unrichtig. Die Quelle des Gesezes ist hier, wie bekannt, Monarch und Volksvertretung. Führte man hier v. Seydels Ansicht durch, so wäre auch der Monarch nicht Staatsoberhaupt, da auch er einem fremden Willen, dem Gesez, das er nicht oder doch nicht allein gemacht hat, untersteht. Aber gerade für den Monarchen will, scheint es, v. Seydel eine Ausnahme machen; der Monarch steht nach ihm nicht unter dem Gesez, er ist Träger der Staats

1) v. Schulze, deutsches Staatsrecht I, S. 255, Preuß. Staatsrecht, S. 213. Graßmann a. a. D., S. 525. v. Seydel, bayr. Staatsr., I S. 491. Maurenbrecher a. a. D., S. 141. Hande a. a. D., S. 58.

6. Meyer a. a. D., S. 245.

Annalen des Deutschen Reichs. 1900

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